08.01.2010
Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 22.07.2003 – 11 K 11/99
Beruft sich der nach der Annahme einer unrichtigen Versandanmeldung wegen Beteiligung an der Entziehung von Waren aus der zollamtlichen Überwachung im externen gemeinschaftlichen Versandverfahren nach Art. 203 Abs. 3 zweiter Anstrich ZK als Zollschuldner in Anspruch genommene Abfertigungsbeamte Ausfuhr eines Zollamtes zu seiner Entlastung darauf, die Überschreitung der Frist zur Wiedergestellung der Waren nach ihrer vorübergehenden Verwahrung begründe eine frühere Abgabenschuld nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a ZK und Art. 859 Nr. 1 ZK-DVO, obliegt ihm die Feststellungslast nicht nur hinsichtlich dessen, dass die Fristüberschreitung einen Versuch des Entzugs aus der zollamtlichen Überwachung darstellt, dass die Verwahrungsfrist grob fahrlässig überschritten wurde, sondern auch dass eine rechtzeitig beantrage Fristverlängerung nicht gewährt worden wäre.
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Finanzrechtsstreit
wegen Zoll EURO und Einfuhrumsatzsteuer
hat der 11. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg – aufgrund der mündlichen Verhandlung – in der Sitzung vom 22. Juli 2003 durch Vorsitzenden Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … ehrenamtliche Richter …
für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger wegen Beteiligung an der Entziehung von Waren aus der zollamtlichen Überwachung im externen gemeinschaftlichen Versandverfahren Schuldner der Einfuhrabgaben wurde.
1) Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
a) Der Kläger war im Jahre 1995 bereits seit Jahren als Abfertigungsbeamter Ausfuhr beim Zollamt Güterbahnhof (ZA) des beklagten Hauptzollamts (HZA) tätig.
Ausweislich des Versandscheins Nr. wurde beim Zollamt am 28. September 1995 ein externes gemeinschaftliches Versandverfahren T1 für 1.154 Kartons (20.034 kg brutto) Rindfleisch aus den USA und 277 Kartons (4.435 kg brutto) Rinderzungen aus Argentinien mit Bestimmungsland Deutschland eröffnet. Warenempfänger war die Firma AG.(Die Firma AG war von Herrn K gegründet worden, der sich unter anderem mit dem Import, Export und Handel von Fleischwaren befasste.)
Die Sendung wurde zur Beendigung des Versandverfahrens am 29. September 1995 beim ZA gestellt und dem Warenempfänger beim Kühlhaus in mit einer Frist zur Wiedergestellung von 20 Tagen zur vorübergehenden Verwahrung überlassen.
b) Am 26. Oktober 1995 wurde beim ZA für die Waren ein neues externes Versandverfahren mit Versandschein T1 VAB 1 Nr. zur Ausfuhr nach Bulgarien über Griechenland beantragt. Statt 1.154 Kartons Rindfleisch und 277 Kartons Rinderzungen wurden 1.431 Kartons „Rindfleisch gefroren ohne Knochen” mit einem Gesamtgewicht von 24.469 kg brutto angemeldet. Empfänger sei die Firma M in Sofia, Bulgarien, die Kennzeichen des Beförderungsmittels – Zugmaschine und Anhänger – lautete und Hauptverpflichteter sei die Firma K. Der Kläger nahm diese Versandanmeldung an, vermerkte in Feld D „konform” sowie im Feld E „1 Karton geöffnet. Rindfleisch festgestellt. Rest wie angemeldet angenommen. Da LkW voller gleichartiger Karton” und eröffnete mit seiner Unterschrift das Versandverfahren.
c) Ermittlungen des Zollfahndungsamtes (ZFA) ergaben, dass die Angaben auf dem vom Kläger ausgestellten Versandschein teilweise unrichtig waren: Die Angaben des Warenempfängers (Firma M), der Kennzeichen des Beförderungsmittels () sowie des Hauptverpflichteten (Firma K) träfen nicht zu. Überdies sei die Unterschrift des Hauptverpflichteten – wie sich bei einem Vergleich mit der beim ZA hinterlegten Unterschriftenprobe auf der Bürgschaftserklärung des Hauptverpflichteten erweise – gefälscht. Des Weiteren sei die auf dem Rückschein angebrachte Gestellungsbestätigung der angeblichen griechischen Bestimmungsstelle nach Auskunft des griechischen Zollfahndungsdienstes gefälscht; die (handschriftliche) Registriernummer und die Unterschrift des Beamten seien falsch, der Versandschein Nr. sei im Registrierbuch T1 und T2 nicht eingetragen, eine Abfertigung des Versandscheins sei nicht ersichtlich.
d) Unter diesen Umständen ging das HZA davon aus, dass die Waren bei der Bestimmungsstelle nicht gestellt, sondern bereits zuvor aus dem Versandverfahren entfernt worden seien. Gemäß Art. 203 Abs. 1 und 2 Verordnung –VO– (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodes der Gemeinschaften (Zollkodex –ZK–), § 21 Abs. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) seien Einfuhrabgaben in Höhe von (191.746,19 DM Zoll + 27.362,85 DM Einfuhrumsatzsteuer –EUSt– =) 219.109,04 DM wegen Entziehens aus der zollamtlichen Überwachung entstanden. Abgabenschuldner sei unter anderem der Kläger gemäß Art. 203 Abs. 3 zweiter Anstrich ZK wegen Beteiligung an der Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung geworden. Aus diesem Grunde nahm das HZA den Kläger mit Steuerbescheid vom 31. August 1998 als Abgabenschuldner in Anspruch. Der Kläger habe in Feld D fälschlich den Vermerk „konform” eingetragen und damit zu Unrecht bestätigt, dass der Abgleich der Beförderungspapiere mit der Versandanmeldung zu keinen Beanstandungen Anlass gegeben habe. Tatsächlich habe der Kläger die Versandanmeldung nicht annehmen dürfen, weil die Unterschrift des Hauptverpflichteten K in Feld 50 der Versandanmeldung mit keiner der beim ZA hinterlegten Unterschriftenproben übereingestimmt habe, die Kennzeichen des Beförderungsmittels nicht mit den in der Versandanmeldung angegebenen – tatsächlich nicht existierenden – Kennzeichen übereingestimmt hätten, ausweislich der Veterinärzeugnisse, die auch bei der Einfuhrgestellung vorgelegen hätten, nicht nur Rindfleisch, sondern darüber hinaus 277 Kartons Rinderzungen versandt worden seien und weder eine Unterschrift noch eine Firmenbezeichnung des Anmelders in Feld 54 der Versandanmeldung enthalten seien. Durch die Annahme der in wesentlichen Punkten unrichtigen Versandanmeldung habe sich der Kläger am Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung beteiligt.
Die Versandanmeldung sei allerdings entgegen den Auflagen anlässlich der Überlassung zur vorübergehenden Verwahrung (Zollanmeldung 20 Tage nach Abgabe der summarischen Zollanmeldung) erst verspätet, nämlich am 26. Oktober 1995 vorgelegt worden. Diese Fristüberschreitung habe sich jedoch im Sinne des Art. 204 Abs. 1 ZK auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung nicht wirklich ausgewirkt, so dass die Zollschuld nicht bereits früher in der Person der Firma E entstanden sei.
e) Mit Einspruchsentscheidung vom 18. Dezember 1998 wurde der Einspruch des Klägers als unbegründet zurückgewiesen.
2) Mit seiner Klage trägt der Kläger im Wesentlichen vor:
a) Er bezweifle, dass die Waren aus dem Versandverfahren nach Griechenland (Bulgarien) entfernt worden seien. Das HZA gehe davon aus, dass die Gestellungsbestätigung der griechischen Bestimmungsstelle gefälscht und die Sendung somit nicht in ein Drittland (Bulgarien) verbracht worden sei. Es sei zu bezweifeln, ob diese Annahme zutreffe. Der Rückschein über die im Versandverfahren transportierte Ware sei nämlich offenbar ordnungsgemäß, d.h. auf dem Dienstwege von Griechenland nach Deutschland zurückübersandt worden. Die griechische Grenzzollstelle sei demnach in den Rücksendevorgang eingeschaltet gewesen. Es sei deshalb möglich, dass die Waren dort tatsächlich gestellt und sodann nach Bulgarien ausgeführt worden seien. Das ZFA sei zwar später zum Ergebnis gekommen, dass der Namensstempel des griechischen Beamten zutreffend, die Unterschrift aber wohl falsch und der Dienststempelabdruck nicht zuordenbar gewesen sei. Dies allein spreche indessen nicht dagegen, dass die Waren tatsächlich nach Bulgarien ausgeführt worden seien. Aus den Mitteilungen des griechischen Zollfahndungsdienstes sei zu entnehmen, dass die Waren bei der griechischen Bestimmungsstelle unter der laufenden Registriernummer erfasst worden seien. Es stehe deshalb nicht fest, dass die hier betroffene Sendung tatsächlich aus der zollamtlichen Überwachung entzogen wurde.
b) Dessen ungeachtet entfielen die danach entstandenen Abgabenschulden, weil sie vor den Handlungen des Klägers bereits anlässlich der Abfertigung der Sendung in Rotterdam in der Person des Hauptverpflichteten des dort eröffneten Versandverfahrens entstanden seien. Die Ware sei nicht einfuhrfähig gewesen. Auch eine Durchfuhr durch das Gebiet der Europäischen Union (EU) sei aus veterinärrechtlichen Gründen nicht möglich gewesen. Die Veterinärzeugnisse der Grenzzollstelle in Rotterdam hätten nicht ausgestellt werden dürfen. Die Zeugnisse hätten nur dazu gedient, die mangelnde Einfuhr- und Durchfuhrfähigkeit der Waren zu verschleiern. Das Versandverfahren habe auf der Grundlage der falschen Veterinärzeugnisse wegen Verstoßes gegen Verbote und Beschränkungen (VuB) nicht eröffnet werden dürfen. Darüber hinaus sei bei der Abfertigung zum Versandverfahren ein unrichtiges Formular verwandt worden. Die mit Hilfe des derart unrechtmäßig erlangten Versandscheins T1 aus dem Freihafen Rotterdam in das übrige Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachte Sendung sei im Sinne des Art. 202 Abs. 1 Buchstabe b ZK vorschriftswidrig in einen anderen Teil des Zollgebiets der Gemeinschaft verbracht worden.
Darüber hinaus seien vor den Handlungen des Klägers Abgabenschulden der Firma E gemäß Art. 204 Abs. 1 Buchstabe a ZK entstanden, da die für diese Firma in das Kühlhaus K zur vorübergehenden Verwahrung überlassene Sendung entgegen Art. 49 Abs. 2 ZK eine zulässige zollrechtliche Bestimmung durch Überführung in das vom Kläger eröffnete neue Versandverfahren erst am 26. Oktober 1995 und damit nach Ablauf der dort vorgesehenen 20-Tage-Frist erhalten hätte. Die Fristüberschreitung habe sich entgegen der im Steuerbescheid vertretenen Auffassung im Sinne des Art. 204 Abs. 1 Buchstabe a ZK nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung wirklich ausgewirkt. Die in Art. 859 VO (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission mit Durchführungsvorschriften zum ZK (ZK-DVO) genannten Voraussetzungen lägen nicht vor. Die Fristüberschreitung sei als ein Versuch der Firma EURAX zu sehen, die Ware der zollamtlichen Überwachung zu entziehen, da gegen ihren Gründer und vermuteten Inhaber staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall durchgeführt würden. Darüber hinaus beruhe die Fristüberschreitung auf grober Fahrlässigkeit, da die Firma E als „berufsmäßiger Zollanmelder” angesehen werden könne. Das HZA gehe schließlich zu Unrecht davon aus, dass der Firma E aufgrund einer rechtzeitigen Antragsteilung Fristverlängerung im Sinne des Art. 859 Nr. 1 ZK-DVO gewährt worden wäre. Die Annahme des HZA, die Fristüberschreitung habe sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung nicht wirklich ausgewirkt, sei auch deshalb befremdlich, weil die Ware aufgrund der Veterinärzeugnisse nicht zur vorübergehenden Verwahrung hätten überlassen werden dürfen, weil andere als die zur Verwahrung übergebenen Waren (1.154 Kartons Rindfleisch und 277 Kartons Rinderzungen), also nicht die nämlichen Waren, wiedergestellt worden seien (1.431 Kartons Rindfleisch) und weil der Lastzug, mit dem die wiedergestellten Waren befördert worden seien, nach Auffassung des HZA über keine amtliche Zulassung verfügt habe. Darüber hinaus zeige auch die spätere Falschanmeldung von 1.431 Kartons Rindfleisch statt richtig 1.154 Kartons Rindfleisch und 277 Kartons Rinderzungen, dass die Überschreitung der 20-Tage-Frist grob fahrlässig geschah, einen Versuch der Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung darstellte und einer Verlängerung der Verwahrungsfrist entgegengestanden habe.
Die unter diesen Umständen unzulässige Umladung der Ware und Wiederbeladung der Transportfahrzeuge mit anderer Ware führe im Übrigen schon für sich allein zu Abgabenschulden gemäß Art. 203 ZK.
c) Dessen ungeachtet sei der Kläger nicht an der Entziehung der im Versandverfahren befindlichen Sendung aus der zollamtlichen Überwachung beteiligt gewesen.
aa) Bei der Abfertigung zum Versandverfahren habe er die Kennzeichen am Lastzug und am Anhänger mit den in der Versandanmeldung angegebenen Kennzeichen verglichen. Sie hätten übereingestimmt. Wenn, wie das HZA meine, diese Kennzeichen für den Lastzug bzw. Anhänger nie ausgegeben worden seien, so seien die Kennzeichen gefälscht gewesen. Dies habe der Kläger nicht erkennen können. Ob auch die Fahrzeugpapiere gefälscht gewesen seien, sei nicht bekannt.
bb) Dem Kläger habe nicht auffallen müssen, dass in Feld 54 der Versandanmeldung der Name des Versenders und seine Unterschrift fehlten. Nach den Bestimmungen Ziff.
B 2. Anstrich des Anhangs II des Beschlusses des EWG-Rates 87/267 zur Vereinfachung der Förmlichkeiten im Warenverkehr müsse Feld 54 nicht ausgefüllt werden.
cc) Der Abfertigungsleiter Einfuhr habe erkennen müssen, dass die Warenanmeldung zum Versandverfahren partiell nicht mit den Warenangaben bei der Einfuhrgestellung übereingestimmt hätten. Er habe seine Erkenntnis dem Abfertigungsleiter Ausfuhr zur Kontrolle mitteilen müssen. Soweit sich der Abfertigungsleiter Ausfuhr des ZA in einer internen Stellungnahme anders geäußert habe, sei dies verständlich, seine abweichenden Angaben träfen indessen nicht zu. Dies gelte insbesondere für die Darstellung, nicht der Abfertigungsleiter Einfuhr, sondern der Abfertigungsbeamte – hier der Kläger selbst – habe die Vorpapiere auf Übereinstimmung mit den Eintragungen in der Versandanmeldung kontrollieren müssen.
Im Übrigen habe der Kläger ausweislich seines Vermerks in Feld E der Versandanmeldung eine Teilbeschau vorgenommen und hierbei festgestellt, dass der eine von ihm geöffnete Karton Rindfleisch enthalten habe und dass er die übrigen Kartons wie angemeldet angenommen habe, da der Lkw nur gleichartige Kartons enthalten habe.
dd) Die Überprüfung der Unterschrift des Hauptverpflichteten in Feld 50 der Versandanmeldung auf Übereinstimmung mit den beim ZA hinterlegten Unterschriftenproben (Bürgschaftsbescheinigung) der ermächtigten Personen obliege grundsätzlich dem Abfertigungsleiter Ausfuhr, nicht dem Abfertigungsbeamten wie dem Kläger. Dessen ungeachtet sei beim ZA so verfahren worden, dass bei „regelmäßigen Kunden” wie der Firma K eine Einzelfallkontrolle durch Unterschriftenüberprüfung anhand der Bürgschaftsbescheinigungen nicht vorgenommen worden sei.
d) Der Kläger habe die Entziehungshandlungen der Entzieher im Sinne des Art. 203 Abs. 3 2. Anstrich ZK weder gekannt noch kennen müssen. Unrichtigkeiten in der Anmeldung zu dem von ihm eröffneten Versandverfahren habe er aus den vorstehend genannten Gründen nicht kennen müssen.
e) Letztlich stehe § 32 Abgabenordnung (AO) der Inanspruchnahme des Klägers entgegen.
Der Kläger beantragt,
den Steuerbescheid vom 31. August 1998 sowie die Einspruchsentscheidung vom 18. Dezember 1998 aufzuheben.
3) Das HZA beantragt,
die Klage abzuweisen.
a) Die Entfernung der Waren aus dem Versandverfahren werde vorrangig durch die Fälschung des Rückscheins und der Fälschung des auf ihm angebrachten Stempels der angeblichen griechischen Bestimmungsstelle bewiesen.
b) Die Einfuhrabgaben seien nicht bereits anlässlich der Versandabfertigung der Sendung in Rotterdam gemäß Art. 202 ZK entstanden. Das Zollamt in Rotterdam habe aufgrund der formal ordnungsgemäß ausgestellten veterinärrechtlichen Prüfdokumente das Versandverfahren eröffnen dürfen. Die Sendung sei somit nicht vorschriftswidrig in das Gebiet der EU verbracht worden. Die Vorschriftswidrigkeit des Verbringens in das Zollgebiet der EU sei überdies deshalb zu verneinen, weil es kein Verbringen unter Nichtbeachtung der Art. 38 bis 41 und 177 2. Anstrich ZK im Sinne des Art. 202 Abs. 1 letzter Satz ZK- sei.
Die Abgabenschulden seien auch nicht gemäß Art. 204 Abs. 1 Buchstabe a ZK als Folge der Überschreitung der Verwahrungsfrist entstanden. Die Fristüberschreitung habe sich im Sinne des Art. 859 Ziff. 1 ZK-DVO nicht wirklich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung ausgewirkt. Sie stelle keinen Versuch dar, die Ware der zollamtlichen Überwachung zu entziehen. Dies zeige die – wenn auch verspätete – Gestellung der Sendung beim ZA zur Versandabfertigung. Die Firma E habe 1995 überdies wiederholt Waren aus dem externen gemeinschaftlichen Versandverfahren zunächst in die vorübergehende Verwahrung übertragen lassen und später ohne Fristüberschreitung wieder gestellt. Das Zollamt habe somit während der Dauer der vorübergehenden Verwahrung jederzeit auf die Waren Zugriff nehmen können. Die Fristüberschreitung beruhe auch nicht auf grober Fahrlässigkeit der Firma E. Schließlich sei davon auszugehen, dass bei rechtzeitiger Antragstellung eine Verlängerung der Verwahrungsfrist gewährt worden wäre. Jedenfalls dokumentiere die Annahme der Versandanmeldung durch den Kläger die Prüfung der in Art. 859 Nr. 1 ZK-DVO genannten Voraussetzungen und stelle eine durch konkludentes Handeln gewährte nachträgliche Fristverlängerung dar. Es sei zulässig und gängige Praxis, die Fristverlängerung mündlich zu beantragen und zu gewähren. Schließlich sei eine Zollschuld nicht deshalb nach Art. 204 Abs. 1 Buchstabe a ZK entstanden, weil, wie der Kläger meine, die zur Versandabfertigung gestellten Waren (angeblich 1.431 Kartons Rindfleisch) nicht die nämlichen wie die zur vorübergehenden Verwahrung überlassenen Waren (1.154 Kartons Rindfleisch und 277 Kartons Rinderzungen) gewesen sein. Die Bezeichnung der Waren in der Versandanmeldung als 1.431 Kartons Rindfleisch sei eine Falschbezeichnung, die den Kläger als Abfertigungsbeamten hätte veranlassen müssen, die Versandanmeldung zurückzuweisen, ändere aber an der Nämlichkeit der betroffenen Waren nichts. Die Nämlichkeit werde dadurch belegt, dass die bei Beendigung des in Rotterdam eröffneten Versand Verfahrens mit der dortigen Versandanmeldung vorgelegten, eine Warenbezeichnung enthaltenden Veterinärpapiere die gleichen sein, die dem Kläger mit der Versandanmeldung zu dem von ihm eröffneten Versandverfahren vorgelegt worden seien.
c) Der Kläger sei Zollschuldner nach Art. 203 Abs. 3 2. Anstrich ZK wegen Beteiligung an der Entziehung der Waren aus der zollamtlichen Überwachung (Versandverfahren) geworden. Indem der Kläger trotz der falschen oder gefälschten Fahrzeugkennzeichen, der falschen Warenangabe und der gefälschten Unterschrift des Hauptverpflichteten die Versandanmeldung angenommen, als „konform” bestätigt und das Versandverfahren eröffnet habe, habe er sich an der (späteren) Entfernung der Waren aus dem Versandverfahren und damit ihrer Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung beteiligt. Trotz dieser Mängel der Versandanmeldung habe der Kläger die Waren zum Versandverfahren abgefertigt, den Versandschein ausgestellt und damit die spätere Entziehung der Waren aus der zollamtlichen Überwachung ermöglicht.
aa) Er habe zum einen die Nämlichkeitssicherung (Anlegen einer Zollplombe) angeblich an einem Lastzug und Anhänger mit den Kennzeichen vorgenommen, obwohl diese Kennzeichen von der bulgarische Zulassungsstelle gar nicht ausgegeben gewesen seien (der Lastzug und Anhänger also andere Kennzeichen getragen haben müsse). Wenn jedoch der Lastzug und Anhänger tatsächlich die genannten Kennzeichen als gefälschte Kennzeichen aufgewiesen habe, so habe der Kläger dies nicht anhand der Fahrzeugpapiere überprüft, da andernfalls die Fälschung offenbar geworden wäre. Dass auch die Fahrzeugpapiere entsprechend gefälscht gewesen seien, sei undenkbar.
bb) Dem Hinweis des Klägers, im Feld 54 der Versandanmeldung habe der Name des Versenders und seine Unterschrift nicht erscheinen müssen, tritt das HZA nicht entgegen.
cc) Die dem Kläger vorgelegte Versandanmeldung sei insbesondere hinsichtlich der angemeldeten Waren (1.431 Kartons Rindfleisch) unrichtig gewesen, da nicht nur Rindfleisch sondern auch 277 Kartons Rinderzungen zum Versand gekommen sei. Er habe dies bei Beachtung der der Versandanmeldung beigefügten Veterinärzeugnisse erkennen können. Der Einwand des Klägers, die Prüfung der Übereinstimmung der Eintragungen in der Versandanmeldung mit den Eintragungen in den Vorpapieren sei Sache des Abfertigungsleiters Einfuhr gewesen, sei unzutreffend. Tatsächlich sei für die komplette Abfertigung von Waren zum Versandverfahren der jeweils tätige Abfertigungsbeamte zuständig gewesen.
dd) Der Kläger habe des weiteren die Übereinstimmung der in Feld 50 des Versandscheins angebrachten Unterschrift des Hauptverpflichteten mit der beim ZA hinterlegten Unterschrift durch den Vermerk „konform” dokumentiert, obwohl diese Übereinstimmung offensichtlich gefehlt habe. Der Einwand des Klägers, der Abgleich der Unterschriften des Hauptverpflichteten sei Aufgabe des Abfertigungsleiters Ausfuhr gewesen, sei unzutreffend. Vielmehr habe jeder Abfertigungsbeamte vor Erstellung des Versandscheins prüfen müssen, ob die in der Versandanmeldung gemachten Angaben zutreffen und die Unterschrift des Hauptverpflichteten korrekt ist. Dies habe auch dann gegolten, wenn die als Hauptverpflichtete bezeichneten Personen „regelmäßige Kunden” gewesen seien.
d) Der Kläger sei zur Zeit der Versandabfertigung bereits langjähriger Abfertigungsbeamter gewesen. Er habe daher bei pflichtgemäßer Prüfung der Zollanmeldung unter Wahrnehmung der ihm möglichen und obliegenden Sorgfalt die dargestellten Mängel der Versandanmeldungen erkennen und die Annahme der Versandanmeldung ablehnen müssen, um der Möglichkeit eines Entzugs aus der zollamtlichen Überwachung vorzubeugen. Stattdessen habe der Kläger anscheinend darauf vertraut, dass schon alles gut gehen würde, sofern er den Entzug nicht sogar billigend in Kauf genommen, also von ihm gewusst habe. Anlässlich einer Hausdurchsuchung beim Kläger am 01. September 1998 sei eine Kopie des von ihm ausgestellten Versandscheins T1 VAB Nr. vom 26. Oktober 1995 vorgefunden worden. Der Versandschein sei bereits 1996, also lange vor Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger, aus der Belegsammlung des HZA entnommen und an das ZFA übersandt worden. Die Kopie sei danach vor der Übersendung an das ZFA angefertigt worden. Es erscheine ungewöhnlich, dass sich ein Abfertigungsbeamter Kopien zu einem bestimmten Abfertigungsbeleg mit nach Hause nehme und dort drei Jahre lang aufbewahre, insbesondere wenn bezüglich dieses Abfertigungsbelegs nachweislich Steuern hinterzogen würden. Dies spreche dafür, dass der Kläger die Entziehung der Waren aus der zollamtlichen Überwachung billigend in Kauf genommen habe. Soweit der Kläger hierzu vortrage, gegen ihn werde seit dem Jahre 1977 wegen der hier zu beurteilenden Vorgänge disziplinarrechtlich vorgegangen, die Kopie des Versandscheins sei ihm im Rahmen einer dortigen Vernehmung zugänglich gemacht worden, sei richtig zu stellen, dass dem Kläger der Versandschein anlässlich einer Vernehmung zwar zur Ansicht vorgelegt, ihm jedoch zu keinem Zeitpunkt eine Fotokopie davon ausgehändigt worden sei.
e) Der Kläger könne sich nicht auf § 32 AO berufen.
Am 22. Juli 2003 wurde die Sache mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
Gründe
I.
Die Klage ist zulässig. Sie ist indessen nicht begründet.
1) Die vom HZA festgesetzten Abgabenschulden sind entstanden.
Nach Art. 203 Abs. 1 ZK entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird. Die hier betroffenen Waren wurden nach der vom Kläger vorgenommenen Eröffnung des Versandverfahrens Nr. spätestens durch ihre Entfernung von den Transportfahrzeugen aus der dadurch weitergeführten zollamtlichen Überwachung entzogen. Der Einwand des Klägers, die Waren seien bei der griechischen Bestimmungsstelle gestellt worden, der auf dem Dienstweg an das HZA zurückgelangte Rückschein könne dementsprechend korrekt sein, bewirkt nicht den Wegfall der Abgabenschulden. Der griechische Zollfahndungsdienst stellte auf Antrage fest, die – handschriftlich auf dem Rückschein vermerkte – laufende Registriernummer sowie die Unterschrift des Beamten seien falsch, der Versandschein Nr. sei nicht registriert und abgefertigt worden. Dies schließt eine ordnungsgemäße Erledigung des Versandverfahrens in Griechenland und eine Ausfuhr von dort nach Bulgarien praktisch aus. Da kein anderer vernünftiger Grund für diese Unregelmäßigkeiten als die Entfernung der Waren erkennbar ist, folgt hieraus, dass die Waren aus der zollamtlichen Überwachung entzogen wurden. Die Rücksendung des falschen Rückscheins auf dem Dienstwege nach Deutschland ist demgegenüber ein weniger beweiskräftiges Gegenindiz, weil die per Post erfolgte Rücksendung von einer daran interessierten Person, z.B. einem ungetreuen Beamten der Bestimmungsstelle, ohne Schwierigkeiten organisiert werden kann.
In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob die entzogenen Waren der Versandanmeldung entsprechend 1.431 Kartons Rindfleisch oder aber der Anmeldung zu dem früheren in Rotterdam eröffneten Versandverfahren entsprechend 1.154 Kartons Rindfleisch sowie 277 Kartons Rinderzungen waren. Wie in Anlage 2 zum angefochtenen Steuerbescheid ausgewiesen hat das HZA nämlich lediglich 1.154 Kartons Rindfleisch sowie 277 Kartons Rinderzungen besteuert.
2) Der Kläger wird nicht dadurch entlastet, dass die ihn treffenden Abgabenschulden bereits vor seiner Mitwirkung an der Abfertigung zum Versandverfahren entstanden sind.
a) Dies gilt zunächst für die nach Auffassung des Klägers in Rotterdam anlässlich der dortigen Abfertigung der Waren zum Versandverfahren entstandenen Abgabenschulden.
Selbst wenn der dortige Versandanmelder und/oder die Grenzkontrollstelle (Veterinärdienst) und eventuell sogar das ZA Rotterdam vorschriftswidrig gehandelt haben sollten, wurden die Waren nicht „vorschriftswidrig” im Sinne des Art. 202 Abs. 1 Buchstabe b ZK in einen anderen Teil des Zollgebiets der Gemeinschaft verbracht. Vorschriftswidrig im Sinne der Bestimmung ist nämlich nach ihrem Unterabsatz 2 lediglich ein Verbringen unter Nichtbeachtung der Art. 38 bis 41 und 177 2. Anstrich ZK, d.h. unter Verstoß gegen Beförderungs- und Gestellungspflichten.
Des Weiteren führen die gegen Veterinärrecht verstoßenden Handlungen der in Rotterdam tätigen Personen nicht zu einer Entstehung der Abgabenschulden gemäß Art. 203 ZK. Solange sich die Waren im Freihafen Rotterdam befanden, unterlagen sie keiner zollamtlichen Überwachung. Erst mit dem Zeitpunkt des Verbringens ins Zollgebiet der Gemeinschaft, konkret ab Gestellung der Ware beim ZA Rotterdam trat zollamtliche Überwachung ein (Art. 37 Abs. 1 ZK). Handlungen vor Beginn der zollamtlichen Überwachung lösen keine Zollschuld nach Art. 203 ZK aus.
Veterinärrechtliche Bestimmungen, gegen die in Rotterdam verstoßen worden sein mag, sowie VuB stellen keine Voraussetzungen für die Eröffnung eines Versandverfahrens auf. Die Verstöße dagegen lösen deshalb keine Abgabenschuld nach Art. 204 Abs. 1 Buchstabe b ZK aus.
Schließlich erfüllt der etwaige Verstoß gegen Veterinärrecht unter VuB-Gesichtspunkten gleichfalls nicht als solcher einen sonstigen Abgabenentstehungstatbestand (vgl. Art. 212 ZK).
b) Entgegen der Auffassung des Klägers folgen auch aus der Überschreitung der Frist zur Wiedergestellung der Waren nach ihrer vorübergehenden Verwahrung keine Abgabenschulden gemäß Art. 204 ZK.
Eine Einfuhrzollschuld entsteht nach Art. 204 Abs. 1 Buchstabe a ZK, wenn in anderen als den in Art. 203 genannten Fällen eine der Pflichten nicht erfüllt sind, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung … ergeben, es sei denn, dass sich diese Verfehlungen nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung … nicht wirklich ausgewirkt haben. Nach Art. 859 Nr. 1 ZK-DVO gilt die Überschreitung der Frist, vor deren Ablauf die Waren eine der im Rahmen der vorübergehenden Verwahrung … vorgesehenen zollrechtlichen Bestimmungen erhalten müssen, als Verfehlung im Sinne des Art. 204 Abs. 1 ZK, die sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung … nicht wirklich ausgewirkt hat, sofern – es sich nicht um den Versuch handelt, die Waren der zollamtlichen Überwachung zu entziehen; – keine grobe Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt; – alle notwendigen Förmlichkeiten erfüllt werden, um die Situation der Waren zu bereinigen, – und wenn eine Fristverlängerung gewährt worden wäre, sofern sie rechtzeitig beantragt worden wäre.
aa) Nach Beendigung des in Rotterdam eröffneten Versandverfahrens Nr. sind die Waren der Firma E am 29. September 1995 in das Kühlhaus K zur vorübergehenden Verwahrung überlassen worden. Die Verwahrungsfrist betrug entsprechend Art. 49 Abs. 1 Buchstabe b ZK 20 Tage. Die Waren hätten danach bis spätestens 19. Oktober 1995 wiedergestellt werden müssen. Tatsächlich wurden sie erst am 26. Oktober 1995 zur Eröffnung des Anschlussversandverfahrens gestellt.
Anders als der Kläger vermag der Senat in der Fristüberschreitung keinen Versuch der Entziehung der Waren aus der zollamtlichen Überwachung sehen. Die Gewichtsangaben in den in Rotterdam ausgestellten, auch am 26. Oktober 1995 vorgelegten Veterinärzeugnissen verdeutlichen, dass die Waren am 26. Oktober 1995 vollständig wiedergestellt wurden. Es ist daher nicht erkennbar, wieso die Fristüberschreitung einen Entziehungsversuch darstellt. Allein der Umstand, dass gegen den Inhaber der Firma E steuerstrafrechtlich ermittelt wurde, rechtfertigt nicht ohne weiteres die Schlussfolgerung oder den Verdacht, dass jede Maßnahme der Firma E, z.B. die Fristüberschreitung, bereits Teil einer Entziehungshandlung ist.
bb) Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch nicht erkennbar und vom Kläger nicht nachgewiesen, dass die Fristüberschreitung auf „grober Fahrlässigkeit” beruhte. „Grobe Fahrlässigkeit” bedeutet „offensichtliche Fahrlässigkeit”. Bei der Beurteilung, ob offensichtliche Fahrlässigkeit vorliegt, müssen insbesondere die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet, sowie die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers berücksichtigt werden (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften –EuGH– vom 11. November 1999 Rs. C – 48/98, Abs. 60, Sammlung der Rechtsprechung des EuGH –EuGHE– I 1999, 7877, 7939. Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern –ZfZ– 2000, 12 ff.). Allein der Umstand, dass die Firma E, wie vom Kläger vorgetragen, ein „berufsmäßiger Zollanmelder” gewesen sein mag, sowie die spätere Falschanmeldung in der Versandanmeldung beweisen nicht, dass sie die Verwahrungsfrist offensichtlich fahrlässig überschritten hat.
cc) Ob das ZA die Verwahrungsfrist bei rechtzeitiger Antragstellung verlängert hätte, wie das HZA vorträgt, oder ob es die Verlängerung abgelehnt hätte, wie der Kläger behauptet, ist nicht bewiesen. Für ihren gegensätzlichen Vortrag haben weder der Kläger noch das HZA auf konkrete Tatsachen hingewiesen, die die Richtigkeit ihrer Annahmen bestätigen oder zumindest nahe legen. Mangels Tatsachenvortrags ist der Senat nicht gehalten, von Amts wegen Ermittlungen hierüber anzustellen – etwa durch Erforschung der Umstände der Verwahrung bei den Firmen E und K – und Beweise zu erheben. Über die Folgen der Unerweislichkeit der – fiktiven – Gewährung oder Ablehnung einer Verlängerung der Verwahrungsfrist ist daher nach Beweislastgrundsätzen zu entscheiden.
Nach Art. 860 ZK-DVO hat der vermutliche Zollschuldner zu beweisen, dass die Voraussetzungen des Art. 859 ZK erfüllt sind. „Vermutlicher Zollschuldner” ist im Falle einer vorübergehenden Verwahrung der Verwahrer. Auf das Verhältnis zwischen HZA und Kläger ist Art. 860 ZK-DVO nicht anwendbar. Der Kläger ist nicht Verwahrer, das HZA tritt ihm gegenüber nicht als Zollbehörde im Sinne der Vorschrift auf. Die Beweislastverteilung bestimmt sich hier nach der allgemeinen Regel, wonach die Finanzbehörde die Beweislast (Feststellungslast) für die den Steueranspruch begründenden Tatsachen, der Steuerpflichtige hingegen die Feststellungslast für die den Steueranspruch beseitigenden oder ermäßigenden Tatsachen trägt. Der Kläger beruft sich zu seiner Entlastung darauf, die Fristüberschreitung begründe eine Abgabenschuld der Firma E. Daraus folgt, dass der Kläger sämtliche Voraussetzungen des Art. 204 Abs. 1 Buchstabe a ZK und Art. 859 Nr. 1 ZK-KVO beweisen muss, also nicht nur, dass die Fristüberschreitung einen Versuch des Entzugs aus der zollamtlichen Überwachung darstellt oder dass die Verwahrungsfrist von der Firma E grob fahrlässig überschritten wurde, sondern auch dass der Firma E eine rechtzeitig beantragte Fristverlängerung nach Art. 49 Abs. 2 ZK nicht gewährt worden wäre.
Der Senat verkennt nicht, dass negative Tatsachen nicht unmittelbar erweisbar, sondern allenfalls durch den Nachweis von Indizien mittelbar erschließbar sind. Gleichwohl bewirkt dies nicht ohne weiteres eine Beweislastumkehr (vgl. z.B. das Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 4. April 1995 VII R 74/94, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter BFH-Entscheidungen – BFH/NV – 1995, 1019, 1020 m.w.N.). Gegen eine Beweislastumkehr spricht vorliegend bereits, dass dem HZA der Beweis der Gewährung der Fristverlängerung nicht erkennbar leichter fallen würde als dem Kläger ein (Indizien-)Beweis der Nichtgewährung. Darüber hinaus stellt sich die Beweislastfrage nicht unmittelbar bezüglich der streitigen Abgabenschuldentstehung nach Art. 203 Abs. 1 ZK anlässlich der Versandabfertigung durch den Kläger, sondern nur mittelbar hinsichtlich vom Kläger eingewandten früheren Abgabenschuldentstehung durch Überschreitung der Verwahrungsfrist nach Art. 204 Abs. 1 Buchstabe a ZK.
Da somit der Kläger die Feststellungslast für seine Behauptung trägt, dass das ZA die Fristverlängerung nicht gewährt hätte, geht deren Nichterweisbarkeit zu seinen Lasten. Der Senat geht demzufolge davon aus, dass die Überschreitung der Verwahrungsfrist keine Abgabenschuld entstehen ließ. Darauf, unter welchen Voraussetzungen die Firma E Fristverlängerung hätte beantragen und das ZA sie hätte gewähren können (vgl. das EuGH-Urteil EuGHE I 1999, 7942 ff., Abs. 72) sowie darauf, ob die Annahme der Versandanmeldung durch den Kläger (ZA) die Prüfung der in Art. 859 Nr. 1 ZK-DVO genannten Voraussetzungen und eine nachträgliche konkludente Fristverlängerung durch das ZA dokumentiert, wie das HZA meint, kommt es nicht an.
dd) Der Hinweis des Klägers, dass beim ZA am 26. Oktober 1995 andere als die zur Verwahrung überlassenen Waren angemeldet worden seien, ist im vorliegenden Zusammenhang irrelevant. Zum Zeitpunkt des fiktiven rechtzeitigen Antrags auf Fristverlängerung, also vor Ablauf der Verwahrungsfrist am 19. Oktober 1995 war dem ZA und auch dem Kläger unbekannt, dass eine Woche später fehlerhaft 1.431 Kartons Rindfleisch angemeldet werden würden.
ee) Die gegen VuB verstoßenden Veterinärzeugnisse, die angebliche Wiedergestellung anderer als der verwahrten Waren und der Transport der Waren unter Verwendung falscher Kennzeichen an den Fahrzeugen haben keinen nach Art. 204 ZK abgabenschuldbegründenden Bezug zu der Fristüberschreitung.
ff) Die vom Kläger aus der Falschanmeldung der Waren abgeleitete Umladung der Waren während der vorübergehenden Verwahrung und Wiederbeladung der Transportfahrzeuge mit anderen Waren führt bereits deshalb nicht zu einer Abgabenschuld, weil sie, wie die Gewichtsangaben in den der Versandanmeldung beigefügten Veterinärzeugnissen aus Rotterdam zeigen, nicht stattgefunden haben.
Nach all dem verneint das HZA zu Recht eine Zollschuldentstehung gemäß Art. 204 Abs. 1 Buchstabe b ZK bereits während der vorübergehenden Verwahrung.
3) Der Kläger wurde Abgabenschuldner der Einfuhrabgaben.
Zollschuldner sind nach Art. 203 Abs. 3 2. Anstrich ZK außer der Person, welche die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen hat, u.a. die Personen, die an dieser Entziehung beteiligt waren, obwohl sie wussten oder billigerweise hätten wissen müssen, dass sie die Ware der zollamtlichen Überwachung entziehen.
a) Der Kläger war an der Entziehung der Waren aus dem Versandverfahren beteiligt. Beteiligung kann jedes die Entziehung fördernde Tun, Dulden oder pflichtwidrige Unterlassen sein.
aa) Es kann unentschieden bleiben, ob die Beteiligung des Klägers an der Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung damit begründet werden kann, dass er pflichtwidrig die an den Transportfahrzeugen angebrachten Kennzeichen mit den in der Versandanmeldung angegebenen Kennzeichen nicht überprüfte oder – falls die Einlassung des Klägers, die Kennzeichen an den Transportmitteln seien gefälscht gewesen, zutrifft – die Kennzeichennummern nicht mit den Angaben in den Transportpapieren verglich. Selbst wenn nämlich diese dem Kläger vorgehaltenen Verhaltensweisen nicht gegen Dienstvorschriften verstoßen haben sollten, so entfiele lediglich eines von mehreren anderen für eine Beteiligung an der Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung sprechenden Indizien.
bb) Entsprechendes gilt für das Fehlen des Namens des Versenders und seiner Unterschrift in Feld 54 der Versandanmeldung.
cc) Die Beteiligung des Klägers ist jedenfalls darin zu sehen, dass er seinen Dienstpflichten zuwider die (falsche) Warenbezeichnung in der Versandanmeldung sowie die gefälschte Unterschrift des Hauptverpflichteten nicht überprüfte. Die Dienstpflichten ergeben sich allgemein aus § 85 AO und § 1 Abs. 1 Zollverwaltungsgesetz und speziell aus der Vorschriftensammlung Bundes-Finanzverwaltung –VSF– Z 3510 Abs. 8. Die vom Kläger nach seinem – für sich gesehen nicht pflichtwidrigen – Vermerk in Feld E der Versandanmeldung angeblich durchgeführte Teilbeschau ersetzt die vorzunehmende Prüfung auf Übereinstimmung der Versandanmeldung mit den Vorpapieren nicht. Sein Einwand, die Überprüfung der Warenbezeichnung sei Sache des Abfertigungsleiters Ausfuhr und die Überprüfung der Unterschrift des Hauptverpflichteten Sache des Abfertigungsleiters Einfuhr, geht angesichts der Aussage des Abfertigungsleiters W vom 10. Februar 2000 sowie der Äußerung des Abfertigungsleiters Ausfuhr B vom 29. März 1999 fehl. Dies gilt auch, wenn Herr B zur Zeit der Versandabfertigung am 26. Oktober 1995 nicht Abfertigungsleiter Ausfuhr war. Selbst wenn jedoch für die Überprüfung tatsächlich, wie der Kläger vorträgt, der Abfertigungsleiter Einfuhr bzw. der Abfertigungsleiter Ausfuhr zuständig gewesen wäre, entlastete den Kläger, der dann dienstpflichtwidrig an deren Stelle handelte, das Unterlassen der Überprüfung nicht. Seine Beteiligung an der Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung hätte dann darin bestanden, dass er die Waren an dem zuständigen Abfertigungsleiter vorbei eigenmächtig und nicht ordnungsgemäß vornahm.
Erst dadurch, dass der Kläger trotz seiner fehlerhaften Verhaltensweisen die Abfertigung der Waren zum Versandverfahren vornahm, ermöglichte er deren Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung.
b) Der Kläger wusste oder musste wissen, dass die Waren der zollamtlichen Überwachung entzogen werden würden.
aa) Der Senat hält es für wahrscheinlich, dass der Kläger wusste, dass sein Verhalten die Möglichkeit der Entziehung der Waren aus der zollamtlichen Überwachung eröffnete. Hierfür spricht zum einen die in seiner Wohnung vorgefundene Kopie des Versandscheins. Für deren Anfertigung und Aufbewahrung sieht der Senat keinen vernünftigen Grund. Der Hinweis des Klägers, der Versandschein sei ihm im Rahmen von disziplinarrechtlichen Untersuchungen nach dem Jahre 1997 zugänglich gemacht worden, erklärt nicht die Anfertigung der Fotokopie bereits 1996 oder früher. Zum andern spricht für das Wissen des Kläger, dass er bereits seit vielen Jahren Abfertigungsbeamter Ausfuhr war und schon häufig Versandverfahren eröffnet hatte. Unter diesen Umständen fällt es schwer zu glauben, dass der Kläger die Unstimmigkeiten der Versandanmeldung nicht erkannte. Schließlich würde auch die in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft dargestellte Mitwirkung des Klägers an der illegalen „Beendigung” von weiteren Versandverfahren falls bewiesen nahe legen, dass der Kläger die Möglichkeit der Entziehung der hier betroffenen Waren aus der zollamtlichen Überwachung erkannte. Darauf, ob der Kläger die Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung auch wollte und deshalb vorsätzlich handelte, kommt es vorliegend nicht an.
bb) Jedenfalls musste der Kläger wissen, dass die Waren der zollamtlichen Überwachung entzogen werden würden. Bei gehöriger Wahrnehmung seiner ihm obliegenden Dienst- und Sorgfaltspflichten konnte der Kläger dank seiner langjährigen Erfahrung als Abfertigungsbeamter Ausfuhr ohne weiteres die Unrichtigkeit der Warenbezeichnung in der Versandanmeldung sowie – bei Rückgriff auf die Bürgschaftsunterlagen – die Fälschung der Unterschrift des Hauptverpflichteten erkennen.
Entgegen der Ansicht des Klägers fallen seine Abgabenschulden bereits deshalb nicht gemäß § 32 AO weg, weil diese Vorschrift lediglich eine interne Beschränkung der „Haftung” des Klägers gegenüber seiner Anstellungskörperschaft – dem Bund – statuiert aber nicht nach außen gegenüber der steuererhebenden Körperschaft wirkt, selbst wenn letztere wie hier gleichfalls der Bund ist.
Die Klage konnte danach keinen Erfolg haben
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 143 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
III.
Die Revision war zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO hinsichtlich der dem Kläger im Rahmen der Anwendung des Art. 859 Nr. 1 ZK-DVO auferlegten Feststellungslast gegeben sind.