08.01.2010
Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 12.10.2004 – 7 K 965/04
1. Die Wirkung einer Aufteilung von Steuerschulden ist auf Maßnahmen zur Verwirklichung des Steueranspruchs (z.B. Vollstreckung, Aufrechnung) beschränkt; die Gesamtschuld als solche bleibt unberührt, sodass die Gesamtschuldner auch insoweit Steuerschuldner bleiben, als der aufgeteilte Steuerbetrag auf andere Gesamtschuldner entfällt.
2. Ein Gesamtschuldner, der die (auch) von ihm geschuldete Steuer hinterzogen oder an der Hinterziehung dieser Steuer teilgenommen hat, haftet für die Steuer (§ 71 AO), wenn und soweit der Steueranspruch bei ihm auf Grund einer Aufteilung der Steuer nach § 268 AO nicht zu realisieren ist.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen auf § 191 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 71 der Abgabenordnung (AO) gestützten Haftungsbescheid, mit dem er für Einkommensteuer – u.a. der Jahre 1990, 1994, 1995 und 1996 – in Anspruch genommen wurde, die durch eine Aufteilung gemäß § 268 AO allein auf seine mit ihm zusammenveranlagte Ehefrau entfällt. Wegen des Sachverhalts wird zunächst auf den Tatbestand in dem Urteil des Senats vom selben Tag in der Sache 7 K 964/04 (Haftung des Klägers für von seiner Ehefrau geschuldete Umsatzsteuer 1990 und 1994 bis 1996), dem Prozessbevollmächtigten zugestellt am 25.01.2005, verwiesen (Seiten 3 und 4).
Aufgrund des Ermittlungsberichts seiner Steuerfahndungsstelle vom 05.11.2001 änderte der Beklagte gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO mit Bescheiden vom 23.11.2001 auch die Einkommensteuerbescheide 1990-1998 und forderte von dem Kläger und seiner Ehefrau die sich aufgrund der erhöhten Einkünfte der Ehefrau aus Gewerbebetrieb ergebenden Unterschiedsbeträge abzüglich etwaiger Ausgleiche durch Verrechnungen in Höhe von zusammen ... DM Einkommensteuer (zuzüglich Nachzahlungszinsen, Kirchensteuern und Solidaritätszuschlägen insgesamt ... DM) nach. Die Beträge waren bis zum 27.12.2001 zu zahlen.
Wie bei der Umsatzsteuer der Ehefrau des Klägers wurden alle neun Änderungsbescheide angefochten, nach der Zurückweisung der Einsprüche (Sammel-Einspruchsentscheidung vom 03.07.2002) wurde jedoch nur wegen der Jahre 1991-1993 sowie 1997 und 1998 Klage erhoben. Die Änderungsbescheide 1990 und 1994 bis 1996 wurden daher im August 2002 bestandskräftig.
Mit Schreiben seines Steuerberaters vom 21.12.2001 beantragte der Kläger sinngemäß, die nachgeforderten Einkommensteuern gemäß § 268 AO dahin aufzuteilen, dass der gesamte jeweilige Nachforderungsbetrag auf seine Ehefrau entfällt.
Dem Aufteilungsantrag wurde mit Bescheid vom 12.02.2003 entsprochen. Die geschuldeten Steuern (einschließlich Zinsen und Folgesteuern) wurden dabei aufgrund zwischenzeitlich erfolgter Zahlungen der Ehefrau oder Verrechnungen mit Erstattungsansprüchen der Ehefrau des Klägers in Höhe von ... DM (Einkommensteuer 1990), ... DM (Kirchensteuer 1990) und ... DM (Solidaritätszuschlag 1991) sowie der Verrechnung mit einem Erstattungsanspruch des Klägers über ... DM (Einkommensteuer 1990) geringfügig auf… DM (= ... €) reduziert.
Bereits einige Tage zuvor, nämlich am 07.02.2003 (den Bevollmächtigten des Klägers zugestellt am 10.02.2003), hatte der Beklagte aufgrund der Änderungsbescheide vom 23.11.2001 auch hinsichtlich der Einkommensteuer einen Haftungsbescheid mit der Begründung erlassen, der Kläger habe als Angestellter seiner Ehefrau bei deren Steuerhinterziehung in erheblichem Umfang mitgewirkt. Im Vorgriff auf den Aufteilungsbescheid wurde der Kläger nur in Höhe der dann in dem Aufteilungsbescheid festgestellten Summe der Nachforderungsbeträge (... €) in Anspruch genommen. Für das Jahr 1990 ergaben sich – aufgrund o.a. Tilgungen abweichend von den mit dem Änderungsbescheid vom 23.11.2001 nachgeforderten Beträgen – Haftungsbeträge von (... DM =) ... € (Einkommensteuer) und (... DM =) ... € (Kirchensteuer).
Zu den Einzelheiten des Sachverhalts, insbesondere der auch wegen des Verdachts der Einkommensteuerhinterziehung durchgeführten Strafverfahren gegen die Eheleute…sowie des Einspruchsverfahrens – der Kläger legte auch gegen den o.g. Haftungsbescheid wegen Einkommensteuer mit der gleichen Begründung wie bezüglich seiner Haftung für Umsatzsteuer Einspruch ein –, wird auf das o.g. Urteil des Senats in dem Parallelverfahren 7 K 964/04 (Seiten 5 bis 7) verwiesen. Ausweislich des Strafbefehls gegen die Ehefrau des Klägers vom 04.12.2002 wurden Einkommensteuern in Höhe von ... DM (1994), ... DM (1995) und ... DM (1996) verkürzt.
Anders als bei der Umsatzsteuer wurden die nachgeforderten Einkommensteuerbeträge noch vor Erlass der Entscheidung über den Einspruch des Klägers gegen den Haftungsbescheid teilweise getilgt. So wurden die von dem Kläger in Erfüllung der ihm von dem Amtsgericht…im Strafverfahren erteilten Geldauflage (Beschluss über die vorläufige Einstellung des Strafverfahrens vom 29.04.2002) gezahlten ... € von dem Amtsgericht unter Angabe der Einkommen-Steuernummer der Eheleute…an den Beklagten überwiesen und nach Mitteilung des Beklagten auf die Einkommensteuer 1990 gebucht (Bl. 89 der FG-Akte). Nach weiterer Mitteilung des Beklagten vom 11.10.2004 wurden noch vor der Entscheidung über den Einspruch Zahlungen in Höhe von insgesamt ... € geleistet, die mit der Einkommensteuer 1990 verrechnet wurden.
Gleichwohl wies der Beklagte den Einspruch mit Entscheidung vom 16.02.2004 in vollem Umfang zurück.
Die zunächst wegen der vollen Haftungssumme – d.h. bezüglich aller neun Jahre – erhobene Klage wurde bezüglich der Haftung des Klägers für die Einkommensteuer 1997 zurückgenommen. Bezüglich der Jahre 1991-1993 und 1998 sowie der Nachzahlungszinsen (§ 233a AO) auch für die Jahre 1990 und 1994-1996 wurde das Verfahren in dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.10.2004 abgetrennt, nachdem sich der Beklagte verpflichtet hatte, insoweit den angefochtenen Haftungsbescheid aufzuheben, und die Beteiligten daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache in diesem Umfang übereinstimmend für erledigt erklärt hatten.
Wie seine Klage wegen der Haftungsfestsetzung für Umsatzsteuer 1990-1998 begründet der Kläger die Klage damit, dass angebliche Haftungsansprüche größtenteils verjährt seien und der Grundsatz „in dubio pro reo” auf das Gröbste verletzt worden sei. In dem ihm nachgelassenen Schriftsatz vom 09.11.2004 trägt der Kläger u.a. vor, dass nicht jeder Arbeitnehmer eines Unternehmens sich der Steuerhinterziehung schuldig mache, wenn in dem Unternehmen Steuern hinterzogen würden. Das bloße Mitarbeiten stelle noch keine Steuerhinterziehung dar, selbst wenn der Arbeitnehmer mit Vorbereitungsarbeiten für die Buchhaltung betraut sei.
Der Kläger beantragt,
den Haftungsbescheid für Einkommensteuer 1990 und 1994-1996 vom 07.02.2003 und die Einspruchsentscheidung vom 16.02.2004, soweit sie diese Jahre betrifft, aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die Gründe der Einspruchsentscheidung vom 16.02.2004. Dort wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger maßgeblich am Betrieb der Gaststätten mitgewirkt habe. Es sei deutlich gemacht worden, dass der Kläger als Steuerhinterzieher – und nicht etwa Mitunternehmer – in Haftung genommen worden sei.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte verwiesen. Dem Senat lagen die einschlägigen Verwaltungsakten einschließlich der beigezogenen Akten des Verfahrens 7 K 2681/02 (Einkommensteuerakten) und die Akten der gemeinsam verhandelten Sache wegen Haftung des Klägers für Umsatzsteuer (7 K 964/04) vor. Auch die Gerichtsakten der Verfahren 7 K 2688/02 und 7 K 302/03 wegen der seinerzeit noch nicht erfolgten Aufteilung rückständiger Einkommensteuern 1990-1998 wurden beigezogen.
Die Vollziehung des angefochtenen Haftungsbescheids hatte der Senat mit Beschluss vom 08.09.2004 bis längstens einen Monat nach Zustellung eines Urteils im Klageverfahren ausgesetzt (7 V 956/04).
Gründe
Nach der Abtrennung der Haftung des Klägers für Einkommensteuer 1991-1993 und 1998 sowie für Nachzahlungszinsen (§ 233a AO) auch bezüglich der Jahre 1990 und 1994-1996 ist über den Haftungsbescheid vom 07.02.2003 nur noch hinsichtlich der Einkommensteuer (und Folgesteuern) 1990 und 1994 bis 1996 über (... =) ... € zu entscheiden.
Die Klage ist begründet, soweit der Beklagte in der Einspruchsentscheidung vom 16.02.2004 die bis dahin erfolgten und auf die Einkommensteuer 1990 gebuchten Zahlungen oder Verrechnungen in Höhe von insgesamt ... € nicht berücksichtigte. Wegen der Akzessorietät der Haftungsschuld zur Steuerschuld darf ein Haftungsschuldner nur insoweit für den Steueranspruch in Haftung genommen werden, als dieser im Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme bzw. im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung über diese Inanspruchnahme noch besteht (Bundesfinanzhof [BFH], Urt. v. 25.05.2004 VII R 29/02, BStBl II 2005, 3 [6]). Der Haftungsbetrag für die Einkommensteuer 1990 war daher auf (... =)… € und die Haftungssumme für alle vier Jahre auf (... =)… € herabzusetzen.
Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Abgesehen von der Nichtberücksichtigung der o.g. Zahlungen oder Verrechnungen auf die Steuerschuld ist die Haftungsfestsetzung für Einkommensteuer 1990 und 1994 bis 1996 rechtmäßig (§ 191 Abs. 1 Satz 1 AO).
1. Die Einkommensteuern 1990 und 1994 bis 1996 wurden mit den Änderungsbescheiden vom 23.11.2001 bestandskräftig festgesetzt. Bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Einspruch des Klägers gegen den Haftungsbescheid vom 07.02.2003 waren die mit diesen Änderungsbescheiden nacherhobenen Steuerbeträge nur in Höhe der o.g. Teilbeträge (... DM Einkommensteuer 1990 und…DM Kirchensteuer 1990 bis zum Erlass des Haftungsbescheids und weitere ... € Einkommensteuer 1990 bis zur Einspruchsentscheidung) entrichtet worden.
2. Durch die unrichtigen Angaben zu ihren Einkünften aus Gewerbebetrieb in den (gemeinsamen) Einkommensteuererklärungen der Ehegatten waren von der Ehefrau des Klägers die Einkommensteuern 1990 und 1994 bis 1996 verkürzt worden. An diesen Steuerhinterziehungen seiner Ehefrau war der Kläger nach der Überzeugung des Senats beteiligt, sodass er für die Steuer haftet (§ 71 AO).
a) Die bei der Steuerfahndungsprüfung festgestellten „Schwarzeinkäufe” wurden für die Jahre 1994-1996 mit einem rechtskräftig gewordenen Strafbefehl gegen die Ehefrau des Klägers u.a. wegen Einkommensteuerhinterziehung in drei Fällen geahndet, während für das Jahr 1990 im Zeitpunkt der Einleitung des Steuerstrafverfahrens (29.01.2001) bereits Strafverfolgungsverjährung eingetreten war.
Die dem Strafbefehl zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen der Bußgeld- und Strafsachenstelle des Beklagten (Bl. 256 f. der Straf- und Bußgeldakte) macht sich der Senat zu Eigen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs darf sich ein Finanzgericht die tatsächlichen Feststellungen und Beweiswürdigungen eines in das finanzgerichtliche Verfahren eingeführten Strafurteils zu Eigen machen, falls die Beteiligten gegen die strafgerichtlichen Feststellungen keine substantiierten Einwendungen vortragen (BFH, Beschl. v. 14.11.2003 VIII B 70/02, BFH/NV 2004, 513 mit weiteren Nachweisen). Das gilt bei einem Strafbefehl auch hinsichtlich der Feststellungen der Strafverfolgungsbehörde, auf die sich der Strafbefehl stützt (BFH, Beschl. v. 01.02.2001 VII B 234/00, BFH/NV 2001, 931). Die genannten Voraussetzungen liegen hier vor, weil der Kläger keine Einwendungen gegen die in der dem Gericht vorgelegten Straf- und Bußgeldakte, in die der Prozessbevollmächtigte des Klägers bereits im Einspruchsverfahren Einsicht genommen hatte, enthaltenen, in dem Ermittlungsverfahren gegen seine Ehefrau getroffenen Feststellungen erhoben hat.
Nach den Feststellungen der Steuerfahndung von „Schwarzeinkäufen” – und zwar in größerem Umfang als in den Jahren 1994-1996 – auch im Jahr 1990, deren nachträgliche, eine Steuerhinterziehung voraussetzende (einkommen-) steuerliche Berücksichtigung im Jahr 2001 von dem Kläger und seiner Ehefrau schließlich ebenso akzeptiert wurde wie die festgestellten Mehreinkäufe in dem Zeitraum 1994-1996, haben der Kläger und seine Ehefrau auch insoweit eine unrichtige Einkommensteuererklärung abgegeben und ist ein zu niedriger Einkommensteuerbetrag festgesetzt worden, sodass auch bezüglich des Jahres 1990 der (objektive und subjektive) Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) erfüllt ist. Einwendungen gegen die Feststellungen der Steuerfahndung wurden von dem Kläger nicht erhoben. Danach hat die Ehefrau des Klägers für das Jahr 1990 – entsprechend den Berechnungen des Beklagten für die Jahre 1994-1996 – Einkommensteuer in Höhe von (... urspr. zvE zzgl. Gewinnerhöhung abzgl.…verkürzte GewSt =…neues zvE;…tarifl. ESt neu abzgl.…tarifl. ESt alt =)…DM verkürzt.
b) Der Senat ist von einer Beteiligung des Klägers – zumindest als Gehilfe – an den Steuerhinterziehungen seiner Ehefrau überzeugt. Insoweit wird auf die Entscheidungsgründe in dem Urteil des Senats in dem Parallelverfahren 7 K 964/04 unter 2 b) – Seiten 11 bis 18 – mit den erforderlichen Änderungen (Ein-kommensteuer statt Umsatzsteuer) verwiesen. Der Hinweis des Klägers, das bloße Mitunterschreiben einer Steuererklärung stelle keine Mitwirkung im Sinne der haftungsrechtlichen Vorschriften dar (Schriftsatz vom 09.11.2004), ist zwar als solcher zutreffend, geht aber auch hinsichtlich der Einkommensteuerhinterziehung seiner Ehefrau fehl, weil seine Mitwirkung nicht in der – bei der Einkommensteuer tatsächlich erfolgten – (Mit-)Unterzeichnung der Steuererklärungen bestand. Denn auch die Einkommensteuererklärungen der Eheleute…wurden von dem (gemeinsamen) Steuerberater aufgrund der vorgelegten (und im Steuerberaterbüro dann bearbeiteten) Buchhaltung erstellt, sodass in den Jahren, in denen die Buchhaltung unvollständig war und demgemäß zu niedrige Einkünfte der Ehefrau des Klägers aus Gewerbebetrieb erklärt wurden (jedenfalls 1990 und 1994 bis 1996), jede Person, die zuvor am Zustandekommen der Buchhaltung mitwirkte, objektiv an der Steuerhinterziehung beteiligt war.
3. Trotz des Vorliegens der Voraussetzungen einer Haftung nach § 71 AO war der Haftungsbescheid bei seiner Bekanntgabe (10.02.2003) rechtswidrig, weil zu diesem Zeitpunkt noch keine Aufteilung der nachgeforderten Einkommensteuerbeträge erfolgt war, die Eheleute…als zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehegatten bezüglich der Nachforderungsbeträge Gesamtschuldner waren (§ 44 Abs. 1 Satz 1 AO) – der Kläger folglich Steuerschuldner war – und ein Steuerschuldner grundsätzlich nicht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden kann, da Haftung das Einstehenmüssen für fremde Schuld bedeutet (vgl. z.B. BFH, Urt. v. 02.05.1984 VIII R 239/82, BStBl II 1984, 695 [696]; allgemeine Meinung).
4. Aufgrund des Aufteilungsbescheids vom 12.02.2003 wurde jedoch eine Inanspruchnahme des Klägers durch Haftungsbescheid rechtlich möglich.
a) Der (nachfolgende) Aufteilungsbescheid ist bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids zu berücksichtigen. Zwar ist ein Bescheid, der sich auf einen bestimmten, in der Vergangenheit liegenden abgeschlossenen Zeitraum bezieht, grundsätzlich nach der in dem betreffenden Zeitraum geltenden Rechtslage zu beurteilen; ggf. kommt es auf die Sachlage im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides an (vgl. z.B. BFH, Urt. v. 12.04.1988 VII R 121/85, BFH/NV 1989, 14 [15]; Schmidt-Troje in Beermann, FGO § 100 Rz. 17). Spätere tatsächliche oder rechtliche Ereignisse sind daher unbeachtlich, es sei denn, das Recht wird zulässigerweise rückwirkend geändert oder gestattet selbst rückwirkende Maßnahmen der Verwaltung (Gräber/von Groll, FGO, § 100 Rz 12). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor, weil ein Aufteilungsbescheid auf den Zeitpunkt der Stellung des Aufteilungsantrags bzw. der Rückstandsanzeige zurückwirkt (vgl. § 276 Abs. 1, 2 und 5 AO und BFH, Beschl. v. 23.06.1976 VIII B 61/75, BStBl II 1976, 572 [ 573]).
b) Nach herrschender Meinung ist die Wirkung einer Aufteilung jedoch auf Maßnahmen zur Verwirklichung des Steueranspruchs (z.B. Vollstreckung, Aufrechnung) beschränkt (vgl. §§ 44 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. 278 Abs. 1 AO); die Gesamtschuld als solche bleibt unberührt, sodass die Gesamtschuldner auch insoweit Steuerschuldner bleiben, als der aufgeteilte Steuerbetrag auf andere Gesamtschuldner entfällt. Die Aufteilung bewirkt danach nicht etwa die Umwandlung der Gesamtschuld in Teilschulden (vgl. BFH, Urt. v. 12.01.1988 VII R 66/87, BStBl II 1988, 406; FG Köln, Urt. v. 06.10.1999 11 K 5118/92, EFG 2000, 201; Geist in Beermann, AO § 268, Rz. 2, 11; Tipke/Kruse, AO-FGO § 368 AO Tz. 5 f.; Bittner in Pump/Lohmeyer/Leibner, AO, § 268 Rdnr. 10; Schwarz, in Schwarz, AO, § 268 Rz. 9; a.A. Klein/Brockmeyer AO § 268 Rz. 4 und § 44 Rz. 11).
Der Bundesfinanzhof hat indessen in der Vergangenheit mehrfach entschieden, dass durch eine Aufteilung die Gesamtschuld „im Ergebnis” in Teilschulden aufgespalten wird (Urt. v. 05.02.1971 VI R 301/66, BStBl II 1971, 331 [332]; Urt. v. 12.01.1988 VII R 66/87, a.a.O. [407]; Urt. v. 12.06.1990 VII R 69/89, BStBl II 1991, 493 [494]). Das Finanzgericht Berlin vertritt die Auffassung, dass „nach Aufteilung der Steuerschuld jeder Ehegatte ,seine' Steuerschuld tragen soll” mit der Folge, dass der Einkommensteuerbescheid gegenüber jedem Ehegatten nur insoweit vollziehbar i.S.d. § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist, als er die Steuerschuld tragen soll (Beschl. v. 30.08.1991 VI 342/88, EFG 1992, 150 [151]). Ob im Hinblick darauf die fortbestehende Steuerschuldnerschaft der Gesamtschuldner (vgl. Geist, a.a.O., Rz. 13) einer Haftung eines Ehegatten für den sich bei der Aufteilung für den anderen Ehegatten ergebenden Anteil an der Gesamtschuld entgegensteht (so ausdrücklich FG Köln, a.a.O. [S. 202] und Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 268 AO Rz. 6) oder nicht, lässt sich diesen Entscheidungen allerdings ebenso wenig entnehmen wie einem neueren BFH-Urteil (Urt. v. 18.12.2001 VII R 56/99, BStBl II 2002, 214), wonach die Gesamtschuld durch die Aufteilung „für die Zwecke der Vollstreckung” in Teilschulden aufgespalten wird. In seinem Urteil über die Revision gegen das o.g. Urteil des FG Köln ließ der BFH die Frage der Haftung ausdrücklich offen (Urt. v. 16.04.2002 IX R 40/00, BStBl II 2002, 501 a.E.).
c) Der Senat ist der Auffassung, dass ein Gesamtschuldner, der die (auch) von ihm geschuldete Steuer hinterzogen oder an der Hinterziehung dieser Steuer teilgenommen hat, für die Steuer haftet (§ 71 AO), wenn und soweit der Steueranspruch bei ihm aufgrund einer Aufteilung der Steuer nach § 268 AO nicht zu realisieren ist. Das fortbestehende Gesamtschuldverhältnis steht in diesem Fall einer Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid nicht entgegen.
Dem Institut der (Fremd-)Haftung liegt die Überlegung zugrunde, dass es gerechtfertigt sein kann, eine Person, die nicht Steuerschuldner ist, aufgrund besonderer Umstände (vgl. z.B. §§ 69 ff. AO) für die (fremde) Steuerschuld einstehen zu lassen. Dabei geht der Gesetzgeber offensichtlich davon aus, dass der Steueranspruch auf der Grundlage des Steuerbescheids bei dem Steuerschuldner auch verwirklicht, d.h. insbesondere der Schuldner zur Leistung aufgefordert und der Steuerbescheid ggf. vollstreckt werden kann (vgl. §§ 37 Abs. 1, 38, 155 Abs. 1, 218 Abs. 1, 254 AO), sodass es bei dem Steuerschuldner selbst bei Vorliegen von Umständen, die bei einem Dritten eine Haftung rechtfertigen, einer Haftung nicht bedarf.
Ist hingegen eine Verwirklichung des Steueranspruchs bei einem Gesamtschuldner aufgrund einer Aufteilung der Steuer nicht möglich, so wird die Stellung dieses Schuldners derjenigen eines Dritten, bei dem die Verwirklichung des Steueranspruchs schon deshalb ausscheidet, weil der Anspruch nicht gegen ihn gerichtet ist, vergleichbar. Der einzige Unterschied besteht darin, dass der Gesamtschuldner nach der herrschenden Meinung auch nach der Aufteilung rein schuldrechtlich zur Leistung der Steuer verpflichtet bleibt – ohne dass der Steuergläubiger freilich irgendwelche diesen Schuldner betreffende Maßnahmen ergreifen dürfte. Liegen nun in der Person dieses Gesamtschuldners besondere Umstände vor, die bei einem Dritten haftungsbegründend wirken, so würde es Sinn und Zweck sowohl der Gesamtschuldnerschaft als auch der Haftung, nämlich den Steueranspruch „gewissermaßen auf mehrere Füße zu stellen” und den Steuergläubiger vom Unvermögen oder Unwillen des in erster Linie zur Leistung Verpflichteten unabhängig zu machen (vgl. Tipke/Kruse, AO-FGO, Tz. 8 f. Vor § 69 AO m.w.N.), zuwiderlaufen, würde die Haftung dieses Schuldners an dem zwar aufgrund der Gesamtschuldnerschaft gegen ihn fortbestehenden, aber nicht zu realisierenden (und deshalb für den Fiskus wertlosen) Steueranspruch scheitern.
Die Aufteilung der Steuer erfolgt nach dem Verhältnis der Beträge, die sich bei getrennter Veranlagung nach Maßgabe des § 26a des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergeben würde (§ 270 AO). Bei getrennter Veranlagung, bei der die Ehegatten nicht Gesamtschuldner sind, besteht kein Steueranspruch gegen den einen Ehegatten aufgrund der Einkünfte des anderen Ehegatten. Im vorliegenden Fall einer Nachforderung allein aufgrund der (nachträglich erhöhten) Einkünfte der Ehefrau würde die Steuerschuld des Ehemanns 0,-- DM betragen; zu ändern wäre nur der (Einzel-)Steuerbescheid der Ehefrau gewesen. Die Inanspruchnahme des Ehemanns durch Haftungsbescheid aufgrund der Beteiligung an der Steuerhinterziehung der Ehefrau wäre ohne weiteres möglich. Da eine Gesamtschuldnerschaft eine verbesserte Stellung des (hier: Steuer-)Gläubigers bezweckt, der dieselbe Leistung von mehreren Schuldnern – wenn auch nur einmal – fordern kann, würde ein Haftungsausschluss auch im Falle einer Aufteilung der Steuer den Zweck der Gesamtschuldnerschaft konterkarieren; statt einer Verbesserung träte aufgrund der Gesamtschuldnerschaft eine Verschlechterung der Stellung des Gläubigers ein, der diesen Gesamtschuldner weder aufgrund des Steuerschuldverhältnisses noch aufgrund einer Haftung in Anspruch nehmen könnte – trotz der Erfüllung eines Haftungstatbestands.
Der Zweck der Aufteilung, den einzelnen Zusammenveranlagten im Fall der Vollstreckung nicht schlechter zu stellen als einen nicht zusammenveranlagten Steuerpflichtigen (vgl. Tipke/Kruse, AO-FGO, Tz. 2 Vor § 269 AO), erfordert nicht den Ausschluss einer Haftung des Ehegatten für die auf den anderen Ehegatten nach der Aufteilung entfallenden Steuerbeträge. Dieser Zweck wird bereits dadurch erreicht, dass die Verwirklichung des Steueranspruchs auf die jeweils auf die Ehegatten entfallende Beträge wie bei einer getrennten Veranlagung beschränkt wird. Durch die Aufteilungsvorschriften wird Personen, die zur Einkommensteuer zusammenveranlagt worden sind, die Möglichkeit gegeben, im Vollstreckungsverfahren so gestellt zu werden, als seien sie Einzelschuldner. Erfüllt indessen ein Ehegatte auch in Bezug auf Beträge, die auf den anderen Ehegatten entfallen, einen Haftungstatbestand, so entspricht seine Haftung insoweit gerade dem Prinzip der Individualbesteuerung, das den Aufteilungsbestimmungen zugrunde liegt (vgl. Tipke/Kruse a.a.O. unter Hinweis auf BVerfGE 6, 55 und BVerfGE 12, 151), weil bei Einzel- oder getrennter Veranlagung eine Haftung möglich ist. Der Ausschluss der Haftung bei Gesamtschuldnerschaft würde vielmehr eine nach Auffassung des Senats ungerechtfertigte Besserstellung des zusammenveranlagten Ehegatten gegenüber einzeln oder getrennt veranlagten Personen darstellen.
Für eine mögliche Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid spricht auch die Erwägung, dass der Gesamtschuldner im Falle einer Aufteilung der Steuer auf den anderen Gesamtschuldner aus seiner Sicht genau genommen aufgrund einer fremden Schuld zur Leistung (mit-)verpflichtet ist (ähnlich Hermes, Aufgeteilte Gesamtschuld und Haftung, INF 1994, 353 [355]). Denn die so aufgeteilte Steuer beruht allein auf Umständen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen (hier: Einkünfte aus Gewerbebetrieb). Die Gesamtschuldnerschaft ergibt sich nämlich nicht durch gemeinsame Tatbestandsverwirklichung, sondern durch die Zusammenveranlagung als Ehegatten (§§ 26, 26b EStG). Sie könnte zwar durch einen Antrag auf getrennte Veranlagung vermieden werden. Wie ausgeführt wäre dann aber eine Haftung für die Steuerschuld des anderen Ehegatten gerade unproblematisch.
Eine Inanspruchnahme des Gesamtschuldners durch Haftungsbescheid nach einer Aufteilung widerspricht schließlich nicht dem Sinn und Zweck des grundsätzlichen gegenseitigen Ausschlusses von Steuer- und Haftungsschuld. Die Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme ein und desselben Steuerpflichtigen aufgrund des Steueranspruchs und im Wege der Haftung besteht bei einer Aufteilung nicht.
5. Der Erlass des Haftungsbescheids vom 07.02.2003 erfolgte auch für das Jahr 1990 noch innerhalb der 10-jährigen Festsetzungsfrist (§ 191 Abs. 3 Satz 2 AO). Die Einkommensteuererklärung 1990 wurde am 27.04.1992 abgegeben, sodass die Festsetzungsfrist bezüglich des Jahres 1990 am 01.01.1993 zu laufen begann (§ 191 Abs. 3 Satz 3 AO). Auch bezüglich des Jahres 1990 wurde daher die Einkommensteuer mit dem Änderungsbescheid vom 23.11.2001 rechtzeitig neu festgesetzt. Die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid endete erst zwei Jahre nach Bekanntgabe des Steueränderungsbescheides vom 23.11.2001 (§ 191 Abs. 3 Satz 4, 2. HS i.V.m. § 171 Abs. 10 AO sinngemäß), mithin erst im Herbst 2003.
6. Der Erlass eines Haftungsbescheides gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Ermessensentscheidung. Diese ist im Falle einer Haftung nach § 71 AO nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs so vorgeprägt, dass es für den Erlass eines Haftungsbescheids gegen den Steuerhinterzieher besonderer Ermessensabwägungen nicht bedarf (vgl. Klein/Rüsken AO § 191 Rz. 43). Die Vorprägung ist nicht nur durch Täterschaft, sondern auch durch Teilnahme an der Steuerhinterziehung gegeben und umfasst zudem die Höhe der Haftungsinanspruchnahme (BFH, Urt. v. 21.01.2004 XI R 3/03, BStBl II 2004, 919 [922] m.w.N.). Abgesehen davon hat der Beklagte im vorliegenden Fall sein Ermessen erkannt und sich aufgrund nicht zu beanstandender Erwägungen zur Inanspruchnahme des Klägers entschlossen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der von dem Beklagten zu tragenden Kosten folgt aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Die Revision wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage des Verhältnisses von Gesamtschuldnerschaft und Haftung nach einer Aufteilung zugelassen.