04.04.2025 · IWW-Abrufnummer 247459
Hessisches Finanzgericht: Beschluss vom 15.01.2025 – 7 V 891/24
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Hessisches Finanzgericht 7. Senat, Beschluss vom 15.01.2025, Az. 7 V 891/24
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Aussetzung der Vollziehung von Tabaksteuer.
Im Auftrag der Staatsanwaltschaft A führte das Zollfahndungsamt B ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller unter anderem wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei nach § 374 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) durch. Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens sind im Schlussbericht vom 02.08.2023 festgehalten, auf den insoweit Bezug genommen wird. Das Zollfahndungsamt kommt darin bzw. im späteren Bescheid zu folgenden Feststellungen:
Der Antragsteller habe u. a. an seinem Wohnort in C sowie Kleingarten an den gesondert verfolgten D (T) im Zeitraum vom 30.06.2022 bis 31.10.2022 insgesamt 750 Stangen unversteuerter Zigaretten zu einem Preis von … € je Stange veräußert. Dies ergebe sich aus den im Zeitraum zwischen April 2022 und Oktober 2022 gegenüber dem T durchgeführten Telekommunikationüberwachungsmaßnahmen (TKÜ). Ausweislich einer Auswertung dieser Gespräche hätten der Antragsteller sowie der T mehrfach Telefonate geführt, in denen Begriffe wie „1“, „2“, „3“ sowie die Adjektive „4“, „5“, „6“, „7“ unter Hinzufügung mehrstelliger Zahlen genannt worden seien.
Bei einer aus Anlass dieser Telefonüberwachung am 14.06.2023 beim Antragsteller durchgeführten Durchsuchung nach § 102 der Strafprozessordnung (StPO) wurden 629 Zigaretten der Marke E mit deutschen Warnhinweisen, jedoch ohne Banderole im Kofferraum des Fahrzeugs des Antragstellers sowie 3.400 Zigaretten der Marke F mit englischen Warnhinweisen, ohne Banderole und 3.900 Zigaretten der Marke G mit russischen Warnhinweisen in dessen Wohnhaus vorgefunden. Dies lasse den Rückschluss auf entsprechende, im Vorfeld getätigte illegale Zigarettengeschäfte zu.
Im Einzelnen soll der Antragsteller nachfolgende Verkäufe getätigt haben, die zu den nachfolgenden Steuerschäden geführt hätten:
Datum
Anzahl
Steuerschaden
30.06.2022
10.000 Stück (≙ 50 Stangen)
… €
05.07.2022
20.000 Stück (≙ 100 Stangen)
… €
25.07.2022
40.000 Stück (≙ 200 Stangen)
… €
28.07.2022
10.000 Stück (≙ 50 Stangen)
… €
09.09.2022
20.000 Stück (≙ 100 Stangen)
… €
12.10.2022
10.000 Stück (≙ 50 Stangen)
… €
15.10.2022
20.000 Stück (≙ 100 Stangen)
… €
27.10.2022
10.000 Stück (≙ 50 Stangen)
… €
28.10.2022
3.000 Stück (≙ 15 Stangen)
… €
31.10.2022
7.000 Stück (≙ 35Stangen)
… €
gesamt
150.000 Stück
… €
Bei den seitens des Antragstellers gehandelten Zigaretten handele es sich um unversteuerte Ware. Der genaue Reiseweg der Tabakwaren sei nicht nachweisbar und dem Antragsteller unter Umständen auch nicht bekannt. Fest stehe jedoch, dass die verfahrensgegenständlichen Tabakwaren entweder direkt aus einem Drittstaat im Wege der Einfuhr oder aus einem anderen Mitgliedstaat in das deutsche Steuergebiet befördert/versandt worden seien. Der Antragsteller sei für die entstandene Tabaksteuer daher entweder als Steuerschuldner nach § 23 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) oder aber als Haftungsschuldner nach § 71 AO wegen Steuerhehlerei in Anspruch zu nehmen.
Davon ausgehend erließ der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller am 01.09.2023 unter dem Az. … einen als „Abgabenbescheid über Tabaksteuer für Tabakwaren, (Wahlfeststellungsbescheid) gemäß §§ 15 / 21 / 23 Tabaksteuergesetz in der Fassung vom 15.07.2009, gültig bis 12.02.2023 (TabStG), ggf. i. V. m. § 71 Abgabenordnung (AO)“ bezeichneten Bescheid, mit dem er den Antragsteller für die streitgegenständliche Tabaksteuer in Anspruch nahm. Hierbei führte der Antragsgegner unter „V. Wahlfeststellung“ wie folgt aus:
„Der Reiseweg der Tabakwaren konnte nicht eindeutig geklärt werden. Nach Aktenlage steht jedoch sicher fest, dass Sie gemäß der o.a. Ausführungen zu III. entweder Steuerschuldner für die entstandene Tabaksteuer geworden sind, oder gemäß den Ausführungen zu IV. für die entstandenen Steuern haften, da Sie im Ergebnis der Ermittlungen zumindest Steuerhehler sind.
Da somit nicht zweifelhaft ist, dass Sie in jedem Falle zur Entrichtung der Tabaksteuer für die verfahrensgegenständlichen Tabakwaren verpflichtet sind, nehme ich Sie im Rahmen der Wahlfeststellung aus den vorgenannten Gründen gemäß § 15, 21 oder 23 TabStG entweder als Steuerschuldner, oder gemäß § 71 AO im Rahmen meines pflichtgemäßen Ermessens als Haftungsschuldner in Anspruch, weil:
Sie nach den Feststellungen zumindest eine Steuerhinterziehung/ Steuerhehlerei begangen bzw. an dieser Tat teilgenommen haben.
Sie die unversteuerten Tabakwaren in Besitz gehalten haben.
der Steueranspruch des Staates ansonsten nicht realisiert werden kann.“
Der Antragsteller legte hiergegen am 08.09.2023 Einspruch ein, den der Antragsgegner durch Einspruchsentscheidung vom 01.08.2024 als unbegründet zurückwies. Einen außergerichtlich gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner durch Bescheid vom 15.02.2024 ab. Den dagegen gerichteten Einspruch wies der Antragsgegner durch Einspruchsentscheidung vom 24.07.2024, Az. … als unbegründet zurück.
Mit seiner am 27.08.2024 unter dem Az. 7 K 888/24 erhobenen Klage verfolgt der Antragsteller sein Begehren auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides weiter. Gleichzeitig beantragt er im hiesigen Verfahren die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheides.
Der Antragsteller ist der Auffassung, dass der angegriffene Bescheid rechtswidrig ist. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners sei der Antragsteller weder Steuerschuldner noch Haftungsschuldner. Ein Nachweis über die ihm vorgeworfenen Steuerstraftaten könne nicht erbracht werden. Es werde ausdrücklich bestritten, dass der Antragsteller während des streitgegenständlichen Zeitraums unversteuerte Zigaretten abgesetzt habe. Der Tatverdacht stütze sich ausschließlich auf die durchgeführte Telekommunikationsüberwachung und die Verwendung der Begriffe „1“, „2“, „3“ sowie die Adjektive „4“, „5“, „6“, „7“ im Rahmen der Gespräche. Dem Antragsgegner sei es nicht gelungen, einen Reiseweg für die unversteuerten Zigaretten zu benennen, noch sei ersichtlich, um welche Zigarettenmarke es sich gehandelt habe und welchen Ursprungs die Zigarettenpackungen sein sollen.
Die herangezogenen Gesprächsteile seien nicht im Ansatz dazu geeignet, Rückschlüsse auf Zigaretten zu ziehen, insbesondere nicht im Zusammenhang mit den in den Gesprächen genannten Farben. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass ausgesuchte Adjektive im Rahmen von über monatelang geführten Gesprächen einen direkten Rückschluss auf Zigaretten zuließen. Insbesondere lägen teilweise Wochen zwischen den Telefonaten, sodass es keinesfalls lebensfremd sei, dass es sich um alltägliche Gespräche in russischer Sprache gehandelt habe.
Der Antragsgegner könne auch keinen Rückschluss von den beim Antragsteller vorgefundenen rd. 8.000 Zigaretten auf einen Handel von insgesamt 150.000 Zigaretten ziehen. Die für die vorgefundenen Zigaretten entstandene Steuer zahle der Antragsteller bereits ratenweise ab. Eine TKÜ im Jahr 2022 könne keinen Rückschluss auf einen Handel in einer derartigen Größenordnung rechtfertigen. Die Schätzung des Antragsgegners entbehre jeglicher Grundlage. Außer Gesprächsfetzen könne der Antragsgegner keine dem Beweis zugänglichen Tatsachen vortragen.
Insbesondere stünde das überwachte Mobiltelefon weder im Besitz noch im Eigentum des Antragstellers. Soweit behauptet werde, er hätte darauf Zugriff, sei er nicht der Einzige gewesen. Seine Kinder seien noch in seinem Haushalt wohnhaft gewesen, es könne nicht nachgewiesen werden, dass die Telefonate überhaupt von ihm geführt wurden. Es seien alltägliche Gespräche gewesen, ein Nachweis für einen Handel mit unversteuerten Zigaretten lasse sich hieraus nicht führen. Konkrete Beweismittel für die seitens des Antragsgegners angeführten Zigaretten in der Stückmenge von 150.000 lägen nicht vor.
Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung des Bescheides …vom 01.09.2023 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 01.08.2024 auszusetzen, soweit sich aus dem Bescheid eine Zahlungsverpflichtung ergibt.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er ist der Auffassung, dass der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist. Der Antragsteller habe im Zeitraum vom 30.06.2022 bis 31.10.2022 unversteuerte Zigaretten an den T abgesetzt oder von diesem angekauft und damit den Tatbestand der Steuerhehlerei nach § 374 Abs. 1 AO objektiv und subjektiv verwirklicht. Der Antragsteller könne daher als Haftungsschuldner nach § 71 AO in Anspruch genommen werden. Die Feststellungen des Zollfahndungsamts gründeten auf den Ergebnissen der durchgeführten Telekommunikationsüberwachung. Die seitens der Gesprächsbeteiligten verwendeten Begriffe dienten der Verschleierung der tatsächlich gehandelten Waren. Wenn tatsächlich alltägliche Belange Gegenstand der Gespräche gewesen wären, hätten diese denknotwendig einen Handel mit Lebensmitteln zum Gegenstand. Dies sei jedoch lebensfremd. Die anlässlich der Durchsuchung aufgefundenen Zigaretten ließen den Rückschluss auf einen im Vorfeld existierenden Handel mit unversteuerten Zigaretten zu. Der Fund der unversteuerten Zigaretten anlässlich der Durchsuchung bestätige den für die durchgeführte Telekommunikationsüberwachung vorhandenen Verdacht, dass unversteuerte Zigaretten und gerade nicht Fleisch, Weißwein und Konfekt vom Antragsteller abgesetzt oder angekauft worden sind.
Es gebe keinen Rechtsgrundsatz, der eine Bewertung des Gesamtzusammenhangs im Wege der Beweiswürdigung verbiete. Es sei unerheblich, ob sich die überwachten Mobiltelefone im Besitz oder im Eigentum des Antragstellers befinden. Tatsache sei, dass der Antragsteller nach den Ermittlungsergebnissen des Zollfahndungsamtes als Nutzer der verwendeten Mobilfunknummern identifiziert und in den Gesprächen auch mit „X“ oder „Y“ angesprochen worden sei. Eine potentielle Nutzung durch die beiden Kinder des Antragstellers sei unerheblich, da diese im streitbefangenen Zeitraum … und … Jahre alt gewesen seien und dementsprechend auch als Kinder identifiziert worden wären.
Der Antragsteller sei in jedem Fall zur Entrichtung der Tabaksteuer für die verschafften und abgesetzten Tabakwaren verpflichtet. Im Rahmen der Wahlfeststellung könne er gemäß § 15, § 21 oder § 23 TabStG entweder als Steuerschuldner oder gemäß § 71 AO im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden, weil er entweder den Steuertatbestand oder den Haftungstatbestand erfüllt habe, aber nicht weiter aufklärbar sei, welcher der genannten Tatbestände erfüllt sei. In diesem Fall sei nach der Rechtsprechung des Finanzgerichts (FG) des Saarlands, Urteil vom 01.02.1974, 13/72 und des FG Baden-Württemberg, Urteil vom 06.11.1990, XI K 41/88, Rn. 21 eine wahlweise Inanspruchnahme zulässig.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Gerichtsakte Bezug genommen. Die Akte des Verfahrens 7 K 888/24 wurde zum Verfahren beigezogen. Dem Gericht lag die den Streitfall betreffende Behördenakte vor.
II.
Der zulässige Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist unbegründet.
Gemäß § 69 Abs. 2, 3 der Finanzgerichtsordnung ‒ FGO ‒ soll die Vollziehung eines Verwaltungsakts ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei einer überschlägigen Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung; vgl. u. a. Bundesfinanzhof ‒ BFH ‒, Beschluss vom 10.02.1967, III B 9/66, Bundessteuerblatt ‒ BStBl ‒ III 1967, 182). Die Tat- und Rechtsfragen brauchen nicht abschließend geprüft zu werden. Die Entscheidung ergeht aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH, Beschluss vom 20.01.2015, XI B 112/14, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs ‒ BFH/NV ‒ 2015, 537). Hinsichtlich des Prozessstoffs findet eine Beschränkung auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen (insbesondere die Akten der Finanzbehörde) sowie auf präsente Beweismittel statt (vgl. BFH, Beschlüsse vom 21.07.1994, IX B 78/94, BFH/NV 1995, 116; vom 30.07.2020, VII B 73/20, BStBl II 2021, 127; vom 12.01.2021, II B 61/19, juris). Mithin können der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung in der Regel nur solche Tatsachen zu Grunde gelegt werden, die sich aus dem angefochtenen Verwaltungsakt oder dem glaubhaft gemachten Vortrag der Beteiligten ergeben; es ist nicht Aufgabe des Gerichts, etwa aus umfangreichen Akten Feststellungen zu treffen (BFH, Beschluss vom 28.07.1987, V B 68/86, Rn. 22 f., juris).
Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 155 S. 1 FGO i. V. m. § 294 Abs. 1 der Zivilprozessordnung ‒ ZPO ‒). Glaubhaftmachung (§ 294 Abs. 1 ZPO) ist ein geringerer Grad der Beweisführung. Während eine Tatsache nur dann bewiesen ist, wenn sie nach der Überzeugung des Gerichts mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegt, genügt es für die Glaubhaftmachung, dass ein nicht nur geringes Maß an Wahrscheinlichkeit bzw. eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Existenz der Tatsache spricht, wobei sich der Antragsteller aller Beweismittel der ZPO bedienen kann (vgl. Stapperfend, in: Gräber, FGO, 9. Auflage 2019, § 69 Rn. 196).
Bei Anwendung der dargestellten Grundsätze auf den Streitfall ist die beantragte Aussetzung der Vollziehung nicht zu gewähren. Denn nach dem bisherigen Sach- und Streitstand bestehen nach Abwägung aller Gesamtumstände im vorliegenden Einzelfall keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides vom 01.09.2023.
Im Streitfall hat der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller einen als „Wahlfeststellungsbescheid“ bezeichneten Verwaltungsakt erlassen, mit dem er den Antragsteller wahlweise als Steuer- oder Haftungsschuldner in Anspruch nimmt (dazu unter 1.). Der Erlass eines derartigen Verwaltungsakts ist nach den gesetzlichen Vorgaben der Abgabenordnung sowie nach der Rechtsprechung des BFH grundsätzlich zulässig (dazu unter 2.). Dem stehen weder die jüngere Rechtsprechung des BFH betreffend das Exklusivitätsverhältnis zwischen Steuer- und Haftungsschuld (dazu unter 3.) noch verfassungsrechtliche Erwägungen entgegen (dazu unter 4.). Schlussendlich stellt sich der Bescheid auch im Übrigen als rechtmäßig dar (dazu unter 5.).
1. Der Antragsgegner hat gegenüber dem Antragsteller einen als „Wahlfeststellungsbescheid“ bezeichneten Verwaltungsakt erlassen.
a) Gemäß § 124 Abs. 1 S. 2 AO wird ein Verwaltungsakt mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird. Die an § 130 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) angelehnte Regelung verkörpert die auch im Öffentlichen Recht geltende Erklärungstheorie (Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 178. EL, 11/2023, § 124 AO Rn. 12). Für die Wirksamkeit und Auslegung eines Verwaltungsakts gilt demnach das durch die Bekanntgabe seitens der Behörde Erklärte, nicht hingegen das Gewollte. Maßgebend ist, wie der Adressat selbst nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (BFH, Urteil vom 22.10.2019, VII R 24/18, Sammlung der amtlichen Entscheidungen des Bundesfinanzhofs ‒ BFHE ‒ 267, 90, juris Rn. 16 m. w. N.).
Daran gemessen hat der Antragsgegner im Streitfall einen ‒ nach der Abgabenordnung nicht ausdrücklich vorgesehenen ‒ Verwaltungsakt „sui generis“ erlassen. Nach der Regelungssystematik der AO unterscheidet der Gesetzgeber zwischen Steuerbescheiden als Verwaltungsakten im Sinne des § 155 Abs. 1 S. 1 AO, in denen eine Steuerschuld gegenüber dem Steuerschuldner festgesetzt wird. Dagegen wird durch Haftungsbescheid nach § 191 Abs. 1 S. 1 AO in Anspruch genommen, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet, d. h. für eine fremde Steuerschuld einzustehen hat (vgl. z. B. Rüsken, in Klein, AO, 18. Auflage 2024, § 191 Rn. 15 m. w. N.).
b) Der seitens des Antragsgegners erlassene „Wahlfeststellungsbescheid“ wird vorstehenden Anforderungen jeweils gerecht.
Insbesondere wird aus dem Regelungsgehalt des Verwaltungsakts deutlich, dass der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller lediglich eine wahlweise Inanspruchnahme als Steuer- oder Haftungsschuldner verbindlich geregelt hat: So überschreibt er den streitgegenständlichen Verwaltungsakt unter A. als „Abgabenbescheid über Tabaksteuer für Tabakwaren“. Hieraus lässt sich einerseits der Rückschluss ziehen, dass der Antragsgegner den Antragsteller als Steuerschuldner für entstandene Tabaksteuer in Anspruch nehmen will. Andererseits bezeichnet der Antragsgegner den streitgegenständlichen Verwaltungsakt in einem Zusatz als „Wahlfeststellungsbescheid“, wodurch er den Antragsteller auch „ggf. i.V.m. § 71 AO (AO)“ als Haftungsschuldner in Anspruch nimmt.
Unter V. führt der Antragsgegner sodann aus, dass der Antragsteller in Anbetracht des unklaren Reisewegs der Tabakwaren wahlweise als Steuerschuldner für die entstandene Tabaksteuer oder aber als Haftungsschuldner aufgrund von Steuerhehlerei in Anspruch zu nehmen sei. Der Antragsgegner hat durch den Bescheid folglich den Antragsteller entweder als Steuer- oder als Haftungsschuldner ‒ je nach Sachverhaltskonstellation ‒ in Anspruch genommen.
2. Der Erlass eines Wahlfeststellungsbescheids als Verwaltungsakt „sui generis“ ist nach den gesetzlichen Voraussetzungen der Abgabenordnung sowie nach der Rechtsprechung des BFH grundsätzlich zulässig.
a) Der Erlass eines Wahlfeststellungsbescheids ist von den gesetzlichen Vorgaben der Abgabenordnung umfasst. Insbesondere besteht hierfür eine entsprechende Rechtsgrundlage, die aus einer wertenden Gesamtschau von § 155 Abs. 1 S. 1 bzw. § 191 Abs. 1 S. 1 AO jeweils in Verbindung mit dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 88 Abs. 1 S. 1 und S. 2 AO und dem aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie § 85 S. 1 AO resultierenden Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung abzuleiten ist.
Für den Erlass eines Steuer- und Haftungsbescheids existieren in § 155 Abs. 1 S. 1 AO sowie § 191 Abs. 1 S. 1 AO jeweils eigenständige Rechtsgrundlagen. Zwar sieht die AO nach dem gesetzgeberischen Regelungskonzept einen „wahlweisen“ bzw. „kombinierten“ Erlass derartiger Bescheide nicht ausdrücklich vor. Sie verbietet einen Erlass derartiger Bescheide entgegen vereinzelter Auffassungen in der Kommentarliteratur (Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: 283. EL 11/2024, § 191 Rn. 157) jedoch auch nicht ausdrücklich. Die Besonderheit des Streitfalls besteht vorliegend darin, dass Unsicherheiten in Bezug auf den genau verwirklichten Sachverhalt (entweder Steuer- oder Haftungsschuldnerschaft) bestehen, nicht hingegen in Bezug auf die hieraus abzuleitende Rechtsfolge der Zahlungspflicht eines genau bestimmten und in allen Sachverhaltsvarianten identischen Betrages.
Auf dem Gebiet des Strafrechts werden Konstellationen, in denen sicher feststeht, dass einer von mehreren alternativ in Betracht kommenden Tatbeständen verwirklicht ist, als sog. ungleichartige Wahlfeststellung bzw. auch Tatbestandsalternativität oder echte Wahlfeststellung bezeichnet (vgl. z. B. Tiemann, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung ‒ StPO ‒, 9. Auflage 2023, § 261 Rn. 179). Es handelt sich dabei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) um eine prozessuale Entscheidungsregel, die dem Tatgericht vorgibt, wie es nach Abschluss der Beweisaufnahme bei einer bestimmten Beweislage zu entscheiden hat (BGH, Beschluss vom 08.05.2017, GSSt 1/17, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen ‒ BGHSt ‒ 62, 164 Rn. 15).
Überträgt man die vorstehenden Grundsätze auf das Gebiet des Steuerrechts, bestehen keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine bescheidmäßige Verknüpfung von Steuer- und Haftungsschuld in Gestalt eines rechtsfolgenseitigen Exklusivitätsverhältnisses. Die Erwägungen des BGH zur prozessualen Entscheidungsregel sind insoweit sinngemäß auf den Untersuchungsgrundsatz des § 88 Abs. 1 AO übertragbar. Danach ermittelt die Finanzbehörde den Sachverhalt von Amts wegen (§ 88 Abs. 1 S. 1 AO) und hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen (§ 88 Abs. 1 S. 2 AO). Gelangt die Finanzbehörde hierbei zur Erkenntnis, dass der Beteiligte des Besteuerungsverfahrens einen Tatbestand entweder als Steuer- oder als Haftungsschuldner verwirklicht hat, ist sie aus Gründen der Besteuerungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG, § 85 S. 1 AO) gehalten, den daraus resultierenden Abgabenanspruch verfahrensrechtlich auch durchzusetzen. Vielmehr würde es dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung widersprechen, wenn die Finanzbehörde in Konstellationen der vorstehenden Art, in denen entweder ein Steuer- oder Haftungstatbestand aufgrund Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei sicher verwirklicht ist, von einer Durchsetzung des jeweiligen Anspruchs nur deswegen absehen würde, da die Frage der Entstehung entweder einer Steuer- oder einer Haftungsschuld nicht abschließend geklärt werden kann, die Höhe der entstandenen Abgaben jedoch sicher feststeht.
b) Vor diesem Hintergrund wurde der Erlass eines Wahlfeststellungsbescheids auch von der früheren Rechtsprechung des BFH (BFH, Beschluss vom 03.08.1983, VII B 30,33/83, juris) und einzelnen Finanzgerichten (FG des Saarlands, Urteil vom 01.02.1974, 13/72, Entscheidungen der Finanzgerichte ‒ EFG ‒ 1974, 400; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 06.11.1990, XI K 41/88, juris, Rn. 21) grundsätzlich gebilligt.
Mit dem Antragsgegner ist davon auszugehen, dass der Erlass derartiger Bescheide in der früheren höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH, Beschluss vom 03.08.1983, a. a. O.) jedenfalls in Konstellationen der vorliegenden Art als unproblematisch angesehen wurde. Der BFH hat die Zulässigkeit der im damaligen Streitfall erfolgten wahlweisen Inanspruchnahme eines Abgabenschuldners als Steuer- oder Haftungsschuldner seinerzeit vor dem Hintergrund gebilligt, dass sowohl der Steuerschuldner als auch der Haftungsschuldner aufgrund einer Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei von der Finanzbehörde für die jeweilige Abgabe betragsmäßig uneingeschränkt in Anspruch genommen werden können (BFH, Beschluss vom 03.08.1983, a. a. O., juris Rn. 18 ff.).
Maßgebliche Überlegung war für den BFH seinerzeit, dass bei Sachverhaltsunklarheiten der vorliegenden Art die Möglichkeit einer grundsätzlich uneingeschränkten Inanspruchnahme des Steuer- und Haftungsschuldners unter Durchbrechung des in § 191 Abs. 5 AO verankerten Akzessorietätsgrundsatzes (vgl. § 191 Abs. 5 S. 2 AO) bestehe. Vor diesem Hintergrund sei es nicht gerechtfertigt, von einer Inanspruchnahme einer Person nur deswegen abzusehen, weil ungeklärt sei, ob der Betroffene Steuer- oder Haftungsschuldner ist und jede andere Möglichkeit (entweder Steuerschuldner oder Haftungsschuldner) ausscheide (BFH, a. a. O., juris Rn. 18 ff.). In diesen Fällen könne die Wesensverschiedenheit von Steuer- und Haftungsschuld einer Inanspruchnahme des Betroffenen nicht entgegenstehen (BFH, a. a. O., Rn. 22). Vielmehr sei die Verwaltung zur Inanspruchnahme der jeweiligen Person nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung berechtigt ‒ und verpflichtet ‒ (BFH, a. a. O., Rn. 19).
Von dieser Rechtsauffassung ist der BFH auch später ‒ soweit ersichtlich ‒ nicht abgerückt.
c) Nach den vorstehenden Erwägungen und höchstrichterlichen Maßgaben ist der Erlass eines Wahlfeststellungsbescheids auch im vorliegenden Verfahren möglich.
Aus Sicht des erkennenden Senats steht nach summarischer Prüfung fest, dass der Antragsteller die streitgegenständliche Steuer entweder als Steuer- oder als Haftungsschuldner schuldet (dazu unter aa.) und eine Inanspruchnahme nicht allein deswegen unterbleiben darf, weil unklar ist, ob der Antragsteller die Tabaksteuer als Steuer- oder Haftungsschuldner zu entrichten hat (dazu unter bb.).
aa) Es bestehen für den Senat nach summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel, dass der Antragsteller im streitgegenständlichen Zeitraum mit unversteuerten Zigaretten handelte.
Der Senat stützt seine Überzeugung hierbei insbesondere auf die Ergebnisse der antragsgegnerseitig beim Antragsteller durchgeführten TKÜ. Der Inhalt dieser Gespräche lässt ‒ wie der Antragsgegner zu Recht ausführt ‒ den Rückschluss darauf zu, dass hier keine alltäglichen Belange besprochen wurden, sondern die verwendeten Begriffe als Codewörter gezielt der Verschleierung eines Handels mit unversteuerten Zigaretten dienten. Einerseits erscheint es ‒ worauf der Antragsgegner zu Recht hinweist ‒ lebensfremd, dass ein Handel mit Lebensmitteln oder Waren des alltäglichen Bedarfs telefonisch besprochen und dann über weite Strecken mit dem Pkw abgewickelt wird. Zudem ist der Antragsteller nicht in der Lebensmittelbranche tätig, sondern geht einer Aushilfstätigkeit als H und J nach. Andererseits folgten den Bestellungen ausweislich der nachfolgenden Telefonate offensichtlich Übergaben der bestellten „Waren“. Angesichts diverser anderer Verfahren, in denen z. B. „1“, „2“ etc. als Codewörter für Zigarettenmarken in diesen Farben verwendet wurden, hält der Senat das Vorbringen des Antragstellers bei summarischer Prüfung für eine Schutzbehauptung.
Entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers lassen die anlässlich der Durchsuchung der Wohnräume des Antragstellers aufgefundenen unversteuerten Zigaretten in Verbindung mit den Feststellungen der TKÜ nach summarischer Prüfung einen Rückschluss auf einen schon im Vorfeld der Durchsuchung bestehenden Handel mit unversteuerten Zigaretten in dem antragsgegnerseitig im streitgegenständlichen Bescheid festgesetzten Umfang zu. Bereits der Umfang von rd. 8.000 unversteuerten, in den Wohnräumen sowie dem Auto des Antragstellers vorgefundenen Zigaretten kann schon nicht dem privaten Konsum des Antragstellers und seiner Familie dienen, zumal im Haushalt des Antragstellers zum Zeitpunkt der Durchsuchung noch zwei minderjährige Kinder gemeldet waren. Im Übrigen spricht für eine Beteiligung des Antragstellers an einem Handel mit unversteuerten Zigaretten auch der Ort des Fundes von 629 unversteuerten Zigaretten der Marke E, nämlich in dessen Kofferraum.
Weiterhin steht für den Senat nach summarischer Prüfung fest, dass die Gespräche auch vom Antragsteller selbst geführt wurden. Dafür spricht insbesondere, dass der Telefonierende (lautsprachlich) mit „X“ oder „Y“ angesprochen wurde. Demgegenüber führt das bloße Bestreiten durch den Antragsteller ohne einen entsprechenden Beweisantritt hierbei zu keinem anderen Ergebnis. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass die zum Zeitpunkt der durchgeführten TKÜ noch minderjährigen Kinder das überwachte Mobiltelefon für eigene Telefonate nutzten. Dies wäre ‒ was der Antragsgegner zu Recht entgegnet ‒ bereits im Rahmen der Auswertung der Gespräche aufgefallen.
bb) In Anbetracht des vorstehenden, sich nach summarischer Prüfung ergebenden Sachverhalts war der Antragsgegner berechtigt, den Antragsteller für die entstandene Tabaksteuer im Wege der Wahlfeststellung entweder als Steuer- oder als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen.
(1) Im Streitfall sind der genaue Transportweg der Zigaretten, deren Ursprungsland sowie die Tatbeteiligung des Antragstellers und dadurch bedingt die Art der Abgabenschuldnerschaft nicht bekannt. Fest steht lediglich, dass die unversteuerten Zigaretten entweder unmittelbar aus einem Drittland oder einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union in das Steuergebiet befördert bzw. versandt oder im Steuergebiet ohne ordnungsgemäße Erlaubnis als Steuerlagerinhaber hergestellt und vom Antragsteller angekauft wurden.
Folglich ist mit dem Antragsgegner davon auszugehen, dass der Antragsteller die streitgegenständliche Steuer jeweils in voller Höhe entweder als Steuerschuldner nach den §§ 21 Abs. 2 S. 1, 23 Abs. 1 S. 2 TabStG oder aber als Haftungsschuldner wegen Beteiligung an einer Steuerhinterziehung gemäß § 371 AO oder Steuerhehlerei nach § 374 Abs. 1 AO zu entrichten hat.
(2) Eine steuerliche Inanspruchnahme des Antragstellers im Wege der Wahlfeststellung scheidet nach summarischer Prüfung auch nicht aufgrund der ‒ grundsätzlich vorrangigen ‒ Möglichkeit des Erlasses eines Steuer- oder Haftungsbescheides aus.
Das Rechtsinstitut der Wahlfeststellung ist dadurch gekennzeichnet, dass es der Finanzbehörde die weitere Verfahrensweise bei Sachverhaltsunklarheiten der vorstehenden Art vorgibt. Im Streitfall lässt sich der genaue Transportweg und dadurch bedingt die Frage der Entstehung einer Steuer- oder Haftungsschuld auf Seiten des Antragstellers nicht abschließend beantworten. Weitere Aufklärungsmöglichkeiten sind ‒ u. a. mangels Mitwirkung des Antragstellers ‒ nicht ersichtlich. In Anbetracht dieser Unklarheiten ist es der Finanzbehörde nicht möglich, den Antragsteller rechtssicher durch lediglich einen (einzigen) Steuer- oder Haftungsbescheid in Anspruch zu nehmen, da insoweit auch der Erlass des jeweils anderen Bescheides in Betracht kommt.
3. Die jüngere Rechtsprechung des VII. Senats des BFH betreffend das Exklusivitätsverhältnis zwischen Steuer- und Haftungsschuld steht dem Erlass eines Wahlfeststellungsbescheides nach Auffassung des erkennenden Senats nicht entgegen. Der Möglichkeit einer „wahlweisen“ Inanspruchnahme durch Steuer- oder Haftungsbescheid ist der BFH nicht ausdrücklich entgegengetreten.
a) In seinem Beschluss vom 24.10.2017, VII B 99/17, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern ‒ ZfZ ‒ 2018, 208, Rn. 10 ff. hat der BFH in Klarstellung und Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass ein Steuerpflichtiger, der eine Abgabe als Steuerschuldner zu entrichten hat, für diese Abgabe nicht zugleich als Haftungsschuldner gemäß § 71 AO in Anspruch genommen werden kann. Der Ausschluss der Steuerschuldnerschaft sei insofern als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 71 AO anzusehen (BFH, Beschluss vom 24.10.2017, a. a. O., Rn. 11).
Davon ausgehend wurde es vom BFH als unzulässig erachtet, einen Steuerpflichtigen, der mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nach § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG in der bis zum 12.02.2023 geltenden und auch im Streitfall anzuwendenden Fassung als Steuerschuldner angesehen werden könne, stattdessen als Haftungsschuldner nach § 71 AO in Anspruch zu nehmen. Hintergrund ist die insoweit systematische Überlegung, dass ein Steuerschuldner nicht zugleich für seine eigene Steuerschuld im Wege der Haftung einstehen kann (sog. Exklusivitätsverhältnis).
b) An dieser Rechtsprechung hat der BFH in seiner Entscheidung vom 23.06.2020, VII R 56/18, ZfZ 2021, 21 festgehalten.
Dem Urteil lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem der genaue Transportweg der Zigaretten nicht aufklärbar war. Insbesondere war unklar, ob die Zigaretten seinerzeit durch einen Dritten eingeführt (mit der Konsequenz einer Steuerschuldnerschaft nach § 21 Abs. 2 TabStG und einer hieraus resultierenden Haftungsschuld nach den §§ 71, 374 AO) oder verbracht (mit der Konsequenz einer ‒ originären ‒ Steuerschuldnerschaft nach § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG) wurden (BFH, Urteil vom 23.06.2020, a. a. O., Rn. 5). Fest stand nach den Feststellungen der Vorinstanz allerdings, dass eine Einfuhr der Zigaretten auf dem See- oder Luftweg ausgeschlossen war, die Zigaretten vielmehr aus einem anderen Mitgliedstaat der EU in der Steuergebiet verbracht wurden (BFH, Urteil vom 23.06.2020, a. a. O., Rn. 7).
Während die Vorinstanz eine Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner trotz gleichzeitiger Ansehung des Klägers als Steuerschuldner als gerechtfertigt ansah (FG Hamburg, Urteil vom 13.09.2018, 4 K 121/17, EFG 2019, 1, Rn. 44 ff.), ist der BFH dem erneut ausdrücklich entgegengetreten (Urteil vom 23.06.2020, a. a. O., Rn. 16 ff.; vgl. Thaler, EFG 2024, 1780 „deutliche Absage“). Wer Steuerschuldner sei, könne für diese Steuer nicht zugleich haften. Es könne nicht der Finanzbehörde überlassen werden, ob sie dem Abgabenpflichtigen einen Steuerbescheid oder einen Haftungsbescheid erteilen wolle. Der BFH hat hierbei klargestellt, dass die praktischen Probleme, die mit einer Feststellung des Transportwegs von Schmuggelzigaretten verbunden sind, keinen Systemwechsel in der AO in Gestalt einer Durchbrechung der strikten Trennung zwischen Steuer- und Haftungsschuld gebieten (BFH, Urteil vom 23.06.2020, a. a. O., Rn. 25 f.). Vielmehr sei es Aufgabe des Gesetzgebers, diese ‒ erst durch die Änderung des § 21 TabStG im Rahmen des 5. Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen (Bundesgesetzblatt ‒ BGBl ‒ I 2009, 1870) geschaffene ‒ Problemlage durch die entsprechende Ausgestaltung der zugrundeliegenden Rechtsgrundlagen zu beseitigen (BFH, Urteil vom 23.06.2020, a. a. O., Rn. 26).
c) Der Erlass des streitgegenständlichen Wahlfeststellungsbescheides steht nach Auffassung des erkennenden Senats im Einklang mit der vorstehend genannten, jüngeren Rechtsprechung des BFH zum steuerlichen Haftungsrecht.
Zum einen ist ‒ erneut ‒ festzuhalten, dass der BFH sich in der vorstehenden Rechtsprechung gerade nicht ausdrücklich zur Frage der Zulässigkeit einer Wahlfeststellung geäußert hat, sondern zu einer Fallkonstellation, in der sich die Finanzbehörde zum Erlass (nur) eines Haftungsbescheides für eine eigene Steuerschuld des in Anspruch Genommenen entschieden hatte.
Zum anderen findet keine im Sinne der vorstehenden Rechtsprechung unzulässige Kombination von Steuer- und Haftungsschuld und damit eine Durchbrechung des Exklusivitätsverhältnisses statt. Vielmehr wird durch die im Bescheid tenorierte Regelung (§ 118 S. 1 AO) gegenüber dem Abgabenschuldner verbindlich festgelegt, dass die betragsmäßig bezeichnete Abgabe auf der Rechtsfolgenseite entweder auf Grundlage einer Steuer- oder einer Haftungsschuld festgesetzt wird.
Die im Bescheid verfügte Regelung einer wahlweisen Inanspruchnahme als Steuer- oder Haftungsschuldner sichert folglich das von der Rechtsprechung des BFH geforderte Exklusivitätsverhältnis zwischen Steuer- und Haftungsschuld verfahrenstechnisch ab. Eine ‒ systematisch ausgeschlossene ‒ gleichzeitige Inanspruchnahme als Steuer- und Haftungsschuldner wird durch den Erlass eines Wahlfeststellungsbescheids hierdurch gerade verhindert.
4. Verfassungsrechtliche Erwägungen stehen dem Erlass eines steuerlichen Wahlfeststellungsbescheids nicht entgegen. Insbesondere sind die Anforderungen an den allgemeinen Gesetzesvorbehalt des Art. 20 Abs. 3 GG gewahrt.
a) Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des strafrechtlichen Rechtsinstituts der ungleichartigen Wahlfeststellung in jüngerer Zeit ausdrücklich gebilligt (umfassend: BVerfG, Beschluss vom 05.07.2019, 2 BvR 167/18, Neue Juristische Wochenschrift ‒ NJW ‒ 2019, 2837 ff.; bestätigt durch Beschluss vom 09.08.2023, 2 BvR 1373/20, NJW 2023, 3350 Rn. 37).
Nach der Rechtsprechung des BVerfG wirken die Grundsätze der Wahlfeststellung nicht strafbarkeitsbegründend, da sie nicht korrigierend in die Entscheidung des Gesetzgebers über strafwürdiges Verhalten eingreifen. Sie bestimmen auch nicht ‒ über den Inhalt gesetzlicher Strafnorm hinausgehend ‒ die Voraussetzungen, unter denen ein bestimmtes Verhalten als strafbar anzusehen ist. Das Rechtsinstitut der Wahlfeststellung kommt vielmehr in einer bestimmten prozessualen Lage zur Anwendung, wenn nach abgeschlossener Beweiswürdigung zwar über den konkreten Geschehensablauf Zweifel bestehen, aber sicher feststeht, dass sich der Angeklagte ‒ nach einem bestimmten oder einem von mehreren bestimmten Tatbeständen ‒ strafbar gemacht hat (zum Ganzen: BVerfG, Beschluss vom 05.07.2019, a. a. O., Rn. 28 ff.; Beschluss vom 09.08.2023, a. a. O., Rn. 37 jeweils m. w. N.).
Insbesondere verletzen die Grundsätze über die gesetzesalternative Verurteilung auf wahldeutiger Grundlage nicht das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, der als strenger Gesetzesvorbehalt auf dem Gebiet des Strafrechts anzusehen ist (BVerfG, Beschluss vom 05.07.2019, a. a. O., Rn. 25 ff.). Das Rechtsinstitut der Wahlfeststellung stellt eine prozessuale Entscheidungsregel dar, die ‒ nach Abschluss der entsprechenden Beweiserhebung ‒ in einer besonderen Beweissituation zur Anwendung kommt. Sie dient nicht dazu, materiell-rechtliche Strafbarkeitslücken zu schließen, was allein Aufgabe des Gesetzgebers ist. Vielmehr ermöglicht sie ausschließlich die Bewältigung verfahrensrechtlicher Erkenntnislücken, weswegen sie eine dem Strafverfahrensrecht zuzuordnende Entscheidungsregel darstellt, die nicht den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG berührt (zum Ganzen: BVerfG, Beschluss vom 05.07.2019, a. a. O., Rn. 29).
Weiterhin stellt das von der strafgerichtlichen Rechtsprechung entwickelte normative Kriterium der rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit sicher, dass der Schuldspruch trotz wahldeutiger Verurteilung auf Grundlage alternativer Sachverhalte an einen ausreichend einheitlichen Unrechts- und Schuldvorwurf anknüpft und der Angeklagte nicht unverhältnismäßig belastet wird. Aus diesem Grund ist der Schuldspruch disjunktiv zu fassen (BVerfG, Beschluss vom 05.07.2019, a. a. O., Rn. 30).
Davon ausgehend verstößt eine wahldeutige Verurteilung auch nicht gegen die strafprozessuale Unschuldsvermutung. Vielmehr stünde ein Freispruch trotz unzweifelhaft strafbaren Verhaltens aufgrund mehrfacher Anwendung des Zweifelssatzes seinerseits in Widerspruch zu dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, welches auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit und den Grundsatz der Rechtsgleichheit als eines der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate einschließt. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und der Anspruch aller in Strafverfahren Beschuldigter auf Gleichbehandlung rechtfertigen es, den staatlichen Strafanspruch auch dann durchzusetzen, wenn Zweifel hinsichtlich des Tatgeschehens verbleiben, gleichzeitig aber ein strafloses Verhalten des Angeklagten sicher ausscheidet (zum Vorstehenden: BVerfG, Beschluss vom 05.07.2019, a. a. O., Rn. 38).
b) Davon ausgehend bestehen für den Senat bei wertender Betrachtung keine durchgreifenden Bedenken an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer steuerlich wahlweisen Inanspruchnahme des Abgabenschuldners als Steuer- oder Haftungsschuldner.
aa) Der Senat stellt hierbei vorab klar, dass verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab für die im Streit stehende Frage vorrangig der allgemeine Gesetzesvorbehalt des Art. 20 Abs. 3 GG sein muss, da das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG ausschließlich auf dem Gebiet des Strafrechts anzuwenden ist (vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 05.07.2019, a. a. O., Rn. 25 ff.). Die Erhebung von Steuern unterliegt jedoch als klassisches Eingriffsrecht dem Gesetzesvorbehalt des Art. 20 Abs. 3 GG (Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 4 AO Rn. 651 ff. m. w. N.), weswegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen ausschließlich hieran zu messen sind.
Der im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Vorbehalt des Gesetzes verlangt, dass der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen muss und sie nicht anderen Normgebern überlassen darf. Im Steuerrecht, dessen Steuerbelastungsentscheidungen weitgehend vom Willen des Gesetzgebers zu Belastungsgegenstand und Tarif abhängen, ist von einem strengen Gesetzesvorbehalt auszugehen. Das Steuerrecht lebt insoweit aus dem „Diktum des Gesetzgebers“ (BVerfG, Urteil vom 05.11.2014, 1 BvF 3/11, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ‒ BVerfGE ‒ 137, 350, Rn. 33).
bb) Dies vorausgeschickt verstößt der Erlass eines steuerlichen Wahlfeststellungsbescheides nicht gegen den Gesetzesvorbehalt des Art. 20 Abs. 3 GG.
Für die Geltendmachung von Abgaben im Wege eines Steuer- oder Haftungsbescheids existieren in § 155 bzw. § 191 AO jeweils eigenständige Rechtsgrundlagen, welche die Erhebung der jeweiligen Schuld verfahrensrechtlich explizit ermöglichen. Materiell-rechtlich entstehen die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen sowohl der Steuer- als auch der Haftungsanspruch zählen (vgl. § 37 Abs. 1 AO), sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft, § 38 AO. Im Streitfall richtet sich die Entstehung der Steuerschuld nach den Maßgaben des Tabaksteuergesetzes sowie der Haftungsschuld nach den Voraussetzungen der §§ 71, 374 AO. Eine steuerlich wahlweise Inanspruchnahme hat folglich keinen eigenständigen abgabenbegründenden Charakter.
Vielmehr stellt sie sich ‒ im Einklang mit den zum Strafrecht ergangenen höchstrichterlichen Maßgaben ‒ als eine der Finanzbehörde zustehende verfahrensrechtliche Entscheidungsregel dar, welche dieser die weitere Verfahrensweise in einer bestimmten Beweissituation rechtlich verbindlich vorgibt. Denn nach § 88 Abs. 1 AO hat die Finanzbehörde den Sachverhalt eigenständig von Amts wegen zu ermitteln und zu würdigen.
Hieraus folgt in der Konsequenz, dass die Finanzbehörde in Fällen wie dem vorliegenden vor dem Hintergrund des aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gehalten ist, von der wahlweisen Inanspruchnahme des Abgabenschuldners Gebrauch zu machen. Steht aus Sicht der Finanzbehörde sicher fest, dass die betreffende Person die jeweilige Abgabe entweder als Steuer- oder als Haftungsschuldner zu entrichten hat, widerspräche es dem aus Art. 3 Abs. 1 GG resultierenden Grundsatz gleichmäßiger Abgabenerhebung (vgl. dazu grundlegend BVerfG, Urteil vom 27.06.1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 ff.), dies zu unterlassen.
Vielmehr würde ein Absehen von der Durchsetzung des staatlichen Abgabenanspruchs ‒ sei es in Gestalt einer Steuer- oder Haftungsschuld ‒ zu einer steuerlichen Privilegierung strafrechtlich pönalisierten Verhaltens führen: So wäre in Konstellationen der vorliegenden Art strafrechtlich zwar eine wahlweise Verurteilung als Täter einer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO oder aber Steuerhehlerei nach § 374 Abs. 1 AO ohne Weiteres möglich (zur Zulässigkeit der strafrechtlichen Wahlfeststellung in Konstellationen der vorliegenden Art siehe z. B. Jäger, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Auflage 2023, § 374 AO Rn. 95 ff.), die steuerliche Geltendmachung der zugrundeliegenden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis wegen verbleibender Unsicherheiten bei der Sachverhaltsaufklärung dagegen nicht.
Vorstehendes gilt umso mehr, wenn feststeht, dass die sowohl steuer- als auch haftungsschuldnerseitig zu entrichtende Abgabe betragsmäßig identisch ist. Insoweit bedarf es vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Maßgaben des Art. 20 Abs. 3 GG bei der Erhebung von Abgaben auch keines ergänzenden, normativ-einschränkenden Kriteriums einer „rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit“. Rechtsfolgenseitig entsteht nach § 38 AO eine der Höhe nach genau bestimmte Steuer- oder Haftungsschuld.
5. Der Bescheid stellt sich nach summarischer Prüfung auch im Übrigen als rechtmäßig dar.
Insbesondere liegen für den Senat keine Anhaltspunkte vor, dass die Höhe der geltend gemachten Tabaksteuer unzutreffend berechnet wurde. Sie wurden vom Antragsteller auch nicht vorgetragen.
Gerichtlich beachtliche Ermessensfehler im Sinne des § 102 S. 1 FGO im Rahmen der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme nach § 191 Abs. 1 S. 1 AO sind nach summarischer Prüfung ebenfalls nicht ersichtlich. Im Falle einer Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei ist die Ermessensentscheidung regelmäßig zugunsten einer Inanspruchnahme des Steuerhinterziehers bzw. -hehler vorgeprägt und bedarf keiner besonderen Begründung (für den Fall der Beihilfe zuletzt BFH, Urteil vom 28.02.2023, VII R 29/18, BFH NV 2023, 1071 Rn. 232 ff. m. w. N.; allgemein Kratzsch, in: Koenig, AO, 5. Aufl. 2024, § 71 Rn. 24).
6. Ob die Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheides für den Antragsteller eine unbillige Härte darstellen würde, kann ausdrücklich offenbleiben.
Eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte kommt nur dann in Betracht, wenn zusätzlich Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen (vgl. Stapperfend, in: Gräber, § 69 Rn. 172 mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung des BFH). Dies ist vorliegend ‒ wie dargelegt ‒ nicht der Fall.
7. Die Kostenfolge resultiert aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Beschwerde war wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 128 Abs. 3 S. 2 i. V. m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.
Tenor
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Aussetzung der Vollziehung von Tabaksteuer.
Im Auftrag der Staatsanwaltschaft A führte das Zollfahndungsamt B ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller unter anderem wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei nach § 374 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) durch. Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens sind im Schlussbericht vom 02.08.2023 festgehalten, auf den insoweit Bezug genommen wird. Das Zollfahndungsamt kommt darin bzw. im späteren Bescheid zu folgenden Feststellungen:
Der Antragsteller habe u. a. an seinem Wohnort in C sowie Kleingarten an den gesondert verfolgten D (T) im Zeitraum vom 30.06.2022 bis 31.10.2022 insgesamt 750 Stangen unversteuerter Zigaretten zu einem Preis von … € je Stange veräußert. Dies ergebe sich aus den im Zeitraum zwischen April 2022 und Oktober 2022 gegenüber dem T durchgeführten Telekommunikationüberwachungsmaßnahmen (TKÜ). Ausweislich einer Auswertung dieser Gespräche hätten der Antragsteller sowie der T mehrfach Telefonate geführt, in denen Begriffe wie „1“, „2“, „3“ sowie die Adjektive „4“, „5“, „6“, „7“ unter Hinzufügung mehrstelliger Zahlen genannt worden seien.
Bei einer aus Anlass dieser Telefonüberwachung am 14.06.2023 beim Antragsteller durchgeführten Durchsuchung nach § 102 der Strafprozessordnung (StPO) wurden 629 Zigaretten der Marke E mit deutschen Warnhinweisen, jedoch ohne Banderole im Kofferraum des Fahrzeugs des Antragstellers sowie 3.400 Zigaretten der Marke F mit englischen Warnhinweisen, ohne Banderole und 3.900 Zigaretten der Marke G mit russischen Warnhinweisen in dessen Wohnhaus vorgefunden. Dies lasse den Rückschluss auf entsprechende, im Vorfeld getätigte illegale Zigarettengeschäfte zu.
Im Einzelnen soll der Antragsteller nachfolgende Verkäufe getätigt haben, die zu den nachfolgenden Steuerschäden geführt hätten:
Datum
Anzahl
Steuerschaden
30.06.2022
10.000 Stück (≙ 50 Stangen)
… €
05.07.2022
20.000 Stück (≙ 100 Stangen)
… €
25.07.2022
40.000 Stück (≙ 200 Stangen)
… €
28.07.2022
10.000 Stück (≙ 50 Stangen)
… €
09.09.2022
20.000 Stück (≙ 100 Stangen)
… €
12.10.2022
10.000 Stück (≙ 50 Stangen)
… €
15.10.2022
20.000 Stück (≙ 100 Stangen)
… €
27.10.2022
10.000 Stück (≙ 50 Stangen)
… €
28.10.2022
3.000 Stück (≙ 15 Stangen)
… €
31.10.2022
7.000 Stück (≙ 35Stangen)
… €
gesamt
150.000 Stück
… €
Bei den seitens des Antragstellers gehandelten Zigaretten handele es sich um unversteuerte Ware. Der genaue Reiseweg der Tabakwaren sei nicht nachweisbar und dem Antragsteller unter Umständen auch nicht bekannt. Fest stehe jedoch, dass die verfahrensgegenständlichen Tabakwaren entweder direkt aus einem Drittstaat im Wege der Einfuhr oder aus einem anderen Mitgliedstaat in das deutsche Steuergebiet befördert/versandt worden seien. Der Antragsteller sei für die entstandene Tabaksteuer daher entweder als Steuerschuldner nach § 23 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) oder aber als Haftungsschuldner nach § 71 AO wegen Steuerhehlerei in Anspruch zu nehmen.
Davon ausgehend erließ der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller am 01.09.2023 unter dem Az. … einen als „Abgabenbescheid über Tabaksteuer für Tabakwaren, (Wahlfeststellungsbescheid) gemäß §§ 15 / 21 / 23 Tabaksteuergesetz in der Fassung vom 15.07.2009, gültig bis 12.02.2023 (TabStG), ggf. i. V. m. § 71 Abgabenordnung (AO)“ bezeichneten Bescheid, mit dem er den Antragsteller für die streitgegenständliche Tabaksteuer in Anspruch nahm. Hierbei führte der Antragsgegner unter „V. Wahlfeststellung“ wie folgt aus:
„Der Reiseweg der Tabakwaren konnte nicht eindeutig geklärt werden. Nach Aktenlage steht jedoch sicher fest, dass Sie gemäß der o.a. Ausführungen zu III. entweder Steuerschuldner für die entstandene Tabaksteuer geworden sind, oder gemäß den Ausführungen zu IV. für die entstandenen Steuern haften, da Sie im Ergebnis der Ermittlungen zumindest Steuerhehler sind.
Da somit nicht zweifelhaft ist, dass Sie in jedem Falle zur Entrichtung der Tabaksteuer für die verfahrensgegenständlichen Tabakwaren verpflichtet sind, nehme ich Sie im Rahmen der Wahlfeststellung aus den vorgenannten Gründen gemäß § 15, 21 oder 23 TabStG entweder als Steuerschuldner, oder gemäß § 71 AO im Rahmen meines pflichtgemäßen Ermessens als Haftungsschuldner in Anspruch, weil:
Sie nach den Feststellungen zumindest eine Steuerhinterziehung/ Steuerhehlerei begangen bzw. an dieser Tat teilgenommen haben.
Sie die unversteuerten Tabakwaren in Besitz gehalten haben.
der Steueranspruch des Staates ansonsten nicht realisiert werden kann.“
Der Antragsteller legte hiergegen am 08.09.2023 Einspruch ein, den der Antragsgegner durch Einspruchsentscheidung vom 01.08.2024 als unbegründet zurückwies. Einen außergerichtlich gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner durch Bescheid vom 15.02.2024 ab. Den dagegen gerichteten Einspruch wies der Antragsgegner durch Einspruchsentscheidung vom 24.07.2024, Az. … als unbegründet zurück.
Mit seiner am 27.08.2024 unter dem Az. 7 K 888/24 erhobenen Klage verfolgt der Antragsteller sein Begehren auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides weiter. Gleichzeitig beantragt er im hiesigen Verfahren die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheides.
Der Antragsteller ist der Auffassung, dass der angegriffene Bescheid rechtswidrig ist. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners sei der Antragsteller weder Steuerschuldner noch Haftungsschuldner. Ein Nachweis über die ihm vorgeworfenen Steuerstraftaten könne nicht erbracht werden. Es werde ausdrücklich bestritten, dass der Antragsteller während des streitgegenständlichen Zeitraums unversteuerte Zigaretten abgesetzt habe. Der Tatverdacht stütze sich ausschließlich auf die durchgeführte Telekommunikationsüberwachung und die Verwendung der Begriffe „1“, „2“, „3“ sowie die Adjektive „4“, „5“, „6“, „7“ im Rahmen der Gespräche. Dem Antragsgegner sei es nicht gelungen, einen Reiseweg für die unversteuerten Zigaretten zu benennen, noch sei ersichtlich, um welche Zigarettenmarke es sich gehandelt habe und welchen Ursprungs die Zigarettenpackungen sein sollen.
Die herangezogenen Gesprächsteile seien nicht im Ansatz dazu geeignet, Rückschlüsse auf Zigaretten zu ziehen, insbesondere nicht im Zusammenhang mit den in den Gesprächen genannten Farben. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass ausgesuchte Adjektive im Rahmen von über monatelang geführten Gesprächen einen direkten Rückschluss auf Zigaretten zuließen. Insbesondere lägen teilweise Wochen zwischen den Telefonaten, sodass es keinesfalls lebensfremd sei, dass es sich um alltägliche Gespräche in russischer Sprache gehandelt habe.
Der Antragsgegner könne auch keinen Rückschluss von den beim Antragsteller vorgefundenen rd. 8.000 Zigaretten auf einen Handel von insgesamt 150.000 Zigaretten ziehen. Die für die vorgefundenen Zigaretten entstandene Steuer zahle der Antragsteller bereits ratenweise ab. Eine TKÜ im Jahr 2022 könne keinen Rückschluss auf einen Handel in einer derartigen Größenordnung rechtfertigen. Die Schätzung des Antragsgegners entbehre jeglicher Grundlage. Außer Gesprächsfetzen könne der Antragsgegner keine dem Beweis zugänglichen Tatsachen vortragen.
Insbesondere stünde das überwachte Mobiltelefon weder im Besitz noch im Eigentum des Antragstellers. Soweit behauptet werde, er hätte darauf Zugriff, sei er nicht der Einzige gewesen. Seine Kinder seien noch in seinem Haushalt wohnhaft gewesen, es könne nicht nachgewiesen werden, dass die Telefonate überhaupt von ihm geführt wurden. Es seien alltägliche Gespräche gewesen, ein Nachweis für einen Handel mit unversteuerten Zigaretten lasse sich hieraus nicht führen. Konkrete Beweismittel für die seitens des Antragsgegners angeführten Zigaretten in der Stückmenge von 150.000 lägen nicht vor.
Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung des Bescheides …vom 01.09.2023 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 01.08.2024 auszusetzen, soweit sich aus dem Bescheid eine Zahlungsverpflichtung ergibt.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er ist der Auffassung, dass der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist. Der Antragsteller habe im Zeitraum vom 30.06.2022 bis 31.10.2022 unversteuerte Zigaretten an den T abgesetzt oder von diesem angekauft und damit den Tatbestand der Steuerhehlerei nach § 374 Abs. 1 AO objektiv und subjektiv verwirklicht. Der Antragsteller könne daher als Haftungsschuldner nach § 71 AO in Anspruch genommen werden. Die Feststellungen des Zollfahndungsamts gründeten auf den Ergebnissen der durchgeführten Telekommunikationsüberwachung. Die seitens der Gesprächsbeteiligten verwendeten Begriffe dienten der Verschleierung der tatsächlich gehandelten Waren. Wenn tatsächlich alltägliche Belange Gegenstand der Gespräche gewesen wären, hätten diese denknotwendig einen Handel mit Lebensmitteln zum Gegenstand. Dies sei jedoch lebensfremd. Die anlässlich der Durchsuchung aufgefundenen Zigaretten ließen den Rückschluss auf einen im Vorfeld existierenden Handel mit unversteuerten Zigaretten zu. Der Fund der unversteuerten Zigaretten anlässlich der Durchsuchung bestätige den für die durchgeführte Telekommunikationsüberwachung vorhandenen Verdacht, dass unversteuerte Zigaretten und gerade nicht Fleisch, Weißwein und Konfekt vom Antragsteller abgesetzt oder angekauft worden sind.
Es gebe keinen Rechtsgrundsatz, der eine Bewertung des Gesamtzusammenhangs im Wege der Beweiswürdigung verbiete. Es sei unerheblich, ob sich die überwachten Mobiltelefone im Besitz oder im Eigentum des Antragstellers befinden. Tatsache sei, dass der Antragsteller nach den Ermittlungsergebnissen des Zollfahndungsamtes als Nutzer der verwendeten Mobilfunknummern identifiziert und in den Gesprächen auch mit „X“ oder „Y“ angesprochen worden sei. Eine potentielle Nutzung durch die beiden Kinder des Antragstellers sei unerheblich, da diese im streitbefangenen Zeitraum … und … Jahre alt gewesen seien und dementsprechend auch als Kinder identifiziert worden wären.
Der Antragsteller sei in jedem Fall zur Entrichtung der Tabaksteuer für die verschafften und abgesetzten Tabakwaren verpflichtet. Im Rahmen der Wahlfeststellung könne er gemäß § 15, § 21 oder § 23 TabStG entweder als Steuerschuldner oder gemäß § 71 AO im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden, weil er entweder den Steuertatbestand oder den Haftungstatbestand erfüllt habe, aber nicht weiter aufklärbar sei, welcher der genannten Tatbestände erfüllt sei. In diesem Fall sei nach der Rechtsprechung des Finanzgerichts (FG) des Saarlands, Urteil vom 01.02.1974, 13/72 und des FG Baden-Württemberg, Urteil vom 06.11.1990, XI K 41/88, Rn. 21 eine wahlweise Inanspruchnahme zulässig.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Gerichtsakte Bezug genommen. Die Akte des Verfahrens 7 K 888/24 wurde zum Verfahren beigezogen. Dem Gericht lag die den Streitfall betreffende Behördenakte vor.
II.
Der zulässige Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist unbegründet.
Gemäß § 69 Abs. 2, 3 der Finanzgerichtsordnung ‒ FGO ‒ soll die Vollziehung eines Verwaltungsakts ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei einer überschlägigen Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung; vgl. u. a. Bundesfinanzhof ‒ BFH ‒, Beschluss vom 10.02.1967, III B 9/66, Bundessteuerblatt ‒ BStBl ‒ III 1967, 182). Die Tat- und Rechtsfragen brauchen nicht abschließend geprüft zu werden. Die Entscheidung ergeht aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH, Beschluss vom 20.01.2015, XI B 112/14, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs ‒ BFH/NV ‒ 2015, 537). Hinsichtlich des Prozessstoffs findet eine Beschränkung auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen (insbesondere die Akten der Finanzbehörde) sowie auf präsente Beweismittel statt (vgl. BFH, Beschlüsse vom 21.07.1994, IX B 78/94, BFH/NV 1995, 116; vom 30.07.2020, VII B 73/20, BStBl II 2021, 127; vom 12.01.2021, II B 61/19, juris). Mithin können der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung in der Regel nur solche Tatsachen zu Grunde gelegt werden, die sich aus dem angefochtenen Verwaltungsakt oder dem glaubhaft gemachten Vortrag der Beteiligten ergeben; es ist nicht Aufgabe des Gerichts, etwa aus umfangreichen Akten Feststellungen zu treffen (BFH, Beschluss vom 28.07.1987, V B 68/86, Rn. 22 f., juris).
Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 155 S. 1 FGO i. V. m. § 294 Abs. 1 der Zivilprozessordnung ‒ ZPO ‒). Glaubhaftmachung (§ 294 Abs. 1 ZPO) ist ein geringerer Grad der Beweisführung. Während eine Tatsache nur dann bewiesen ist, wenn sie nach der Überzeugung des Gerichts mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegt, genügt es für die Glaubhaftmachung, dass ein nicht nur geringes Maß an Wahrscheinlichkeit bzw. eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Existenz der Tatsache spricht, wobei sich der Antragsteller aller Beweismittel der ZPO bedienen kann (vgl. Stapperfend, in: Gräber, FGO, 9. Auflage 2019, § 69 Rn. 196).
Bei Anwendung der dargestellten Grundsätze auf den Streitfall ist die beantragte Aussetzung der Vollziehung nicht zu gewähren. Denn nach dem bisherigen Sach- und Streitstand bestehen nach Abwägung aller Gesamtumstände im vorliegenden Einzelfall keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides vom 01.09.2023.
Im Streitfall hat der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller einen als „Wahlfeststellungsbescheid“ bezeichneten Verwaltungsakt erlassen, mit dem er den Antragsteller wahlweise als Steuer- oder Haftungsschuldner in Anspruch nimmt (dazu unter 1.). Der Erlass eines derartigen Verwaltungsakts ist nach den gesetzlichen Vorgaben der Abgabenordnung sowie nach der Rechtsprechung des BFH grundsätzlich zulässig (dazu unter 2.). Dem stehen weder die jüngere Rechtsprechung des BFH betreffend das Exklusivitätsverhältnis zwischen Steuer- und Haftungsschuld (dazu unter 3.) noch verfassungsrechtliche Erwägungen entgegen (dazu unter 4.). Schlussendlich stellt sich der Bescheid auch im Übrigen als rechtmäßig dar (dazu unter 5.).
1. Der Antragsgegner hat gegenüber dem Antragsteller einen als „Wahlfeststellungsbescheid“ bezeichneten Verwaltungsakt erlassen.
a) Gemäß § 124 Abs. 1 S. 2 AO wird ein Verwaltungsakt mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird. Die an § 130 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) angelehnte Regelung verkörpert die auch im Öffentlichen Recht geltende Erklärungstheorie (Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 178. EL, 11/2023, § 124 AO Rn. 12). Für die Wirksamkeit und Auslegung eines Verwaltungsakts gilt demnach das durch die Bekanntgabe seitens der Behörde Erklärte, nicht hingegen das Gewollte. Maßgebend ist, wie der Adressat selbst nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (BFH, Urteil vom 22.10.2019, VII R 24/18, Sammlung der amtlichen Entscheidungen des Bundesfinanzhofs ‒ BFHE ‒ 267, 90, juris Rn. 16 m. w. N.).
Daran gemessen hat der Antragsgegner im Streitfall einen ‒ nach der Abgabenordnung nicht ausdrücklich vorgesehenen ‒ Verwaltungsakt „sui generis“ erlassen. Nach der Regelungssystematik der AO unterscheidet der Gesetzgeber zwischen Steuerbescheiden als Verwaltungsakten im Sinne des § 155 Abs. 1 S. 1 AO, in denen eine Steuerschuld gegenüber dem Steuerschuldner festgesetzt wird. Dagegen wird durch Haftungsbescheid nach § 191 Abs. 1 S. 1 AO in Anspruch genommen, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet, d. h. für eine fremde Steuerschuld einzustehen hat (vgl. z. B. Rüsken, in Klein, AO, 18. Auflage 2024, § 191 Rn. 15 m. w. N.).
b) Der seitens des Antragsgegners erlassene „Wahlfeststellungsbescheid“ wird vorstehenden Anforderungen jeweils gerecht.
Insbesondere wird aus dem Regelungsgehalt des Verwaltungsakts deutlich, dass der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller lediglich eine wahlweise Inanspruchnahme als Steuer- oder Haftungsschuldner verbindlich geregelt hat: So überschreibt er den streitgegenständlichen Verwaltungsakt unter A. als „Abgabenbescheid über Tabaksteuer für Tabakwaren“. Hieraus lässt sich einerseits der Rückschluss ziehen, dass der Antragsgegner den Antragsteller als Steuerschuldner für entstandene Tabaksteuer in Anspruch nehmen will. Andererseits bezeichnet der Antragsgegner den streitgegenständlichen Verwaltungsakt in einem Zusatz als „Wahlfeststellungsbescheid“, wodurch er den Antragsteller auch „ggf. i.V.m. § 71 AO (AO)“ als Haftungsschuldner in Anspruch nimmt.
Unter V. führt der Antragsgegner sodann aus, dass der Antragsteller in Anbetracht des unklaren Reisewegs der Tabakwaren wahlweise als Steuerschuldner für die entstandene Tabaksteuer oder aber als Haftungsschuldner aufgrund von Steuerhehlerei in Anspruch zu nehmen sei. Der Antragsgegner hat durch den Bescheid folglich den Antragsteller entweder als Steuer- oder als Haftungsschuldner ‒ je nach Sachverhaltskonstellation ‒ in Anspruch genommen.
2. Der Erlass eines Wahlfeststellungsbescheids als Verwaltungsakt „sui generis“ ist nach den gesetzlichen Voraussetzungen der Abgabenordnung sowie nach der Rechtsprechung des BFH grundsätzlich zulässig.
a) Der Erlass eines Wahlfeststellungsbescheids ist von den gesetzlichen Vorgaben der Abgabenordnung umfasst. Insbesondere besteht hierfür eine entsprechende Rechtsgrundlage, die aus einer wertenden Gesamtschau von § 155 Abs. 1 S. 1 bzw. § 191 Abs. 1 S. 1 AO jeweils in Verbindung mit dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 88 Abs. 1 S. 1 und S. 2 AO und dem aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie § 85 S. 1 AO resultierenden Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung abzuleiten ist.
Für den Erlass eines Steuer- und Haftungsbescheids existieren in § 155 Abs. 1 S. 1 AO sowie § 191 Abs. 1 S. 1 AO jeweils eigenständige Rechtsgrundlagen. Zwar sieht die AO nach dem gesetzgeberischen Regelungskonzept einen „wahlweisen“ bzw. „kombinierten“ Erlass derartiger Bescheide nicht ausdrücklich vor. Sie verbietet einen Erlass derartiger Bescheide entgegen vereinzelter Auffassungen in der Kommentarliteratur (Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: 283. EL 11/2024, § 191 Rn. 157) jedoch auch nicht ausdrücklich. Die Besonderheit des Streitfalls besteht vorliegend darin, dass Unsicherheiten in Bezug auf den genau verwirklichten Sachverhalt (entweder Steuer- oder Haftungsschuldnerschaft) bestehen, nicht hingegen in Bezug auf die hieraus abzuleitende Rechtsfolge der Zahlungspflicht eines genau bestimmten und in allen Sachverhaltsvarianten identischen Betrages.
Auf dem Gebiet des Strafrechts werden Konstellationen, in denen sicher feststeht, dass einer von mehreren alternativ in Betracht kommenden Tatbeständen verwirklicht ist, als sog. ungleichartige Wahlfeststellung bzw. auch Tatbestandsalternativität oder echte Wahlfeststellung bezeichnet (vgl. z. B. Tiemann, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung ‒ StPO ‒, 9. Auflage 2023, § 261 Rn. 179). Es handelt sich dabei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) um eine prozessuale Entscheidungsregel, die dem Tatgericht vorgibt, wie es nach Abschluss der Beweisaufnahme bei einer bestimmten Beweislage zu entscheiden hat (BGH, Beschluss vom 08.05.2017, GSSt 1/17, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen ‒ BGHSt ‒ 62, 164 Rn. 15).
Überträgt man die vorstehenden Grundsätze auf das Gebiet des Steuerrechts, bestehen keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine bescheidmäßige Verknüpfung von Steuer- und Haftungsschuld in Gestalt eines rechtsfolgenseitigen Exklusivitätsverhältnisses. Die Erwägungen des BGH zur prozessualen Entscheidungsregel sind insoweit sinngemäß auf den Untersuchungsgrundsatz des § 88 Abs. 1 AO übertragbar. Danach ermittelt die Finanzbehörde den Sachverhalt von Amts wegen (§ 88 Abs. 1 S. 1 AO) und hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen (§ 88 Abs. 1 S. 2 AO). Gelangt die Finanzbehörde hierbei zur Erkenntnis, dass der Beteiligte des Besteuerungsverfahrens einen Tatbestand entweder als Steuer- oder als Haftungsschuldner verwirklicht hat, ist sie aus Gründen der Besteuerungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG, § 85 S. 1 AO) gehalten, den daraus resultierenden Abgabenanspruch verfahrensrechtlich auch durchzusetzen. Vielmehr würde es dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung widersprechen, wenn die Finanzbehörde in Konstellationen der vorstehenden Art, in denen entweder ein Steuer- oder Haftungstatbestand aufgrund Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei sicher verwirklicht ist, von einer Durchsetzung des jeweiligen Anspruchs nur deswegen absehen würde, da die Frage der Entstehung entweder einer Steuer- oder einer Haftungsschuld nicht abschließend geklärt werden kann, die Höhe der entstandenen Abgaben jedoch sicher feststeht.
b) Vor diesem Hintergrund wurde der Erlass eines Wahlfeststellungsbescheids auch von der früheren Rechtsprechung des BFH (BFH, Beschluss vom 03.08.1983, VII B 30,33/83, juris) und einzelnen Finanzgerichten (FG des Saarlands, Urteil vom 01.02.1974, 13/72, Entscheidungen der Finanzgerichte ‒ EFG ‒ 1974, 400; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 06.11.1990, XI K 41/88, juris, Rn. 21) grundsätzlich gebilligt.
Mit dem Antragsgegner ist davon auszugehen, dass der Erlass derartiger Bescheide in der früheren höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH, Beschluss vom 03.08.1983, a. a. O.) jedenfalls in Konstellationen der vorliegenden Art als unproblematisch angesehen wurde. Der BFH hat die Zulässigkeit der im damaligen Streitfall erfolgten wahlweisen Inanspruchnahme eines Abgabenschuldners als Steuer- oder Haftungsschuldner seinerzeit vor dem Hintergrund gebilligt, dass sowohl der Steuerschuldner als auch der Haftungsschuldner aufgrund einer Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei von der Finanzbehörde für die jeweilige Abgabe betragsmäßig uneingeschränkt in Anspruch genommen werden können (BFH, Beschluss vom 03.08.1983, a. a. O., juris Rn. 18 ff.).
Maßgebliche Überlegung war für den BFH seinerzeit, dass bei Sachverhaltsunklarheiten der vorliegenden Art die Möglichkeit einer grundsätzlich uneingeschränkten Inanspruchnahme des Steuer- und Haftungsschuldners unter Durchbrechung des in § 191 Abs. 5 AO verankerten Akzessorietätsgrundsatzes (vgl. § 191 Abs. 5 S. 2 AO) bestehe. Vor diesem Hintergrund sei es nicht gerechtfertigt, von einer Inanspruchnahme einer Person nur deswegen abzusehen, weil ungeklärt sei, ob der Betroffene Steuer- oder Haftungsschuldner ist und jede andere Möglichkeit (entweder Steuerschuldner oder Haftungsschuldner) ausscheide (BFH, a. a. O., juris Rn. 18 ff.). In diesen Fällen könne die Wesensverschiedenheit von Steuer- und Haftungsschuld einer Inanspruchnahme des Betroffenen nicht entgegenstehen (BFH, a. a. O., Rn. 22). Vielmehr sei die Verwaltung zur Inanspruchnahme der jeweiligen Person nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung berechtigt ‒ und verpflichtet ‒ (BFH, a. a. O., Rn. 19).
Von dieser Rechtsauffassung ist der BFH auch später ‒ soweit ersichtlich ‒ nicht abgerückt.
c) Nach den vorstehenden Erwägungen und höchstrichterlichen Maßgaben ist der Erlass eines Wahlfeststellungsbescheids auch im vorliegenden Verfahren möglich.
Aus Sicht des erkennenden Senats steht nach summarischer Prüfung fest, dass der Antragsteller die streitgegenständliche Steuer entweder als Steuer- oder als Haftungsschuldner schuldet (dazu unter aa.) und eine Inanspruchnahme nicht allein deswegen unterbleiben darf, weil unklar ist, ob der Antragsteller die Tabaksteuer als Steuer- oder Haftungsschuldner zu entrichten hat (dazu unter bb.).
aa) Es bestehen für den Senat nach summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel, dass der Antragsteller im streitgegenständlichen Zeitraum mit unversteuerten Zigaretten handelte.
Der Senat stützt seine Überzeugung hierbei insbesondere auf die Ergebnisse der antragsgegnerseitig beim Antragsteller durchgeführten TKÜ. Der Inhalt dieser Gespräche lässt ‒ wie der Antragsgegner zu Recht ausführt ‒ den Rückschluss darauf zu, dass hier keine alltäglichen Belange besprochen wurden, sondern die verwendeten Begriffe als Codewörter gezielt der Verschleierung eines Handels mit unversteuerten Zigaretten dienten. Einerseits erscheint es ‒ worauf der Antragsgegner zu Recht hinweist ‒ lebensfremd, dass ein Handel mit Lebensmitteln oder Waren des alltäglichen Bedarfs telefonisch besprochen und dann über weite Strecken mit dem Pkw abgewickelt wird. Zudem ist der Antragsteller nicht in der Lebensmittelbranche tätig, sondern geht einer Aushilfstätigkeit als H und J nach. Andererseits folgten den Bestellungen ausweislich der nachfolgenden Telefonate offensichtlich Übergaben der bestellten „Waren“. Angesichts diverser anderer Verfahren, in denen z. B. „1“, „2“ etc. als Codewörter für Zigarettenmarken in diesen Farben verwendet wurden, hält der Senat das Vorbringen des Antragstellers bei summarischer Prüfung für eine Schutzbehauptung.
Entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers lassen die anlässlich der Durchsuchung der Wohnräume des Antragstellers aufgefundenen unversteuerten Zigaretten in Verbindung mit den Feststellungen der TKÜ nach summarischer Prüfung einen Rückschluss auf einen schon im Vorfeld der Durchsuchung bestehenden Handel mit unversteuerten Zigaretten in dem antragsgegnerseitig im streitgegenständlichen Bescheid festgesetzten Umfang zu. Bereits der Umfang von rd. 8.000 unversteuerten, in den Wohnräumen sowie dem Auto des Antragstellers vorgefundenen Zigaretten kann schon nicht dem privaten Konsum des Antragstellers und seiner Familie dienen, zumal im Haushalt des Antragstellers zum Zeitpunkt der Durchsuchung noch zwei minderjährige Kinder gemeldet waren. Im Übrigen spricht für eine Beteiligung des Antragstellers an einem Handel mit unversteuerten Zigaretten auch der Ort des Fundes von 629 unversteuerten Zigaretten der Marke E, nämlich in dessen Kofferraum.
Weiterhin steht für den Senat nach summarischer Prüfung fest, dass die Gespräche auch vom Antragsteller selbst geführt wurden. Dafür spricht insbesondere, dass der Telefonierende (lautsprachlich) mit „X“ oder „Y“ angesprochen wurde. Demgegenüber führt das bloße Bestreiten durch den Antragsteller ohne einen entsprechenden Beweisantritt hierbei zu keinem anderen Ergebnis. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass die zum Zeitpunkt der durchgeführten TKÜ noch minderjährigen Kinder das überwachte Mobiltelefon für eigene Telefonate nutzten. Dies wäre ‒ was der Antragsgegner zu Recht entgegnet ‒ bereits im Rahmen der Auswertung der Gespräche aufgefallen.
bb) In Anbetracht des vorstehenden, sich nach summarischer Prüfung ergebenden Sachverhalts war der Antragsgegner berechtigt, den Antragsteller für die entstandene Tabaksteuer im Wege der Wahlfeststellung entweder als Steuer- oder als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen.
(1) Im Streitfall sind der genaue Transportweg der Zigaretten, deren Ursprungsland sowie die Tatbeteiligung des Antragstellers und dadurch bedingt die Art der Abgabenschuldnerschaft nicht bekannt. Fest steht lediglich, dass die unversteuerten Zigaretten entweder unmittelbar aus einem Drittland oder einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union in das Steuergebiet befördert bzw. versandt oder im Steuergebiet ohne ordnungsgemäße Erlaubnis als Steuerlagerinhaber hergestellt und vom Antragsteller angekauft wurden.
Folglich ist mit dem Antragsgegner davon auszugehen, dass der Antragsteller die streitgegenständliche Steuer jeweils in voller Höhe entweder als Steuerschuldner nach den §§ 21 Abs. 2 S. 1, 23 Abs. 1 S. 2 TabStG oder aber als Haftungsschuldner wegen Beteiligung an einer Steuerhinterziehung gemäß § 371 AO oder Steuerhehlerei nach § 374 Abs. 1 AO zu entrichten hat.
(2) Eine steuerliche Inanspruchnahme des Antragstellers im Wege der Wahlfeststellung scheidet nach summarischer Prüfung auch nicht aufgrund der ‒ grundsätzlich vorrangigen ‒ Möglichkeit des Erlasses eines Steuer- oder Haftungsbescheides aus.
Das Rechtsinstitut der Wahlfeststellung ist dadurch gekennzeichnet, dass es der Finanzbehörde die weitere Verfahrensweise bei Sachverhaltsunklarheiten der vorstehenden Art vorgibt. Im Streitfall lässt sich der genaue Transportweg und dadurch bedingt die Frage der Entstehung einer Steuer- oder Haftungsschuld auf Seiten des Antragstellers nicht abschließend beantworten. Weitere Aufklärungsmöglichkeiten sind ‒ u. a. mangels Mitwirkung des Antragstellers ‒ nicht ersichtlich. In Anbetracht dieser Unklarheiten ist es der Finanzbehörde nicht möglich, den Antragsteller rechtssicher durch lediglich einen (einzigen) Steuer- oder Haftungsbescheid in Anspruch zu nehmen, da insoweit auch der Erlass des jeweils anderen Bescheides in Betracht kommt.
3. Die jüngere Rechtsprechung des VII. Senats des BFH betreffend das Exklusivitätsverhältnis zwischen Steuer- und Haftungsschuld steht dem Erlass eines Wahlfeststellungsbescheides nach Auffassung des erkennenden Senats nicht entgegen. Der Möglichkeit einer „wahlweisen“ Inanspruchnahme durch Steuer- oder Haftungsbescheid ist der BFH nicht ausdrücklich entgegengetreten.
a) In seinem Beschluss vom 24.10.2017, VII B 99/17, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern ‒ ZfZ ‒ 2018, 208, Rn. 10 ff. hat der BFH in Klarstellung und Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass ein Steuerpflichtiger, der eine Abgabe als Steuerschuldner zu entrichten hat, für diese Abgabe nicht zugleich als Haftungsschuldner gemäß § 71 AO in Anspruch genommen werden kann. Der Ausschluss der Steuerschuldnerschaft sei insofern als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 71 AO anzusehen (BFH, Beschluss vom 24.10.2017, a. a. O., Rn. 11).
Davon ausgehend wurde es vom BFH als unzulässig erachtet, einen Steuerpflichtigen, der mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nach § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG in der bis zum 12.02.2023 geltenden und auch im Streitfall anzuwendenden Fassung als Steuerschuldner angesehen werden könne, stattdessen als Haftungsschuldner nach § 71 AO in Anspruch zu nehmen. Hintergrund ist die insoweit systematische Überlegung, dass ein Steuerschuldner nicht zugleich für seine eigene Steuerschuld im Wege der Haftung einstehen kann (sog. Exklusivitätsverhältnis).
b) An dieser Rechtsprechung hat der BFH in seiner Entscheidung vom 23.06.2020, VII R 56/18, ZfZ 2021, 21 festgehalten.
Dem Urteil lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem der genaue Transportweg der Zigaretten nicht aufklärbar war. Insbesondere war unklar, ob die Zigaretten seinerzeit durch einen Dritten eingeführt (mit der Konsequenz einer Steuerschuldnerschaft nach § 21 Abs. 2 TabStG und einer hieraus resultierenden Haftungsschuld nach den §§ 71, 374 AO) oder verbracht (mit der Konsequenz einer ‒ originären ‒ Steuerschuldnerschaft nach § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG) wurden (BFH, Urteil vom 23.06.2020, a. a. O., Rn. 5). Fest stand nach den Feststellungen der Vorinstanz allerdings, dass eine Einfuhr der Zigaretten auf dem See- oder Luftweg ausgeschlossen war, die Zigaretten vielmehr aus einem anderen Mitgliedstaat der EU in der Steuergebiet verbracht wurden (BFH, Urteil vom 23.06.2020, a. a. O., Rn. 7).
Während die Vorinstanz eine Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner trotz gleichzeitiger Ansehung des Klägers als Steuerschuldner als gerechtfertigt ansah (FG Hamburg, Urteil vom 13.09.2018, 4 K 121/17, EFG 2019, 1, Rn. 44 ff.), ist der BFH dem erneut ausdrücklich entgegengetreten (Urteil vom 23.06.2020, a. a. O., Rn. 16 ff.; vgl. Thaler, EFG 2024, 1780 „deutliche Absage“). Wer Steuerschuldner sei, könne für diese Steuer nicht zugleich haften. Es könne nicht der Finanzbehörde überlassen werden, ob sie dem Abgabenpflichtigen einen Steuerbescheid oder einen Haftungsbescheid erteilen wolle. Der BFH hat hierbei klargestellt, dass die praktischen Probleme, die mit einer Feststellung des Transportwegs von Schmuggelzigaretten verbunden sind, keinen Systemwechsel in der AO in Gestalt einer Durchbrechung der strikten Trennung zwischen Steuer- und Haftungsschuld gebieten (BFH, Urteil vom 23.06.2020, a. a. O., Rn. 25 f.). Vielmehr sei es Aufgabe des Gesetzgebers, diese ‒ erst durch die Änderung des § 21 TabStG im Rahmen des 5. Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen (Bundesgesetzblatt ‒ BGBl ‒ I 2009, 1870) geschaffene ‒ Problemlage durch die entsprechende Ausgestaltung der zugrundeliegenden Rechtsgrundlagen zu beseitigen (BFH, Urteil vom 23.06.2020, a. a. O., Rn. 26).
c) Der Erlass des streitgegenständlichen Wahlfeststellungsbescheides steht nach Auffassung des erkennenden Senats im Einklang mit der vorstehend genannten, jüngeren Rechtsprechung des BFH zum steuerlichen Haftungsrecht.
Zum einen ist ‒ erneut ‒ festzuhalten, dass der BFH sich in der vorstehenden Rechtsprechung gerade nicht ausdrücklich zur Frage der Zulässigkeit einer Wahlfeststellung geäußert hat, sondern zu einer Fallkonstellation, in der sich die Finanzbehörde zum Erlass (nur) eines Haftungsbescheides für eine eigene Steuerschuld des in Anspruch Genommenen entschieden hatte.
Zum anderen findet keine im Sinne der vorstehenden Rechtsprechung unzulässige Kombination von Steuer- und Haftungsschuld und damit eine Durchbrechung des Exklusivitätsverhältnisses statt. Vielmehr wird durch die im Bescheid tenorierte Regelung (§ 118 S. 1 AO) gegenüber dem Abgabenschuldner verbindlich festgelegt, dass die betragsmäßig bezeichnete Abgabe auf der Rechtsfolgenseite entweder auf Grundlage einer Steuer- oder einer Haftungsschuld festgesetzt wird.
Die im Bescheid verfügte Regelung einer wahlweisen Inanspruchnahme als Steuer- oder Haftungsschuldner sichert folglich das von der Rechtsprechung des BFH geforderte Exklusivitätsverhältnis zwischen Steuer- und Haftungsschuld verfahrenstechnisch ab. Eine ‒ systematisch ausgeschlossene ‒ gleichzeitige Inanspruchnahme als Steuer- und Haftungsschuldner wird durch den Erlass eines Wahlfeststellungsbescheids hierdurch gerade verhindert.
4. Verfassungsrechtliche Erwägungen stehen dem Erlass eines steuerlichen Wahlfeststellungsbescheids nicht entgegen. Insbesondere sind die Anforderungen an den allgemeinen Gesetzesvorbehalt des Art. 20 Abs. 3 GG gewahrt.
a) Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des strafrechtlichen Rechtsinstituts der ungleichartigen Wahlfeststellung in jüngerer Zeit ausdrücklich gebilligt (umfassend: BVerfG, Beschluss vom 05.07.2019, 2 BvR 167/18, Neue Juristische Wochenschrift ‒ NJW ‒ 2019, 2837 ff.; bestätigt durch Beschluss vom 09.08.2023, 2 BvR 1373/20, NJW 2023, 3350 Rn. 37).
Nach der Rechtsprechung des BVerfG wirken die Grundsätze der Wahlfeststellung nicht strafbarkeitsbegründend, da sie nicht korrigierend in die Entscheidung des Gesetzgebers über strafwürdiges Verhalten eingreifen. Sie bestimmen auch nicht ‒ über den Inhalt gesetzlicher Strafnorm hinausgehend ‒ die Voraussetzungen, unter denen ein bestimmtes Verhalten als strafbar anzusehen ist. Das Rechtsinstitut der Wahlfeststellung kommt vielmehr in einer bestimmten prozessualen Lage zur Anwendung, wenn nach abgeschlossener Beweiswürdigung zwar über den konkreten Geschehensablauf Zweifel bestehen, aber sicher feststeht, dass sich der Angeklagte ‒ nach einem bestimmten oder einem von mehreren bestimmten Tatbeständen ‒ strafbar gemacht hat (zum Ganzen: BVerfG, Beschluss vom 05.07.2019, a. a. O., Rn. 28 ff.; Beschluss vom 09.08.2023, a. a. O., Rn. 37 jeweils m. w. N.).
Insbesondere verletzen die Grundsätze über die gesetzesalternative Verurteilung auf wahldeutiger Grundlage nicht das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, der als strenger Gesetzesvorbehalt auf dem Gebiet des Strafrechts anzusehen ist (BVerfG, Beschluss vom 05.07.2019, a. a. O., Rn. 25 ff.). Das Rechtsinstitut der Wahlfeststellung stellt eine prozessuale Entscheidungsregel dar, die ‒ nach Abschluss der entsprechenden Beweiserhebung ‒ in einer besonderen Beweissituation zur Anwendung kommt. Sie dient nicht dazu, materiell-rechtliche Strafbarkeitslücken zu schließen, was allein Aufgabe des Gesetzgebers ist. Vielmehr ermöglicht sie ausschließlich die Bewältigung verfahrensrechtlicher Erkenntnislücken, weswegen sie eine dem Strafverfahrensrecht zuzuordnende Entscheidungsregel darstellt, die nicht den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG berührt (zum Ganzen: BVerfG, Beschluss vom 05.07.2019, a. a. O., Rn. 29).
Weiterhin stellt das von der strafgerichtlichen Rechtsprechung entwickelte normative Kriterium der rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit sicher, dass der Schuldspruch trotz wahldeutiger Verurteilung auf Grundlage alternativer Sachverhalte an einen ausreichend einheitlichen Unrechts- und Schuldvorwurf anknüpft und der Angeklagte nicht unverhältnismäßig belastet wird. Aus diesem Grund ist der Schuldspruch disjunktiv zu fassen (BVerfG, Beschluss vom 05.07.2019, a. a. O., Rn. 30).
Davon ausgehend verstößt eine wahldeutige Verurteilung auch nicht gegen die strafprozessuale Unschuldsvermutung. Vielmehr stünde ein Freispruch trotz unzweifelhaft strafbaren Verhaltens aufgrund mehrfacher Anwendung des Zweifelssatzes seinerseits in Widerspruch zu dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, welches auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit und den Grundsatz der Rechtsgleichheit als eines der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate einschließt. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und der Anspruch aller in Strafverfahren Beschuldigter auf Gleichbehandlung rechtfertigen es, den staatlichen Strafanspruch auch dann durchzusetzen, wenn Zweifel hinsichtlich des Tatgeschehens verbleiben, gleichzeitig aber ein strafloses Verhalten des Angeklagten sicher ausscheidet (zum Vorstehenden: BVerfG, Beschluss vom 05.07.2019, a. a. O., Rn. 38).
b) Davon ausgehend bestehen für den Senat bei wertender Betrachtung keine durchgreifenden Bedenken an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer steuerlich wahlweisen Inanspruchnahme des Abgabenschuldners als Steuer- oder Haftungsschuldner.
aa) Der Senat stellt hierbei vorab klar, dass verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab für die im Streit stehende Frage vorrangig der allgemeine Gesetzesvorbehalt des Art. 20 Abs. 3 GG sein muss, da das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG ausschließlich auf dem Gebiet des Strafrechts anzuwenden ist (vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 05.07.2019, a. a. O., Rn. 25 ff.). Die Erhebung von Steuern unterliegt jedoch als klassisches Eingriffsrecht dem Gesetzesvorbehalt des Art. 20 Abs. 3 GG (Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 4 AO Rn. 651 ff. m. w. N.), weswegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen ausschließlich hieran zu messen sind.
Der im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Vorbehalt des Gesetzes verlangt, dass der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen muss und sie nicht anderen Normgebern überlassen darf. Im Steuerrecht, dessen Steuerbelastungsentscheidungen weitgehend vom Willen des Gesetzgebers zu Belastungsgegenstand und Tarif abhängen, ist von einem strengen Gesetzesvorbehalt auszugehen. Das Steuerrecht lebt insoweit aus dem „Diktum des Gesetzgebers“ (BVerfG, Urteil vom 05.11.2014, 1 BvF 3/11, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ‒ BVerfGE ‒ 137, 350, Rn. 33).
bb) Dies vorausgeschickt verstößt der Erlass eines steuerlichen Wahlfeststellungsbescheides nicht gegen den Gesetzesvorbehalt des Art. 20 Abs. 3 GG.
Für die Geltendmachung von Abgaben im Wege eines Steuer- oder Haftungsbescheids existieren in § 155 bzw. § 191 AO jeweils eigenständige Rechtsgrundlagen, welche die Erhebung der jeweiligen Schuld verfahrensrechtlich explizit ermöglichen. Materiell-rechtlich entstehen die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen sowohl der Steuer- als auch der Haftungsanspruch zählen (vgl. § 37 Abs. 1 AO), sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft, § 38 AO. Im Streitfall richtet sich die Entstehung der Steuerschuld nach den Maßgaben des Tabaksteuergesetzes sowie der Haftungsschuld nach den Voraussetzungen der §§ 71, 374 AO. Eine steuerlich wahlweise Inanspruchnahme hat folglich keinen eigenständigen abgabenbegründenden Charakter.
Vielmehr stellt sie sich ‒ im Einklang mit den zum Strafrecht ergangenen höchstrichterlichen Maßgaben ‒ als eine der Finanzbehörde zustehende verfahrensrechtliche Entscheidungsregel dar, welche dieser die weitere Verfahrensweise in einer bestimmten Beweissituation rechtlich verbindlich vorgibt. Denn nach § 88 Abs. 1 AO hat die Finanzbehörde den Sachverhalt eigenständig von Amts wegen zu ermitteln und zu würdigen.
Hieraus folgt in der Konsequenz, dass die Finanzbehörde in Fällen wie dem vorliegenden vor dem Hintergrund des aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gehalten ist, von der wahlweisen Inanspruchnahme des Abgabenschuldners Gebrauch zu machen. Steht aus Sicht der Finanzbehörde sicher fest, dass die betreffende Person die jeweilige Abgabe entweder als Steuer- oder als Haftungsschuldner zu entrichten hat, widerspräche es dem aus Art. 3 Abs. 1 GG resultierenden Grundsatz gleichmäßiger Abgabenerhebung (vgl. dazu grundlegend BVerfG, Urteil vom 27.06.1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 ff.), dies zu unterlassen.
Vielmehr würde ein Absehen von der Durchsetzung des staatlichen Abgabenanspruchs ‒ sei es in Gestalt einer Steuer- oder Haftungsschuld ‒ zu einer steuerlichen Privilegierung strafrechtlich pönalisierten Verhaltens führen: So wäre in Konstellationen der vorliegenden Art strafrechtlich zwar eine wahlweise Verurteilung als Täter einer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO oder aber Steuerhehlerei nach § 374 Abs. 1 AO ohne Weiteres möglich (zur Zulässigkeit der strafrechtlichen Wahlfeststellung in Konstellationen der vorliegenden Art siehe z. B. Jäger, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Auflage 2023, § 374 AO Rn. 95 ff.), die steuerliche Geltendmachung der zugrundeliegenden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis wegen verbleibender Unsicherheiten bei der Sachverhaltsaufklärung dagegen nicht.
Vorstehendes gilt umso mehr, wenn feststeht, dass die sowohl steuer- als auch haftungsschuldnerseitig zu entrichtende Abgabe betragsmäßig identisch ist. Insoweit bedarf es vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Maßgaben des Art. 20 Abs. 3 GG bei der Erhebung von Abgaben auch keines ergänzenden, normativ-einschränkenden Kriteriums einer „rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit“. Rechtsfolgenseitig entsteht nach § 38 AO eine der Höhe nach genau bestimmte Steuer- oder Haftungsschuld.
5. Der Bescheid stellt sich nach summarischer Prüfung auch im Übrigen als rechtmäßig dar.
Insbesondere liegen für den Senat keine Anhaltspunkte vor, dass die Höhe der geltend gemachten Tabaksteuer unzutreffend berechnet wurde. Sie wurden vom Antragsteller auch nicht vorgetragen.
Gerichtlich beachtliche Ermessensfehler im Sinne des § 102 S. 1 FGO im Rahmen der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme nach § 191 Abs. 1 S. 1 AO sind nach summarischer Prüfung ebenfalls nicht ersichtlich. Im Falle einer Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei ist die Ermessensentscheidung regelmäßig zugunsten einer Inanspruchnahme des Steuerhinterziehers bzw. -hehler vorgeprägt und bedarf keiner besonderen Begründung (für den Fall der Beihilfe zuletzt BFH, Urteil vom 28.02.2023, VII R 29/18, BFH NV 2023, 1071 Rn. 232 ff. m. w. N.; allgemein Kratzsch, in: Koenig, AO, 5. Aufl. 2024, § 71 Rn. 24).
6. Ob die Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheides für den Antragsteller eine unbillige Härte darstellen würde, kann ausdrücklich offenbleiben.
Eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte kommt nur dann in Betracht, wenn zusätzlich Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen (vgl. Stapperfend, in: Gräber, § 69 Rn. 172 mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung des BFH). Dies ist vorliegend ‒ wie dargelegt ‒ nicht der Fall.
7. Die Kostenfolge resultiert aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Beschwerde war wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 128 Abs. 3 S. 2 i. V. m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.
Vorschriften§ 71 AO, § 155 AO, § 191 AO, § 370 AO, § 374 AO, § 15 TabStG, § 21 TabStG, § 23 TabStG