07.01.2025 · IWW-Abrufnummer 245759
Finanzgericht Hamburg: Gerichtsbescheid vom 25.07.2024 – 4 K 57/20
Die in § 191 Abs. 5 Satz 2 AO vorgesehene Ausnahme von einem Ausschluss der Haftung wegen des Grundsatzes der Akzessorietät gilt nicht nur für die täterschaftliche Begehung einer Steuerhinterziehung, sondern für jede Begehungsform der Steuerhinterziehung, also auch die Teilnahme an einer Steuerhinterziehung (hier: Beihilfe zum gewerbsmäßigen Schmuggel als Qualifikationstatbestand).
Finanzgericht Hamburg v. 25.07.2024, Az.: 4 K 57/20
Die Beteiligten streiten über die haftungsweise Inanspruchnahme der Klägerin für gegen die A GmbH festgesetzte Einfuhrabgaben.
Mit insgesamt neun Einfuhrabgabenbescheiden vom 23. November 2009 (AT/S/00/XXX-1 bis AT/S/00/XXX-2, letzterer geändert durch Einfuhrabgabenbescheid vom 14. April 2010 AT/S/00/XXX-3) setzte das Hauptzollamt B gegen die A GmbH für im Jahr 2009 aus Asien eingeführte Waren Einfuhrabgaben (ZollEU und vereinzelt auch Antidumpingzoll) im Wege der Nacherhebung nach Art. 220 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 2010 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, 1, ber. ABl. 1993 L 79, 84, ABl. 1996 L 97, 38 und L 321, 23, m. spät. Änd.) - im Folgenden: ZK - fest. Zur Begründung führte das Hauptzollamt B in den Einfuhrabgabenbescheiden vom 23. November 2009 jeweils aus, dass Recherchen durch die Bundeszollverwaltung ergeben hätten, dass der von der A GmbH in den Zollanmeldungen der Bezugsvorgänge genannte Verkäufer C, Vietnam, nicht existiere, die vorgelegten Handelsrechnungen mangels einer Vertragspartei im Drittland (Vietnam) für die Berechnung der Zollwerte nach Art. 29 ZK (Transaktionswert) nicht herangezogen werden könnten und die Zollwerte deshalb nach einer der Folgemethoden des Art. 30 Abs. 2 ZK und Art. 31 ZK festgesetzt werden müssten; da eine Festsetzung nach Art. 30 Abs. 2 ZK nicht möglich sei, da keine Warenwerte vergleichbarer Einfuhren für die jeweiligen Abfertigungszeitpunkte vorlägen, seien die Zollwerte nach Art. 31 Abs. 2 ZK auf der Grundlage von Durchschnittswerten bei vergleichbaren Waren, die über einen längeren Zeitraum eingeführt worden seien, ermittelt worden; soweit keine Vergleichswerte vorlägen, seien die angemeldeten Zollwerte belassen worden. In der Begründung des Einfuhrabgabenbescheides vom 14. April 2010, mit dem der Einfuhrabgabenbescheid vom 23. November 2009 (AT/S/00/XXX-2) geändert und ZollEU teilweise und Antidumpingzoll vollständig erlassen wurde, wurde ergänzend ausgeführt, dass, soweit eine erneute Prüfung der Bemessungsgrundlagen zu Änderungen geführt habe, diese mit dem vorliegenden Bescheid berichtigt worden seien.
Nach Angaben des Hauptzollamts B in der Begründung des Einfuhrabgabenbescheides vom 14. April 2010 wurde am 19. März 2010 über das Vermögen der A GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Nach Angaben des Beklagten im vorliegenden Klageverfahren wurde die Forderungsanmeldung des Hauptzollamts B zu den vorstehend genannten Einfuhrabgabenbescheiden gegen die A GmbH dem Insolvenzverwalter am 20. April 2010 übersandt und das Insolvenzverfahren durch Beschluss des Amtsgerichts D vom ... 2011 aufgehoben (Az. xxx).
Mit hinsichtlich der Klägerin rechtskräftigem Urteil des Landgerichts E vom ... 2017 (Strafverfahrensakte der Staatsanwaltschaft E xxx, Band X, Bl. 1 ff.) wurde die Klägerin wegen Beihilfe zum gewerbsmäßigen Schmuggel in 103 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 5 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (Az. xxx (...)).
Mit insgesamt neun Haftungsbescheiden - sechs Haftungsbescheide vom 10. Dezember 2019 (StrL xxx/09 -YYY-1-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-2-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-3-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-4-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-5-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-6-12-2019-xxx) und drei Haftungsbescheide vom 11. Dezember 2019 (StrL xxx/09 -YYY-7-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-8-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-9-12-2019-xxx) - nahm der Beklagte die Klägerin gesamtschuldnerisch mit der A GmbH und neben möglichen weiteren Gesamtschuldnern für die Einfuhrabgaben in Anspruch, die mit den eingangs genannten neun Einfuhrabgabenbescheiden durch das Hauptzollamt B gegen die A GmbH unter den in den jeweiligen Anlagen zu den angefochtenen Haftungsbescheiden näher bezeichneten Positionen der jeweiligen Einfuhrabgabenbescheide festgesetzt worden sind und sich auf die Gesamtsummen von ... €, ... €, ... €, ... €, ... €, ... €, ... €, ... € bzw. ... € belaufen. Zur Begründung verwies der Beklagte im Wesentlichen jeweils darauf, dass die A GmbH die in der Anlage aufgeführten Zölle und Antidumpingzölle schulde und diese Steueransprüche darauf beruhten, dass von der A GmbH eine Vielzahl von Containern mit Waren (überwiegend Textilien) aus China und Vietnam eingeführt und unter Anmeldung von zu niedrigen Zollwerten abgefertigt worden seien. Zur Vornahme der Abfertigungshandlungen sei regelmäßig das Zollbüro F in D, dessen Geschäftsführerin und Inhaberin die Klägerin gewesen sei, beauftragt worden. Im Rahmen der Einfuhrabfertigungen seien Rechnungen vorgelegt worden, in denen als Verkäufer die Firma C, Vietnam, aufgeführt gewesen sei. Sowohl nach den Internetrecherchen des Hauptzollamts-... als auch nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft E und den Auskünften im Rahmen der internationalen Amtshilfe existiere dieser Verkäufer nicht. Die vorgelegten Rechnungen und auch der im Zusammenhang mit den Abfertigungen vorgelegte Vertrag zwischen dem Verkäufer, dem Käufer A GmbH und dem polnischen Abnehmer der Ware hätten zur Zollwertermittlung nicht mehr herangezogen werden können und eine Zollwertermittlung habe - in Ermangelung anderer Möglichkeiten - nur auf Grundlage von Durchschnittswerten bei vergleichbaren Waren, die über einen längeren Zeitraum eingeführt worden seien, stattfinden können. Die ursprüngliche Steuerfestsetzung sei entsprechend geändert und die A GmbH als Steuerschuldnerin in Anspruch genommen worden. Eine Inanspruchnahme der Klägerin im Wege der Haftung erfolge nach § 191 i.V.m. §§ 71, 369, 370, 373 AO. Die Klägerin habe sich der Beihilfe zum gewerbsmäßigen Schmuggel strafbar gemacht, indem sie in dem Tatzeitraum 30. März 2009 bis zum 28. Juli 2009 vorsätzlich über das von ihr zu diesem Zweck gegründete und geführte Zollbüro F in Vertretung und im Auftrag des einzigen Kunden, der A GmbH, Container mit Waren (überwiegend Textilien) aus China und Vietnam zur Überführung in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr unter Angabe von zu niedrigen Zollwerten angemeldet und abgefertigt habe bzw. habe abfertigen lassen. Die Klägerin hafte für die verkürzten Steuern der A GmbH hinsichtlich der Taten (Fallakten), für die sie mit Urteil des Landgerichts E vom ... 2017 verurteilt worden sei. Da das die A GmbH betreffende Insolvenzverfahren zwischenzeitlich abgeschlossen sei, so dass Zahlungen nicht mehr zu erwarten seien, entspreche es pflichtgemäßem Ermessen, die Klägerin nunmehr als Haftungsschuldnerin in Anspruch zu nehmen.
Die gegen die Haftungsbescheide eingelegten Einsprüche der Klägerin wurden mit neun Einspruchsentscheidungen vom 27. April 2020, dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 5. Mai 2020 (RL xxx/20) bzw. am 6. Mai 2020 (RL xxx/20-xxx/20), unter Verweis auf eine in den Fällen des § 71 AO für den Erlass von Haftungsbescheiden gemäß § 191 Abs. 3 Satz 2 AO geltende Festsetzungsfrist von zehn Jahren, die gemäß § 191 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 170 Abs. 1 Satz 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Zollschuld entstanden sei, beginne, hier mit Ablauf des 31. Dezember 2009, jeweils als unbegründet zurückgewiesen.
Mit ihrer am 5. Juni 2020 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und trägt zur Begründung im Wesentlichen vor: Zum Zeitpunkt des Erlasses und der Bekanntgabe der Haftungsbescheide sei bereits Festsetzungsverjährung eingetreten. Die Einfuhrabgaben, für welche sie, die Klägerin, in Haftung genommen werde, seien allesamt im Jahr 2009, indes vor Dezember 2009 entstanden, und die dafür gemäß Art. 221 ZK geltende Festsetzungsfrist von drei bzw. zehn Jahren nach dem Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld sei bereits abgelaufen. Die Voraussetzungen des § 191 Abs. 5 AO seien damit erfüllt. Eine Ausnahme nach § 191 Abs. 5 Satz 2 AO liege nicht vor. Die bezüglich ihr, der Klägerin, vom Beklagten behauptete Beihilfe zum Schmuggel sei von § 191 Abs. 5 Satz 2 AO nicht erfasst, da die Vorschrift nur eine Straftat der Steuerhinterziehung oder der Steuerhehlerei (und keine anderen Steuerstraftaten allgemein oder Schmuggel im Besonderen) und zudem, anders als bei § 71 AO, nur die Täterschaft und nicht die Teilnahmehandlung erfasse. Da die Haftungsvorschrift des § 71 AO belege, dass dem Gesetzgeber der Unterschied zwischen Täterschaft und Teilnahme bewusst gewesen sei, könne daraus nur geschlossen werden, dass Teilnahmeformen im Rahmen des § 191 Abs. 5 Satz 2 AO nicht erfasst seien. Eine gegenteilige Auslegung der Vorschrift erfolge gegen den Wortlaut. Auch eine Auslegung nach Sinn und Zweck einer Vorschrift finde hier ihre Grenze, da der Gesetzgeber im Rahmen der zeitlichen Möglichkeit einer Haftungsinanspruchnahme die Fälle bloßer Teilnahmeformen einerseits und täterschaftlicher Begehungsformen andererseits vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Schuldformen offenbar unterschiedlich behandelt wissen wolle, was unter Bereicherungsgesichtspunkten und persönlichen Schuldmerkmalen durchaus sachgerecht erscheine. So habe sie, die Klägerin, gerade einmal rund ... € als Vergütung für ihre Tätigkeit im Rahmen der Zollanmeldung erhalten und davon ihre Mitarbeiter bezahlt und Kosten bestritten. Von den eigentlichen wirtschaftlichen Vorteilen, die den Tätern zugeflossen seien, habe sie nicht ansatzweise partizipiert, wie regelmäßig im Fall bloßer Beihilfehandlungen. Wenn dieser Umstand nicht bereits im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigt werde, müsse er jedenfalls haftungsrechtlich im Zeitmoment Berücksichtigung finden, wie § 191 Abs. 5 Satz 2 AO dies vorsehe, indem diese Regelung eine Ausnahme von der Regel des § 191 Abs. 5 Satz 1 AO nur für Fälle der Haftung aufgrund täterschaftlicher Begehungsform darstelle.
Die Klägerin beantragt,
die Haftungsbescheide vom 10. Dezember 2019 (StrL xxx/09 -YYY-1-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-2-12-2019-4xxx, StrL xxx/09 -YYY-3-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-4-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-5-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-6-12-2019-xxx) und vom 11. Dezember 2019 (StrL xxx/09 -YYY-7-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-8-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-9-12-2019-xxx), jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 27. April 2020, aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist der Beklagte auf die Gründe seiner Einspruchsentscheidungen und trägt ergänzend vor: Die Betrachtung des § 191 Abs. 5 AO sei vorliegend unerheblich, da die Festsetzung der Einfuhrabgabenschuld gegenüber der originären Einfuhrabgabenschuldnerin, der Firma A, stets vor Ablauf der Festsetzungsfrist erfolgt sei und somit die ursprüngliche Einfuhrabgabenschuld zum Zeitpunkt der Festsetzung des Haftungsanspruches gegen die Klägerin weder festsetzungs- noch zahlungsverjährt gewesen sei. Auch der Umstand, dass die Klägerin mit Urteil des Landgerichts E vom ... 2017 wegen Beihilfe zum gewerbsmäßigen Schmuggel nach § 373 Abs. 1 AO i.V.m. § 27 Abs. 1 StGB verurteilt worden sei, spreche nicht gegen die Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin. Selbst unter Annahme, dass der § 191 Abs. 5 AO Anwendung finden würde, wäre der Umstand, ob der Haftungsschuldner die Tat als Täter oder Teilnehmer begangen habe, unerheblich, da selbst in den Strafvorschriften der § 370 und § 374 AO die Teilnahme ebenfalls nicht geregelt sei. Eine konkrete Strafbarkeit des Teilnehmers ergebe sich erst aus dem § 27 StGB. Der § 71 AO fordere als Tatbestandsvoraussetzung eine Täterschaft oder eine Teilnahme an einer Steuerhinterziehung. Bei einem Schmuggel entfalle eine Verurteilung wegen tateinheitlich begangener Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO), weil es sich bei Schmuggel (§ 373 AO) um einen Qualifikationstatbestand handele, der den Grundtatbestand des § 370 AO verdränge. Eine Beihilfe zum gewerbsmäßigen Schmuggel stelle gleichzeitig eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO dar.
Ein zwischenzeitlich gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Haftungsbescheide wurde mit Beschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 20. Oktober 2020 abgelehnt (4 V 94/20).
I.
Die Klage bleibt ohne Erfolg. Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Die Haftungsbescheide vom 10. Dezember 2019 (StrL xxx/09 -YYY-1-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-2-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-3-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-4-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-5-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-6-12-2019-xxx) und vom 11. Dezember 2019 (StrL xxx/09 -YYY-7-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-8-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-9-12-2019-xxx), jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 27. April 2020, sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.
Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner). Nach § 71 AO haftet derjenige, der eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, u.a. für die verkürzten Steuern.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme nach § 71 AO sind erfüllt:
Die Klägerin ist durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts E vom ... 2017 (xxx (...)) wegen Beihilfe zum gewerbsmäßigen Schmuggel in 103 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen gemäß § 373 Abs. 1 AO, §§ 27, 52 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 5 Monaten verurteilt worden. Nach den in diesem Urteil getroffenen Feststellungen, gegen die von der Klägerin keine substantiierten Einwendungen erhoben werden und die sich der erkennende Senat zu eigen macht (vgl. dazu nur BFH, Beschluss vom 24. September 2013, XI B 75/12, in: juris, Rn. 13 m.w.N.), hat die Klägerin im Zeitraum vom 30. März 2009 bis 28. Juli 2009 vorsätzlich über das von ihr zu diesem Zweck gegründete und geführte Zollbüro F in Vertretung und im Auftrag der Firma A GmbH Waren aus China und Vietnam zum zollrechtlich freien Verkehr mit anschließender steuerbefreiender innergemeinschaftlicher Lieferung unter Angabe von zu niedrigen Zollwerten beim Zollamt in D angemeldet bzw. durch eine angewiesene und angeleitete Mitarbeiterin anmelden lassen, wodurch von der A GmbH geschuldete Einfuhrabgaben, u.a. Zoll und Antidumpingzoll, hinterzogen worden sind. Bei den insoweit betroffenen Tathandlungen der Klägerin handelt es sich ausweislich der Aufstellung in der Tabelle auf Seite 14 bis 18 des Strafurteils u.a. auch um die Einfuhrvorgänge, die unter jeweiliger Bezugnahme auf Fallaktennummer, Datum der Annahme der Zollanmeldung und Containernummer den in den Anlagen zu den angefochtenen Haftungsbescheiden aufgeführten Einfuhrvorgängen entsprechen. Damit hat die Klägerin durch Beihilfe an einer Steuerhinterziehung, zu der entgegen der Auffassung der Klägerin auch die Hinterziehung von Einfuhrabgaben, hier in der Qualifikation des gewerbsmäßigen Schmuggels gemäß § 373 Abs. 1 AO, gehört (vgl. Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: 181. EL Mai 2024, § 373 AO Rn. 1), teilgenommen und haftet für die dadurch verkürzten streitgegenständlichen Einfuhrabgaben.
Der Beklagte hat auch das ihm gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Der erkennende Senat hat insoweit nach § 102 Satz 1 FGO nur zu prüfen, ob die in § 5 AO festgelegten Grenzen des Ermessens über- oder unterschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
Die Ausübung des Entschließungsermessens durch den Beklagten begegnet keinen Bedenken.
Es ist für die Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid und die dabei zu treffende behördliche Ermessensentscheidung vom Bundesfinanzhof entschieden, dass im Fall vorsätzlicher Steuerstraftaten diese Ermessensentscheidung in der Weise vorgeprägt ist, dass es einer besonderen Begründung der Ermessensbetätigung nicht bedarf. Hat jemand als Täter oder - wie im Streitfall die Klägerin - Teilnehmer eine vorsätzliche Steuerstraftat begangen, so ist es im Regelfall billig und gerecht, wenn ihn die Finanzbehörde für den Steuerschaden in Anspruch nimmt, sie würde vielmehr ermessensfehlerhaft handeln, wenn sie den Betreffenden von der Inanspruchnahme freistellte; einer besonderen Begründung für die Ermessensausübung bedarf es in diesen Fällen nicht, wobei die Vorprägung der Ermessensentscheidung nicht nur für die Inanspruchnahme dem Grunde nach, sondern auch für die Inanspruchnahme der Höhe nach gegeben ist (BFH, Urteil vom 2. Dezember 2003, VII R 17/03, in: juris, m.w.N. aus der Rspr.; Urteil vom 8. September 2004, XI R 1/03; Beschluss vom 14. Februar 2006, VII B 119/05, jeweils in: juris). Davon abgesehen kann wegen der dem Steuergläubiger im öffentlichen Interesse obliegenden Aufgabe, die geschuldeten Abgaben nach Möglichkeit zu erheben, der Erlass eines Haftungsbescheids bei Uneinbringlichkeit der Steuerschuld ohnehin nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen ermessensfehlerhaft sein. Deshalb ist das Entschließungsermessen - wie auch im Streitfall - mit dem Hinweis auf die Unmöglichkeit einer Einziehung der rückständigen Steuer durch Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber dem Steuerschuldner - hier nach den nicht in Zweifel zu ziehenden Angaben des Beklagten wegen des über das Vermögen der A GmbH eröffneten und inzwischen abgeschlossenen Insolvenzverfahrens, nach dem Zahlungen nicht mehr zu erwarten sind - ebenfalls regelmäßig ausreichend begründet (BFH, Urteil vom 13. Juni 1997, VII R 96/96; Urteil vom 29. September 1987, VII R 54/84, jeweils in: juris).
Ebenso wenig bestehen Zweifel an der ordnungsgemäßen Ausübung des Auswahlermessens, d.h. der Entscheidung, warum der Haftungsschuldner anstatt des Steuerschuldners oder anstelle anderer ebenfalls für die Haftung in Betracht kommender Personen in Anspruch genommen wird (vgl. BFH, Urteil vom 11. März 2004, VII R 52/02, in: juris), durch den Beklagten.
Der Beklagte hat die Klägerin ausweislich der Begründung der Haftungsbescheide jeweils gemeinsam mit der A GmbH sowie möglichen weiteren Gesamtschuldnern in Anspruch genommen. Dadurch wird deutlich, dass der Beklagte insbesondere auch erkannt hat, dass neben der Klägerin möglicherweise weitere Haftungsschuldner - in Betracht kommen hier die Täter des gewerbsmäßigen Schmuggels, zu dem die Klägerin Beihilfe geleistet hat - ebenfalls zur Auswahl stehen und sie auch insoweit ein Auswahlermessen hat. Dass der Beklagte keine näheren Ausführungen dazu gemacht hat, welche Personen konkret als weitere Haftungsschuldner gegebenenfalls zur Auswahl stehen und ob diese in Anspruch genommen werden, ist in diesem Zusammenhang indes nicht zu beanstanden. Die vorstehend genannten Erwägungen zur Vorprägung der Ermessensentscheidung beanspruchen Gültigkeit nicht nur bei der Inanspruchnahme eines Haftenden für den eingetretenen Steuerschaden, sondern auch bei der Auswahl zwischen mehreren gesamtschuldnerisch verpflichteten Abgabenschuldnern. Auch in diesen Fällen würde es sich regelmäßig als ermessensfehlerhaft darstellen, wenn die Behörde einen Gesamtschuldner, der sich eine vorsätzliche Steuerstraftat hat zu Schulden kommen lassen und damit einen Steuertatbestand verwirklicht hat, von seiner abgabenrechtlichen Verpflichtung freistellte, so dass die Ermessensentscheidung im Sinne einer abgabenrechtlichen Inanspruchnahme des Steuerstraftäters in der Regel vorgeprägt ist, ohne dass es einer besonderen Begründung für diese Ermessensausübung bedarf (BFH, Urteil vom 2. Dezember 2003, VII R 17/03, Beschluss vom 4. März 2005, VII B 154/04, jeweils in: juris). Da sich die Inanspruchnahme der Klägerin in Anbetracht der von ihr begangenen vorsätzlichen Steuerstraftat als grundsätzlich sachgerecht erweist, könnte die Nichtberücksichtigung eines weiteren Gesamtschuldners diese Ermessensausübung nur dann als fehlerhaft erscheinen lassen, wenn die Einbeziehung dieses Gesamtschuldners in die vorzunehmende Abwägung wahrscheinlich dazu geführt hätte, dass der Beklagte gehalten gewesen wäre, diesen Gesamtschuldner vorrangig in Anspruch zu nehmen und von der grundsätzlich gebotenen Inanspruchnahme der Klägerin ausnahmsweise abzusehen. Dies kann jedoch nicht angenommen werden. Da die Freistellung von der Abgabenverpflichtung bei einem Gesamtschuldner, der einen Steuertatbestand durch eine vorsätzliche Steuerstraftat verwirklicht hat, regelmäßig ermessensfehlerhaft ist, kann im Fall von mehreren Gesamtschuldnern, von denen jeder Steuerstraftäter ist, zwischen diesen grundsätzlich nicht in einer Weise differenziert werden, dass nur einer von ihnen abgabenrechtlich in Anspruch genommen wird, ein anderer hingegen nicht (BFH, Urteil vom 2. Dezember 2003, VII R 17/03, in: juris). Daran ändert auch der von der Klägerin angeführte Umstand, dass die aus der Tat gewonnenen wirtschaftlichen Vorteile für sie geringer ausgefallen seien als für die Haupttäter, nichts.
Der Haftungsinanspruchnahme der Klägerin stehen schließlich weder die Haftungsfestsetzungsfrist nach § 191 Abs. 3 AO noch der Ausschlussgrund des § 191 Abs. 5 AO entgegen.
Gemäß § 191 Abs. 3 Satz 1 AO sind die Vorschriften über die Festsetzungsfrist auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist der Erlass eines Haftungsbescheides daher nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfristen für den Erlass der angefochtenen Haftungsbescheide sind entgegen der Auffassung der Klägerin jeweils gewahrt. Die Festsetzungsfrist beträgt gemäß § 191 Abs. 3 Satz 2, 4. Alt. AO in den Fällen des § 71 AO zehn Jahre. Gemäß § 191 Abs. 3 Satz 3 AO beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Der hier maßgebliche Tatbestand, an den das Gesetz gemäß § 71 AO die Haftungsfolge knüpft, ist die Beihilfe der Klägerin zur Hinterziehung von Einfuhrabgaben durch Anmeldung unterfakturierter Waren für die A GmbH, die im Moment der Annahme der jeweiligen Zollanmeldungen zur Entstehung des jeweiligen nach Maßgabe des zutreffenden Zollwerts unverkürzten Steueranspruchs gegenüber der A GmbH gemäß Art. 201 Abs. 1 Buchst. a), Abs. 2, Abs. 3, Unterabs. 1 Satz 1 ZK führte. Da die Annahmen der Zollanmeldungen sämtlich im Jahr 2009 stattfanden, begann die zehnjährige Festsetzungsfrist für alle angefochtenen Haftungsbescheide mit Ablauf des Jahres 2009 und endete dementsprechend mit Ablauf des Jahres 2019. Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO ist die Festsetzungsfrist gewahrt, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist der Steuerbescheid den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat. Dies ist vorliegend zu bejahen, da die streitgegenständlichen Haftungsbescheide vom 10. und 11. Dezember 2019 ausweislich der Angaben in den Sachakten des Beklagten jeweils am 10. bzw. 11. Dezember 2019 zur Post gegeben worden sind.
Der Erlass der Haftungsbescheide ist auch nicht nach § 191 Abs. 5 AO ausgeschlossen. Nach § 191 Abs. 5 Satz 1 AO kann ein Haftungsbescheid nicht mehr ergehen, soweit die Steuer gegen den Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und wegen des Ablaufs der Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann (Nr. 1) oder soweit die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt ist oder die Steuer erlassen worden ist (Nr. 2). Ein Haftungsbescheid ist in dem Zeitpunkt ergangen, in dem er durch seine erstmalige Bekanntgabe gegenüber dem Haftungsschuldner wirksam geworden ist (BFH, Beschluss vom 11. Juli 2001, VII R 28/99, in: juris). Die streitgegenständlichen Haftungsbescheide vom 10. und 11. Dezember 2019 sind ausweislich der Angaben in den Sachakten des Beklagten der Klägerin jeweils am 12. bzw. 13. Dezember 2019 bekanntgegeben worden.
Ein Ausschluss nach § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AO kommt vorliegend nicht in Betracht, da sämtliche Einfuhrabgaben, für die die Klägerin mit den angefochtenen Haftungsbescheiden in Anspruch genommen wird, gegen den Steuerschuldner, die A GmbH, zum Zeitpunkt des Ergehens der Haftungsbescheide am 12. und 13. Dezember 2019 bereits festgesetzt worden waren, nämlich mit den neun Einfuhrabgabenbescheiden vom 23. November 2009, die ihrerseits innerhalb der insoweit geltenden Festsetzungsfristen aus Art. 221 Abs. 3, Abs. 4 ZK, § 169 Abs. 2 Satz 2, 1. Alt. AO ergangen sind.
Ein Ausschluss nach § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AO kommt vorliegend ebenfalls nicht in Betracht.
Zwar sind die festgesetzten Einfuhrabgaben zum Zeitpunkt des Ergehens der Haftungsbescheide am 12. bzw. 13. Dezember 2019 bereits verjährt gewesen, so dass die Voraussetzungen eines Ausschlussgrundes nach § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2, 1. Alt. AO zu bejahen sind: Die gegen die A GmbH mit Bescheiden vom 23. November 2009 jeweils festgesetzten Einfuhrabgaben unterlagen der Zahlungsverjährung gemäß § 228 Satz 1 AO (zum Anwendungsbereich der §§ 228 ff. AO auf Ansprüche aus dem Zollschuldverhältnis Witte, in: Witte, Zollkodex der Union, 8. Aufl. 2022, Art. 124 UZK Rn. 4; Loose, a.a.O., § 228 AO Rn. 1, jeweils m.w.N.). Die Zahlungsverjährung beginnt gemäß § 229 Abs. 1 Satz 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist, hier - da die Einfuhrabgaben jeweils im November 2009 festgesetzt und damit jeweils noch im Jahr 2009 fällig waren, vgl. die regelmäßige Zahlungsfrist von nicht mehr als 10 Tagen ab Zeitpunkt der Mitteilung des geschuldeten Abgabenbetrages an den Zollschuldner gemäß Art. 222 Abs. 1 Buchst. a) Unterabs. 2 ZK - jeweils mit Ablauf des Kalenderjahrs 2009. Die Zahlungsverjährungsfrist betrug vorliegend gemäß § 228 Satz 2 AO in der zum Zeitpunkt der jeweiligen Fälligkeit maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002 (BGBl. I, S. 3866) - zunächst - fünf Jahre. Nach den nicht in Zweifel zu ziehenden Angaben des Hauptzollamts B und des Beklagten war jedoch im März 2010 über das Vermögen der A GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet worden und die Ansprüche gegen die A GmbH aus den festgesetzten Einfuhrabgaben waren im April 2010 im Insolvenzverfahren auch angemeldet worden, so dass die laufende Zahlungsverjährungsfrist mithin gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1, 8. Alt. AO in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002 unterbrochen worden war und mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Insolvenzverfahren beendet wurde, eine neue Verjährungsfrist begann, vgl. § 231 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 AO in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002. Da das Insolvenzverfahren nach den ebenfalls nicht in Zweifel zu ziehenden Angaben des Beklagten durch Beschluss des Amtsgerichts D vom ... 2011 aufgehoben und damit beendet wurde, begann die neue Verjährungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres 2011 und betrug wiederum fünf Jahre gemäß § 228 Satz 2 AO in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002 und endete mithin bereits mit Ablauf des Jahres 2016. Klarstellend sei darauf hingewiesen, dass für die gegen die A GmbH geltend gemachten Steueransprüche die verlängerte zehnjährige Zahlungsverjährungsfrist gemäß § 228 Satz 2, 2. Alt. AO in der ab dem 25. Juni 2017 geltenden Fassung des Gesetzes vom 23. Juni 2017 (BGBl. I, S. 1682) mithin keine Anwendung findet, wovon aber der Beklagte wohl ursprünglich unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich jeweils um Fälle des gewerbsmäßigen Schmuggels im Sinne von § 373 AO handelte, ausgegangen war (vgl. auch § 14 Abs. 5 Einführungsgesetz zur Abgabenordnung - EGAO -, wonach § 228 Satz 2 AO in der am 25. Juni 2017 geltenden Fassung für alle am 24. Juni 2017 noch nicht abgelaufenen Verjährungsfristen gilt).
Auf einen Ausschluss der Haftung nach § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2, 1. Alt. AO kann sich die Klägerin jedoch gemäß § 191 Abs. 5 Satz 2 AO nicht berufen. Nach dieser Vorschrift ist eine Haftung nicht nach § 191 Abs. 5 Satz 1 AO ausgeschlossen, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat. Wie bereits ausgeführt, handelt es sich bei gewerbsmäßigem Schmuggel nach § 373 AO um einen Qualifikationstatbestand der Steuerhinterziehung. Entgegen der Auffassung der Klägerin gilt § 191 Abs. 5 Satz 2 AO auch nicht allein für die täterschaftliche Begehung der Steuerhinterziehung, sondern vielmehr für jede Begehungsform, also - wie im Fall der Klägerin - auch für die Beihilfe (ebenso FG Nürnberg, Urteil vom 1. April 2008, II 127/2005, in: juris; vgl. auch Hessisches FG, Urteil vom 25. August 1999, 7 K 2815/96, in: juris; Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: 279. EL Mai 2024, § 191 AO Rn. 245; wohl auch Loose, a.a.O., § 191 AO Rn. 23; a.A.: Jatzke, in: Gosch, AO/FGO, Stand: 183. EL Mai 2024, § 191 AO Rn. 49; Rüsken, in: Klein, AO, 17. Aufl. 2023, § 191 Rn. 172; offen gelassen von BFH, Urteil vom 21. November 2000, VII R 8/00, in: juris). Der erkennende Senat vertritt insoweit die Auffassung, dass dieser Auslegung zum einen nicht bereits der Wortlaut der Vorschrift zwingend entgegensteht und sich zudem aus einer an Systematik und Sinn und Zweck orientierten Normauslegung ergibt, dass die Durchbrechung der Haftungsbeschränkung gleichermaßen für Täter und Teilnehmer von Steuerhinterziehung und Steuerhehlerei gelten muss. Der Wortlaut der Vorschrift des § 191 Abs. 5 Satz 2 AO enthält keine ausdrückliche Beschränkung auf eine täterschaftliche Begehungsform von Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei. Vielmehr bezieht sich der Wortlaut mit dem Verweis auf das "Begehen" von Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei auf die Definition der Steuerhinterziehung in § 370 Abs. 1 AO bzw. die Definition der Steuerhehlerei in § 374 Abs. 1 AO, die jeweils nicht nach Täterschaft und Teilnahme differenzieren, während die Strafbarkeit des Teilnehmers allein aus §§ 26, 27 StGB folgt (vgl. in diesem Zusammenhang zur Vorgängervorschrift des § 71 AO, die nur an die "Begehung" einer Steuerhinterziehung anknüpfte, auch die Rechtsprechung des BFH, wonach unter den Begriff der Begehung auch die Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung zu subsumieren war, BFH, Urteil vom 12. April 1983, VII R 3/80, in: juris). Auch ergibt sich etwas anderes nicht aus einem Vergleich mit dem Wortlaut der Vorschriften der §§ 70 Abs. 1 ("Wenn die in §§ 34 und 35 bezeichneten Personen ... eine Steuerhinterziehung begehen .... oder an einer Steuerhinterziehung teilnehmen") und 71 AO ("Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, ..."), in denen jeweils Täterschaft und Teilnahme ausdrücklich gleichgestellt werden. Ein Gegenschluss, dass in § 191 Abs. 5 Satz 2 AO mangels ausdrücklicher Erwähnung die Teilnahme nicht erfasst sein könne, drängt sich insofern nicht auf. Vielmehr sind die Vorschriften in ihrem Normkontext zu betrachten, der dafür spricht, dass der Gesetzgeber die durchgängige haftungsrechtliche Gleichstellung von Täterschaft und Teilnahme in nachfolgenden Absätzen ein und derselben Vorschrift jeweils vorausgesetzt hat. So ist in § 70 Abs. 2 Satz 2 AO geregelt, dass die (in Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift vorgesehene) Nichtanwendung des Absatzes 1, also die Nichtanwendung der Rechtsfolge der Haftung der Vertretenen der Personen, die eine Steuerhinterziehung (oder eine leichtfertige Steuerverkürzung) begehen oder an einer Steuerhinterziehung teilnehmen, auch gilt, wenn die Vertretenen denjenigen, der die Steuerhinterziehung oder die leichtfertige Steuerverkürzung begangen hat, sorgfältig ausgewählt und beaufsichtigt haben. Dass die Haftung des Vertretenen aber nur dann ausgeschlossen sein soll, wenn sich die sorgfältige Auswahl und Beaufsichtigung auf den Täter einer Steuerhinterziehung bezieht, nicht jedoch bei der sorgfältigen Auswahl und Beaufsichtigung eines bloßen Teilnehmers einer Steuerhinterziehung, ergibt keinen Sinn. Ebenso verhält es sich beim Normkontext des § 191 AO. Auch hier wird über die Verweisung in § 191 Abs. 3 Satz 2 AO ("in den Fällen des § 71") zunächst Täterschaft und Teilnahme im Zusammenhang mit der Begehung einer Steuerhinterziehung (bzw. Steuerhehlerei) ausdrücklich gleichgestellt, während in § 191 Abs. 5 Satz 2 AO diese ausdrückliche Gleichstellung - wie bei § 70 Abs. 2 Satz 2 AO - nicht erneut ausdrücklich erfolgt. Gleichwohl kann auch hier nur eine innerhalb derselben Vorschrift durchgängige haftungsrechtliche Gleichstellung von Täterschaft und Teilnahme gemeint sein, anderenfalls eine ausdrückliche abweichende Formulierung, die die Begehungsform der Teilnahme ausdrücklich ausschließt, zu erwarten gewesen wäre (vgl. in diesem Sinne ebenso Hessisches FG, a.a.O.). Dafür spricht übrigens auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift des § 191 Abs. 5 AO. Aus der Intention des Gesetzgebers, die Vorschrift im Rahmen des Steuerbereinigungsgesetzes 1985 nicht zu ändern, weil praktische Schwierigkeiten bei der bisher geltenden Vorschrift nicht bekannt geworden seien, wurde der im Regierungsentwurf u.a. vorgesehene Änderungsvorschlag einer klarstellenden Regelung, dass der Haftungsausschluss nach § 191 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 und 2 AO auch für Teilnehmer an einer Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei nicht gelten solle, nicht übernommen (vgl. die Darstellung bei Boeker, a.a.O., § 191 AO Rn. 2 f. unter Verweis auf BT-Drs. 10/1636, 8, 48 und BT-Drs. 10/4513, 11). Schließlich gebietet auch der Sinn und Zweck des § 191 Abs. 5 Satz 2 AO, nämlich die Einschränkung der Durchbrechung der Haftungsbeschränkung, diese auf die Haftung eines Teilnehmers einer Steuerhinterziehung nach § 71 AO anzuwenden (ebenso FG Nürnberg, a.a.O., Hessisches FG, a.a.O). Entgegen der Auffassung der Klägerin kann im Fall der Begehungsform der Teilnahme an einer Steuerhinterziehung - anders als beispielsweise bei einer bloß leichtfertigen Steuerverkürzung - nicht von vornherein auf eine weniger verwerfliche Begehung geschlossen werden, die eine Durchbrechung der Haftungsbeschränkung rechtfertigen würde.
Schließlich bestehen auch an der durch Einfuhrabgabenbescheide vom 23. November 2009 (AT/S/00/XXX-1 bis AT/S/00XXX-2, letzterer geändert durch Einfuhrabgabenbescheid vom 14. April 2010 AT/S/00/XXX-3) festgesetzten Höhe des hinterzogenen Zolls und Antidumpingzolls und an der Höhe der dementsprechend festgesetzten Haftungsbeträge keine Bedenken, zumal auch die Klägerin diesbezüglich keine Einwendungen erhebt. Sofern - wie im Streitfall wegen der fehlenden Existenz des angegebenen Verkäufers der eingeführten Waren gegeben - wegen begründeter Zweifel davon ausgegangen werden kann, dass die angemeldeten Zollwerte nicht den gezahlten oder zu zahlenden Preisen entsprechen, und andere verwertbare Angaben nicht vorliegen, kann eine Schätzung der angenommenen Zollwerte beispielsweise in Anlehnung an statistisch aus ATLAS ermittelte Durchschnittspreise für Waren der gleichen Unterposition im gleichen Zeitraum eine zweckmäßige Methode zur Zollwertermittlung sein (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 4. März 2014, 4 K 117/13, in: juris, Rn. 26 ff.; FG Düsseldorf, Urteil vom 19. März 2014, 4 K 697/13 Z, in: juris, Rn. 63). Anhaltspunkte dafür, dass die erfolgte Zollwertermittlung, die auch Gegenstand der strafgerichtlichen Feststellungen im Zusammenhang mit dem entstandenen Zollschaden gewesen und in einer als Anlage zum Urteil beigefügten Tabelle jeweils betragsmäßig dokumentiert ist (vgl. Strafverfahrensakte der Staatsanwaltschaft E xxx, Band X, Bl. 87 ff.), unzutreffend sein könnte, drängen sich nicht auf.
Auch die Zahlungsaufforderung in den Haftungsbescheiden ist nicht zu beanstanden, da die Voraussetzungen des § 219 AO gegeben sind. Gemäß § 219 Satz 1 AO ist aufgrund des Umstandes, dass nach dem beendeten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A GmbH keine Zahlungen mehr zu erwarten sind, anzunehmen, dass eine Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners aussichtslos sein würde. Ob zulasten der Klägerin bereits § 219 Satz 2 AO, wonach die Einschränkung des § 219 Satz 1 AO nicht gilt, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat, greift, kann mithin dahin gestellt bleiben (verneinend für Beihilfe zur Steuerhinterziehung Loose, a.a.O., § 219 AO Rn. 10 m.w.N.; Jatzke, a.a.O., § 219 AO Rn. 13).
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war zuzulassen. Die Sache hat grundsätzliche Bedeutung, zudem dient sie der Fortbildung des Rechts, da zur Auslegung des § 191 Abs. 5 Satz 2 AO im Hinblick auf die Frage der Begehungsform der Steuerhinterziehung noch keine obergerichtliche Rechtsprechung vorliegt, § 115 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, 1. Alt. FGO.
Tatbestand
Mit insgesamt neun Einfuhrabgabenbescheiden vom 23. November 2009 (AT/S/00/XXX-1 bis AT/S/00/XXX-2, letzterer geändert durch Einfuhrabgabenbescheid vom 14. April 2010 AT/S/00/XXX-3) setzte das Hauptzollamt B gegen die A GmbH für im Jahr 2009 aus Asien eingeführte Waren Einfuhrabgaben (ZollEU und vereinzelt auch Antidumpingzoll) im Wege der Nacherhebung nach Art. 220 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 2010 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, 1, ber. ABl. 1993 L 79, 84, ABl. 1996 L 97, 38 und L 321, 23, m. spät. Änd.) - im Folgenden: ZK - fest. Zur Begründung führte das Hauptzollamt B in den Einfuhrabgabenbescheiden vom 23. November 2009 jeweils aus, dass Recherchen durch die Bundeszollverwaltung ergeben hätten, dass der von der A GmbH in den Zollanmeldungen der Bezugsvorgänge genannte Verkäufer C, Vietnam, nicht existiere, die vorgelegten Handelsrechnungen mangels einer Vertragspartei im Drittland (Vietnam) für die Berechnung der Zollwerte nach Art. 29 ZK (Transaktionswert) nicht herangezogen werden könnten und die Zollwerte deshalb nach einer der Folgemethoden des Art. 30 Abs. 2 ZK und Art. 31 ZK festgesetzt werden müssten; da eine Festsetzung nach Art. 30 Abs. 2 ZK nicht möglich sei, da keine Warenwerte vergleichbarer Einfuhren für die jeweiligen Abfertigungszeitpunkte vorlägen, seien die Zollwerte nach Art. 31 Abs. 2 ZK auf der Grundlage von Durchschnittswerten bei vergleichbaren Waren, die über einen längeren Zeitraum eingeführt worden seien, ermittelt worden; soweit keine Vergleichswerte vorlägen, seien die angemeldeten Zollwerte belassen worden. In der Begründung des Einfuhrabgabenbescheides vom 14. April 2010, mit dem der Einfuhrabgabenbescheid vom 23. November 2009 (AT/S/00/XXX-2) geändert und ZollEU teilweise und Antidumpingzoll vollständig erlassen wurde, wurde ergänzend ausgeführt, dass, soweit eine erneute Prüfung der Bemessungsgrundlagen zu Änderungen geführt habe, diese mit dem vorliegenden Bescheid berichtigt worden seien.
Nach Angaben des Hauptzollamts B in der Begründung des Einfuhrabgabenbescheides vom 14. April 2010 wurde am 19. März 2010 über das Vermögen der A GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Nach Angaben des Beklagten im vorliegenden Klageverfahren wurde die Forderungsanmeldung des Hauptzollamts B zu den vorstehend genannten Einfuhrabgabenbescheiden gegen die A GmbH dem Insolvenzverwalter am 20. April 2010 übersandt und das Insolvenzverfahren durch Beschluss des Amtsgerichts D vom ... 2011 aufgehoben (Az. xxx).
Mit hinsichtlich der Klägerin rechtskräftigem Urteil des Landgerichts E vom ... 2017 (Strafverfahrensakte der Staatsanwaltschaft E xxx, Band X, Bl. 1 ff.) wurde die Klägerin wegen Beihilfe zum gewerbsmäßigen Schmuggel in 103 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 5 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (Az. xxx (...)).
Mit insgesamt neun Haftungsbescheiden - sechs Haftungsbescheide vom 10. Dezember 2019 (StrL xxx/09 -YYY-1-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-2-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-3-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-4-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-5-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-6-12-2019-xxx) und drei Haftungsbescheide vom 11. Dezember 2019 (StrL xxx/09 -YYY-7-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-8-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-9-12-2019-xxx) - nahm der Beklagte die Klägerin gesamtschuldnerisch mit der A GmbH und neben möglichen weiteren Gesamtschuldnern für die Einfuhrabgaben in Anspruch, die mit den eingangs genannten neun Einfuhrabgabenbescheiden durch das Hauptzollamt B gegen die A GmbH unter den in den jeweiligen Anlagen zu den angefochtenen Haftungsbescheiden näher bezeichneten Positionen der jeweiligen Einfuhrabgabenbescheide festgesetzt worden sind und sich auf die Gesamtsummen von ... €, ... €, ... €, ... €, ... €, ... €, ... €, ... € bzw. ... € belaufen. Zur Begründung verwies der Beklagte im Wesentlichen jeweils darauf, dass die A GmbH die in der Anlage aufgeführten Zölle und Antidumpingzölle schulde und diese Steueransprüche darauf beruhten, dass von der A GmbH eine Vielzahl von Containern mit Waren (überwiegend Textilien) aus China und Vietnam eingeführt und unter Anmeldung von zu niedrigen Zollwerten abgefertigt worden seien. Zur Vornahme der Abfertigungshandlungen sei regelmäßig das Zollbüro F in D, dessen Geschäftsführerin und Inhaberin die Klägerin gewesen sei, beauftragt worden. Im Rahmen der Einfuhrabfertigungen seien Rechnungen vorgelegt worden, in denen als Verkäufer die Firma C, Vietnam, aufgeführt gewesen sei. Sowohl nach den Internetrecherchen des Hauptzollamts-... als auch nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft E und den Auskünften im Rahmen der internationalen Amtshilfe existiere dieser Verkäufer nicht. Die vorgelegten Rechnungen und auch der im Zusammenhang mit den Abfertigungen vorgelegte Vertrag zwischen dem Verkäufer, dem Käufer A GmbH und dem polnischen Abnehmer der Ware hätten zur Zollwertermittlung nicht mehr herangezogen werden können und eine Zollwertermittlung habe - in Ermangelung anderer Möglichkeiten - nur auf Grundlage von Durchschnittswerten bei vergleichbaren Waren, die über einen längeren Zeitraum eingeführt worden seien, stattfinden können. Die ursprüngliche Steuerfestsetzung sei entsprechend geändert und die A GmbH als Steuerschuldnerin in Anspruch genommen worden. Eine Inanspruchnahme der Klägerin im Wege der Haftung erfolge nach § 191 i.V.m. §§ 71, 369, 370, 373 AO. Die Klägerin habe sich der Beihilfe zum gewerbsmäßigen Schmuggel strafbar gemacht, indem sie in dem Tatzeitraum 30. März 2009 bis zum 28. Juli 2009 vorsätzlich über das von ihr zu diesem Zweck gegründete und geführte Zollbüro F in Vertretung und im Auftrag des einzigen Kunden, der A GmbH, Container mit Waren (überwiegend Textilien) aus China und Vietnam zur Überführung in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr unter Angabe von zu niedrigen Zollwerten angemeldet und abgefertigt habe bzw. habe abfertigen lassen. Die Klägerin hafte für die verkürzten Steuern der A GmbH hinsichtlich der Taten (Fallakten), für die sie mit Urteil des Landgerichts E vom ... 2017 verurteilt worden sei. Da das die A GmbH betreffende Insolvenzverfahren zwischenzeitlich abgeschlossen sei, so dass Zahlungen nicht mehr zu erwarten seien, entspreche es pflichtgemäßem Ermessen, die Klägerin nunmehr als Haftungsschuldnerin in Anspruch zu nehmen.
Die gegen die Haftungsbescheide eingelegten Einsprüche der Klägerin wurden mit neun Einspruchsentscheidungen vom 27. April 2020, dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 5. Mai 2020 (RL xxx/20) bzw. am 6. Mai 2020 (RL xxx/20-xxx/20), unter Verweis auf eine in den Fällen des § 71 AO für den Erlass von Haftungsbescheiden gemäß § 191 Abs. 3 Satz 2 AO geltende Festsetzungsfrist von zehn Jahren, die gemäß § 191 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 170 Abs. 1 Satz 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Zollschuld entstanden sei, beginne, hier mit Ablauf des 31. Dezember 2009, jeweils als unbegründet zurückgewiesen.
Mit ihrer am 5. Juni 2020 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und trägt zur Begründung im Wesentlichen vor: Zum Zeitpunkt des Erlasses und der Bekanntgabe der Haftungsbescheide sei bereits Festsetzungsverjährung eingetreten. Die Einfuhrabgaben, für welche sie, die Klägerin, in Haftung genommen werde, seien allesamt im Jahr 2009, indes vor Dezember 2009 entstanden, und die dafür gemäß Art. 221 ZK geltende Festsetzungsfrist von drei bzw. zehn Jahren nach dem Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld sei bereits abgelaufen. Die Voraussetzungen des § 191 Abs. 5 AO seien damit erfüllt. Eine Ausnahme nach § 191 Abs. 5 Satz 2 AO liege nicht vor. Die bezüglich ihr, der Klägerin, vom Beklagten behauptete Beihilfe zum Schmuggel sei von § 191 Abs. 5 Satz 2 AO nicht erfasst, da die Vorschrift nur eine Straftat der Steuerhinterziehung oder der Steuerhehlerei (und keine anderen Steuerstraftaten allgemein oder Schmuggel im Besonderen) und zudem, anders als bei § 71 AO, nur die Täterschaft und nicht die Teilnahmehandlung erfasse. Da die Haftungsvorschrift des § 71 AO belege, dass dem Gesetzgeber der Unterschied zwischen Täterschaft und Teilnahme bewusst gewesen sei, könne daraus nur geschlossen werden, dass Teilnahmeformen im Rahmen des § 191 Abs. 5 Satz 2 AO nicht erfasst seien. Eine gegenteilige Auslegung der Vorschrift erfolge gegen den Wortlaut. Auch eine Auslegung nach Sinn und Zweck einer Vorschrift finde hier ihre Grenze, da der Gesetzgeber im Rahmen der zeitlichen Möglichkeit einer Haftungsinanspruchnahme die Fälle bloßer Teilnahmeformen einerseits und täterschaftlicher Begehungsformen andererseits vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Schuldformen offenbar unterschiedlich behandelt wissen wolle, was unter Bereicherungsgesichtspunkten und persönlichen Schuldmerkmalen durchaus sachgerecht erscheine. So habe sie, die Klägerin, gerade einmal rund ... € als Vergütung für ihre Tätigkeit im Rahmen der Zollanmeldung erhalten und davon ihre Mitarbeiter bezahlt und Kosten bestritten. Von den eigentlichen wirtschaftlichen Vorteilen, die den Tätern zugeflossen seien, habe sie nicht ansatzweise partizipiert, wie regelmäßig im Fall bloßer Beihilfehandlungen. Wenn dieser Umstand nicht bereits im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigt werde, müsse er jedenfalls haftungsrechtlich im Zeitmoment Berücksichtigung finden, wie § 191 Abs. 5 Satz 2 AO dies vorsehe, indem diese Regelung eine Ausnahme von der Regel des § 191 Abs. 5 Satz 1 AO nur für Fälle der Haftung aufgrund täterschaftlicher Begehungsform darstelle.
Die Klägerin beantragt,
die Haftungsbescheide vom 10. Dezember 2019 (StrL xxx/09 -YYY-1-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-2-12-2019-4xxx, StrL xxx/09 -YYY-3-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-4-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-5-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-6-12-2019-xxx) und vom 11. Dezember 2019 (StrL xxx/09 -YYY-7-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-8-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-9-12-2019-xxx), jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 27. April 2020, aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist der Beklagte auf die Gründe seiner Einspruchsentscheidungen und trägt ergänzend vor: Die Betrachtung des § 191 Abs. 5 AO sei vorliegend unerheblich, da die Festsetzung der Einfuhrabgabenschuld gegenüber der originären Einfuhrabgabenschuldnerin, der Firma A, stets vor Ablauf der Festsetzungsfrist erfolgt sei und somit die ursprüngliche Einfuhrabgabenschuld zum Zeitpunkt der Festsetzung des Haftungsanspruches gegen die Klägerin weder festsetzungs- noch zahlungsverjährt gewesen sei. Auch der Umstand, dass die Klägerin mit Urteil des Landgerichts E vom ... 2017 wegen Beihilfe zum gewerbsmäßigen Schmuggel nach § 373 Abs. 1 AO i.V.m. § 27 Abs. 1 StGB verurteilt worden sei, spreche nicht gegen die Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin. Selbst unter Annahme, dass der § 191 Abs. 5 AO Anwendung finden würde, wäre der Umstand, ob der Haftungsschuldner die Tat als Täter oder Teilnehmer begangen habe, unerheblich, da selbst in den Strafvorschriften der § 370 und § 374 AO die Teilnahme ebenfalls nicht geregelt sei. Eine konkrete Strafbarkeit des Teilnehmers ergebe sich erst aus dem § 27 StGB. Der § 71 AO fordere als Tatbestandsvoraussetzung eine Täterschaft oder eine Teilnahme an einer Steuerhinterziehung. Bei einem Schmuggel entfalle eine Verurteilung wegen tateinheitlich begangener Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO), weil es sich bei Schmuggel (§ 373 AO) um einen Qualifikationstatbestand handele, der den Grundtatbestand des § 370 AO verdränge. Eine Beihilfe zum gewerbsmäßigen Schmuggel stelle gleichzeitig eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO dar.
Ein zwischenzeitlich gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Haftungsbescheide wurde mit Beschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 20. Oktober 2020 abgelehnt (4 V 94/20).
Entscheidungsgründe
Die Klage bleibt ohne Erfolg. Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Die Haftungsbescheide vom 10. Dezember 2019 (StrL xxx/09 -YYY-1-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-2-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-3-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-4-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-5-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-6-12-2019-xxx) und vom 11. Dezember 2019 (StrL xxx/09 -YYY-7-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-8-12-2019-xxx, StrL xxx/09 -YYY-9-12-2019-xxx), jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 27. April 2020, sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.
Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner). Nach § 71 AO haftet derjenige, der eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, u.a. für die verkürzten Steuern.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme nach § 71 AO sind erfüllt:
Die Klägerin ist durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts E vom ... 2017 (xxx (...)) wegen Beihilfe zum gewerbsmäßigen Schmuggel in 103 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen gemäß § 373 Abs. 1 AO, §§ 27, 52 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 5 Monaten verurteilt worden. Nach den in diesem Urteil getroffenen Feststellungen, gegen die von der Klägerin keine substantiierten Einwendungen erhoben werden und die sich der erkennende Senat zu eigen macht (vgl. dazu nur BFH, Beschluss vom 24. September 2013, XI B 75/12, in: juris, Rn. 13 m.w.N.), hat die Klägerin im Zeitraum vom 30. März 2009 bis 28. Juli 2009 vorsätzlich über das von ihr zu diesem Zweck gegründete und geführte Zollbüro F in Vertretung und im Auftrag der Firma A GmbH Waren aus China und Vietnam zum zollrechtlich freien Verkehr mit anschließender steuerbefreiender innergemeinschaftlicher Lieferung unter Angabe von zu niedrigen Zollwerten beim Zollamt in D angemeldet bzw. durch eine angewiesene und angeleitete Mitarbeiterin anmelden lassen, wodurch von der A GmbH geschuldete Einfuhrabgaben, u.a. Zoll und Antidumpingzoll, hinterzogen worden sind. Bei den insoweit betroffenen Tathandlungen der Klägerin handelt es sich ausweislich der Aufstellung in der Tabelle auf Seite 14 bis 18 des Strafurteils u.a. auch um die Einfuhrvorgänge, die unter jeweiliger Bezugnahme auf Fallaktennummer, Datum der Annahme der Zollanmeldung und Containernummer den in den Anlagen zu den angefochtenen Haftungsbescheiden aufgeführten Einfuhrvorgängen entsprechen. Damit hat die Klägerin durch Beihilfe an einer Steuerhinterziehung, zu der entgegen der Auffassung der Klägerin auch die Hinterziehung von Einfuhrabgaben, hier in der Qualifikation des gewerbsmäßigen Schmuggels gemäß § 373 Abs. 1 AO, gehört (vgl. Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: 181. EL Mai 2024, § 373 AO Rn. 1), teilgenommen und haftet für die dadurch verkürzten streitgegenständlichen Einfuhrabgaben.
Der Beklagte hat auch das ihm gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Der erkennende Senat hat insoweit nach § 102 Satz 1 FGO nur zu prüfen, ob die in § 5 AO festgelegten Grenzen des Ermessens über- oder unterschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
Die Ausübung des Entschließungsermessens durch den Beklagten begegnet keinen Bedenken.
Es ist für die Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid und die dabei zu treffende behördliche Ermessensentscheidung vom Bundesfinanzhof entschieden, dass im Fall vorsätzlicher Steuerstraftaten diese Ermessensentscheidung in der Weise vorgeprägt ist, dass es einer besonderen Begründung der Ermessensbetätigung nicht bedarf. Hat jemand als Täter oder - wie im Streitfall die Klägerin - Teilnehmer eine vorsätzliche Steuerstraftat begangen, so ist es im Regelfall billig und gerecht, wenn ihn die Finanzbehörde für den Steuerschaden in Anspruch nimmt, sie würde vielmehr ermessensfehlerhaft handeln, wenn sie den Betreffenden von der Inanspruchnahme freistellte; einer besonderen Begründung für die Ermessensausübung bedarf es in diesen Fällen nicht, wobei die Vorprägung der Ermessensentscheidung nicht nur für die Inanspruchnahme dem Grunde nach, sondern auch für die Inanspruchnahme der Höhe nach gegeben ist (BFH, Urteil vom 2. Dezember 2003, VII R 17/03, in: juris, m.w.N. aus der Rspr.; Urteil vom 8. September 2004, XI R 1/03; Beschluss vom 14. Februar 2006, VII B 119/05, jeweils in: juris). Davon abgesehen kann wegen der dem Steuergläubiger im öffentlichen Interesse obliegenden Aufgabe, die geschuldeten Abgaben nach Möglichkeit zu erheben, der Erlass eines Haftungsbescheids bei Uneinbringlichkeit der Steuerschuld ohnehin nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen ermessensfehlerhaft sein. Deshalb ist das Entschließungsermessen - wie auch im Streitfall - mit dem Hinweis auf die Unmöglichkeit einer Einziehung der rückständigen Steuer durch Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber dem Steuerschuldner - hier nach den nicht in Zweifel zu ziehenden Angaben des Beklagten wegen des über das Vermögen der A GmbH eröffneten und inzwischen abgeschlossenen Insolvenzverfahrens, nach dem Zahlungen nicht mehr zu erwarten sind - ebenfalls regelmäßig ausreichend begründet (BFH, Urteil vom 13. Juni 1997, VII R 96/96; Urteil vom 29. September 1987, VII R 54/84, jeweils in: juris).
Ebenso wenig bestehen Zweifel an der ordnungsgemäßen Ausübung des Auswahlermessens, d.h. der Entscheidung, warum der Haftungsschuldner anstatt des Steuerschuldners oder anstelle anderer ebenfalls für die Haftung in Betracht kommender Personen in Anspruch genommen wird (vgl. BFH, Urteil vom 11. März 2004, VII R 52/02, in: juris), durch den Beklagten.
Der Beklagte hat die Klägerin ausweislich der Begründung der Haftungsbescheide jeweils gemeinsam mit der A GmbH sowie möglichen weiteren Gesamtschuldnern in Anspruch genommen. Dadurch wird deutlich, dass der Beklagte insbesondere auch erkannt hat, dass neben der Klägerin möglicherweise weitere Haftungsschuldner - in Betracht kommen hier die Täter des gewerbsmäßigen Schmuggels, zu dem die Klägerin Beihilfe geleistet hat - ebenfalls zur Auswahl stehen und sie auch insoweit ein Auswahlermessen hat. Dass der Beklagte keine näheren Ausführungen dazu gemacht hat, welche Personen konkret als weitere Haftungsschuldner gegebenenfalls zur Auswahl stehen und ob diese in Anspruch genommen werden, ist in diesem Zusammenhang indes nicht zu beanstanden. Die vorstehend genannten Erwägungen zur Vorprägung der Ermessensentscheidung beanspruchen Gültigkeit nicht nur bei der Inanspruchnahme eines Haftenden für den eingetretenen Steuerschaden, sondern auch bei der Auswahl zwischen mehreren gesamtschuldnerisch verpflichteten Abgabenschuldnern. Auch in diesen Fällen würde es sich regelmäßig als ermessensfehlerhaft darstellen, wenn die Behörde einen Gesamtschuldner, der sich eine vorsätzliche Steuerstraftat hat zu Schulden kommen lassen und damit einen Steuertatbestand verwirklicht hat, von seiner abgabenrechtlichen Verpflichtung freistellte, so dass die Ermessensentscheidung im Sinne einer abgabenrechtlichen Inanspruchnahme des Steuerstraftäters in der Regel vorgeprägt ist, ohne dass es einer besonderen Begründung für diese Ermessensausübung bedarf (BFH, Urteil vom 2. Dezember 2003, VII R 17/03, Beschluss vom 4. März 2005, VII B 154/04, jeweils in: juris). Da sich die Inanspruchnahme der Klägerin in Anbetracht der von ihr begangenen vorsätzlichen Steuerstraftat als grundsätzlich sachgerecht erweist, könnte die Nichtberücksichtigung eines weiteren Gesamtschuldners diese Ermessensausübung nur dann als fehlerhaft erscheinen lassen, wenn die Einbeziehung dieses Gesamtschuldners in die vorzunehmende Abwägung wahrscheinlich dazu geführt hätte, dass der Beklagte gehalten gewesen wäre, diesen Gesamtschuldner vorrangig in Anspruch zu nehmen und von der grundsätzlich gebotenen Inanspruchnahme der Klägerin ausnahmsweise abzusehen. Dies kann jedoch nicht angenommen werden. Da die Freistellung von der Abgabenverpflichtung bei einem Gesamtschuldner, der einen Steuertatbestand durch eine vorsätzliche Steuerstraftat verwirklicht hat, regelmäßig ermessensfehlerhaft ist, kann im Fall von mehreren Gesamtschuldnern, von denen jeder Steuerstraftäter ist, zwischen diesen grundsätzlich nicht in einer Weise differenziert werden, dass nur einer von ihnen abgabenrechtlich in Anspruch genommen wird, ein anderer hingegen nicht (BFH, Urteil vom 2. Dezember 2003, VII R 17/03, in: juris). Daran ändert auch der von der Klägerin angeführte Umstand, dass die aus der Tat gewonnenen wirtschaftlichen Vorteile für sie geringer ausgefallen seien als für die Haupttäter, nichts.
Der Haftungsinanspruchnahme der Klägerin stehen schließlich weder die Haftungsfestsetzungsfrist nach § 191 Abs. 3 AO noch der Ausschlussgrund des § 191 Abs. 5 AO entgegen.
Gemäß § 191 Abs. 3 Satz 1 AO sind die Vorschriften über die Festsetzungsfrist auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist der Erlass eines Haftungsbescheides daher nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfristen für den Erlass der angefochtenen Haftungsbescheide sind entgegen der Auffassung der Klägerin jeweils gewahrt. Die Festsetzungsfrist beträgt gemäß § 191 Abs. 3 Satz 2, 4. Alt. AO in den Fällen des § 71 AO zehn Jahre. Gemäß § 191 Abs. 3 Satz 3 AO beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Der hier maßgebliche Tatbestand, an den das Gesetz gemäß § 71 AO die Haftungsfolge knüpft, ist die Beihilfe der Klägerin zur Hinterziehung von Einfuhrabgaben durch Anmeldung unterfakturierter Waren für die A GmbH, die im Moment der Annahme der jeweiligen Zollanmeldungen zur Entstehung des jeweiligen nach Maßgabe des zutreffenden Zollwerts unverkürzten Steueranspruchs gegenüber der A GmbH gemäß Art. 201 Abs. 1 Buchst. a), Abs. 2, Abs. 3, Unterabs. 1 Satz 1 ZK führte. Da die Annahmen der Zollanmeldungen sämtlich im Jahr 2009 stattfanden, begann die zehnjährige Festsetzungsfrist für alle angefochtenen Haftungsbescheide mit Ablauf des Jahres 2009 und endete dementsprechend mit Ablauf des Jahres 2019. Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO ist die Festsetzungsfrist gewahrt, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist der Steuerbescheid den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat. Dies ist vorliegend zu bejahen, da die streitgegenständlichen Haftungsbescheide vom 10. und 11. Dezember 2019 ausweislich der Angaben in den Sachakten des Beklagten jeweils am 10. bzw. 11. Dezember 2019 zur Post gegeben worden sind.
Der Erlass der Haftungsbescheide ist auch nicht nach § 191 Abs. 5 AO ausgeschlossen. Nach § 191 Abs. 5 Satz 1 AO kann ein Haftungsbescheid nicht mehr ergehen, soweit die Steuer gegen den Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und wegen des Ablaufs der Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann (Nr. 1) oder soweit die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt ist oder die Steuer erlassen worden ist (Nr. 2). Ein Haftungsbescheid ist in dem Zeitpunkt ergangen, in dem er durch seine erstmalige Bekanntgabe gegenüber dem Haftungsschuldner wirksam geworden ist (BFH, Beschluss vom 11. Juli 2001, VII R 28/99, in: juris). Die streitgegenständlichen Haftungsbescheide vom 10. und 11. Dezember 2019 sind ausweislich der Angaben in den Sachakten des Beklagten der Klägerin jeweils am 12. bzw. 13. Dezember 2019 bekanntgegeben worden.
Ein Ausschluss nach § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AO kommt vorliegend nicht in Betracht, da sämtliche Einfuhrabgaben, für die die Klägerin mit den angefochtenen Haftungsbescheiden in Anspruch genommen wird, gegen den Steuerschuldner, die A GmbH, zum Zeitpunkt des Ergehens der Haftungsbescheide am 12. und 13. Dezember 2019 bereits festgesetzt worden waren, nämlich mit den neun Einfuhrabgabenbescheiden vom 23. November 2009, die ihrerseits innerhalb der insoweit geltenden Festsetzungsfristen aus Art. 221 Abs. 3, Abs. 4 ZK, § 169 Abs. 2 Satz 2, 1. Alt. AO ergangen sind.
Ein Ausschluss nach § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AO kommt vorliegend ebenfalls nicht in Betracht.
Zwar sind die festgesetzten Einfuhrabgaben zum Zeitpunkt des Ergehens der Haftungsbescheide am 12. bzw. 13. Dezember 2019 bereits verjährt gewesen, so dass die Voraussetzungen eines Ausschlussgrundes nach § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2, 1. Alt. AO zu bejahen sind: Die gegen die A GmbH mit Bescheiden vom 23. November 2009 jeweils festgesetzten Einfuhrabgaben unterlagen der Zahlungsverjährung gemäß § 228 Satz 1 AO (zum Anwendungsbereich der §§ 228 ff. AO auf Ansprüche aus dem Zollschuldverhältnis Witte, in: Witte, Zollkodex der Union, 8. Aufl. 2022, Art. 124 UZK Rn. 4; Loose, a.a.O., § 228 AO Rn. 1, jeweils m.w.N.). Die Zahlungsverjährung beginnt gemäß § 229 Abs. 1 Satz 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist, hier - da die Einfuhrabgaben jeweils im November 2009 festgesetzt und damit jeweils noch im Jahr 2009 fällig waren, vgl. die regelmäßige Zahlungsfrist von nicht mehr als 10 Tagen ab Zeitpunkt der Mitteilung des geschuldeten Abgabenbetrages an den Zollschuldner gemäß Art. 222 Abs. 1 Buchst. a) Unterabs. 2 ZK - jeweils mit Ablauf des Kalenderjahrs 2009. Die Zahlungsverjährungsfrist betrug vorliegend gemäß § 228 Satz 2 AO in der zum Zeitpunkt der jeweiligen Fälligkeit maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002 (BGBl. I, S. 3866) - zunächst - fünf Jahre. Nach den nicht in Zweifel zu ziehenden Angaben des Hauptzollamts B und des Beklagten war jedoch im März 2010 über das Vermögen der A GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet worden und die Ansprüche gegen die A GmbH aus den festgesetzten Einfuhrabgaben waren im April 2010 im Insolvenzverfahren auch angemeldet worden, so dass die laufende Zahlungsverjährungsfrist mithin gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1, 8. Alt. AO in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002 unterbrochen worden war und mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Insolvenzverfahren beendet wurde, eine neue Verjährungsfrist begann, vgl. § 231 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 AO in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002. Da das Insolvenzverfahren nach den ebenfalls nicht in Zweifel zu ziehenden Angaben des Beklagten durch Beschluss des Amtsgerichts D vom ... 2011 aufgehoben und damit beendet wurde, begann die neue Verjährungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres 2011 und betrug wiederum fünf Jahre gemäß § 228 Satz 2 AO in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002 und endete mithin bereits mit Ablauf des Jahres 2016. Klarstellend sei darauf hingewiesen, dass für die gegen die A GmbH geltend gemachten Steueransprüche die verlängerte zehnjährige Zahlungsverjährungsfrist gemäß § 228 Satz 2, 2. Alt. AO in der ab dem 25. Juni 2017 geltenden Fassung des Gesetzes vom 23. Juni 2017 (BGBl. I, S. 1682) mithin keine Anwendung findet, wovon aber der Beklagte wohl ursprünglich unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich jeweils um Fälle des gewerbsmäßigen Schmuggels im Sinne von § 373 AO handelte, ausgegangen war (vgl. auch § 14 Abs. 5 Einführungsgesetz zur Abgabenordnung - EGAO -, wonach § 228 Satz 2 AO in der am 25. Juni 2017 geltenden Fassung für alle am 24. Juni 2017 noch nicht abgelaufenen Verjährungsfristen gilt).
Auf einen Ausschluss der Haftung nach § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2, 1. Alt. AO kann sich die Klägerin jedoch gemäß § 191 Abs. 5 Satz 2 AO nicht berufen. Nach dieser Vorschrift ist eine Haftung nicht nach § 191 Abs. 5 Satz 1 AO ausgeschlossen, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat. Wie bereits ausgeführt, handelt es sich bei gewerbsmäßigem Schmuggel nach § 373 AO um einen Qualifikationstatbestand der Steuerhinterziehung. Entgegen der Auffassung der Klägerin gilt § 191 Abs. 5 Satz 2 AO auch nicht allein für die täterschaftliche Begehung der Steuerhinterziehung, sondern vielmehr für jede Begehungsform, also - wie im Fall der Klägerin - auch für die Beihilfe (ebenso FG Nürnberg, Urteil vom 1. April 2008, II 127/2005, in: juris; vgl. auch Hessisches FG, Urteil vom 25. August 1999, 7 K 2815/96, in: juris; Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: 279. EL Mai 2024, § 191 AO Rn. 245; wohl auch Loose, a.a.O., § 191 AO Rn. 23; a.A.: Jatzke, in: Gosch, AO/FGO, Stand: 183. EL Mai 2024, § 191 AO Rn. 49; Rüsken, in: Klein, AO, 17. Aufl. 2023, § 191 Rn. 172; offen gelassen von BFH, Urteil vom 21. November 2000, VII R 8/00, in: juris). Der erkennende Senat vertritt insoweit die Auffassung, dass dieser Auslegung zum einen nicht bereits der Wortlaut der Vorschrift zwingend entgegensteht und sich zudem aus einer an Systematik und Sinn und Zweck orientierten Normauslegung ergibt, dass die Durchbrechung der Haftungsbeschränkung gleichermaßen für Täter und Teilnehmer von Steuerhinterziehung und Steuerhehlerei gelten muss. Der Wortlaut der Vorschrift des § 191 Abs. 5 Satz 2 AO enthält keine ausdrückliche Beschränkung auf eine täterschaftliche Begehungsform von Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei. Vielmehr bezieht sich der Wortlaut mit dem Verweis auf das "Begehen" von Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei auf die Definition der Steuerhinterziehung in § 370 Abs. 1 AO bzw. die Definition der Steuerhehlerei in § 374 Abs. 1 AO, die jeweils nicht nach Täterschaft und Teilnahme differenzieren, während die Strafbarkeit des Teilnehmers allein aus §§ 26, 27 StGB folgt (vgl. in diesem Zusammenhang zur Vorgängervorschrift des § 71 AO, die nur an die "Begehung" einer Steuerhinterziehung anknüpfte, auch die Rechtsprechung des BFH, wonach unter den Begriff der Begehung auch die Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung zu subsumieren war, BFH, Urteil vom 12. April 1983, VII R 3/80, in: juris). Auch ergibt sich etwas anderes nicht aus einem Vergleich mit dem Wortlaut der Vorschriften der §§ 70 Abs. 1 ("Wenn die in §§ 34 und 35 bezeichneten Personen ... eine Steuerhinterziehung begehen .... oder an einer Steuerhinterziehung teilnehmen") und 71 AO ("Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, ..."), in denen jeweils Täterschaft und Teilnahme ausdrücklich gleichgestellt werden. Ein Gegenschluss, dass in § 191 Abs. 5 Satz 2 AO mangels ausdrücklicher Erwähnung die Teilnahme nicht erfasst sein könne, drängt sich insofern nicht auf. Vielmehr sind die Vorschriften in ihrem Normkontext zu betrachten, der dafür spricht, dass der Gesetzgeber die durchgängige haftungsrechtliche Gleichstellung von Täterschaft und Teilnahme in nachfolgenden Absätzen ein und derselben Vorschrift jeweils vorausgesetzt hat. So ist in § 70 Abs. 2 Satz 2 AO geregelt, dass die (in Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift vorgesehene) Nichtanwendung des Absatzes 1, also die Nichtanwendung der Rechtsfolge der Haftung der Vertretenen der Personen, die eine Steuerhinterziehung (oder eine leichtfertige Steuerverkürzung) begehen oder an einer Steuerhinterziehung teilnehmen, auch gilt, wenn die Vertretenen denjenigen, der die Steuerhinterziehung oder die leichtfertige Steuerverkürzung begangen hat, sorgfältig ausgewählt und beaufsichtigt haben. Dass die Haftung des Vertretenen aber nur dann ausgeschlossen sein soll, wenn sich die sorgfältige Auswahl und Beaufsichtigung auf den Täter einer Steuerhinterziehung bezieht, nicht jedoch bei der sorgfältigen Auswahl und Beaufsichtigung eines bloßen Teilnehmers einer Steuerhinterziehung, ergibt keinen Sinn. Ebenso verhält es sich beim Normkontext des § 191 AO. Auch hier wird über die Verweisung in § 191 Abs. 3 Satz 2 AO ("in den Fällen des § 71") zunächst Täterschaft und Teilnahme im Zusammenhang mit der Begehung einer Steuerhinterziehung (bzw. Steuerhehlerei) ausdrücklich gleichgestellt, während in § 191 Abs. 5 Satz 2 AO diese ausdrückliche Gleichstellung - wie bei § 70 Abs. 2 Satz 2 AO - nicht erneut ausdrücklich erfolgt. Gleichwohl kann auch hier nur eine innerhalb derselben Vorschrift durchgängige haftungsrechtliche Gleichstellung von Täterschaft und Teilnahme gemeint sein, anderenfalls eine ausdrückliche abweichende Formulierung, die die Begehungsform der Teilnahme ausdrücklich ausschließt, zu erwarten gewesen wäre (vgl. in diesem Sinne ebenso Hessisches FG, a.a.O.). Dafür spricht übrigens auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift des § 191 Abs. 5 AO. Aus der Intention des Gesetzgebers, die Vorschrift im Rahmen des Steuerbereinigungsgesetzes 1985 nicht zu ändern, weil praktische Schwierigkeiten bei der bisher geltenden Vorschrift nicht bekannt geworden seien, wurde der im Regierungsentwurf u.a. vorgesehene Änderungsvorschlag einer klarstellenden Regelung, dass der Haftungsausschluss nach § 191 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 und 2 AO auch für Teilnehmer an einer Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei nicht gelten solle, nicht übernommen (vgl. die Darstellung bei Boeker, a.a.O., § 191 AO Rn. 2 f. unter Verweis auf BT-Drs. 10/1636, 8, 48 und BT-Drs. 10/4513, 11). Schließlich gebietet auch der Sinn und Zweck des § 191 Abs. 5 Satz 2 AO, nämlich die Einschränkung der Durchbrechung der Haftungsbeschränkung, diese auf die Haftung eines Teilnehmers einer Steuerhinterziehung nach § 71 AO anzuwenden (ebenso FG Nürnberg, a.a.O., Hessisches FG, a.a.O). Entgegen der Auffassung der Klägerin kann im Fall der Begehungsform der Teilnahme an einer Steuerhinterziehung - anders als beispielsweise bei einer bloß leichtfertigen Steuerverkürzung - nicht von vornherein auf eine weniger verwerfliche Begehung geschlossen werden, die eine Durchbrechung der Haftungsbeschränkung rechtfertigen würde.
Schließlich bestehen auch an der durch Einfuhrabgabenbescheide vom 23. November 2009 (AT/S/00/XXX-1 bis AT/S/00XXX-2, letzterer geändert durch Einfuhrabgabenbescheid vom 14. April 2010 AT/S/00/XXX-3) festgesetzten Höhe des hinterzogenen Zolls und Antidumpingzolls und an der Höhe der dementsprechend festgesetzten Haftungsbeträge keine Bedenken, zumal auch die Klägerin diesbezüglich keine Einwendungen erhebt. Sofern - wie im Streitfall wegen der fehlenden Existenz des angegebenen Verkäufers der eingeführten Waren gegeben - wegen begründeter Zweifel davon ausgegangen werden kann, dass die angemeldeten Zollwerte nicht den gezahlten oder zu zahlenden Preisen entsprechen, und andere verwertbare Angaben nicht vorliegen, kann eine Schätzung der angenommenen Zollwerte beispielsweise in Anlehnung an statistisch aus ATLAS ermittelte Durchschnittspreise für Waren der gleichen Unterposition im gleichen Zeitraum eine zweckmäßige Methode zur Zollwertermittlung sein (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 4. März 2014, 4 K 117/13, in: juris, Rn. 26 ff.; FG Düsseldorf, Urteil vom 19. März 2014, 4 K 697/13 Z, in: juris, Rn. 63). Anhaltspunkte dafür, dass die erfolgte Zollwertermittlung, die auch Gegenstand der strafgerichtlichen Feststellungen im Zusammenhang mit dem entstandenen Zollschaden gewesen und in einer als Anlage zum Urteil beigefügten Tabelle jeweils betragsmäßig dokumentiert ist (vgl. Strafverfahrensakte der Staatsanwaltschaft E xxx, Band X, Bl. 87 ff.), unzutreffend sein könnte, drängen sich nicht auf.
Auch die Zahlungsaufforderung in den Haftungsbescheiden ist nicht zu beanstanden, da die Voraussetzungen des § 219 AO gegeben sind. Gemäß § 219 Satz 1 AO ist aufgrund des Umstandes, dass nach dem beendeten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A GmbH keine Zahlungen mehr zu erwarten sind, anzunehmen, dass eine Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners aussichtslos sein würde. Ob zulasten der Klägerin bereits § 219 Satz 2 AO, wonach die Einschränkung des § 219 Satz 1 AO nicht gilt, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat, greift, kann mithin dahin gestellt bleiben (verneinend für Beihilfe zur Steuerhinterziehung Loose, a.a.O., § 219 AO Rn. 10 m.w.N.; Jatzke, a.a.O., § 219 AO Rn. 13).
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war zuzulassen. Die Sache hat grundsätzliche Bedeutung, zudem dient sie der Fortbildung des Rechts, da zur Auslegung des § 191 Abs. 5 Satz 2 AO im Hinblick auf die Frage der Begehungsform der Steuerhinterziehung noch keine obergerichtliche Rechtsprechung vorliegt, § 115 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, 1. Alt. FGO.
RechtsgebietAOVorschriften§ 191 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 Alt. 1, S. 2 AO