25.08.2022 · IWW-Abrufnummer 230933
Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Beschluss vom 04.05.2022 – 7 V 7023/22
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Antragstellerin,
bevollmächtigt:
gegen
das Finanzamt,
Antragsgegner,
den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...,
die Richterin am Finanzgericht ... und
die Richterin ...
beschlossen:
Tenor:
Die Kosten des Verfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Gründe
Die Beteiligten streiten darum, ob der Antragsgegner zu Recht die Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der Antragstellerin begrenzt hat.
Die Antragstellerin wurde in 07/2020 gegründet. Ihr Gegenstand ist der Handel insbesondere von Kraftfahrzeugen, einschließlich Im- und Export.
Nach Eingang der steuerlichen Anmeldung teilte der Antragsgegner der Antragstellerin am 24.09.2020 mit, dass sie unter der im Rubrum genannten Steuer-Nummer u.a. für Umsatzsteuer geführt werde. In der Folge erteilte das Bundeszentralamt für Steuern -BZSt- der Antragstellerin eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer.
Die Antragstellerin meldete ab dem II. Quartal 2021 innergemeinschaftliche Lieferungen (im gesamten Veranlagungszeitraum 2021: 1.917.500,00 €) und Erwerbe sowie Vorsteuer aus innergemeinschaftlichen Erwerben an. Ausweislich der Zusammenfassenden Meldungen für das II. und III. Quartal 2021 waren ihre Abnehmer ausschließlich Inhaber ungarischer Umsatzsteuer-Identifikationsnummern.
Am 16.08.2021 wies der Antragsgegner die Antragstellerin darauf hin, dass nach seinen Erkenntnissen der damalige Gesellschafter-Geschäftsführer der Antragstellerin, Herr B..., seit Jahren als Einzelhändler mit gebrauchten Kraftfahrzeugen handele und dabei europaweit mehrfach ehemalige Vertragspartner als sog. "Missing Trader"oder Scheinunternehmen eingestuft worden seien. Der Antragsgegner forderte die Antragstellerin auf, zur Vermeidung solcher Feststellungen die künftigen Vertragspartner der Antragstellerin anhand mehrerer, im Einzelnen aufgeführten Kriterien zu überprüfen. Wegen der Einzelheiten nimmt das Gericht Bezug auf Bl. 5 f. der Akte "Vorgang USt-ID". Dem trat die Antragstellerin teilweise entgegen. Am 02.11.2021 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass 3 der Abnehmer der Antragstellerin von der ungarischen Steuerverwaltung als "Missing Trader"bzw. Scheinfirmen eingestuft worden seien und dass er für die übrigen Abnehmer Auskunftsersuchen bei der ungarischen Steuerverwaltung gestellt habe. Danach werde er eine Begrenzung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer gemäß § 27a Abs. 1a Umsatzsteuergesetz -UStG- prüfen.
Am 05.01.2022 teilte der Antragsgegner dem BZSt (jedoch nicht der Antragstellerin) mit, dass er die Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer gemäß § 27a Abs. 1a UStG zum 10.01.2022 begrenzt habe, was das BZSt am gleichen Tag bestätigte.
In der Folge erhielt die Antragstellerin im Zuge von Ankaufsbemühungen bei dem von ihr genutzten Online-Portal die Nachricht, dass ihre Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ungültig sei. Daraufhin beantragte die Antragstellerin am 13.01.2022, die Begrenzung aufzuheben, was der Antragsgegner am 18.01.2022 ablehnte.
Am 20.01.2022 führte der Antragsgegner bei der Antragstellerin eine Umsatzsteuer-Nachschau durch, indem er das Grundstück, das die Antragstellerin als Geschäftsanschrift angegeben hatte, in Augenschein nahm. Wegen des Ergebnisses der Inaugenscheinnahme nimmt das Gericht auf den Aktenvermerk vom 21.01.2021 (Bl. 22 bis 26 Akte "Vorgang USt-ID") Bezug.
Gegen den Bescheid vom 18.01.2022 hat die Antragstellerin am 08.02.2022 Einspruch eingelegt und bei Gericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 Finanzgerichtsordnung -FGO- gestellt.
Mit Bescheid vom 07.03.2022 hat der Antragsgegner den Ablehnungsbescheid vom 18.01.2022 aufgehoben und einen Bescheid über die Begrenzung der der Antragstellerin erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erlassen, mit dem diese mit Wirkung ab dem 10.03.2022 gemäß § 27a Abs. 1a UStG begrenzt worden ist. Den Einspruch vom 08.02.2022 hat der Antragsgegner als erledigt angesehen. In einer Anlage zum Bescheid listet der Antragsgegner die Ergebnisse zu Auskunftsersuchen über 9 von der Antragstellerin in ihren Zusammenfassenden Meldungen benannte Abnehmer auf. Danach hat keiner von ihnen Zusammenfassende Meldungen abgegeben oder innergemeinschaftliche Erwerbe erklärt. In keinem Fall konnte die ungarische Steuerverwaltung einen Kontakt zu den Abnehmern herstellen, wobei die registrierten Anschriften in 8 Fällen auf Büroserviceunternehmen lauteten. Aufzeichnungen im ungarischen Kontrollsystem für Warenlieferungen EKAER hat die ungarische Steuerverwaltung in 6 Fällen verneint und im Übrigen dazu keine Angaben gemacht. Die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers C... sei bereits im III. Quartal 2021 ungültig geworden, der Abnehmer als Scheinfirma in der Datenbank "Zauber"hinterlegt. Wegen weiterer zwei Abnehmer liefen noch Ermittlungen. Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht auf die Anlage zum Bescheid vom 07.03.2022 Bezug. Daraus folgerte der Antragsgegner, dass die der Antragstellerin erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer zur Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens verwendet werde.
Die Antragstellerin macht geltend, ihr stehe sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch zu. Das Geschäftsmodell der Antragstellerin bestehe vorwiegend darin, über das Internet gebrauchte PKW (Leasingrückläufer) bei belgischen oder dänischen Leasinggesellschaften zu kaufen und im Wege von Abhollieferungen an ungarische Abnehmer mit ungarischer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer zu verkaufen. Dieses Geschäftsmodell komme zum Erliegen, wenn sie über keine gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer mehr verfüge, da diese für die bisher durchgeführten Umsätze erforderlich sei. Daraus resultiere der Anordnungsgrund. Der Anordnungsanspruch ergebe sich aus § 6a UStG i.V. mit §§ 17a, 17c Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung -UStDV-. Die Antragstellerin sei in der Vergangenheit ihren Erklärungs- und Zahlungspflichten ordnungsgemäß nachgekommen und steuerlich zuverlässig gewesen.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 114 FGO zu verpflichten, einstweilen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Begrenzung ihrer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aufzuheben.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Es fehle an einem Anordnungsgrund, da die Antragstellerin nicht gehindert sei, am inländischen Warenverkehr teilzunehmen, so dass es an der dargelegten Existenzgefährdung fehle. Jedenfalls wiege das öffentliche Interesse, Umsatzsteuerbetrug zu verhindern und damit das Steueraufkommen als Allgemeingut zu sichern, schwerer als das Interesse des inländischen Antragstellers, unbeschränkten Zugang zum innergemeinschaftlichen Warenverkehr zu haben. Jedenfalls fehle es an einem Anordnungsanspruch. Der Antragsteller wiederholt im Wesentlichen die Erwägungen aus seinem Bescheid vom 07.03.2022, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.
Ferner hat der Antragsgegner auf Übermittlungswegen, die nicht den Anforderungen des § 52d Satz 1 FGO entsprechen, einen Schriftsatz vom 22.04.2022 übermittelt, ohne Gründe, die der elektronischen Übermittlung gemäß § 52d Satz 1 FGO entgegenstanden, mitzuteilen und glaubhaft zu machen.
Dem Gericht haben je eine Betriebs-, Dauerbeleg-, Vertrags- und Körperschaftsteuerakte sowie eine Akte "Vorgang USt-ID"vorgelegen, die der Antragsgegner für die Antragstellerin unter der Steuer-Nr. ... führt.
II.
1. Der Antrag ist zulässig.
Der von der Antragstellerin gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung i.S. des § 114 FGO ist statthaft.
Die Beteiligten streiten im Verwaltungsverfahren in einem anhängigen Einspruchsverfahren über die Rechtmäßigkeit eines Bescheids über einen Antrag auf Aufhebung durch Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts i.S. des § 130 Abgabenordnung -AO-, so dass im Hauptsacheverfahren die Verpflichtungsklage die zulässige Klageart wäre. Dazu ist typischerweise der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung das statthafte Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. Gräber/Stapperfend, FGO, 9. Aufl. 2019, § 114 Rn. 21).
a) Da die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer nach wohl allgemeiner Auffassung durch Verwaltungsakt erteilt wird (Gehm in Hartmann/Metzenmacher, UStG, Stand: 8. Ergänzungslieferung 2016, § 27a Rn. 13; Leipold in Sölch/Ringleb, UStG, Stand: EL 93 Oktober 2021, § 27a Rn. 15, jeweils m.w.N.), kann folgerichtig ihre Begrenzung nach § 27a Abs. 1a AO ebenfalls nur durch Verwaltungsakt erfolgen (Leipold in Sölch/Ringleb, UStG, Stand: EL 93 Oktober 2021, § 27a Rn. 18c; Wäger/Burgmaier, UStG, 2. Aufl. 2022, § 27a Rn. 5; Kemper, Umsatzsteuer-Berater -UStB- 2021, 90 [92, Fußn. 21]).
Der Antrag der Antragstellerin vom 12.01.2022 ist als Antrag auf Aufhebung der Begrenzung der Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer gemäß § 130 AO auszulegen. Die von Angehörigen der steuerberatenden Berufe vertretene Antragstellerin hat in diesem Schreiben keine Formulierungen verwendet, die auf einen Einspruch hindeuten. So hat offenbar auch der Antragsgegner den Schriftsatz verstanden, da er den Antrag mit der Verfügung vom 18.01.2022, die mit einer "Rechtsbehelfsbelehrung Einspruch"versehen war, abgelehnt hat. Ferner spricht für diese Auslegung, dass die Antragstellerin am 08.02.2022 gegen diesen Bescheid Einspruch eingelegt und bei Gericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung i.S. des § 114 FGO gestellt hat. Hätte sie mit ihrem Schreiben vom 12.01.2022 Einspruch gegen die ursprüngliche Begrenzung der Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer eingelegt, hätte es keines erneuten Einspruchs bedurft. Ferner wäre wohl der Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO der statthafte Rechtsbehelf des einstweiligen Rechtsschutzes gewesen, da sich die Begrenzung der Gültigkeit der bereits erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer nicht als bloße Negation darstellt (im Ergebnis gleicher Auffassung Sterzinger, Umsatzsteuer-Rundschau -UR- 2020, 941 [948]; Leipold in Sölch/Ringleb, UStG, Stand: EL 93 Oktober 2021, § 27a Rn. 18c; Baumgartner in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, Stand: 339. Lieferung 12.2021, § 27a Rn. 7). Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsgegner die am 05.01.2022 gegenüber dem BZSt mitgeteilte Begrenzung der Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der Antragstellerin nicht wirksam bekanntgegeben hatte. Denn auch gegen unwirksame Verwaltungsakte ist Rechtsschutz durch einen Einspruch zulässig (vgl. z.B. Bundesfinanzhof -BFH-, Beschluss vom 16.09.2004 - VII B 20/04, BFH/NV 2005, 231).
b) Der Einspruch vom 08.02.2022 ist nach wie vor anhängig, da der Bescheid vom 07.03.2022 gemäß § 365 Abs. 3 AO zum Gegenstand des Einspruchsverfahren geworden ist.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners hat sich der Einspruch vom 08.02.2022 nicht durch den Bescheid vom 07.03.2022 erledigt. Zwar hat der Antragsgegner damit den Rechtsschein der am 05.01.2022 gegenüber dem BZSt erfolgten Begrenzung der Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer beseitigt. Mit der dem Wortlaut nach erfolgten Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 18.01.2022 hat sich aber gleichwohl das Einspruchsbegehren der Antragstellerin nicht erledigt, da der Antragsgegner mit dem gleichen Schriftstück erneut die Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer begrenzt hat, wenn auch auf einen zwei Monate späteren Zeitraum, den Tag der mutmaßlichen Bekanntgabe des Bescheids vom 07.03.2022. Darin ist nach seinen tatsächlichen Auswirkungen nur eine Teilstattgabe zu sehen, die zudem ohne jegliche praktische Relevanz sein dürfte, weil Dritte, die die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der Antragstellerin zwischen dem 10.01.2022 und dem 10.03.2022 abgefragt haben, wohl durchgehend die Auskunft "ungültig"erhalten haben dürften.
Soweit im Rahmen eines Einspruchsverfahren, das sich gegen die Ablehnung eines Antrags auf Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsaktes richtet, ein weiterer Bescheid ergeht, der dem ursprünglichen Aufhebungs- oder Änderungsantrag nicht vollständig entspricht, wird der weitere Bescheid gemäß § 365 Abs. 3 AO zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens, weil auch insoweit der Sinn und Zweck des § 365 Abs. 3 AO erfüllt wird, dem Steuerpflichtigen bei einem materiell nicht erledigten Einspruchsverfahren die erneute Einspruchseinlegung zu ersparen (vgl. BFH, Urteil vom 05.07.1991 - III R 3/87, Bundessteuerblatt -BStBl.- II 1991, 854; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: 259. Lieferung 08.2020, § 365 AO Rn. 244a; L'habitant, AO-Steuerberater -AO-StB- 2019, 190 [193]). In die gleiche Richtung weist, dass nach § 365 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AO auch ein Verwaltungsakt zum Gegenstand des Einspruchsverfahren wird, der an die Stelle eines angefochtenen unwirksamen Verwaltungsakts tritt. Schließlich hat der Antragsgegner mit dem Bescheid vom 07.03.2022 konkludent an der Ablehnung des weitergehenden Aufhebungsantrags der Antragstellerin vom 12.01.2022 festgehalten.
c) Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen hätte die Antragstellerin auch gegen den Bescheid vom 07.03.2022 erneut Einspruch einlegen und einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stellen können. Nach Aktenlage hat die Antragstellerin jedoch davon abgesehen, so dass der hiesige Antrag nicht gemäß § 114 Abs. 5 FGO subsidiär gegenüber einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist (Gräber/Stapperfend, FGO, 9. Aufl. 2019, § 114 Rn. 20).
2. Der Antrag ist unbegründet.
Die Antragstellerin hat zwar einen Anordnungsgrund dargelegt und glaubhaft gemacht, jedoch keinen Anordnungsanspruch.
a) aa) Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen. Voraussetzung hierfür ist, dass der im Hauptsacheverfahren geltend gemachte oder geltend zu machende Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) bezeichnet und glaubhaft gemacht werden (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. mit § 920 Abs. 3 Zivilprozessordnung -ZPO-; Gräber/Stapperfend, FGO, 9. Aufl. 2019, § 114 Rn. 24, 26). Bezeichnung und Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs bedeuten, dass der Antragsteller den Anspruch rechtlich schlüssig darlegen und dessen tatsächliche Voraussetzungen glaubhaft machen muss (§ 294 ZPO). Zum Anordnungsgrund muss er darlegen und glaubhaft machen, dass die einstweilige Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die anderen Gründe müssen ähnlich wichtig und bedeutsam sein wie die ausdrücklich genannten (vgl. z. B. BFH, Beschlüsse vom 24.05.2016 - V B 123/15, BFH/NV 2016, 1253; vom 22.12. 2006 - VII B 121/06, BStBl. II 2009, 839). Das Interesse des Antragstellers und das öffentliche Interesse sind gegeneinander abzuwägen. Die einstweilige Anordnung ist nötig im Sinn des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO, wenn das Interesse des Antragstellers an der erstrebten Anordnung das öffentliche Interesse an der Beibehaltung des gegenwärtigen Zustandes überwiegt und die Maßnahme unumgänglich ist, um ihn gegen wesentliche Nachteile zu schützen. Die Gründe müssen schwerwiegend sein, bloße Rechtsbenachteiligungen genügen nicht (vgl. BFH, Beschluss vom 08.02.1988 - IV B 102/87, BStBl. II 1988, 514, 515). Die Nachteile müssen über diejenigen hinausgehen, die üblicherweise mit der Pflicht zur Zahlung von Steuern verbunden sind (BFH, Beschluss vom 07.01.1993 - VII B 125/92, BFH/NV 1994, 480). Denn die für eine einstweilige Anordnung sprechenden Gründe müssen so schwerwiegend sein, dass sie den Erlass der Anordnung unabweisbar machen. Ein Anordnungsgrund besteht demnach dann, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist (BFH, Beschlüsse vom 24.05.2016 - V B 123/15, BFH/NV 2016, 1253; vom 22.12.2006 - VII B 121/06, BStBl. II 2009, 839, Finanzgericht - FG- Hamburg, Beschluss vom 25.01.2018 - 2 V 336/17, juris).
bb) Ausgehend von diesen Kriterien besteht der Anordnungsgrund. Nach Aktenlage hat die Antragstellerin seit ihrer Gründung ausschließlich im Kraftfahrzeughandel über die Grenzen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union Umsätze erzielt. Dafür ist faktisch Voraussetzung, dass die Antragstellerin über eine gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verfügt. Da dies zwischen den Beteiligten unstreitig ist, sieht das Gericht von einer genaueren Herleitung anhand der einschlägigen Vorschriften ab. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners kann die Antragstellerin nicht darauf verwiesen werden, dass sie Umsätze im innerdeutschen Handel erzielen könne. Denn dadurch würden die geschäftlichen Kontakte und Erfahrungen, die die Grundlage und das Ergebnis der bisherigen geschäftlichen Tätigkeit der Antragstellerin waren, vollständig entwertet.
b) Der Antragsgegner hat jedoch zu Recht einen Anordnungsanspruch versagt. Nach der im Verfahren nach § 114 FGO gebotenen summarischen Prüfung unter Berücksichtigung des vorliegenden Akteninhalts (vgl. Gräber/Stapperfend, FGO, § 114 Rn. 65 f.) ist nicht zu erwarten, dass durch die Aufrechterhaltung der vom Antragsgegner vorgenommenen Begrenzung der Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der Antragstellerin deren Rechte verletzt werden.
aa) Eine Prüfung in der Sache ist nicht bereits deshalb entbehrlich, weil die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts im Ermessen der Finanzbehörde steht (Klein/Rüsken, 15. Aufl. 2020, § 130 Rn. 27) und es regelmäßig ermessensgerecht ist, wenn die Behörde es ablehnt, einen bestandskräftigen Verwaltungsakt zurückzunehmen, den der Steuerpflichtige in zumutbarer Weise hätte mit dem Einspruch und/oder der Klage hätte anfechten können (Klein/Rüsken, 15. Aufl. 2020, § 130 Rn. 29 f.). Denn darauf hat sich der Antragsgegner nach Aktenlage bisher nicht berufen, sondern die Ablehnung der Aufhebung mit der Rechtmäßigkeit seines Handelns begründet. Wäre diese Annahme falsch, hätte der Antragsgegner einen nach § 102 FGO zu berücksichtigenden Ermessensfehler begangen, da die falsche Einschätzung der Rechtslage und damit einer für die Ermessensentscheidung wesentlichen Grundlage einen vom Gericht zu berücksichtigenden Ermessensfehler darstellt (vgl. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: 255. Lieferung 10.2019, § 102 FGO Rn. 87). Im Streitfall geht der Antragsgegner jedoch zu Recht davon aus, dass die Begrenzung der Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer durch den Bescheid vom 07.03.2022 rechtmäßig ist.
bb) Der Antragsgegner war sachlich und örtlich zuständig, den Bescheid vom 07.03.2022 zu erlassen. Gemäß § 27a Abs. 1a Satz 1 UStG ist für die Begrenzung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer das nach § 21 AO für die Umsatzbesteuerung zuständige Finanzamt zuständig, im Streitfall der Antragsgegner. Dass damit eine andere Behörde als das BZSt, das gemäß § 27a Abs. 1 UStG die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erteilt hat, für die Begrenzung zuständig ist, steht im gesetzgeberischen Ermessen und erscheint angesichts der größeren Sachnähe der nach § 21 AO zuständigen Finanzämter auch als nicht offenkundig willkürlich (vgl. Baumgartner in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, Stand: 339. Lieferung 12.2021, § 27a Rn. 7). Soweit Sterzinger (UR 2020, 941 [948]) der Auffassung ist, dass das BZSt den Verwaltungsakt erlasse, mit dem die Begrenzung i.S. des § 27a Abs. 1a UStG erfolge, ist dies mit der vorliegenden Aktenlage nicht vereinbar. Das BZSt ist im Zusammenhang mit den streitbefangenen Vorgängen lediglich als eine Art Bote tätig geworden.
cc) Die Regelung des § 27a Abs. 1a UStG ist mit dem Unionsrecht vereinbar. Zwar sieht Art. 214 Mehrwertsteuersystemrichtlinie -MwStSystRL-, der die unionsrechtliche Grundlage für die Erteilung von Umsatzsteuer-Identifikationsnummern ist, nicht ausdrücklich die Möglichkeit vor, Umsatzsteuer-Identifikationsnummern löschen oder begrenzen zu lassen. Jedoch ist in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt, dass zum Schutz des Steueraufkommens der Mitgliedstaaten/zur Verhinderung der missbräuchlichen Nutzung von Umsatzsteuer-Identifikationsnummern deren Erteilung versagt werden kann (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union -EuGH-, Urteil vom 14.03.2013 - C-527/11 - Ablessio, Mehrwertsteuerrecht -MwStR- 2013, 193, Rn. 30), so dass ebenso eine nachträgliche Einschränkung oder Aufhebung möglich sein muss. Dementsprechend werden auch in der Literatur keine oder jedenfalls keine grundsätzlichen Einwände gegen eine Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht erhoben (Leipold in Sölch/Ringleb, UStG, Stand: EL 93 Oktober 2021, § 27a Rn. 18; Baumgartner in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, Stand: 339. Lieferung 12.2021, § 27a Rn. 7).
dd) Die in § 27a Abs. 1a UStG genannten Merkmale und Begriffe "ernsthafte Anzeichen", "dass die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer zur Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens verwendet wird"und "Begrenzung"sind nicht in rechtsstaatswidriger Weise unbestimmt (vgl. Sachs, Grundgesetz -GG-, 9. Aufl. 2021, Art. 20 Rn. 126 ff. m.w.N.; zweifelnd Kemper, UStB 2021, 90 [92 f.]). Die zuvor genannten Merkmale sind der Rechtsprechung des EuGH entlehnt, die - ebenso wie die darauf aufbauende Rechtsprechung des BFH - konkretisiert hat, wann dem Fiskus geschuldete Umsatzsteuereinnahmen in einer Weise gefährdet oder verkürzt werden, dass es gerechtfertigt ist, dem Wortlaut der MwStSystRL und des UStG nach bestehende Rechte einzuschränken (vgl. z.B. EuGH, Urteile vom 18.12.2014 - C-131/13 u.a. - Schoenimport "Italmoda", MwStR 2015, 87; vom 14.06.2017 - C-26/16 - Santogal, UR 2017, 539, Rn. 70 ff.; BFH, Urteile vom 18.02.2016 - V R 62/14, BStBl. II 2016, 589; vom 14.02.2019 - V R 47/16, BStBl. II 2020, 424; Beschlüsse vom 02.07.2021 - XI R 40/19, juris; vom 20.10.2021 - XI R 19/20, juris). So verwendet auch der EuGH den Begriff der "Gefährdung des Steueraufkommens", wenn in einem Einzelfall die Gefahr besteht, dass ein Steuerpflichtiger aufgrund einer unberechtigt ausgewiesenen Steuer den Vorsteuerabzug in Anspruch nimmt (EuGH, Urteile vom 11.04.2013 - C-138/12 - Rusedespred, MwStR 2013, 234, Rn. 24, 27 ff.; vom 08.05.2019 - C-712/17 - EN.SA., UR 2019, 469, Rn. 31 ff.; vom 02.07.2020 - C-835/18 - Terracult, UR 2020, 685, Rn. 28; vom 18.03.2021 - C-48/20 - P. (Cartes de carburant), MwStR 2021, 496, Rn. 27; vgl. im Übrigen z.B. EuGH, Urteile vom 11.06.2020 - C-146/19 - SCT, MwStR 2020, 707, Rn. 38 ff.; vom 06.10.2021 - C-717/19 - Boehringer Ingelheim, MwStR 2021, 930, Rn. 62). In diesem Sinne wird der Begriff auch in § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG verwendet. Es ist daher nicht erforderlich, dass der drohende oder eingetretene steuerliche Schaden die Grundfesten der Haushaltswirtschaft erschüttert (vgl. Leipold in Sölch/Ringleb, UStG, Stand: EL 93 Oktober 2021, § 27a Rn. 18a). Zum Begriff der Begrenzung siehe II. 2. b) ff).
ee) Der Antragsgegner geht zu Recht davon aus, dass die Verwendung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der Antragstellerin i.S. des § 27a Abs. 1a UStG das Umsatzsteueraufkommen - jedenfalls das eines Mitgliedstaats - gefährdet.
Der Antragsgegner hat unter Vorlage von Ausdrucken der ihm von der ungarischen Steuerverwaltung erteilten Auskünfte (in der Akte "Vorgang USt-ID") unwidersprochen vorgetragen, dass bei keinem der unter einer ungarischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aufgetretenen Abnehmer die Vornahme der Erwerbsbesteuerung feststellbar war und bei der weit überwiegenden Mehrheit der Abnehmer feststand, dass diese nicht erfolgt ist. Damit drängt sich eine Gefährdung des Steueraufkommens des Mitgliedstaats Ungarn oder alternativ Deutschlands oder eines anderen Mitgliedstaats auf.
Dem steht nicht entgegen, dass dem Erwerber grundsätzlich der Vorsteuerabzug nach Art. 168 Buchst. c) MwStSystRL zustand. Denn dies würde nach dieser Vorschrift voraussetzen, dass der Erwerber das Fahrzeug für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet. Ferner ist auch denkbar, dass Erwerber die Erwerbsbesteuerung trotz des damit korrespondierenden Vorsteuerabzugs unterlassen, um zu verdecken, dass sie im Zielstaat steuerpflichtige Umsätze aus der Weiterveräußerung unbesteuert lassen. Schließlich könnte die fehlende Erwerbsbesteuerung auch darauf hindeuten, dass die Fahrzeuge Deutschland nicht verlassen haben, so dass die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit als innergemeinschaftliche Lieferung i.S. des § 6a UStG nicht gegeben wären oder dass die Fahrzeuge in einen unbekannten Drittstaat verbracht wurden, wo sie ebenfalls der Erwerbsbesteuerung entzogen wurden.
Die geschilderte Häufung von Ausfällen bei der gesetzlich gebotenen Erwerbsbesteuerung, die nahezu ausschließliche Ansässigkeit der Vertragspartner der Antragstellerin bei sog. Büroserviceunternehmen und deren nahezu ausschließliche Kontaktverweigerung gegenüber der ungarischen Steuerverwaltung lassen es als fernliegend erscheinen, dass die Antragstellerin die gebotenen Sorgfaltspflichten bei der Anbahnung und Durchführung der Geschäftsbeziehungen hat walten lassen. Sie hat mit Schriftsatz vom 30.09.2021 an den Antragsgegner eingeräumt, dass jedenfalls zu gewissen, ihr vom Antragsgegner in seiner Verfügung vom 16.08.2021 nahegelegten Prüfungshandlungen Anlass bestand. Die Antragstellerin hat jedoch weder im Einzelnen dargelegt, noch glaubhaft gemacht, dass sie diese Prüfungshandlungen (und sei es auch nur in dem von ihr als geboten eingeräumten Umfang) vorgenommen hat.
Angesichts der danach anzunehmenden erheblichen Pflichtverletzungen und der im Rumpfwirtschaftsjahr angemeldeten innergemeinschaftlichen Lieferungen in Höhe von 1.917.500,00 € erscheint es sachgerecht und verhältnismäßig, die Antragstellerin de facto vom innergemeinschaftlichen Warenverkehr auszuschließen.
ff) Ausgehend von den vorliegenden Akten und dem Inhalt des Bescheids vom 07.03.2022 hat der Antragsgegner eine "Begrenzung"der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der Antragstellerin in der Weise vorgenommen, dass er ihre Gültigkeit ab dem 10.03.2022 aufgehoben hat, was über das BZSt in dessen Informationssystem, das der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten übernommen wurde. Das erkennende Gericht hält es für denkbar, dass der Gesetzgeber den Begriff der "Begrenzung"verwendet hat, um möglicherweise auch mildere Maßnahmen (vgl. Peter Müller in Weymüller, BeckOK UStG, Stand: 32. Edition 06.03.2022, § 27a Rn. 53; Kemper, UStB 2021, 90 [93]) zu ermöglichen, ebenso wie eine Aufhebung der Maßnahmen durch das nach § 27a Abs. 1a UStG, § 21 AO zuständige Finanzamt, was zur Folge hätte, dass die Wirksamkeit der vom BZSt erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer wieder aufleben würde. Demgegenüber wäre eine Rücknahme oder ein Widerruf sowie eine erneute Erteilung einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer nach § 27a Abs. 1 Satz 1 UStG dem BZSt vorbehalten. Es spricht jedenfalls nichts dafür, dass der Antragsgegner nicht befugt gewesen wäre, eine Begrenzung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der Antragstellerin vorzunehmen, die einer Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft gleichsteht (in diesem Sinne auch Leipold in Sölch/Ringleb, UStG, Stand: EL 93 Oktober 2021, § 27a Rn. 18b; Peter Müller in Weymüller, BeckOK UStG, Stand: 32. Edition 06.03.2022, § 27a Rn. 53; Baumgartner in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, Stand: 339. Lieferung 12.2021, § 27a Rn. 7; Wäger/Burgmaier, UStG, 2. Aufl. 2022, § 27a Rn. 69).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4. Das Gericht hat die Beschwerde gemäß §§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil zu der streitbefangenen Regelung bisher keine veröffentlichte Rechtsprechung vorliegt und die Beantwortung der streitbefangenen Rechtsfragen nicht auf der Hand liegt.
Beschluss vom 04.05.2022
7 V 7023/22
In dem Verfahren
der A... GmbH,Antragstellerin,
bevollmächtigt:
gegen
das Finanzamt,
Antragsgegner,
wegen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO) - Aufhebung der Begrenzung einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer für Umsatzsteuerzwecke
hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 7. Senat - am 4. Mai 2022 durchden Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...,
die Richterin am Finanzgericht ... und
die Richterin ...
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darum, ob der Antragsgegner zu Recht die Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der Antragstellerin begrenzt hat.
Die Antragstellerin wurde in 07/2020 gegründet. Ihr Gegenstand ist der Handel insbesondere von Kraftfahrzeugen, einschließlich Im- und Export.
Nach Eingang der steuerlichen Anmeldung teilte der Antragsgegner der Antragstellerin am 24.09.2020 mit, dass sie unter der im Rubrum genannten Steuer-Nummer u.a. für Umsatzsteuer geführt werde. In der Folge erteilte das Bundeszentralamt für Steuern -BZSt- der Antragstellerin eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer.
Die Antragstellerin meldete ab dem II. Quartal 2021 innergemeinschaftliche Lieferungen (im gesamten Veranlagungszeitraum 2021: 1.917.500,00 €) und Erwerbe sowie Vorsteuer aus innergemeinschaftlichen Erwerben an. Ausweislich der Zusammenfassenden Meldungen für das II. und III. Quartal 2021 waren ihre Abnehmer ausschließlich Inhaber ungarischer Umsatzsteuer-Identifikationsnummern.
Am 16.08.2021 wies der Antragsgegner die Antragstellerin darauf hin, dass nach seinen Erkenntnissen der damalige Gesellschafter-Geschäftsführer der Antragstellerin, Herr B..., seit Jahren als Einzelhändler mit gebrauchten Kraftfahrzeugen handele und dabei europaweit mehrfach ehemalige Vertragspartner als sog. "Missing Trader"oder Scheinunternehmen eingestuft worden seien. Der Antragsgegner forderte die Antragstellerin auf, zur Vermeidung solcher Feststellungen die künftigen Vertragspartner der Antragstellerin anhand mehrerer, im Einzelnen aufgeführten Kriterien zu überprüfen. Wegen der Einzelheiten nimmt das Gericht Bezug auf Bl. 5 f. der Akte "Vorgang USt-ID". Dem trat die Antragstellerin teilweise entgegen. Am 02.11.2021 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass 3 der Abnehmer der Antragstellerin von der ungarischen Steuerverwaltung als "Missing Trader"bzw. Scheinfirmen eingestuft worden seien und dass er für die übrigen Abnehmer Auskunftsersuchen bei der ungarischen Steuerverwaltung gestellt habe. Danach werde er eine Begrenzung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer gemäß § 27a Abs. 1a Umsatzsteuergesetz -UStG- prüfen.
Am 05.01.2022 teilte der Antragsgegner dem BZSt (jedoch nicht der Antragstellerin) mit, dass er die Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer gemäß § 27a Abs. 1a UStG zum 10.01.2022 begrenzt habe, was das BZSt am gleichen Tag bestätigte.
In der Folge erhielt die Antragstellerin im Zuge von Ankaufsbemühungen bei dem von ihr genutzten Online-Portal die Nachricht, dass ihre Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ungültig sei. Daraufhin beantragte die Antragstellerin am 13.01.2022, die Begrenzung aufzuheben, was der Antragsgegner am 18.01.2022 ablehnte.
Am 20.01.2022 führte der Antragsgegner bei der Antragstellerin eine Umsatzsteuer-Nachschau durch, indem er das Grundstück, das die Antragstellerin als Geschäftsanschrift angegeben hatte, in Augenschein nahm. Wegen des Ergebnisses der Inaugenscheinnahme nimmt das Gericht auf den Aktenvermerk vom 21.01.2021 (Bl. 22 bis 26 Akte "Vorgang USt-ID") Bezug.
Gegen den Bescheid vom 18.01.2022 hat die Antragstellerin am 08.02.2022 Einspruch eingelegt und bei Gericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 Finanzgerichtsordnung -FGO- gestellt.
Mit Bescheid vom 07.03.2022 hat der Antragsgegner den Ablehnungsbescheid vom 18.01.2022 aufgehoben und einen Bescheid über die Begrenzung der der Antragstellerin erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erlassen, mit dem diese mit Wirkung ab dem 10.03.2022 gemäß § 27a Abs. 1a UStG begrenzt worden ist. Den Einspruch vom 08.02.2022 hat der Antragsgegner als erledigt angesehen. In einer Anlage zum Bescheid listet der Antragsgegner die Ergebnisse zu Auskunftsersuchen über 9 von der Antragstellerin in ihren Zusammenfassenden Meldungen benannte Abnehmer auf. Danach hat keiner von ihnen Zusammenfassende Meldungen abgegeben oder innergemeinschaftliche Erwerbe erklärt. In keinem Fall konnte die ungarische Steuerverwaltung einen Kontakt zu den Abnehmern herstellen, wobei die registrierten Anschriften in 8 Fällen auf Büroserviceunternehmen lauteten. Aufzeichnungen im ungarischen Kontrollsystem für Warenlieferungen EKAER hat die ungarische Steuerverwaltung in 6 Fällen verneint und im Übrigen dazu keine Angaben gemacht. Die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers C... sei bereits im III. Quartal 2021 ungültig geworden, der Abnehmer als Scheinfirma in der Datenbank "Zauber"hinterlegt. Wegen weiterer zwei Abnehmer liefen noch Ermittlungen. Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht auf die Anlage zum Bescheid vom 07.03.2022 Bezug. Daraus folgerte der Antragsgegner, dass die der Antragstellerin erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer zur Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens verwendet werde.
Die Antragstellerin macht geltend, ihr stehe sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch zu. Das Geschäftsmodell der Antragstellerin bestehe vorwiegend darin, über das Internet gebrauchte PKW (Leasingrückläufer) bei belgischen oder dänischen Leasinggesellschaften zu kaufen und im Wege von Abhollieferungen an ungarische Abnehmer mit ungarischer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer zu verkaufen. Dieses Geschäftsmodell komme zum Erliegen, wenn sie über keine gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer mehr verfüge, da diese für die bisher durchgeführten Umsätze erforderlich sei. Daraus resultiere der Anordnungsgrund. Der Anordnungsanspruch ergebe sich aus § 6a UStG i.V. mit §§ 17a, 17c Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung -UStDV-. Die Antragstellerin sei in der Vergangenheit ihren Erklärungs- und Zahlungspflichten ordnungsgemäß nachgekommen und steuerlich zuverlässig gewesen.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 114 FGO zu verpflichten, einstweilen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Begrenzung ihrer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aufzuheben.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Es fehle an einem Anordnungsgrund, da die Antragstellerin nicht gehindert sei, am inländischen Warenverkehr teilzunehmen, so dass es an der dargelegten Existenzgefährdung fehle. Jedenfalls wiege das öffentliche Interesse, Umsatzsteuerbetrug zu verhindern und damit das Steueraufkommen als Allgemeingut zu sichern, schwerer als das Interesse des inländischen Antragstellers, unbeschränkten Zugang zum innergemeinschaftlichen Warenverkehr zu haben. Jedenfalls fehle es an einem Anordnungsanspruch. Der Antragsteller wiederholt im Wesentlichen die Erwägungen aus seinem Bescheid vom 07.03.2022, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.
Ferner hat der Antragsgegner auf Übermittlungswegen, die nicht den Anforderungen des § 52d Satz 1 FGO entsprechen, einen Schriftsatz vom 22.04.2022 übermittelt, ohne Gründe, die der elektronischen Übermittlung gemäß § 52d Satz 1 FGO entgegenstanden, mitzuteilen und glaubhaft zu machen.
Dem Gericht haben je eine Betriebs-, Dauerbeleg-, Vertrags- und Körperschaftsteuerakte sowie eine Akte "Vorgang USt-ID"vorgelegen, die der Antragsgegner für die Antragstellerin unter der Steuer-Nr. ... führt.
II.
1. Der Antrag ist zulässig.
Der von der Antragstellerin gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung i.S. des § 114 FGO ist statthaft.
Die Beteiligten streiten im Verwaltungsverfahren in einem anhängigen Einspruchsverfahren über die Rechtmäßigkeit eines Bescheids über einen Antrag auf Aufhebung durch Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts i.S. des § 130 Abgabenordnung -AO-, so dass im Hauptsacheverfahren die Verpflichtungsklage die zulässige Klageart wäre. Dazu ist typischerweise der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung das statthafte Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. Gräber/Stapperfend, FGO, 9. Aufl. 2019, § 114 Rn. 21).
a) Da die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer nach wohl allgemeiner Auffassung durch Verwaltungsakt erteilt wird (Gehm in Hartmann/Metzenmacher, UStG, Stand: 8. Ergänzungslieferung 2016, § 27a Rn. 13; Leipold in Sölch/Ringleb, UStG, Stand: EL 93 Oktober 2021, § 27a Rn. 15, jeweils m.w.N.), kann folgerichtig ihre Begrenzung nach § 27a Abs. 1a AO ebenfalls nur durch Verwaltungsakt erfolgen (Leipold in Sölch/Ringleb, UStG, Stand: EL 93 Oktober 2021, § 27a Rn. 18c; Wäger/Burgmaier, UStG, 2. Aufl. 2022, § 27a Rn. 5; Kemper, Umsatzsteuer-Berater -UStB- 2021, 90 [92, Fußn. 21]).
Der Antrag der Antragstellerin vom 12.01.2022 ist als Antrag auf Aufhebung der Begrenzung der Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer gemäß § 130 AO auszulegen. Die von Angehörigen der steuerberatenden Berufe vertretene Antragstellerin hat in diesem Schreiben keine Formulierungen verwendet, die auf einen Einspruch hindeuten. So hat offenbar auch der Antragsgegner den Schriftsatz verstanden, da er den Antrag mit der Verfügung vom 18.01.2022, die mit einer "Rechtsbehelfsbelehrung Einspruch"versehen war, abgelehnt hat. Ferner spricht für diese Auslegung, dass die Antragstellerin am 08.02.2022 gegen diesen Bescheid Einspruch eingelegt und bei Gericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung i.S. des § 114 FGO gestellt hat. Hätte sie mit ihrem Schreiben vom 12.01.2022 Einspruch gegen die ursprüngliche Begrenzung der Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer eingelegt, hätte es keines erneuten Einspruchs bedurft. Ferner wäre wohl der Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO der statthafte Rechtsbehelf des einstweiligen Rechtsschutzes gewesen, da sich die Begrenzung der Gültigkeit der bereits erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer nicht als bloße Negation darstellt (im Ergebnis gleicher Auffassung Sterzinger, Umsatzsteuer-Rundschau -UR- 2020, 941 [948]; Leipold in Sölch/Ringleb, UStG, Stand: EL 93 Oktober 2021, § 27a Rn. 18c; Baumgartner in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, Stand: 339. Lieferung 12.2021, § 27a Rn. 7). Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsgegner die am 05.01.2022 gegenüber dem BZSt mitgeteilte Begrenzung der Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der Antragstellerin nicht wirksam bekanntgegeben hatte. Denn auch gegen unwirksame Verwaltungsakte ist Rechtsschutz durch einen Einspruch zulässig (vgl. z.B. Bundesfinanzhof -BFH-, Beschluss vom 16.09.2004 - VII B 20/04, BFH/NV 2005, 231).
b) Der Einspruch vom 08.02.2022 ist nach wie vor anhängig, da der Bescheid vom 07.03.2022 gemäß § 365 Abs. 3 AO zum Gegenstand des Einspruchsverfahren geworden ist.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners hat sich der Einspruch vom 08.02.2022 nicht durch den Bescheid vom 07.03.2022 erledigt. Zwar hat der Antragsgegner damit den Rechtsschein der am 05.01.2022 gegenüber dem BZSt erfolgten Begrenzung der Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer beseitigt. Mit der dem Wortlaut nach erfolgten Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 18.01.2022 hat sich aber gleichwohl das Einspruchsbegehren der Antragstellerin nicht erledigt, da der Antragsgegner mit dem gleichen Schriftstück erneut die Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer begrenzt hat, wenn auch auf einen zwei Monate späteren Zeitraum, den Tag der mutmaßlichen Bekanntgabe des Bescheids vom 07.03.2022. Darin ist nach seinen tatsächlichen Auswirkungen nur eine Teilstattgabe zu sehen, die zudem ohne jegliche praktische Relevanz sein dürfte, weil Dritte, die die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der Antragstellerin zwischen dem 10.01.2022 und dem 10.03.2022 abgefragt haben, wohl durchgehend die Auskunft "ungültig"erhalten haben dürften.
Soweit im Rahmen eines Einspruchsverfahren, das sich gegen die Ablehnung eines Antrags auf Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsaktes richtet, ein weiterer Bescheid ergeht, der dem ursprünglichen Aufhebungs- oder Änderungsantrag nicht vollständig entspricht, wird der weitere Bescheid gemäß § 365 Abs. 3 AO zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens, weil auch insoweit der Sinn und Zweck des § 365 Abs. 3 AO erfüllt wird, dem Steuerpflichtigen bei einem materiell nicht erledigten Einspruchsverfahren die erneute Einspruchseinlegung zu ersparen (vgl. BFH, Urteil vom 05.07.1991 - III R 3/87, Bundessteuerblatt -BStBl.- II 1991, 854; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: 259. Lieferung 08.2020, § 365 AO Rn. 244a; L'habitant, AO-Steuerberater -AO-StB- 2019, 190 [193]). In die gleiche Richtung weist, dass nach § 365 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AO auch ein Verwaltungsakt zum Gegenstand des Einspruchsverfahren wird, der an die Stelle eines angefochtenen unwirksamen Verwaltungsakts tritt. Schließlich hat der Antragsgegner mit dem Bescheid vom 07.03.2022 konkludent an der Ablehnung des weitergehenden Aufhebungsantrags der Antragstellerin vom 12.01.2022 festgehalten.
c) Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen hätte die Antragstellerin auch gegen den Bescheid vom 07.03.2022 erneut Einspruch einlegen und einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stellen können. Nach Aktenlage hat die Antragstellerin jedoch davon abgesehen, so dass der hiesige Antrag nicht gemäß § 114 Abs. 5 FGO subsidiär gegenüber einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist (Gräber/Stapperfend, FGO, 9. Aufl. 2019, § 114 Rn. 20).
2. Der Antrag ist unbegründet.
Die Antragstellerin hat zwar einen Anordnungsgrund dargelegt und glaubhaft gemacht, jedoch keinen Anordnungsanspruch.
a) aa) Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen. Voraussetzung hierfür ist, dass der im Hauptsacheverfahren geltend gemachte oder geltend zu machende Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) bezeichnet und glaubhaft gemacht werden (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. mit § 920 Abs. 3 Zivilprozessordnung -ZPO-; Gräber/Stapperfend, FGO, 9. Aufl. 2019, § 114 Rn. 24, 26). Bezeichnung und Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs bedeuten, dass der Antragsteller den Anspruch rechtlich schlüssig darlegen und dessen tatsächliche Voraussetzungen glaubhaft machen muss (§ 294 ZPO). Zum Anordnungsgrund muss er darlegen und glaubhaft machen, dass die einstweilige Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die anderen Gründe müssen ähnlich wichtig und bedeutsam sein wie die ausdrücklich genannten (vgl. z. B. BFH, Beschlüsse vom 24.05.2016 - V B 123/15, BFH/NV 2016, 1253; vom 22.12. 2006 - VII B 121/06, BStBl. II 2009, 839). Das Interesse des Antragstellers und das öffentliche Interesse sind gegeneinander abzuwägen. Die einstweilige Anordnung ist nötig im Sinn des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO, wenn das Interesse des Antragstellers an der erstrebten Anordnung das öffentliche Interesse an der Beibehaltung des gegenwärtigen Zustandes überwiegt und die Maßnahme unumgänglich ist, um ihn gegen wesentliche Nachteile zu schützen. Die Gründe müssen schwerwiegend sein, bloße Rechtsbenachteiligungen genügen nicht (vgl. BFH, Beschluss vom 08.02.1988 - IV B 102/87, BStBl. II 1988, 514, 515). Die Nachteile müssen über diejenigen hinausgehen, die üblicherweise mit der Pflicht zur Zahlung von Steuern verbunden sind (BFH, Beschluss vom 07.01.1993 - VII B 125/92, BFH/NV 1994, 480). Denn die für eine einstweilige Anordnung sprechenden Gründe müssen so schwerwiegend sein, dass sie den Erlass der Anordnung unabweisbar machen. Ein Anordnungsgrund besteht demnach dann, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist (BFH, Beschlüsse vom 24.05.2016 - V B 123/15, BFH/NV 2016, 1253; vom 22.12.2006 - VII B 121/06, BStBl. II 2009, 839, Finanzgericht - FG- Hamburg, Beschluss vom 25.01.2018 - 2 V 336/17, juris).
bb) Ausgehend von diesen Kriterien besteht der Anordnungsgrund. Nach Aktenlage hat die Antragstellerin seit ihrer Gründung ausschließlich im Kraftfahrzeughandel über die Grenzen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union Umsätze erzielt. Dafür ist faktisch Voraussetzung, dass die Antragstellerin über eine gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verfügt. Da dies zwischen den Beteiligten unstreitig ist, sieht das Gericht von einer genaueren Herleitung anhand der einschlägigen Vorschriften ab. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners kann die Antragstellerin nicht darauf verwiesen werden, dass sie Umsätze im innerdeutschen Handel erzielen könne. Denn dadurch würden die geschäftlichen Kontakte und Erfahrungen, die die Grundlage und das Ergebnis der bisherigen geschäftlichen Tätigkeit der Antragstellerin waren, vollständig entwertet.
b) Der Antragsgegner hat jedoch zu Recht einen Anordnungsanspruch versagt. Nach der im Verfahren nach § 114 FGO gebotenen summarischen Prüfung unter Berücksichtigung des vorliegenden Akteninhalts (vgl. Gräber/Stapperfend, FGO, § 114 Rn. 65 f.) ist nicht zu erwarten, dass durch die Aufrechterhaltung der vom Antragsgegner vorgenommenen Begrenzung der Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der Antragstellerin deren Rechte verletzt werden.
aa) Eine Prüfung in der Sache ist nicht bereits deshalb entbehrlich, weil die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts im Ermessen der Finanzbehörde steht (Klein/Rüsken, 15. Aufl. 2020, § 130 Rn. 27) und es regelmäßig ermessensgerecht ist, wenn die Behörde es ablehnt, einen bestandskräftigen Verwaltungsakt zurückzunehmen, den der Steuerpflichtige in zumutbarer Weise hätte mit dem Einspruch und/oder der Klage hätte anfechten können (Klein/Rüsken, 15. Aufl. 2020, § 130 Rn. 29 f.). Denn darauf hat sich der Antragsgegner nach Aktenlage bisher nicht berufen, sondern die Ablehnung der Aufhebung mit der Rechtmäßigkeit seines Handelns begründet. Wäre diese Annahme falsch, hätte der Antragsgegner einen nach § 102 FGO zu berücksichtigenden Ermessensfehler begangen, da die falsche Einschätzung der Rechtslage und damit einer für die Ermessensentscheidung wesentlichen Grundlage einen vom Gericht zu berücksichtigenden Ermessensfehler darstellt (vgl. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: 255. Lieferung 10.2019, § 102 FGO Rn. 87). Im Streitfall geht der Antragsgegner jedoch zu Recht davon aus, dass die Begrenzung der Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer durch den Bescheid vom 07.03.2022 rechtmäßig ist.
bb) Der Antragsgegner war sachlich und örtlich zuständig, den Bescheid vom 07.03.2022 zu erlassen. Gemäß § 27a Abs. 1a Satz 1 UStG ist für die Begrenzung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer das nach § 21 AO für die Umsatzbesteuerung zuständige Finanzamt zuständig, im Streitfall der Antragsgegner. Dass damit eine andere Behörde als das BZSt, das gemäß § 27a Abs. 1 UStG die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erteilt hat, für die Begrenzung zuständig ist, steht im gesetzgeberischen Ermessen und erscheint angesichts der größeren Sachnähe der nach § 21 AO zuständigen Finanzämter auch als nicht offenkundig willkürlich (vgl. Baumgartner in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, Stand: 339. Lieferung 12.2021, § 27a Rn. 7). Soweit Sterzinger (UR 2020, 941 [948]) der Auffassung ist, dass das BZSt den Verwaltungsakt erlasse, mit dem die Begrenzung i.S. des § 27a Abs. 1a UStG erfolge, ist dies mit der vorliegenden Aktenlage nicht vereinbar. Das BZSt ist im Zusammenhang mit den streitbefangenen Vorgängen lediglich als eine Art Bote tätig geworden.
cc) Die Regelung des § 27a Abs. 1a UStG ist mit dem Unionsrecht vereinbar. Zwar sieht Art. 214 Mehrwertsteuersystemrichtlinie -MwStSystRL-, der die unionsrechtliche Grundlage für die Erteilung von Umsatzsteuer-Identifikationsnummern ist, nicht ausdrücklich die Möglichkeit vor, Umsatzsteuer-Identifikationsnummern löschen oder begrenzen zu lassen. Jedoch ist in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt, dass zum Schutz des Steueraufkommens der Mitgliedstaaten/zur Verhinderung der missbräuchlichen Nutzung von Umsatzsteuer-Identifikationsnummern deren Erteilung versagt werden kann (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union -EuGH-, Urteil vom 14.03.2013 - C-527/11 - Ablessio, Mehrwertsteuerrecht -MwStR- 2013, 193, Rn. 30), so dass ebenso eine nachträgliche Einschränkung oder Aufhebung möglich sein muss. Dementsprechend werden auch in der Literatur keine oder jedenfalls keine grundsätzlichen Einwände gegen eine Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht erhoben (Leipold in Sölch/Ringleb, UStG, Stand: EL 93 Oktober 2021, § 27a Rn. 18; Baumgartner in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, Stand: 339. Lieferung 12.2021, § 27a Rn. 7).
dd) Die in § 27a Abs. 1a UStG genannten Merkmale und Begriffe "ernsthafte Anzeichen", "dass die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer zur Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens verwendet wird"und "Begrenzung"sind nicht in rechtsstaatswidriger Weise unbestimmt (vgl. Sachs, Grundgesetz -GG-, 9. Aufl. 2021, Art. 20 Rn. 126 ff. m.w.N.; zweifelnd Kemper, UStB 2021, 90 [92 f.]). Die zuvor genannten Merkmale sind der Rechtsprechung des EuGH entlehnt, die - ebenso wie die darauf aufbauende Rechtsprechung des BFH - konkretisiert hat, wann dem Fiskus geschuldete Umsatzsteuereinnahmen in einer Weise gefährdet oder verkürzt werden, dass es gerechtfertigt ist, dem Wortlaut der MwStSystRL und des UStG nach bestehende Rechte einzuschränken (vgl. z.B. EuGH, Urteile vom 18.12.2014 - C-131/13 u.a. - Schoenimport "Italmoda", MwStR 2015, 87; vom 14.06.2017 - C-26/16 - Santogal, UR 2017, 539, Rn. 70 ff.; BFH, Urteile vom 18.02.2016 - V R 62/14, BStBl. II 2016, 589; vom 14.02.2019 - V R 47/16, BStBl. II 2020, 424; Beschlüsse vom 02.07.2021 - XI R 40/19, juris; vom 20.10.2021 - XI R 19/20, juris). So verwendet auch der EuGH den Begriff der "Gefährdung des Steueraufkommens", wenn in einem Einzelfall die Gefahr besteht, dass ein Steuerpflichtiger aufgrund einer unberechtigt ausgewiesenen Steuer den Vorsteuerabzug in Anspruch nimmt (EuGH, Urteile vom 11.04.2013 - C-138/12 - Rusedespred, MwStR 2013, 234, Rn. 24, 27 ff.; vom 08.05.2019 - C-712/17 - EN.SA., UR 2019, 469, Rn. 31 ff.; vom 02.07.2020 - C-835/18 - Terracult, UR 2020, 685, Rn. 28; vom 18.03.2021 - C-48/20 - P. (Cartes de carburant), MwStR 2021, 496, Rn. 27; vgl. im Übrigen z.B. EuGH, Urteile vom 11.06.2020 - C-146/19 - SCT, MwStR 2020, 707, Rn. 38 ff.; vom 06.10.2021 - C-717/19 - Boehringer Ingelheim, MwStR 2021, 930, Rn. 62). In diesem Sinne wird der Begriff auch in § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG verwendet. Es ist daher nicht erforderlich, dass der drohende oder eingetretene steuerliche Schaden die Grundfesten der Haushaltswirtschaft erschüttert (vgl. Leipold in Sölch/Ringleb, UStG, Stand: EL 93 Oktober 2021, § 27a Rn. 18a). Zum Begriff der Begrenzung siehe II. 2. b) ff).
ee) Der Antragsgegner geht zu Recht davon aus, dass die Verwendung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der Antragstellerin i.S. des § 27a Abs. 1a UStG das Umsatzsteueraufkommen - jedenfalls das eines Mitgliedstaats - gefährdet.
Der Antragsgegner hat unter Vorlage von Ausdrucken der ihm von der ungarischen Steuerverwaltung erteilten Auskünfte (in der Akte "Vorgang USt-ID") unwidersprochen vorgetragen, dass bei keinem der unter einer ungarischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aufgetretenen Abnehmer die Vornahme der Erwerbsbesteuerung feststellbar war und bei der weit überwiegenden Mehrheit der Abnehmer feststand, dass diese nicht erfolgt ist. Damit drängt sich eine Gefährdung des Steueraufkommens des Mitgliedstaats Ungarn oder alternativ Deutschlands oder eines anderen Mitgliedstaats auf.
Dem steht nicht entgegen, dass dem Erwerber grundsätzlich der Vorsteuerabzug nach Art. 168 Buchst. c) MwStSystRL zustand. Denn dies würde nach dieser Vorschrift voraussetzen, dass der Erwerber das Fahrzeug für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet. Ferner ist auch denkbar, dass Erwerber die Erwerbsbesteuerung trotz des damit korrespondierenden Vorsteuerabzugs unterlassen, um zu verdecken, dass sie im Zielstaat steuerpflichtige Umsätze aus der Weiterveräußerung unbesteuert lassen. Schließlich könnte die fehlende Erwerbsbesteuerung auch darauf hindeuten, dass die Fahrzeuge Deutschland nicht verlassen haben, so dass die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit als innergemeinschaftliche Lieferung i.S. des § 6a UStG nicht gegeben wären oder dass die Fahrzeuge in einen unbekannten Drittstaat verbracht wurden, wo sie ebenfalls der Erwerbsbesteuerung entzogen wurden.
Die geschilderte Häufung von Ausfällen bei der gesetzlich gebotenen Erwerbsbesteuerung, die nahezu ausschließliche Ansässigkeit der Vertragspartner der Antragstellerin bei sog. Büroserviceunternehmen und deren nahezu ausschließliche Kontaktverweigerung gegenüber der ungarischen Steuerverwaltung lassen es als fernliegend erscheinen, dass die Antragstellerin die gebotenen Sorgfaltspflichten bei der Anbahnung und Durchführung der Geschäftsbeziehungen hat walten lassen. Sie hat mit Schriftsatz vom 30.09.2021 an den Antragsgegner eingeräumt, dass jedenfalls zu gewissen, ihr vom Antragsgegner in seiner Verfügung vom 16.08.2021 nahegelegten Prüfungshandlungen Anlass bestand. Die Antragstellerin hat jedoch weder im Einzelnen dargelegt, noch glaubhaft gemacht, dass sie diese Prüfungshandlungen (und sei es auch nur in dem von ihr als geboten eingeräumten Umfang) vorgenommen hat.
Angesichts der danach anzunehmenden erheblichen Pflichtverletzungen und der im Rumpfwirtschaftsjahr angemeldeten innergemeinschaftlichen Lieferungen in Höhe von 1.917.500,00 € erscheint es sachgerecht und verhältnismäßig, die Antragstellerin de facto vom innergemeinschaftlichen Warenverkehr auszuschließen.
ff) Ausgehend von den vorliegenden Akten und dem Inhalt des Bescheids vom 07.03.2022 hat der Antragsgegner eine "Begrenzung"der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der Antragstellerin in der Weise vorgenommen, dass er ihre Gültigkeit ab dem 10.03.2022 aufgehoben hat, was über das BZSt in dessen Informationssystem, das der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten übernommen wurde. Das erkennende Gericht hält es für denkbar, dass der Gesetzgeber den Begriff der "Begrenzung"verwendet hat, um möglicherweise auch mildere Maßnahmen (vgl. Peter Müller in Weymüller, BeckOK UStG, Stand: 32. Edition 06.03.2022, § 27a Rn. 53; Kemper, UStB 2021, 90 [93]) zu ermöglichen, ebenso wie eine Aufhebung der Maßnahmen durch das nach § 27a Abs. 1a UStG, § 21 AO zuständige Finanzamt, was zur Folge hätte, dass die Wirksamkeit der vom BZSt erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer wieder aufleben würde. Demgegenüber wäre eine Rücknahme oder ein Widerruf sowie eine erneute Erteilung einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer nach § 27a Abs. 1 Satz 1 UStG dem BZSt vorbehalten. Es spricht jedenfalls nichts dafür, dass der Antragsgegner nicht befugt gewesen wäre, eine Begrenzung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der Antragstellerin vorzunehmen, die einer Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft gleichsteht (in diesem Sinne auch Leipold in Sölch/Ringleb, UStG, Stand: EL 93 Oktober 2021, § 27a Rn. 18b; Peter Müller in Weymüller, BeckOK UStG, Stand: 32. Edition 06.03.2022, § 27a Rn. 53; Baumgartner in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, Stand: 339. Lieferung 12.2021, § 27a Rn. 7; Wäger/Burgmaier, UStG, 2. Aufl. 2022, § 27a Rn. 69).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4. Das Gericht hat die Beschwerde gemäß §§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil zu der streitbefangenen Regelung bisher keine veröffentlichte Rechtsprechung vorliegt und die Beantwortung der streitbefangenen Rechtsfragen nicht auf der Hand liegt.
RechtsgebietUStGVorschriften§ 27a Abs. 1a UStG