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  • 15.11.2016 · IWW-Abrufnummer 189884

    Kammergericht Berlin: Beschluss vom 30.04.2016 – 2 Ws 225/15

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Kammergericht Berlin

    Beschl. v. 06.11.2015

    Az.: 2 Ws 225/15 - 141 AR 463/15

    Tenor:

    Die sofortige Beschwerde des Verteidigers, Rechtsanwalt K. gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 20. August 2015 wird als unbegründet verworfen.

    Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

    Gründe

    I.

    Das Landgericht Berlin hat gegen den Verurteilten am 16. Dezember 2014 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten erkannt. Das Urteil ist seit dem 17. Juli 2015 rechtskräftig.

    Mit Beschluss vom 16. Dezember 2014 wurde der gegen ihn bestehende Haftbefehl des Landgerichts vom 17. März 2014 mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass dringender Tatverdacht im Umfang der Verurteilung bestehe. Zugleich wurde der Haftbefehl jedoch vorbehaltlich der Zahlung einer Sicherheit von 10.000,00 Euro, die auch durch einen Dritten erbracht werden konnte, außer Vollzug gesetzt und der Verurteilte angewiesen, seinen Reisepass binnen drei Tagen zur Akte zu reichen. Er wurde zudem angewiesen, sich dreimal wöchentlich bei dem für seinen damaligen Wohnsitz zuständigen Polizeiabschnitt zu melden.

    Noch am 16. Dezember 2014 hatte der Verteidiger des Verurteilten, Rechtsanwalt K., als Dritter im eigenen Namen die Sicherheitsleistung bei der Hinterlegungsstelle hinterlegt. Der Verurteilte wurde aus der Untersuchungshaft entlassen, sein Reisepass wurde am 18. Dezember 2014 zur Akte gereicht.

    Mit Schreiben vom 23. März 2015 beantragte der Verurteilte über seinen Verteidiger, die Meldeauflage auf einmal wöchentlich zu reduzieren. Dem kam das Landgericht mit Beschluss vom 8. April 2015 nach.

    Sodann beantragte der Verurteilte mit Schreiben seines Verteidigers vom 21. April 2015 die Herausgabe des Reisepasses für die Dauer von drei Wochen - angeblich um seiner Frau eine notarielle Vollmacht erteilen zu können. Diese benötige die Vollmacht für eine Reise mit dem gemeinsamen Sohn in die Ukraine. Nach Anhörung der Staatsanwaltschaft wurde der Reisepass einem Mitarbeiter des Verteidigers am 11. Mai 2015 ausgehändigt.

    Seiner wöchentlichen Meldepflicht bei der Polizeiinspektion kam der Verurteilte letztmals am 25. Mai 2015 nach. In den Mittagsstunden desselben Tages verließ er Deutschland mit dem Flugziel Beirut.

    Erst mit Schreiben vom 5. Juni 2015 erklärte der Verteidiger auf Nachfrage des Landgerichts, dass ihm die Ehefrau des Verurteilten bereits am 1. Juni 2015 mitgeteilt habe, dieser sei in den Libanon gereist und am 28. Mai 2015 mit einer Kopfverletzung in die Intensivstation eines Krankenhauses eingeliefert worden. Er sei wohl aus größerer Höhe gefallen, sie könne einen Suizidversuch ihres Mannes nicht ausschließen.

    Nach Angaben der Frau sei der Verurteilte nicht reisefähig. Zusammen mit dem Schreiben wurde ein Attest eines Krankenhauses in B. vom 4. Juni 2015 übersandt aus dem sich ergibt, dass der Verurteilte mit einer Kopfverletzung am 28. Mai 2015 aufgenommen worden sei und an einer Gehirnerschütterung, Ohnmacht und ständigem Erbrechen leide. Am 4. Juni 2015 sei er entlassen worden. In zwei Wochen solle er zu Kontrolle vorsprechen.

    Auf eine entsprechende Anfrage an den Verteidiger teilte dieser u.a. mit, dass die Rückreise des Verurteilten ursprünglich für den 29. Mai 2015 geplant gewesen sei.

    Mit Beschluss vom 15. Juni 2015 hat das Landgericht Berlin den Haftverschonungsbeschluss (in der Fassung des Beschlusses vom 8. April 2015) aufgehoben und den Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt.

    Mit dem angefochtenen Beschluss vom 20. August 2015 hat das Landgericht nach dessen schriftlicher Anhörung festgestellt, dass die von Rechtsanwalt K., als Drittem im eigenen Namen am 16. Dezember 2014 hinterlegte Sicherheit in Höhe von 10.000,00 Euro verfallen ist.

    Der aktuelle Aufenthaltsort des Verurteilten ist dem Senat nicht bekannt - vermutlich hält er sich noch im Libanon auf. Sein Verteidiger hat mit Schriftsatz vom 25. August 2015 mitgeteilt, die Behandlung des Verurteilten dauere an.

    Mit seiner im eigenen Namen angebrachten sofortigen Beschwerde vom 7. September 2015 wendet sich der Verteidiger gegen die Verfallserklärung. Mit Schriftsatz vom 10. September 2015 trägt er sinngemäß vor, der Verurteilte habe seine Reise in den Libanon so geplant, dass er bei regulärem Verlauf rechtzeitig zum nächsten Meldetermin zurück gewesen wäre. Dies sei nur durch den Unfall am 28. Mai 2015 vereitelt worden. Die ihm im Beschwerdeverfahren durch den Senat gesetzte Frist zur Gestellung des Verurteilten hat der Verteidiger nicht genutzt.

    II.

    Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 124 Abs. 2 Satz 2 StPO statthaft und rechtzeitig (§ 311 Abs. 2 StPO) erhoben. Der Verteidiger ist auch im eigenen Namen beschwerdebefugt, weil er die Sicherheitsleistung als Dritter im eigenen Namen hinterlegt hat (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 2. Oktober 2009 - 2 Ws 462/09 - [juris]). Die sofortige Beschwerde ist mithin zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.

    1. Einer mündlichen Anhörung des Verurteilten oder des Beschwerdeführers und der Staatsanwaltschaft bedurfte es entgegen § 124 Abs. 2 Satz 3 StPO im Beschwerdeverfahren nicht. Der Aufenthalt des Verurteilten ist dem Senat nicht bekannt, die Staatsanwaltschaft und der Verteidiger haben auf eine mündliche Erörterung verzichtet.

    2. Gemäß § 124 Abs. 1 StPO verfällt eine noch nicht frei gewordene Sicherheit der Staatskasse u. a. dann, wenn der Beschuldigte sich der Untersuchung entzieht. Dass der Haftbefehl nach der Rechtskraft des Urteils der Sicherung der Vollstreckung dient (vgl. Graf in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 112 Rdn. 2b), weshalb dasselbe gelten muss, wenn der Verurteilte sich der Strafvollstreckung entzieht, ist hier nicht entscheidend, weil das Urteil zum maßgeblichen Zeitpunkt (dazu sogleich) noch nicht rechtskräftig war. Die Sicherheit war auch nicht bereits zuvor gemäß § 123 Abs. 2 StPO frei geworden. Die hierfür vorausgesetzten Tatbestände (Aufhebung des Haftbefehls, Vollzug von Untersuchungs- oder Strafhaft oder einer freiheitsentziehenden Maßregel) lagen ersichtlich nicht vor.

    Ein Beschuldigter entzieht sich dem Verfahren, wenn notwendig werdende verfahrensrechtliche Maßnahmen gegen ihn nicht mehr jederzeit ungehindert durchgeführt werden können. Dabei ist gleichgültig, ob der Beschuldigte während der Zeit seiner Unauffindbarkeit oder Abwesenheit in der Sache selbst "benötigt" wird; es reicht aus, dass infolge eines Verhaltens neue Verfolgungsmaßnahmen eingeleitet werden (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 2. Oktober 2009 - 2 Ws 462/09 - [juris]; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 124 Rdn. 4 mit zahlreichen weit. Nachweisen).

    Es kann offen bleiben, ob diese Voraussetzungen hier schon ab dem 25. Mai 2015 vorlagen, dem Zeitpunkt als der damalige Angeklagte unter Zuhilfenahme seines Passes, den er zu einem gänzlich anderen Zweck vom Landgericht zurückerlangt hatte, den Geltungsbereich der StPO verließ und in den Libanon flog. Jedenfalls mit Aufhebung des Haftverschonungsbeschlusses durch das Landgericht am 15. Juni 2015 ist die Sicherheit verfallen, denn darin liegt zweifellos eine durch das mutwillige Verhalten des Verurteilten ausgelöste neue Verfolgungsmaßnahme. Diese war auch rechtmäßig, denn der Verurteilte, wusste nach Lage der Dinge ganz genau, dass ihm der Reisepass nicht für eine Reise in das Ausland ausgehändigt worden ist und hat sich somit den vom Landgericht verfügten Aufenthaltskontrollen bewusst entzogen. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob sein aktueller Aufenthalt (mutmaßlich) im Libanon, auf einen Unfall oder auf eine bewusste Entscheidung seinerseits zurückzuführen ist. Die Tatsache, dass er am 15. Juni 2015 für die Berliner Strafverfolgungsbehörden nicht greifbar war, hat er durch seine heimliche Ausreise verschuldet.

    Das Verfahren des Landgerichts genügt auch in formeller Hinsicht den Anforderungen des § 124 Abs. 2 Satz 1 StPO. Es hat den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 15. Juni 2015 - unter gleichzeitiger Übersendung einer Abschrift an die damals bekannte deutsche Adresse des damaligen Angeklagten - unter Fristsetzung von zwei Wochen zu einer Erklärung über den etwaigen Verfall der Sicherheitsleistung Gelegenheit gegeben.

    3. Die Voraussetzungen für ein Freiwerden der Sicherheit gemäß § 123 Abs. 3 StPO liegen nicht vor. Insbesondere hat der Beschwerdeführer die ihm durch den Senat eingeräumte Frist, um die Gestellung des Verurteilten zu bewirken, nicht genutzt.

    III.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

    RechtsgebietStPOVorschriften§ 123 Abs. 3 StPO; § 124 StPO

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