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  • 12.08.2020 · IWW-Abrufnummer 217330

    Finanzgericht Düsseldorf: Beschluss vom 29.05.2020 – 9 V 754/20

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Düsseldorf

    9 V 754/20 AE(KV)

    Tenor:

    Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 19.03.2020 gegen Sicherheitsleistung der Antragsteller in Höhe von 380.000 Euro aufzuheben.

    Dem Antragsgegner wird untersagt, vor dem 01.01.2021 erneut Pfändungs- und Einziehungsverfügungen über Bankguthaben der Antragsteller zu erlassen.

    Die Beschwerde wird zugelassen.

    Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner

    1

    Gründe:

    2

    I.

    3

    Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen die Pfändung von Bankguthaben.

    4

    Die zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Antragsteller erzielen seit Jahren im Wesentlichen Vermietungseinkünfte sowie Einkünfte aus Kapitalgesellschaftsbeteiligungen. Für die Veranlagungszeiträume 2010 sowie 2014 streiten sie in anderen Klageverfahren um die Anerkennung von vortragsfähigen Verlusten i.H.v. ca. 1,5 Mio. Euro. Für den Fall des Obsiegens gehen die Antragsteller davon aus, dass der Verlust bis mindestens zum Veranlagungszeitraum 2019 vorzutragen sei und zwischenzeitliche Einkommensteuerfestsetzungen nachträglich auf 0 Euro zu reduzieren seien.

    5

    Wegen fälliger Steuerforderungen, gegen die sich die Antragsteller ebenfalls in verschiedenen weiteren anhängigen Eilrechts- und Hauptsacheverfahren wehren, verfügte der Antragsgegner (im Folgenden: das Finanzamt ‒FA‒) unter dem 19.03.2020 die Pfändung und Einziehung von Bankguthaben der Antragssteller bei der Bank C sowie der Bank D. Nach den beigefügten Übersichten erfolgt die Vollstreckung wegen folgender rückständiger Steuern:

    6

    Lfd. Nr.

    Schuldgrund

    Fälligkeit

    Schuldbetrag

    EUR

    Säumniszuschläge EUR

    1

    Solid.Zuschl.ESt 2009

    31.08.2015

    9,00 €


    2

    Einkommensteuer 2010

    18.01.2016

    44.566,00 €

    80.286,00 €

    3

    Solid.Zuschl.ESt 2010

    18.01.2016

    2.451,13 €

    4.413,50 €

    4

    Einkommensteuer 2016

    07.11.2019

    63.340,00 €

    3.165,00 €

    5

    Einkommensteuer (Zinsen 'Voll') 2016

    07.11.2019

    5.697,00 €


    6

    Solid.Zuschl.ESt 2016

    07.11.2019

    3.483,70 €

    172,50 €

    7

    Einkommensteuer 4. Vj.2018

    07.11.2019

    253.692,00 €

    12.682,50 €

    8

    Solid.Zuschl.ESt 4.Vj.2018

    07.11.2019

    13.953,00 €

    697,50 €

    9

    Einkommensteuer 4. Vj.2019

    10.12.2019

    253.086,00 €

    10.122,00 €

    10

    Solid.Zuschl.ESt 4.Vj.2019

    10.12.2019

    13.919,00 €

    556,00 €


    Summe


    654.196,83 €

    112.095,00 €


    Summe Spalten 4 + 5


    766.291,83 €




    7

    Die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen sind den Drittschuldnern am 25.03.2020 zugestellt worden. Mit Schreiben des FA vom 30.03.2020 wurden den Antragstellern Ausfertigungen der Verfügungen übersandt sowie die Zustellung an die Drittschuldner zur Kenntnis gebracht.

    8

    Mit Verweis auf die anhängigen Klageverfahren unter anderem zu den Veranlagungszeiträumen 2010 und 2014, in denen die Antragsteller die Berücksichtigung höherer Verluste mit der Folge eines Verlustrück- bzw. -vortrags begehren, beantragten die Antragsteller am 18.02.2020 beim FA Vollstreckungsschutz. Diesen Antrag erneuerten sie nach Erlass und Kenntniserlangung von den Pfändungsverfügungen mit Schreiben an das FA vom 30.03.2020 mit dem erweiterten Begehren, offene Steuerforderungen zu stunden, bis zum 31.12.2020 Vollstreckungsaufschub zu gewähren und die eingeleiteten Kontopfändungen aufzuheben. Zur Begründung verwiesen sie neben den noch zu erstreitenden Verlusten zudem auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 19.03.2020 (BMF-Schreiben vom 19.03.2020) betreffend „Steuerliche Maßnahmen zur Berücksichtigung des Coronavirus COVID-19/SARS-CoV-2“ (am 07.04.2020 veröffentlicht im Bundessteuerblatt Teil I ‒BStBl. I‒ 2020, 262). Danach sei es im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörde der Länder angezeigt, Steuerpflichtigen, denen wegen des Coronavirus beträchtliche wirtschaftliche Schäden entstanden seien oder noch entstehen würden, durch steuerliche Maßnahmen zur Vermeidung unbilliger Härten entgegenzukommen. In dem BMF-Schreiben heißt es unter Ziff. 1:

    9

    „Die nachweislich unmittelbar und nicht unerheblich betroffenen Steuerpflichtigen können bis zum 31. Dezember 2020 unter Darlegung ihrer Verhältnisse Anträge auf Stundung der bis zu diesem Zeitpunkt bereits fälligen oder fällig werdenden Steuern, die von den Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes verwaltet werden, sowie Anträge auf Anpassung der Vorauszahlungen auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer stellen. Diese Anträge sind nicht deshalb abzulehnen, weil die Steuerpflichtigen die entstandenen Schäden wertmäßig nicht im Einzelnen nachweisen können. Bei der Nachprüfung der Voraussetzungen für Stundungen sind keine strengen Anforderungen zu stellen. Auf die Erhebung von Stundungszinsen kann in der Regel verzichtet werden. § 222 Satz 3 und 4 AO bleibt unberührt.“

    10

    und weiter unter Ziff. 3:

    11

    „Wird dem Finanzamt aufgrund Mitteilung des Vollstreckungsschuldners oder auf andere Weise bekannt, dass der Vollstreckungsschuldner unmittelbar und nicht unerheblich betroffen ist, soll bis zum 31. Dezember 2020 von Vollstreckungsmaßnahmen bei allen rückständigen oder bis zum diesem Zeitpunkt fällig werdenden Steuern im Sinne der Tz. 1 abgesehen werden."

    12

    Das FA lehnte die Aufhebung der eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen durch Schreiben vom 02.04.2020 ab. Die Steuerrückstände seien keine unmittelbare Folge der Corona-Pandemie und auch die Fälligkeit sowie die ausgebrachten Vollstreckungsmaßnahmen lägen vor dem Zeitpunkt, zu dem von einer wirtschaftlichen Beeinträchtigung durch das Corona-Virus ausgegangen werden könne. Eine Rechtsbehelfsbelehrung fügte das FA dem Schreiben nicht bei.

    13

    Hiergegen legten die Antragsteller unter erneutem Hinweis auf das BMF-Schreiben am 22.04.2020 Einspruch ein und verwiesen überdies auf das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (verkündet am 27.03.2020, Bundesgesetzblatt Teil I ‒BGBl. I‒ 2020, 569). Hierdurch werde Vermietern ihr Kündigungsrecht für solche Fälle entzogen, in denen ihre Mieter im Zeitraum von April bis Juni 2020 trotz Fälligkeit die Miete nicht leisten, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Die Antragsteller bezogen sich überdies auf die aus März und April 2020 stammende Korrespondenz mit ihren Mietern, die die Antragsteller bereits im Zusammenhang mit den anderen Rechtstreitigkeiten vorgelegt hatten. Der Korrespondenz ist zu entnehmen, dass gewerbliche Mieter der Antragsteller mit Verweis auf die Corona-Pandemie ihre Miete für April 2020 einbehalten hatten (ca. 5.890 Euro Monatsmiete) oder eine Beendigung des Mietverhältnisses in Aussicht stellen (ca. 42.000 Euro Monatsmiete). Unter Vorlage weiterer mietvertraglicher Dokumente und Mietrechnungen trugen die Antragsteller ferner vor, dass auch andere Mieter die Monatsmiete für April 2020 schuldig geblieben seien (ca. 23.205 Euro Monatsmiete und ca. 3.850 Euro Monatsmiete). Zur Glaubhaftmachung fügten sie Auszüge aus dem handschriftlichen Kontrollbuch der Antragsteller über Mieteingänge bei, aus denen vereinbarte Mieten von monatlich ca. 140.000 Euro hervorgehen sollen.

    14

    Mit ihren zuvor bereits am 27.03.2020 und 31.03.2020 bei Gericht eingegangenen Anträgen auf gerichtlichen Eilrechtsschutz verfolgen die Antragsteller die Aufhebung der Vollziehung der den Pfändungen zugrundeliegenden Einkommensteuerbescheide einerseits und ferner die einstweilige Anordnung auf Aufhebung der Kontopfändungen andererseits. Zur Begründung beziehen sie sich im Wesentlichen auf die im BMF-Schreiben vom 19.03.2020 dargestellten Maßnahmen, die sie für sich beanspruchen. Über Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) erwachse hieraus der Anspruch auf Beendigung der Vollstreckungsmaßnahmen bis zum 31.12.2020. Ob das BMF-Schreiben Verbindlichkeit auch für Fälle von bereits bis zum 19.03.2020 ausgebrachten Vollstreckungsmaßnahmen entfalte und ob diese Maßnahmen dann aufzuheben seien, sei zur Herstellung der Gleichheit der Besteuerung gegebenenfalls durch Einholung einer Stellungnahme von dem Bundesfinanzministerium in Erfahrung zu bringen. Zur weiteren Glaubhaftmachung legten die Antragsteller eine eidesstaatliche Versicherung vor, in der sie einen Teil der bereits im außergerichtlichen Verfahren vorgetragenen Mietausfälle versichern.

    15

    Mit Beschluss vom 15.05.2020 hat der Senat die Verfahren der Antragsteller zum gerichtlichen Eilrechtsschutz durch einstweilige Anordnung (9 V 754/20 AE (KV), 9 V 752/20 AE (KV), 9 V 755/20 AE (KV)) zur gemeinsamen Entscheidung im hiesigen Verfahren verbunden, auch soweit sie einen hilfsweisen Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffen (9 V 787/20 AE (A,E)). Im verbleibenden Umfang, jeweils gerichtet auf Aufhebung der Vollziehung des jeweiligen Einkommensteuerbescheids, ergehen gesonderte Entscheidungen.

    16

    Die Antragsteller beantragen im hiesigen Verfahren,

    17

    das Finanzamt im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die bereits eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben, insbesondere die gegen ihre Bankkonten erfolgten Pfändungs- und Einziehungsverfügungen.

    18

    Das FA beantragt,

    19

    den Antrag zurückzuweisen.

    20

    Für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung fehle es an einem Anordnungsanspruch, der insbesondere nicht aus § 258 der Abgabenordnung (AO) herzuleiten sei. Soweit die Antragsteller Einwendungen gegen die Steuerbescheide vorbrächten, sei dies für die Vollstreckungsmaßnahmen unbeachtlich. Es fehle überdies an einem Anordnungsgrund, weil keine außergewöhnlichen und schwerwiegenden Folgen der Vollstreckung vorgetragen seien. Existenzbedrohende wesentliche Nachteile ergäben sich aus der Vollstreckung nicht. Im Zeitpunkt des Erlasses der Pfändungs- und Einziehungsverfügungen (19.03.2020) seien sämtliche rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse berücksichtigt worden. Insbesondere habe nicht bekannt sein können, dass die Antragsteller als Vermieter in über das gewöhnliche Maß hinausgehender Weise von der Corona-Pandemie wegen Nichtzahlung von Mieten und ihren eingeschränkten Kündigungsmöglichkeiten betroffen sein könnten. Die Voraussetzungen für ein Absehen von den Vollstreckungsmaßnahmen hätten daher am 19.03.2020 nicht vorgelegen. Auf das am gleichen Tage ergangene BMF-Schreiben könnten sich die Antragsteller nicht berufen, weil das dort verwendete „absehen“ von Vollstreckungsmaßnahmen nur die Ausbringung weiterer Vollstreckungsmaßnahmen betreffe, nicht jedoch die Aufhebung bestehender Vollstreckungsmaßnahmen.

    21

    Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Rechtsstand wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die hinzugezogenen Steuerakten sowie auch auf die anderen anhängigen Klage- und Eilrechtsschutzverfahren samt dortigen Schriftsätzen Bezug genommen.

    22

    II.

    23

    Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Aufhebung der Pfändungsmaßnahmen hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.

    24

    1. Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Finanzgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) bezeichnet und glaubhaft gemacht werden (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung ‒ZPO‒). Hierzu muss der Anordnungsanspruch rechtlich schlüssig dargelegt und dessen tatsächliche Voraussetzungen glaubhaft gemacht werden (Bundesfinanzhof ‒‍BFH‒, Beschluss vom 29.11.1984 V B 44/84, Bundessteuerblatt Teil II ‒BStBl. II‒ 1985, 194, Entscheidungen des Bundesfinanzhofs ‒BFHE‒ 142, 418). Die Glaubhaftmachung erfordert, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Existenz der Tatsache spricht (Stapperfend, in: Gräber, FGO, 9. Auflage 2019, § 69 Rn 196).

    25

    a) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, insbesondere statthaft. Ein die Statthaftigkeit ausschließender Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Pfändungs- und Überweisungsverfügungen war nicht als vorrangiger Rechtsbehelf zu stellen.

    26

    Im finanzgerichtlichen Verfahren ist vorläufiger Rechtsschutz entweder gemäß § 69 FGO durch Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts oder durch eine einstweilige Anordnung nach § 114 FGO zu gewähren. Die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung ist gegenüber der einstweiligen Anordnung grundsätzlich vorrangig (vgl. § 114 Abs. 5 FGO). Die Abgrenzung der beiden Rechtsschutzmöglichkeiten richtet sich danach, welche Klage in einem Hauptsacheverfahren zu erheben wäre. Ist dies die Anfechtungsklage, so wird vorläufiger Rechtsschutz durch die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung gewährt; andernfalls ist eine einstweilige Anordnung zu beantragen. Es ist in der Rechtsprechung des BFH demgegenüber geklärt, dass vorläufiger Rechtsschutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen nicht nur im Wege der Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung, sondern wegen der unterschiedlichen Zielrichtungen der Rechtsschutzbegehren trotz § 114 Abs. 5 FGO auch durch einstweilige Anordnung gewährt werden kann, wenn hierdurch die einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung oder die Aufhebung einzelner Vollstreckungsmaßnahmen erreicht werden soll. Denn dem Vollstreckungsschuldner ist auch unabhängig von etwaigen Rechtsbehelfen gegen den der Vollstreckung zugrunde liegenden Verwaltungsakt oder seine Vollziehung ein anerkennenswertes Interesse zuzubilligen, sich gegen die Zwangsvollstreckung selbst zu wehren (vgl. BFH-Beschluss vom 10.08.1993 VII B 262/92, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs ‒BFH/NV‒ 1994, 719; Beschluss vom 17.05.1988 VII B 27/88, BFH/NV 1989, 114; Beschluss vom 03.11.1970 VII R 43/69, BStBl. II 1971, 114, BFHE 100, 436; Beschluss vom 26.06.1990 VII B 161/89, BFH/NV 1991, 393; Beschluss vom 15.01.2003 V S 17/02, BFH/NV 2003, 738; Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 159. Lfg. 01.2020, § 69 FGO Rn 34; Birkenfeld, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 256. Lfg. 02.2020, § 69 FGO Rn 248; Lange, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 256. Lfg. 02.2020, § 114 FGO Rn 49 f.).

    27

    Gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 19.03.2020 mussten, obwohl diese Maßnahmen vollziehbare Verwaltungsakte darstellen, die Antragsteller keine vorherige Anfechtung mittels Einspruch und Anfechtungsklage durchführen und auch keinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stellen. Zur Erreichung ihres angestrebten Ziels, nämlich der Freigabe ihrer Bankkonten, können die Antragsteller stattdessen eine Regelungsanordnung beantragen, weil sie im vorliegenden Verfahren nicht die Rechtswidrigkeit der Pfändungs- und Überweisungsverfügung an sich infrage stellen, sondern die Vollstreckungsmaßnahmen aus Billigkeitsgründen aufgehoben wissen wollen. Dies zeigt insbesondere die wiederholte Beantragung von Vollstreckungsschutz bei dem FA, zunächst mit Schreiben vom 18.02.2020 und sodann erneut mit Schreiben vom 30.03.2020, mit denen die Antragsteller das Unterlassen bzw. die Beendigung der Kontopfändungen verfolgten.

    28

    b) Der Antrag ist auch begründet.

    29

    Die Antragsteller haben einen auf vorläufige Aufhebung der Kontopfändungen gemäß § 258 AO gerichteten Anspruch. Wegen der Selbstbindung der Verwaltung, ausgedrückt durch das BMF-Schreiben vom 19.03.2020, ist über Art. 3 Abs. 1 GG das Ermessen des FA auf das Absehen von Vollstreckungsmaßnahmen bis zum 31.12.2020 reduziert und schließt die Aufhebung bereits erfolgter und ohne Weiteres aufhebbarer Vollstreckungsmaßnahmen ein. Durch Darlegung der Voraussetzung dieses Anspruchs ist auch die Notwendigkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) bezeichnet. Die Glaubhaftmachung ist erfolgt.

    30

    aa) Der Anordnungsanspruch der Antragsteller ergibt sich aus § 258 AO.

    31

    Nach § 258 AO kann die Finanzbehörde als Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung einstweilen einstellen oder beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben, soweit die Vollstreckung im Einzelfall unbillig ist. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BFH eine Unbilligkeit im Sinne von § 258 AO anzunehmen, wenn die Vollstreckung oder einzelne Vollstreckungsmaßnahmen dem Vollstreckungsschuldner einen unangemessenen Nachteil bringen würde, der durch kurzfristiges Zuwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden könnte (vgl. BFH-Beschluss vom 18.11.2010 XI B 56/10, BFH/NV 2011, 199; Beschluss vom 21.04.2009 I B 178/08, BFH/NV 2009, 1596). Das der Finanzbehörde durch § 258 AO eingeräumte Ermessen ist entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und muss die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhalten (§ 5 AO)

    32

    (1) Die Vollstreckung in die Bankguthaben der Antragsteller ist angesichts der derzeitigen Situation unter besonderer Berücksichtigung der durch die Corona-Pandemie erwirkten Einschränkungen für die Antragsteller unbillig.

    33

    Die Unangemessenheit der Nachteile für die Antragsteller ergibt sich dabei nicht aus der Ausbringung der Zwangsvollstreckungsmaßnahmen an sich, denn Nachteile sind diesen innewohnend und daher nicht für sich unangemessen. Durch die Pfändungs- und Überweisungsverfügungen in der derzeitigen Situation ergeben sich jedoch Nachteile besonderer Art, die sie unangemessen und damit unbillig werden lassen. Sie bewirken nämlich eine besondere Doppelbelastung für die Antragsteller. Denn die Pfandverstrickung und das ausgesprochene Verfügungsverbot führen zu einem faktischen Liquiditätsentzug in Höhe der gepfändeten Bankguthaben und haben zur Folge, dass die Antragsteller ihren Lebensunterhalt und die zur Bewirtschaftung der Vermietungsobjekte notwendigen finanziellen Mittel, darunter auch die Zahlung von Finanzierungszinsen, soweit vorhanden aus anderweitigen Quellen bestreiten müssten. Die zu anderer Zeit regelmäßigen Mietzahlungen, die eine stetige Liquidität sicherstellen können, fallen angesichts der derzeitigen wirtschaftlichen Situation aus, weil sich die Antragsteller Mieteinbehaltungen unter anderem für April 2020 und gegebenenfalls darüber hinaus ausgesetzt sehen, zugleich aber daran gehindert sind, die ihnen sonst bei Nichtzahlung von Mieten zustehenden Kündigungsrechte geltend zu machen. So sieht Art. 5 § 2 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht zwar vor, dass die Mietverpflichtungen den Zeitraum April 2020 bis Juni 2020 weiterhin fällig bleiben und auch Verzugszinsen entstehen können. Auch müssen die rückständigen Mieten aus dem Zeitraum vom 01.04.2020 bis 30.06.2020 bis zum 30.06.2022 beglichen werden. Für den Moment führt dieser vorübergehende Mieterschutz indes zu Benachteiligungen für Vermieter wie die Antragsteller, die Liquiditätseinbußen zu tragen haben und umso mehr auf vorhandene Liquidität angewiesen sind, denen aber durch Kontopfändungen gerade Liquidität entzogen wird.

    34

    (2) Das dem Finanzamt in § 258 AO grundsätzlich eingeräumte Ermessen wird durch Ziff. 3 des BMF-Schreibens vom 19.03.2020 in einer die Verwaltung selbstbindender Weise dahin gelenkt, dass bei nicht nur unerheblich betroffenen Steuerpflichtigen, zu denen die Antragsteller gehören, von der Vollstreckung fälliger Steuerforderungen abgesehen werden soll. Dies begründet für die Antragsteller über Art. 3 Abs. 1 GG einen auch vom Senat zu beachtenden Anspruch auf Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahmen.

    35

    § 258 AO sieht die Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung sowie die Aufhebung einer Vollstreckungsmaßnahme vor, die bei Unbilligkeit im Einzelfall von der Vollstreckungsbehörde angeordnet werden kann. Durch die Verlautbarung in Ziff. 3 des BMF-Schreibens vom 19.03.2020 wird dieses grundsätzlich eingeräumte Ermessen („kann“) dahingehend eingeschränkt, als dass das Bundesfinanzministerium und die obersten Finanzbehörden der Länder hiermit die regelmäßig bestehende Bandbreite der Ermessensausübung der einzelnen Finanzbehörde jedenfalls bis zum 31.12.2020 einengen und vorgeben, dass der Regelfall der Ermessensausübung nunmehr die Nichtdurchführung von Vollstreckungsmaßnahmen ist. Durch den hiermit neu gesetzten Regelfall der Ermessensausübung soll in Anbetracht der wirtschaftlichen Belastungen durch die Corona-Pandemie nunmehr das Absehen von der Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen das regelmäßige Ergebnis der Ermessensausübung sein. Denn anders als in § 258 AO vorgegeben, wonach eine Vollstreckungsmaßnahme eingestellt, beschränkt oder aufgehoben werden kann, weist das BMF-Schreiben nunmehr gerade an, dass von Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen werden „soll“.

    36

    (3) Die vorgenommene Einschränkung durch die obersten Finanzbehörden der Länder ist für alle nachgeordneten Behörden und damit auch für das FA zu berücksichtigen. Die Nichtberücksichtigung zulasten der Antragsteller ist mit dem Gleichheitssatz nicht zu vereinbaren.

    37

    Ein „Absehen“ von Vollstreckungsmaßnahmen im Sinne des Finanzamts, wonach nunmehr für den Regelfall keinerlei Vollstreckungsmaßnahmen mehr ergriffen werden, bisherige Vollstreckungsmaßnahmen aber fortbestehen und jedenfalls bei der Zwangsvollstreckung in Forderungen effektiv weiter betrieben werden, führt zu nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbaren Ungleichbehandlungen. Die Belastung mit einer Vollstreckung wird für die in die Vergleichsbetrachtung einzubeziehenden Gruppen von Steuerpflichtigen von nicht in ihrem Einflussbereich liegenden zeitlichen Momenten abhängig gemacht, ohne dass die unterschiedliche Behandlung eine sachliche Rechtfertigung erhält. Dabei sind denjenigen Steuerpflichtigen einerseits, gegen die ab Beachtung des BMF-Schreibens nicht mehr vollstreckt wird, diejenigen Steuerpflichtigen andererseits gegenüberzustellen, gegen die noch vor dem ersten Geltungstag der Ermessenseinschränkung Vollstreckungsmaßnahmen ausgebracht werden. Nur letztere Gruppe, zu der auch die Antragsteller gehören, wird dadurch von einer sie begünstigenden Regelung ausgeschlossen, wohingegen Steuerpflichtige, gegen die ebenfalls die Vollstreckung wegen rückständiger Steuerforderungen angezeigt wäre und die daher mit den Antragstellern in einer vergleichbaren Situation sind, unter Beachtung des BMF-Schreibens nunmehr bis zum 31.12.2020 keine Vollstreckungsmaßnahmen zu fürchten haben. Das Problem des zeitlichen Moments und die hieraus resultierende Ungleichbehandlung wird im Falle der Antragsteller umso deutlicher, als dass die gegen sie ergangenen Pfändungs- und Überweisungsverfügungen ebenso wie das BMF-Schreiben vom 19.03.2020 stammen und die Antragsteller damit bei unterstellter Kenntnisnahme des BMF-Schreibens durch das FA ebenfalls am 19.03.2020 möglicherweise keine Vollstreckungsmaßnahmen hätten befürchten müssen. Ein weiteres Problem des zeitlichen Moments ergibt sich ferner daraus, dass die Pfändungs- und Überweisungsverfügungen gegen die Antragsteller sogar erst nach dem 19.03.2020 ihre rechtliche Wirksamkeit entfaltet haben. Denn zwar wurden die Maßnahmen am 19.03.2020 verfügt, den Drittschuldnern (Bank C und Bank D) wurden die Verfügungen jedoch erst am 25.03.2020 zugestellt. Die Zustellung an den Drittschuldner ist dabei jedoch der rechtlich maßgebliche Zeitpunkt, weil erst mit der zwingend notwendigen Zustellung an den Drittschuldner die Pfändung bewirkt ist (§ 309 Abs. 2 Satz 1 AO). Ein „Absehen“ von der Zwangsvollstreckung i.S.d. BMF-Schreibens gebietet daher auch die Beendigung noch laufender Zwangsvollstreckungsmaßnahmen (so zuletzt auch Rothbächer, Deutsches Steuerrecht ‒DStR‒ 2020, 1014, 1020).

    38

    bb) Zugunsten der Antragsteller liegt auch ein Anordnungsgrund für die einstweilige Anordnung vor. Er besteht in den glaubhaft gemachten, erheblichen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen der Antragsteller durch die Corona-Krise, die das FA ‒wie dargelegt‒ unter Gleichheitsgesichtspunkten zu einer entsprechenden Rücksichtnahme verpflichtet. Das Interesse der Antragsteller an der vorläufigen Beendigung der Zwangsvollstreckungsmaßnahmen überwiegt das öffentliche Interesse an der zwangsweisen Geltendmachung der Steuerforderung.

    39

    Für den Regelfall eines Anordnungsgrunds wird gefordert, dass die einstweilige Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens notwendig erscheint. Das private Interesse des Antragstellers an der einstweiligen Regelung muss das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustands überwiegen und die vorläufige Maßnahme muss unumgänglich sein, um eine wesentliche Beeinträchtigung der Rechtsposition des Antragstellers zu verhindern (Stapperfend, in: Gräber, FGO, 9. Auflage 2019, § 114 Rn 56 mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Die für den Erlass einer Anordnung geltend gemachten Gründe müssen jedenfalls ähnlich gewichtig und bedeutsam sein wie die im Gesetz ausdrücklich genannten (BFH-Beschluss vom 27.01.2016 VII B 119/15, BFH/NV 2016, 1586; Beschluss vom 24.05.2016 V B 123/15, BFH/NV 2016, 1253).

    40

    Bei der vorzunehmenden Abwägung ist zu berücksichtigen, dass unter regulären Umständen für die Finanzbehörde die Verpflichtung besteht, fällige Steuerforderungen notfalls im Vollstreckungswege beizutreiben. Hierdurch kommt das von Gesetzes wegen ausgedrückte Interesse an einem Steuervollzug zum Ausdruck, dass regelmäßig das Interesse des Steuerpflichtigen an einer Verschonung von der Steuerbelastung überwiegt.

    41

    Anders ist die Interessenverteilung jedoch vor dem Hintergrund der sich durch die Corona-Einschränkungen ergebenden Auswirkungen auf die Wirtschaftsteilnehmer, die letztlich auch ausschlaggebend für den Erlass des BMF-Schreibens vom 19.03.2020 waren. Denn anders als die unter gewöhnlichen Umständen zu erwartenden Nachteile durch die Steuervollstreckung und die hierauf beruhenden Kontopfändungen sehen sich die Antragsteller ohne Beendigung der Kontopfändungen zusätzlichen Nachteilen ausgesetzt. Ihnen wird nicht nur der Zugriff auf Ihr Bankguthaben verwehrt, sondern ihre Liquidität wird durch Ausbleiben der Mieteinnahmen noch darüber hinaus geschmälert. Zur Vermeidung solcher Doppelbelastungen durch wirtschaftliche Einbußen durch die Corona-Pandemie einerseits und die ungeachtet dessen fortbestehende Verpflichtung zur Entrichtung fälliger Steuerverbindlichkeiten ist die Steuerverwaltung im Weisungswege vorgegangen und hat zur Liquiditätsstärkung der Wirtschaftsteilnehmer in großzügiger Weise die Verpflichtung zur definitiven Steuerzahlung zeitlich bis zum 31.12.2020 hinausgeschoben.

    42

    Die Interessenabwägung muss auch deshalb zugunsten der Antragsteller ausfallen, weil sie bei fortwährender Kontopfändung und Nichtbeachtung der Regelungen des BMF-Schreibens vom 19.03.2020 einem gleichheitswidrigen Grundrechtseingriff ausgesetzt sind, der über das reguläre, durch das Interesse am Steuervollzug gerechtfertigte Maß hinausgeht. Bei Vorliegen eines nicht gerechtfertigten Grundrechtseingriffs ist die Interessenabwägung stets zugunsten des Grundrechtsträgers auszuüben.

    43

    cc) Die den Anordnungsanspruch sowie den Anordnungsgrund darstellenden Tatsachen haben die Antragsteller glaubhaft gemacht.

    44

    Die Vorlage unter anderem der Korrespondenz mit einigen Mietern der Antragsteller, in der zum Teil ausdrücklich ein Mieteinbehalt wegen der Corona-Pandemie angekündigt wird und zum Teil eine Beendigung des Mietvertrags in Aussicht gestellt wird, wenn der Antragsteller seinem Mieter für die Mietzahlungen während der Corona-Krise nicht entgegenkommt, legen zusammen mit der eidesstattlichen Versicherung zur Überzeugung des Senats eine Betroffenheit der Antragsteller schlüssig dar, um zu dem Kreis der von dem BMF-Schreiben Begünstigten zu gehören.

    45

    dd) Wegen der im BMF-Schreiben vom 19.03.2020 angeordneten zeitlichen Geltungsdauer des Absehens von Vollstreckungsmaßnahmen bis zum 31.12.2020 war anzuordnen, dass das FA jedenfalls nicht vor Ablauf dieses Tages erneute Kontopfändungen vornimmt.

    46

    2. Die angeordnete Aufhebung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung ist zur Durchsetzung des Anspruchs der Antragsteller die notwendige Regelung.

    47

    Nach § 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO bestimmt das Gericht nach freiem Ermessen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zwecks der Regelungsanordnung erforderlich sind. Hierdurch wird dem Gericht eine eigene echte Ermessensentscheidung eingeräumt. Die angeordnete Maßnahme muss zur Erreichung des Zwecks nötig, jedoch auch ausreichend sein. Als Maßnahmen zur Regelung stehen Gebote oder Verbote an die Finanzbehörde zur Verfügung.

    48

    Der Anspruch der Antragsteller auf Beendigung der Kontopfändungen ist einzig durch Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahmen durchzusetzen. Die Anordnung einer dahingehenden Verpflichtung des FA durch das Gericht ist ermessensfehlerfrei.

    49

    3. Die Anordnung der Sicherheitsleistung beruht auf § 114 FGO i.V.m. § 921 Satz 2 ZPO. Hiernach steht es im Ermessen des Finanzgerichts, den Ausspruch der einstweiligen Anordnung von einer Sicherheitsleistung des Antragstellers abhängig zu machen.

    50

    Für die Ausübung dieses Ermessens dahingehend, die Aufhebung der Pfändungs- und Einziehungsverfügungen gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 380.000 Euro anzuordnen, ist das Ergebnis der Abwägung des Sicherungsbedürfnisses des FA einerseits gegenüber dem Regelungsbedürfnis der Antragsteller andererseits maßgeblich.

    51

    Bei der Abwägung ist zugunsten der Antragsteller ihr Interesse an der Beendigung der Zwangsvollstreckung und der andernfalls damit verbundenen Rechtsverletzung zu berücksichtigen. Auch ist in die Abwägung einzubeziehen, dass die Vollstreckungssumme zu ca. 15% (112.095 Euro) auf Säumniszuschläge zurückzuführen ist, die in Höhe von 80.286 Euro aus der Einkommensteuerfestsetzung für 2010 resultieren soll. Der Säumniszuschlag für die Einkommensteuerfestsetzung 2010 beträgt damit ca. das Doppelte der Steuerforderung für 2010 und ist seiner Entstehung und der Höhe nach für den Senat nach summarischer Prüfung nicht nachvollziehbar.

    52

    Zugunsten des FA ist neben der Höhe der vollstreckten Steuerforderung auch zu berücksichtigen, dass es sich hierbei um Steuerschulden aus bereits länger zurückliegenden Jahren handelt. Ebenfalls in die Betrachtung einzubeziehen ist das Risiko des FA, bei einer zukünftigen Vollstreckung gegen die Antragsteller wegen der derzeit nicht absehbaren wirtschaftlichen Situation der Antragsteller in der Zukunft ein geringeres vollstreckbares Vermögen vorzufinden. Dieses Risiko ist durch die Sicherheitsleistung zu reduzieren.

    53

    Unter Abwägung dieser gegenseitigen Interessen hält es der Senat für interessengerecht, die einstweilige Beendigung der Zwangsvollstreckung gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von ca. 50% des Vollstreckungsbetrags auszusprechen.

    54

    4. Die Beschwerde war nach §§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Die im Streitfall entscheidenden Fragen haben grundsätzliche Bedeutung. Dies betrifft zum einen die Frage, ob durch das BMF-Schreiben vom 19.03.2020 zugunsten eines Steuerpflichtigen ein subjektiver Anspruch auf ein Absehen von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen herzuleiten ist, und bejahendenfalls ab welchem Zeitpunkt ein solcher Anspruch bestehen kann. Darüber hinaus ist nicht geklärt, ob das „Absehen“ von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen lediglich gebietet, keine weiteren Vollstreckungsmaßnahmen auszubringen, oder ob vor dem Hintergrund des Erlasses des BMF-Schreibens auch bereits ausgebrachte Vollstreckungsmaßnahmen mit liquiditätsentziehender Wirkung aufzuheben sind.

    55

    5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. In der Anordnung der einstweiligen Beendigung der Zwangsvollstreckung gegen die Antragsteller nur gegen Sicherheitsleistung liegt kein teilweises Unterliegen (vgl. Brandis, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 160. Lieferung 04.2020, § 135 FGO Rn 10 a. E. mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung).

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