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  • 09.08.2018 · IWW-Abrufnummer 202861

    Finanzgericht Bremen: Urteil vom 06.06.2018 – 1 K 65/17 (5)

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    FG Bremen

    06.06.2018

    1 K 65/17 (5)

    In dem Rechtsstreit
    1.,
    2.,
    Kläger,
    Proz.Bev.: zu 1-2: AG,
    gegen
    Finanzamt
    Beklagter,

    wegen Einkommensteuer 2002 und 2003

    hat das Finanzgericht Bremen - 1. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 6. Juni 2018 durch
    den Präsidenten des Finanzgerichts...,
    die Richterin am Finanzgericht...,
    den Richter am Finanzgericht...
    den ehrenamtlichen Richter... und
    den ehrenamtlichen Richter...

    für Recht erkannt:

    Tenor:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.

    Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Streitig ist, ob eine Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist eingetreten ist.

    Die Kläger sind verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Ihre Einkommensteuererklärungen wurden für 2002 am 18. Juli 2003 und für 2003 am 11. Mai 2004 abgegeben.

    Mit Schreiben vom 7. Juni 2013 (Bl. 89 - 98 GA) gaben die Kläger Berichtigungserklärungen für die Jahre 2002 bis 2011 ab. Sie teilten mit, zwischen den Jahren 1965 und 1998 versteuertes Vermögen auf Konten in der Schweiz gebracht zu haben.

    Mit diesem Vermögen hätten sie Einkünfte aus Kapitalvermögen und privaten Veräußerungsgeschäften und Renteneinkünfte erzielt, die sie in ihren Steuererklärungen nicht angegeben hätten. Sie schätzten die Einkünfte aus diesen Konten für die Streitjahre wie folgt:
     
        2002    2003      
    Kapitalerträge (§§ 20, 22 EStG) ohne Halbeinkünfteverfahren in EUR    xx    Xx      
    Spekulationsgeschäfte (§ 23 EStG) ohne Halbeinkünfteverfahren in EUR    xx    xx     

    Ferner seien Einnahmen aus der ... GmbH, deren Gesellschafter-Geschäftsführer der Kläger gemeinsam mit Herrn A gewesen sei, direkt auf das gemeinsame Depot des Klägers und des Herrn A geflossen. Auf den Kläger entfielen daher verdeckte Gewinnausschüttungen für 2002 in Höhe von xx EUR und für 2003 in Höhe von xx EUR.

    Im Juli 2013 leisteten die Kläger eine Zahlung von xx EUR für die zu erwartenden Steuernachforderungen.

    Mit Schreiben vom 3. September 2013 (Bl. 101 - 105 GA) reichten die Kläger Ermittlungen der nicht deklarierten Einnahmen nach, denen Erträgnisaufstellungen und Kontoauszüge beigefügt waren. Sie fügten Anlagen KAP, AUS und SO für die Jahre 2002 bis 2005 bei, in die sie ausschließlich die Einkünfte aus der Kapitalanlage aus ihrer Nacherklärung eintrugen (Bl. 107 - 128 GA).

    Am 4. November 2013 wurde ein Strafverfahren gegen den Kläger für die Jahre 2007 bis 2011 eingeleitet.

    Mit Schreiben vom 13. November 2013 (Bl. 17f. GA) der Steuerfahndungs- und Strafsachenstelle des Finanzamts ... wurde den Klägern mitgeteilt, dass ihr Schreiben vom 7. Juni 2013 als Selbstanzeige im Sinne von § 371 Abs. 1 AO gewertet werde und am 4. November 2013 für die Jahre 2007 bis 2011 ein Strafverfahren eingeleitet worden sei. Für die Jahre 2000 bis 2006 sei zwar Strafverfolgungsverjährung eingetreten, jedoch noch Einkommensteuer nachzufordern. Es werde gebeten, für die vorgenannten Jahre die Einkünfte, soweit noch nicht geschehen, zu belegen und aufzugliedern und Feststellungserklärungen einzureichen. Weiterhin heißt es in dem Schreiben:

    "An Unterlagen bitte ich einzureichen, soweit noch nicht erfolgt:
    1) ===
    2) Kopien der Kontoeröffnungsunterlagen
    3) Kopien sämtlicher Bevollmächtigungen
    4) ===
    5) Vermögensübersichten/Depotaufstellungen per 31.12. eines jeden Jahres
    6) Erträgnisaufstellungen und deutsche Steuerbescheinigungen, insbesondere für das Konto ... bei der ...
    7) ===
    8) Vollständigkeitserklärung der Bank über die zugesandten Unterlagen."

    Mit Schreiben vom 15. Januar 2014 (Bl. 129 f. GA) übersandten die Kläger der Steuerfahndungsstelle einen Teil der geforderten Unterlagen.

    Mit Schreiben vom 16. April 2015 (Bl. 140 f. GA) teilte die Steuerfahndungsstelle den Klägern mit, dass die Prüfung der eingereichten Unterlagen und erteilten Auskünfte abgeschlossen worden sei. Die von den Klägern ermittelten und sich aus den von ihnen übersandten Tabellen ergebenen Beträge würden grundsätzlich übernommen. Es sei eine "Zinszahlung aus Rückzahlung Treuhand" in Höhe von xx EUR im Jahr 2003 nicht erfasst gewesen. Ferner sei die Berücksichtigung eines nacherklärten Verlustes aus privaten Veräußerungsgeschäften im Jahr 2002 nicht möglich, da insoweit keine Steuer hinterzogen worden sei, so dass sich die Festsetzungsfrist nicht auf zehn Jahre verlängere. Die in den Erträgnisaufstellungen und Belegen ausgewiesenen deutschen Steuerabzugsbeträge könnten nicht in Anrechnung gebracht werden, da die vorgeschriebenen Steuerbescheinigungen nicht vorlägen. Der Kläger habe bei Beginn der Rentenzahlungen in 2000 das 65. Lebensjahr vollendet gehabt. Daher betrage der zu versteuernde Ertragsanteil bis einschließlich 2004 27%.

    In ihrem Antwortschreiben vom 19. Mai 2015 (Bl. 142 - 145 GA) stimmten die Kläger den im Schreiben vom 16. April 2015 angegebenen Änderungen betreffend die Streitjahre zu. Die Zinszahlung aus der Rückzahlung der Treuhandanlage sei bisher nicht erfasst worden.

    Am 5. August 2015 übersandte die Steuerfahndungs- und Strafsachenstelle dem Finanzamt die von den Prozessbevollmächtigten der Kläger gefertigten Anlagen KAP, AUS 2002 bis 2005, SO 2002 bis 2004, 2008 und 2009, R 2005 bis 2011 mit den nacherklärten Einnahmen, Anrechnungsbeträgen und Werbungskosten (Bl. 15 Einkommensteuerakten). Die Prüfungsfeststellungen zu den zu ändernden Kennziffern und Beträgen seien vom Fahndungsprüfer gelb gekennzeichnet worden. Die übrigen Kennziffern blieben unverändert. Es werde vorgeschlagen, die entsprechenden Steuerfestsetzungen zu ändern.

    Mit Bescheiden vom 27. August 2015 wurden die Festsetzungen der Einkommensteuer 2002 und 2003 geändert.

    Ihre Einsprüche vom 19. September 2015 begründeten die Kläger damit, dass die Jahre 2002 und 2003 festsetzungsverjährt seien. Die zehnjährige Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO sei für 2002 mit Ablauf des Jahres 2013 und für 2003 mit Ablauf des Jahres 2014 beendet.

    Die einjährige Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO verlängere die Frist für das Jahr 2002 nur bis zum 7. Juni 2014, da die Selbstanzeige ausweislich der Bescheide am 7. Juni 2013 erfolgt sei.

    Eine weitere Hemmung der Frist nach § 171 Abs. 5 AO liege nicht vor. § 171 Abs. 5 AO greife nur für die Jahre ein, für die das Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei (BFH-Urteile vom 08. Juli 2009 VIII R 5/07, BFHE 226, 198, BStBl II 2010, 583 und BFH, Urteil vom 17. Dezember 2015 V R 58/14, BFHE 252, 5, BStBl II 2016, 574). Das am 4. November 2013 eingeleitete Strafverfahren beziehe sich nur auf die Jahre 2007 bis 2011.

    Der Fristablauf werde gemäß § 171 Abs. 5 AO nur insoweit gehemmt, als die Ergebnisse der Ermittlungen sich auf die Höhe der festzusetzenden Steuer auswirkten (BFH-Urteile vom 14. April 1999 XI R 30/96, BFHE 188, 286, BStBl II 1999, 478 und 24. April 2002 I R 25/01, BFHE 198, 303, BStBl II 2002, 586). Die Ablaufhemmung laufe ins Leere, wenn sich auf Grund der Ermittlungen keine Änderung der Besteuerungsgrundlagen ergebe (BFH-Urteil vom 08. Juli 2009 XI R 41/08, BFH/NV 2010, 1).

    In den Steuerbescheiden vom 27. August 2015 seien die von den Klägern in den Schreiben vom 7. Juni 2013 und 2. September 2013 übernommenen Werte übernommen worden.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 7. März 2017 wurden die Einsprüche zurückgewiesen. Zur Begründung wird ausgeführt, dass bei Erlass der angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen gewesen sei.

    Der Ablauf der Festsetzungsfrist sei nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO gehemmt gewesen. Danach laufe die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor die auf Grund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden seien. Voraussetzung sei, dass Ermittlungshandlungen vor Ablauf der Festsetzungsfrist tatsächlich vorgenommen worden seien. Ferner müsse für den Steuerpflichtigen erkennbar sein, dass in seinen Steuerangelegenheiten ermittelt werde.

    Die Steuerfahndungsstelle habe den Klägern mit Schreiben vom 13. November 2013 mitgeteilt, dass sie auch für die Jahre ab 2000 noch Ermittlungen aufgenommen habe, und noch weitere Unterlagen angefordert. Sie habe damit eindeutig zu erkennen gegeben, dass noch weitere Ermittlungen erforderlich seien.

    Am 4. April 2017 ist Klage erhoben worden.

    In Ergänzung ihres Vorbringens aus dem Einspruchsverfahren tragen die Kläger vor, dass das am 4. November 2013 eingeleitete Strafverfahren mit Schreiben vom 15. Dezember 2016 eingestellt worden sei.

    Die Kläger hätten ihre Steuererklärungen stets im Folgejahr abgegeben, so dass die reguläre Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO für 2002 mit Ablauf des Kalenderjahres 2013 und für 2003 mit Ablauf des Kalenderjahres 2014 ende.

    Die Hemmung der Verjährung bestimme sich nach § 171 Abs. 9 AO. Die Selbstanzeige sei am 7. Juni 2013 erfolgt, so dass sich die Frist für das Jahr 2002 und 2003 nur bis zum 7. Juni 2014 verlängere. Die Bescheide für 2002 und 2003 seien am 27. August 2015 und damit nach Ablauf der durch § 171 Abs. 9 AO verlängerten Festsetzungsfrist erlassen worden. § 171 Abs. 9 AO gehe im Falle einer Selbstanzeige als speziellere Norm der allgemeineren Regelung des § 171 Abs. 5 AO vor.

    Zum Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide vom 27. August 2015 sei selbst bei Anwendung des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO Festsetzungsverjährung eingetreten. Die Frist sei nicht nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO gehemmt gewesen, da das mit Schreiben vom 4. November 2013 eröffnete Strafverfahren nur die Jahre 2007 bis 2011 umfasst habe. Eine Hemmung nach § 171 Abs. 5 AO erfordere, dass sich auf Grund der Ermittlungen eine Änderung der Besteuerungsgrundlagen ergebe. Nach dem BFH-Urteil vom 8. Juli 2009 VIII R 5/07, BFHE 226, 198, BStBl II 2010, 583 greife diese Bestimmung nur für die Jahre ein, für die das Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei. Diese Rechtsprechung sei durch das BFH-Urteil vom 17. Dezember 2015 V R 58/14, BFHE 252, 5, BStBl II 2016, 574 bestätigt worden und werde auch in der Literatur geteilt. § 171 Abs. 5 AO sei nur für die Fälle des § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 AO anwendbar. Ausdrücklich sei eine Steuerstraftat erforderlich. Diese liege aber wegen des Eintritts der Strafverfolgungsverjährung nicht vor.

    Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO wirke sich nicht auf den gesamten Steueranspruch aus, sondern habe nur punktuelle Wirkungen (BFH-Urteil vom 14. April 1999 XI R 30/96, BFHE 188, 286, BStBl II 1999, 478). Sie richte sich nur auf die Besteuerungsgrundlagen, die durch die Ermittlungen aufgedeckt worden seien. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO trete nur in dem Umfang ein, in dem sich die Ergebnisse der Ermittlungen auf die festzusetzende Steuer auswirkten (Nr. 4.1 AEAO zu § 171 AO). Eine andere Auslegung würde dazu führen, dass die gesetzlich vorgesehene Begrenzung der Ablaufhemmung bei Selbstanzeigen ausgehebelt werden könnte, indem irgendwelche Unterlagen seitens der Strafsachenstelle angefordert werden würden. Nach dem BFH-Urteil vom 14. April 2005 XI R 83/03, BFH/NV 2005, 1961 müssten sich die Ermittlungen auf die festzusetzende Steuer tatsächlich ausgewirkt haben. Eine mögliche Auswirkung reiche nicht aus.

    Aus dem BFH-Urteil vom 17. Dezember 2015 V R 58/14, BFHE 252, 5, BStBl II 2016, 574 ergebe sich eindeutig, dass § 171 Abs. 5 AO nicht für Sachverhalte eingreifen könne, die der Steuerfahndung auf Grund einer Erklärung des Steuerpflichtigen bereits vor den Ermittlungshandlungen bekannt seien. Daher könne diese Bestimmung vorliegend nicht greifen.

    § 171 Abs. 5 Satz 1 AO diene dazu, die Verwertung der Ergebnisse langwieriger Ermittlungen der Fahndungsdienste in Fällen unaufgeklärter Steuerkriminalität sicherzustellen. Es solle keine unbegrenzte Ablaufhemmung für solche Fallkonstellationen generiert werden, in denen der Steuerpflichtige bereits in qualifizierter Form alle benötigten Unterlagen bereitgestellt habe.

    Voraussetzung für eine Hemmung nach § 171 Abs. 5 AO sei auch, dass für den Steuerpflichtigen erkennbar ernsthafte Ermittlungen der Steuerfahndung gegen ihn geführt würden.

    Die mit dem Schreiben vom 13. November 2013 angeforderten Unterlagen hätten nur der Verifizierung der Selbstanzeige vom 7. Juni 2013 gedient und seien keine selbständigen Ermittlungshandlungen gewesen. Durch die für die Jahre 2002 und 2003 zusätzlich angeforderten Unterlagen hätten keine zusätzlichen Besteuerungsgrundlagen des Klägers erforscht werden können. Der Sachverhalt sei bereits vollumfänglich mit der Selbstanzeige offengelegt worden. Zusätzliche Konten oder Depots seien auf Grund der Ermittlungen nicht gefunden worden.

    Bereits am 3. September 2013 seien dem Finanzamt umfangreiche Berechnungen der nachzuversteuernden Erträge übersandt worden. Die Berechnungen seien erfolgt, indem für jedes Konto/Depot eine Erträgnisaufstellung nach deutschem Steuerrecht angefertigt worden sei und die Ergebnisse in steuerlichen Gesamtübersichten pro Jahr zusammengefasst worden seien. Die Erträge seien in Steuererklärungsformulare eingetragen worden. Zur Überprüfung seien nochmals die vorhandenen Erträgnisaufstellungen der schweizerischen Banken und die Kontoauszüge für die nacherklärten Jahre übersandt worden.

    Die Überprüfung habe nur anhand der vor dem Schreiben vom 13. November 2013 übersandten Unterlagen erfolgen können. Die Sachverhalte seien vor dem Beginn der Ermittlungshandlungen bereits bekannt gewesen, die nachträglich angeforderten Unterlagen hätten keine Auswirkung auf die Steuerfestsetzung gehabt.

    Das Schreiben vom 13. November 2013 habe sich ausschließlich auf die Nacherklärung bezogen. Mit dem Schreiben seien Unterlagen zusätzlich angefordert worden, die sowohl für die Überprüfung der Selbstanzeige als auch für die Ermittlung zusätzlicher Besteuerungsgrundlagen des Klägers irrelevant gewesen seien. Aus Gründen der Kooperationsbereitschaft seien die angeforderten Unterlagen, soweit sie beschaffbar gewesen seien, übersandt worden.

    Die Kontoeröffnungsunterlagen und Bevollmächtigungen seien für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen des Klägers unerheblich gewesen.

    Wenn diese der Überprüfung erbschaft- und schenkungsteuerlich relevanter Tatbestände gedient habe, könne eine Ablaufhemmung für die Einkommensteuer nicht ausgelöst werden.

    Die Depotaufstellungen gäben keinen Aufschluss über den unterjährigen Zufluss von Erträgen. Es ergebe sich in der Regel der Bestand des Depots zum Jahresende. Diese Bestände seien bereits in der Nacherklärung vom 7. Juni 2013 mitgeteilt worden.

    Bei dem Konto ... bei der ... handele es sich um ein reines Girokonto, auf dem keine Erträge angefallen seien. Darauf sei bereits in der Selbstanzeige vom 7. Juni 2013 hingewiesen worden.

    Die geforderte Vollständigkeitserklärung der Bank über die Zusendung sämtlicher Unterlagen der betreffenden Konten sei ebenfalls irrelevant. Die Bank habe sich geweigert, eine solche Bestätigung auszustellen, da eine solche Bitte noch in keinem anderen Fall an sie herangetragen worden sei. Der Nachweis der Vollständigkeit sei durch die Übersendung der fortlaufenden Kontoauszüge bereits am 3. September 2013 erbracht worden.

    § 171 Abs. 14 AO sei vorliegend nicht anwendbar.

    Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 10/1636, S. 44) solle durch diese Bestimmung die Gestaltungsmöglichkeit vermieden werden, die bestehe, wenn ein Steuerpflichtiger auf einen nichtigen Steuerbescheid hin die festgesetzte Steuer zahle und erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist seinen Erstattungsanspruch geltend mache. Der Fall des Klägers liege anders. Er habe eine Akontozahlung zur Erlangung der Straffreiheit geleistet. Zu diesem Zeitpunkt habe es keinen geänderten Steuerbescheid gegeben.

    Weiterhin sei erforderlich, dass der Erstattungsanspruch vor Eintritt der Festsetzungsverjährung entstanden sei. Bei einer freiwilligen Zahlung vor Festsetzung der Leistungspflicht durch einen Verwaltungsakt entstehe kein Erstattungsanspruch. Vielmehr werde der materiell bereits entstandene Anspruch durch die Leistung erfüllt. Erst mit dem Eintritt der Festsetzungsverjährung entstehe der Erstattungsanspruch. Mit Ablauf der Festsetzungsfrist erlösche der materiell-rechtliche Anspruch nach § 47 AO. Der Erstattungsanspruch sei gerade nicht vor dem Eintritt der Festsetzungsverjährung entstanden, so dass § 171 Abs. 14 AO tatbestandlich nicht erfüllt sei.

    Es fehle auch der erforderliche Zusammenhang. Nach dem Wortlaut der Norm des § 171 Abs. 14 AO sei ausdrücklich ein Zusammenhang zwischen der Hemmung der Festsetzungsfrist und einem diesbezüglichen Erstattungsanspruch erforderlich. Ein solcher Zusammenhang sei nach dem BFH-Urteil vom 13. März 2001 VIII R 37/00, BFHE 194, 326, BStBl II 2001, 430 gegeben, wenn der Steuerpflichtige auf einen unwirksamen Steuerbescheid hin leiste. Diese Interpretation werde auch von der Finanzverwaltung in AEAO zu § 171 Abs. 14 AO Nr. 9 vorgenommen. Die Kläger hätten jedoch nicht auf Grund eines Steuerbescheides, sondern freiwillig zur Erlangung der Straffreiheit gezahlt.

    Die Kläger beantragen,

    die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2002 und 2003 vom 27. August 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. März 2017 aufzuheben.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er bezieht sich auf seine Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus, dass § 171 Abs. 5 AO nicht allgemein durch § 171 Abs. 9 AO verdrängt werde. § 171 Abs. 9 AO verdränge § 171 Abs. 5 AO lediglich für den Fall, dass der Steuerpflichtige vor Ablauf der 10-jährigen Festsetzungsfrist die Selbstanzeige erstatte und die Finanzbehörde erst nach Ablauf dieser Frist ein Steuerstrafverfahren einleite. Die Ermittlungen gegenüber den Klägern hätten jedoch noch vor Ablauf der 10-jährigen Festsetzungsfrist begonnen.

    Der Hemmung nach § 171 Abs. 5 AO stehe nicht entgegen, dass das gegen die Kläger am 4. November 2013 eingeleitete Strafverfahren nur die Jahre 2007 bis 2011 umfasse. Denn die Steuerfahndungsstelle habe den Klägern gleichzeitig mitgeteilt, dass sie auch für die Jahre ab 2000 noch Ermittlungen aufgenommen habe. Weiterhin habe sie noch diverse Unterlagen angefordert. Sie habe damit deutlich gemacht, dass sie weitere Ermittlungen für erforderlich gehalten habe. Nach dem BFH, Beschluss vom 16. Dezember 1997 VII B 45/97, BFHE 184, 266, BStBl II 1998, 231 gehöre die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen im Zusammenhang mit der Erforschung von Steuerstraftaten und -ordnungswidrigkeiten auch dann zu den Aufgaben der Steuerfahndung, wenn hinsichtlich dieser Delikte Strafverfolgungsverjährung eingetreten sei. Zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen im Sinne von § 171 Abs. 5 Satz 1 AO gehöre daher auch die Feststellung des vom Eintritt der Strafverfolgungsverjährung unberührten Steueranspruchs des Staates, sofern die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO noch nicht abgelaufen sei.

    Die Kläger könnten aus dem BFH-Urteil vom 8. Juli 2009 VIII R 5/07, BFHE 226, 198, BStBl II 2010, 583 nichts für sich herleiten. Denn im dem Urteilsfall seien die Ermittlungen der Steuerfahndung erst nach Ablauf der regulären Festsetzungsverjährung aufgenommen worden.

    Die Steuerfahndung habe Ermittlungen vor Ablauf der Festsetzungsfrist für das Jahr 2002 am 31. Dezember 2013 bzw. für das Jahr 2003 am 31. Dezember 2014 tatsächlich vorgenommen, wodurch nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO Ablaufhemmung eingetreten sei. Es seien erkennbar ernsthafte und umfangreiche Ermittlungen vorgenommen worden.

    Der Beklagte bezieht sich auf eine Stellungnahme der Steuerfahndungsstelle vom 28. August 2017 (Bl. 136 f. GA). Darin wird ausgeführt, dass der Fahndungsprüfer in seinem Schreiben vom 13. November 2013 deutlich gemacht habe, dass er die Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 2000 bis 2011 überprüfe. Die Selbstanzeige des Klägers habe insgesamt acht Ordner und inhaltlich Angaben zu mehreren Steuerarten, Einkunftsarten, ausländischen Körperschaften und Vermögensmassen (Stiftungen) sowie ausländischen Kreditinstituten umfasst. Dies veranschauliche den Ermittlungsaufwand. Im Rahmen dieser Überprüfung, die eine Ermittlungsmaßnahme seitens der Steuerfahndung darstelle, sei auch von den im Rahmen der Selbstanzeige gemachten Angaben abgewichen worden. Dies folge aus dem Schreiben vom 16. April 2015 und der Antwort vom 19. Mai 2015. Die nachgeforderten Unterlagen seien steuerlich bedeutsam. Aus den Kontoeröffnungsunterlagen und Bevollmächtigungen sei ersichtlich, wann und durch wen ein Konto eröffnet worden sei und wer wirtschaftlich Berechtigter sei. Dies könne zu steuerlichen Folgen bei Dritten führen und wirke sich auf die Besteuerungsgrundlagen des Selbstanzeigers aus. Es sei auch zu prüfen, ob mit den nacherklärten Vermögensanlagen auch erbschaft- und schenkungsteuerlich relevante Tatbestände verwirklicht worden seien. Aus den Vermögensübersichten/Depotaufstellungen per 31.12. eines jeden Jahres seien die aufsummierten Vermögenszuflüsse und Vermögensabflüsse ersichtlich. Aus ihnen könnten sich daher weitere bisher unbekannte Vermögensquellen oder Kapitalanlagen ergeben. Die Depotverzeichnisse gäben Aufschluss über eventuelle Wertpapiereinbuchungen bzw. -ausbuchungen aus weiteren bzw. in weitere Depots. Diese Informationen seien aus einzelnen Kontoauszügen zum Teil nicht ersichtlich. Mit den Vollständigkeitserklärungen der Banken über die zugesandten Unterlagen sollten die Banken bestätigen, dass es keine weiteren Konten bzw. Depots gebe, bei denen der Steuerpflichtige als Kontoinhaber oder wirtschaftlich Berechtigter geführt werde oder geführt worden sei. Es handele sich um ein gängiges Ermittlungsinstrument. Die Kläger hätten diese Bescheinigung für das Bankhaus ... beigebracht.

    Der Ablauf der Festsetzungsfrist werde nach § 171 Abs. 5 AO insoweit gehemmt, als sich die Ergebnisse der Ermittlungen auf die Besteuerungsgrundlagen auswirken könnten. Es sei nicht entscheidend, dass sie sich tatsächlich ausgewirkt hätten (BFH-Urteil vom 14. April 2005 XI R 83/03, BFH/NV 2005, 1961).

    Dem BFH-Urteil vom 17. Dezember 2015 V R 58/14, BFHE 252, 5, BStBl II 2016, 574 könne nicht entnommen werden, dass die Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 5 Abs. 1 AO nicht greife bei Sachverhalten, die bereits vor den Ermittlungshandlungen bekannt seien.

    Nach dem BFH-Urteil vom 8. Juli 2009 VIII R 5/07, BFHE 226, 198, BStBl II 2010, 583 schließe eine Hemmung nach § 171 Abs. 9 AO eine weitere Hemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO nicht aus, sofern deren Voraussetzungen vor Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist verwirklicht worden seien. Vorliegend sei die Hemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO auf Grund der Ermittlungen der Steuerfahndung mit Schreiben vom 13. November 2013 vor Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist eingetreten. Es habe danach keine unzulässige Kombination der Festsetzungshemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO mit der Auswertungsfrist des § 171 Abs. 9 AO vorgelegen.

    Im Übrigen lägen auch die Voraussetzungen für die Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 14 AO vor.

    Weiterhin bezieht sich der Beklagte auf eine Stellungnahme der Steuerfahndungsstelle vom 22. Dezember 2017 (Bl. 170 f. GA).

    Die Akten des Beklagten (1 Bd. Einkommensteuerakten, 1 Bd. Sonderakten Rechtsbehelfsakten) haben vorgelegen. Ihr Inhalt ist, ebenso wie der der Gerichtsakten, Grundlage der mündlichen Verhandlung gewesen, soweit die Entscheidung darauf beruht. Insoweit wird auf den Akteninhalt ergänzend Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist unbegründet.

    Die Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 vom 27. August 2015 sind rechtmäßig.

    Der Eintritt der Festsetzungsverjährung stand dem Erlass der angefochtenen Einkommensteuerbescheide nicht entgegen.

    Die Änderung einer Steuerfestsetzung ist nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Frist beträgt für die Einkommensteuer grundsätzlich vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Soweit die Steuer hinterzogen worden ist, gilt die zehnjährige Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO. Die angefochtenen Steuerfestsetzungen betreffen hinterzogene Steuern. Insoweit besteht zwischen den Beteiligten kein Streit. Danach wäre die zehnjährige Festsetzungsfrist für 2002 mit Ablauf des Jahres 2013 und für 2003 mit Ablauf des Jahres 2014 beendet gewesen.

    Die Bescheide am 27. August 2015 konnten gleichwohl ergehen, da der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt war.

    Es bedarf keiner Entscheidung, ob der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 5 AO gehemmt war, da die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 14 AO eingetreten ist.

    Gemäß § 171 Abs. 14 AO endet die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch nicht, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO noch nicht verjährt ist (§ 228 AO).

    1. § 171 Abs. 14 AO kommt im Streitfall zur Anwendung.

    a) Die Anwendung des § 171 Abs. 14 AO ist nicht auf Fälle der Zahlung von Steuern auf Steuerbescheide, die durch Bekanntgabefehler nicht wirksam geworden sind, beschränkt.

    Nach der Gesetzesbegründung ist bei der Schaffung der Bestimmung insbesondere an den Fall gedacht worden, dass ein Steuerpflichtiger auf einen in Folge mangelhafter Bekanntgabe unwirksamen Steuerbescheid Zahlungen leistet und diese nach Eintritt der Festsetzungsverjährung zurückverlangt (BT-Drucks. 10/1636, 44). Diese gesetzgeberische Absicht hat aber keinen Eingang in den Gesetzestext gefunden. Daher kommt die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 14 AO in allen Fällen zur Anwendung, in denen ein Anspruch auf Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Steuern besteht (BFH-Urteil vom 13. März 2001 VIII R 37/00, BFHE 194, 326, BStBl II 2001, 430, juris Rn. 13; vgl. auch BFH-Urteil vom 17. März 2004 II R 47/98, BFH/NV 2004, 1066, juris Rn. 13; FG Nürnberg, Urteil vom 19. Mai 2011 4 K 632/10, EFG 2011, 1951; Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteile vom 29. April 2014 3 K 3142/12, EFG 2014, 1560, juris Rn. 40, juris und vom 22. November 2017 3 K 3052/15, juris Rn. 64; Göttker in: juris Lexikon Steuerrecht, Ablaufhemmungen - Tatbestände des § 171 AO, Rn. 192; Forchhammer in: Leopold/Madle/Rader, AO, 17.8.2017, § 171 Rn. 73; Frotscher, in Schwarz/Pahlke, AO, § 171 AO Rz. 197, Stand: 31.03.201; Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 151.

    Lieferung 02.2018, § 171 AO, Rn. 106; ebenso Banniza in HHSp. Lfg. 2013 Juni 2011, § 171 Rn. 242; Klein/Rüsken AO § 171 Rn. 120, beck-online; Koenig/Cöster AO § 171 Rn. 177-179, beck-online).

    b) § 171 Abs. 14 AO wird im Falle einer Selbstanzeige nicht durch § 171 Abs. 9 AO als speziellere Regelung verdrängt. Denn § 171 Abs. 9 AO verdrängt grundsätzlich nicht andere Hemmungstatbestände, deren Voraussetzungen vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist verwirklicht wurden (BFH-Urteil vom 8. Juli 2009 VIII R 5/07, BFHE 226, 198, BStBl II 2010, 583, juris Rn. 31). Daher schließt die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO den Eintritt der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 14 AO nicht generell aus.

    Für dieses Ergebnis spricht auch der Gang der Gesetzgebung. Denn die in § 171 Abs. 9 AO bestimmte einjährige Ablaufhemmung im Falle einer Selbstanzeige war bereits in der ursprünglichen Fassung der AO (Gesetz vom 16. März 1976, BGBl. I 613) enthalten. Die Bestimmung des § 171 Abs. 14 AO wurde durch Art. 1 Nr. 26 des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19. Dezember 1985 (BGBl. 1985 I, S. 2436) eingefügt. Auch wenn nach der Gesetzesbegründung die Verlängerung des Ablaufs der Festsetzungsfrist bis zum Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist hinausgeschoben wurde, damit die Finanzbehörden bei Unwirksamkeit der Bekanntgabe von Steuerbescheiden innerhalb der Zahlungsverjährungsfrist notwendige Steuerfestsetzungen nachholen können (BT-Drucks. 10/1636, 44), hat der Gesetzgeber in Kenntnis des bereits vorhandenen Tatbestandes der Ablaufhemmung bei Selbstanzeigen in § 171 Abs. 9 AO darauf verzichtet, den Anwendungsbereich von § 171 Abs. 14 AO insoweit einzuschränken.

    2. Die Kläger hatten zum Zeitpunkt der Steuerfestsetzung für 2002 und 2003 einen damit zusammenhängenden Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO, der noch nicht nach § 228 AO verjährt war.

    a) Als am 27. August 2015 die angefochtenen Einkommensteuerbescheide für 2002 und 2003 ergingen, hatten die Kläger auf Grund ihrer freiwilligen Zahlung im Juli 2013, die auch für die Streitjahre 2002 und 2003 erfolgte, einen Erstattungsanspruch im Sinne von § 37 Abs. 2 AO.

    Nach § 37 Abs. 2 AO hat dann, wenn eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist, derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrags.

    Die Kläger haben eine Steuer gezahlt, denn sie haben ihre Zahlung im Juli 2013 wegen der zu erwartenden Steuernachforderungen auf Grund ihrer Selbstanzeige für 2002 bis 2011 geleistet. Diese Steuerzahlung ist ohne rechtlichen Grund erfolgt, da noch keine Steuerfestsetzung mit der Folge von Nachforderungen erfolgt war.

    Nach der Rechtsprechung ist bei der Prüfung, ob eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 14 AO vorliegt, weil ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO wegen einer Zahlung ohne rechtlichen Grund noch nicht durch Zahlungsverjährung erloschen ist, nicht auf das materielle Recht, sondern auf die Bescheidlage abzustellen (vgl. BFH-Urteile vom 11. Mai 1995 V R 136/93, BFH/NV 1996, 1, juris Rn. 16 und vom 15. Oktober 1997 II R 56/94, BFHE 184, 111, BStBl II 1997, 796, juris Rn. 22; FG Nürnberg, Urteil vom 27. September 2016 2 K 514/15, EFG 2017, 1496, juris Rn. 32).

    Die Bescheidlage ist unabhängig davon maßgeblich, ob der rechtliche Grund für den Steueranspruch im materiellen Recht (materielle Rechtsgrundtheorie, vgl. Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 151. Lieferung 02.2018, § 37 AO, Rn. 27) oder in der Steuerfestsetzung (formelle Rechtsgrundtheorie; vgl. Koenig/Koenig, 3. Aufl. 2014, AO § 37 Rn. 51 f.) gesehen wird. Nach der formellen Rechtsgrundtheorie fehlt ein rechtlicher Grund im Sinne von § 37 Abs. 2 AO von Anfang an, wenn für die Zahlung im Zeitpunkt der Leistung eine entsprechende Steuerfestsetzung nicht existierte (Koenig/Koenig, 3. Aufl. 2014, AO § 37 Rn. 53). Ob eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist, richtet sich nach dem BFH regelmäßig nach den der Steuerzahlung zugrunde liegenden Steuerbescheiden, da diese die Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sind (BFH-Urteil vom 28. November 1990 V R 117/86, BFHE 163, 112, BStBl II 1991, 281, juris Rn. 26).

    Aber auch dann, wenn nach der materiellen Rechtsgrundtheorie der rechtliche Grund für eine Steuerzahlung im materiellen Recht gesehen wird, führt eine freiwillige Zahlung zur Entstehung eines Erstattungsanspruchs. Denn jede Leistung vor der Fälligkeit des Steueranspruchs ist eine Leistung ohne rechtlichen Grund im Sinne von § 37 Abs. 2 AO. Erst aus dem Steuerbescheid resultiert das Behaltendürfen des gezahlten Steuerbetrages (BFH-Urteil vom 06. Februar 1996 VII R 50/95, BFHE 179, 556, BStBl II 1997, 112, juris Rn. 26; Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 151. Lieferung 02.2018, § 37 AO, Rn. 29, 34).

    b) Im Gegensatz zur Auffassung der Kläger steht der Anwendung des § 171 Abs. 14 AO nicht entgegen, dass durch die freiwillige Zahlung der Kläger ein materiell bereits entstandener Steueranspruch erfüllt wurde.

    Denn der Erstattungsanspruch muss nicht materiell-rechtlich vor Eintritt der Festsetzungsverjährung entstanden sein.

    Folgt man der formellen Rechtsgrundtheorie und der Rechtsprechung des BFH, entstand mit der Zahlung ein Erstattungsanspruch, da der materiell-rechtliche bestehende Steueranspruch noch nicht durch Steuerbescheid festgesetzt war. Aber auch nach Maßgabe der materiellen Rechtsgrundtheorie kommt § 171 Abs. 14 AO im Falle einer freiwilligen Zahlung zur Anwendung. Nach Ratschow (Klein/Ratschow AO § 37 Rn. 31, beck-online) ist zweifelhaft, ob § 171 Abs. 14 AO dem Ablauf der Festsetzungsfrist in Fällen freiwilliger Zahlung vor Festsetzung der Leistungspflicht durch Verwaltungsakt entgegensteht. Durch die freiwillige Zahlung werde ein materiell bestehender Anspruch erfüllt. Gleichwohl entstehe ein Erstattungsanspruch, wenn bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist keine wirksame Festsetzung vorliege, denn mit dem Eintritt der Festsetzungsverjährung erlösche der Steueranspruch nach § 47 AO. Bei Nichtergehen eines Jahressteuerbescheides entsteht nach Auffassung des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz (Urteil vom 08. Februar 2012 2 K 2259/10, EFG 2012, 1113, juris Rn. 24) der auf die geleisteten Vorauszahlungen gerichtete Erstattungsanspruch mit Ablauf der Festsetzungsfrist und kann deshalb nicht zur Verlängerung eben dieser bereits abgelaufenen Festsetzungsfrist führen. Es entsteht jedoch ein logischer Zirkel, wenn man auf der Grundlage der materiellen Rechtsgrundtheorie für die Anwendung des § 171 Abs. 14 AO verlangt, dass ein Erstattungsanspruch materiell entstanden ist. Denn danach wäre die Zahlung auf eine materiell-rechtlich bestehende, nicht festgesetzte Steuerforderung nicht rechtsgrundlos erfolgt. Erst im Zeitpunkt des Ablaufs der Festsetzungsfrist würde der materiell-rechtliche Steueranspruch erlöschen, so dass erst zu diesem Zeitpunkt ein Erstattungsanspruch entstünde.

    Da § 171 Abs. 14 AO aber gerade den Ablauf der Festsetzungsfrist verhindere, würde der Erstattungsanspruch nicht entstehen. Zur Vermeidung dieses logischen Zirkels reicht es daher aus, dass der Erstattungsanspruch (materiell) entstehen würde, wenn die Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung abläuft (Frotscher in Schwarz/Pahlke, AO, § 171 AO Rz. 200f., Stand: 31.03.2017; vgl. auch FG Köln, Urteil vom 02. April 2009 15 K 2546/07, EFG 2009, 1430).

    c) Zwischen dem Erstattungsanspruch der Kläger aus ihrer freiwilligen, rechtsgrundlosen Zahlung im Juli 2013 und der Steuerfestsetzung für 2002 und 2003 bestand ein Zusammenhang im Sinne von § 171 Abs. 14 AO.

    Der für die Anwendung von § 171 Abs. 14 AO erforderliche Zusammenhang ist nicht nur dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige auf einen unwirksamen Steuerbescheid hin leistet. Denn ein Zusammenhang i.S.d. § 171 Abs. 14 AO besteht bereits dann, wenn der Erstattungsanspruch und der Steueranspruch denselben Besteuerungszeitraum und denselben Besteuerungsgegenstand betreffen (Paetsch in: Beermann/Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl. 1995, 136. Lieferung, § 171 AO 1977, Rn. 194, vgl. auch Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Urteil vom 03. August 2000 V 788/98, EFG 2001, 56 Rn. 26, juris). Die im Juli 2013 geleistete Zahlung betraf auch die Besteuerungszeiträume 2002 und 2003.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen.

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