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  • 26.04.2017 · IWW-Abrufnummer 193482

    Finanzgericht Köln: Urteil vom 22.02.2017 – 4 K 719/16

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Köln

    4 K 719/16

    Tenor:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

    Die Revision wird zugelassen.

    1

    Tatbestand

    2

    Mit Schreiben vom 28.6.2013 beantragte der Kläger ab dem nächstmöglichen Zeitpunkt die Abzweigung des Kindergeldes in voller Höhe für das in einer vollstationären Einrichtung lebende und betreute Kind A, geboren am ....4.1995, dem er seit April 2009 Eingliederungshilfe gemäß §§ 53 ff. des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch – SGB XII – gewährte. Als Kindergeldberechtigte bezeichnete er dabei die Mutter des Kindes G (im Folgenden: Die Beigeladene). Am 12.12.2013 reichte er einen Kindergeldantrag für A und eine Pflegekostenaufstellung für die Monate März 2012 bis Oktober 2013 ein.

    3

    Daraufhin teilte die Beklagte mit, dass der Kindergeldberechtigte nach § 64 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes – EStG – durch das örtliche Amtsgericht als Familiengericht bestimmt werden müsse.

    4

    Nachdem das Amtsgericht M den Antrag auf Bestimmung eines Kindergeldberechtigten mit Beschluss vom ....9.2014 mangels Rechtsschutzinteresse zurückgewiesen hatte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 2.12.2015 die Auszahlung des anteiligen Kindergeldes an den Kläger ab. Dieser Ablehnungsbescheid wurde dem Kläger ausweislich des aufgedruckten Eingangsstempels am 7.12.2015 bekannt gegeben. Nach der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung war ein gegen diesen Ablehnungsbescheid gerichteter Einspruch bei der Familienkasse ... mit Sitz in P schriftlich einzureichen, dieser elektronisch zu übermitteln oder dort zur Niederschrift zu erklären. Als Postanschrift der Beklagten wurde in dem Ablehnungsbescheid die Bundesagentur für Arbeit, Familienkasse ... in P, bezeichnet. Weiterhin enthielt der Bescheid den Hinweis auf die Besucheradresse der Beklagten in K.

    5

    Am 17.12.2015 fertigte die zuständige Sachbearbeiterin des Klägers ein gegen den Ablehnungsbescheid vom 2.12.2015 gerichtetes Einspruchsschreiben, dass an die Familienkasse K, adressiert war. Die Aktenausfertigung dieses Einspruchsschreibens trägt einen Postabgangsvermerk der zuständigen Sachbearbeiterin vom 17.12.2015.

    6

    Nachdem der Kläger den Einspruch vom 17.12.2015 mit Fax-Schreiben vom 14.1.2016 begründet hatte, teilte die Beklagte mit Schreiben vom 3.2.2016 mit, dass das Einspruchsschreiben erst am 15.1.2016 und damit nach Ablauf der am 7.1.2016 endenden Einspruchsfrist gemäß § 355 Abs. 1 der Abgabenordnung – AO – eingegangen sei. Daraufhin wies der Kläger mit Schreiben vom 24.2.2016 auf sein Einspruchsschreiben vom 17.12.2015 hin und beantragte hilfsweise die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Einspruchsfrist. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 24. 2. 2016 Bezug genommen.

    7

    Mit Einspruchsentscheidung vom 26.2.2016 verwarf die Beklagte den Einspruch wegen der Überschreitung der Einspruchsfrist als unzulässig. Die begehrte Wiedereinsetzung des Klägers in den vorigen Stand gemäß § 110 Abs. 1 AO lehnte sie ab.

    8

    Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger geltend, dass aufgrund des Abgangsvermerks auf dem ausgedruckten Exemplar des Einspruchsschreibens von einem Zugang des Einspruchs innerhalb der Einspruchsfrist auszugehen sei. Die Beklagte besitze unter der Postanschrift in K eine Zweigniederlassung. Mit dem Zugang in dieser Zweigniederlassung sei das Einspruchsschreiben in den Geschäftsbereich der Beklagten gelangt. Es sei davon auszugehen, dass die elektronische Akte der Beklagten einen entsprechenden Posteingangsstempel der Dienststelle K ausweise. Hilfsweise werde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Bezug auf die Verfristung des Einspruchs beantragt. Denn die zuständige Sachbearbeiterin des Klägers habe mit dem Eingang des Einspruchsschreibens vom 17.12.2015 bei der Deutschen Post bzw. der Deutschen Post DHL am selben Tag oder einen Tag später und damit mit dessen Zugang bei dem Adressaten innerhalb der Einspruchsfrist rechnen können. Auch wenn man die Zweigniederlassung der Beklagten in K als unzuständige Behörde ansehen wollte, hätte die Einspruchsfrist bei pflichtgemäßer Weiterleitung im regulären Geschäftsgang noch gewahrt werden können.

    9

    Die zuständige Sachbearbeiterin des Klägers habe das Einspruchsschreiben am 17.12.2015 verfasst. Der Stempelaufdruck: „Postabgang am: 17.12.2015“ auf diesem Einspruchsschreiben dokumentiere, dass die Sachbearbeiterin das Schreiben am 17.12.2015 auf die als „Postausgang“ gekennzeichnete Fläche gelegt habe. Die im Postausgang befindliche Post werde von dem Botendienst des Klägers am selben Tag oder einen Tag später abgeholt und zur Registratur des Dezernats 7 gebracht. Von dort werde die Post von einem weiteren Boten abgeholt und dem Fahrdienst des Klägers übergeben. Dieser Fahrdienst bringe die Post zu einem ca. 300 m entfernten anderen Gebäude, in dem sich die Poststelle des Klägers befinde. In diesem Gebäude werde die Post wiederum vom Botendienst in Empfang genommen und zur Poststelle des Klägers gebracht. Die Poststelle des Klägers übergebe die Briefpost an den Dienstleister “Postcon“, der die Post zweimal täglich jeweils um 12:15 Uhr und 15:15 Uhr abhole. Die Postcon übernehme die Frankierung und Vorsortierung nach Postleitzahl. Sodann werde die Briefpost taggleich von der Postcon an die Deutsche Post übergeben, welche die Zustellung übernehme. Sofern an einem Tag sehr viele Schreiben an denselben Adressaten versandt würden, erfolge die Zustellung per Paketpost. Dann werde die Paketpost von der Poststelle des Klägers am selben Tag der Deutschen Post DHL zwecks Zustellung übergeben. Ob das Einspruchsschreiben vom 17.12.2015 per Briefpost oder Paketpost versandt worden sei, sei allerdings nicht bekannt.

    10

    Ungeachtet dessen könne die Einspruchsfrist nach § 356 Abs. 2 AO erst nach einem Jahr ablaufen, da die Rechtsbehelfsbelehrung in dem Bescheid vom 2.12.2015 fehlerhaft sei. Denn da die Beklagte ausweislich dieses Bescheides ausschließlich postalisch zu erreichen sei, erweise sich die Angabe in der Rechtsbehelfsbelehrung, dass der Einspruch bei der Familienkasse ... mit Sitz in P zur Niederschrift erklärt werden könne, als falsch und irreführend. Vielmehr sei eine Erklärung des Einspruchs zur Niederschrift nur unter der weiterhin – außerhalb der Rechtsbehelfsbelehrung – angegebenen Besucheradresse in K, möglich. Gleiches gelte für die Übermittlung eines Einspruchs per Telefax. Denn die hierfür angegebene Telefaxnummer weise eine Ker Vorwahl aus.

    11

    Schließlich sei die Ablehnung der Festsetzung und Abzweigung des Kindergeldes für das Kind A rechtswidrig, da das Amtsgericht M zwischenzeitlich auf die Beschwerde des Klägers mit Beschluss vom 18.11.2016 die Beigeladene als Kindergeldberechtigte gemäß § 64 EStG bestimmt habe. Auf das weitere Betreiben dieses Bestimmungsverfahrens sei die Beklagte auch hingewiesen worden. Die Erfüllung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG sei im Übrigen zwischen den Beteiligten unstreitig.

    12

    Der Kläger beantragt,

    13

    14

    1. die Einspruchsentscheidung vom 26.2.2016 aufzuheben,

    15

    2. hilfsweise, die Revision zuzulassen.

    16

    Der Beklagte beantragt,

    17

    18

    1. die Klage abzuweisen

    19

    2. hilfsweise, die Revision zuzulassen.

    20

    Aus den Detaildaten seiner elektronischen Akte ergebe sich, dass das Einspruchsschreiben vom 17.12.2015 erst am 15.1.2016 bei der Familienkasse K eingegangen sei. Einen Posteingangsstempel weise die elektronische Akte nicht aus. Die Feststellungslast für den fristgerechten Zugang des Einspruchs treffe den Kläger. Da die einmonatige Einspruchsfrist bereits am 7.1.2016 abgelaufen sei, sei der Einspruch zu Recht als unzulässig verworfen worden. Der Abgangsvermerk auf der von dem Kläger vorgelegten Durchschrift des Einspruchsschreibens sei kein ausreichender Nachweis für den fristgerechten Eingang des Einspruchs bei der Familienkasse. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien nicht erfüllt. Insbesondere sei die Rechtsbehelfsbelehrung in dem Bescheid vom 2.12.2015 ordnungsgemäß erfolgt und die Möglichkeit der Fristwahrung durch den Kläger daher nicht gefährdet gewesen.

    21

    Entscheidungsgründe

    22

    Die Klage ist unbegründet.

    23

    Die angefochtene Einspruchsentscheidung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Die Beklagte hat den gegen den Bescheid vom 2.12.2015 eingelegten Einspruch zu Recht wegen der Überschreitung der Einspruchsfrist des § 355 Abs. 1 AO als unzulässig verworfen.

    24

    1. Nach § 31 Satz 3 EStG i.V.m. §§ 155 Abs. 4, 355 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheides einzulegen. Der Ablehnungsbescheid vom 2.12.2015 ist unstreitig am Montag, dem 7.12.2015, bei dem Kläger eingegangen. Der Lauf der Einspruchsfrist begann mit Ablauf dieses Tages (§§ 108 Abs. 1 AO, 187 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB –) und endete am Donnerstag, dem 7.1.2016 (§§ 108 Abs. 1 AO, 188 Abs. 2 BGB).

    25

    2. Die Einspruchsfrist verlängert sich nicht nach § 356 Abs. 2 Satz 1 AO auf ein Jahr seit der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes. Denn die in dem Bescheid vom 2.12.2015 erteilte Rechtsbehelfsbelehrung weist keine Mängel auf. Vielmehr sind die gesetzlichen Voraussetzungen für eine ordnungsmäßige Rechtsbehelfsbelehrung erfüllt. Insbesondere wird in dieser Rechtsbehelfsbelehrung die Finanzbehörde, bei der der Einspruch einzulegen ist, – im Folgenden: Rechtsbehelfsbehörde – mit der Angabe der Familienkasse ... mit Sitz in P hinreichend individualisiert.

    26

    Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist unrichtig i.S. des § 356 Abs. 2 Satz 1 AO, wenn sie in einer der gemäß § 356 Abs. 1 AO wesentlichen Aussagen (Mindestanforderungen) unzutreffend oder derart unvollständig oder missverständlich gefasst ist, dass hierdurch --bei objektiver Betrachtung-- die Möglichkeit zur Fristwahrung gefährdet erscheint (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 29. Juli 1998 X R 3/96, BFHE 186, 324, BStBl II 1998, 742; BFH-Beschluss vom 18. März 2016 V B 1/16, BFH/NV 2016, 997). Für die Rechtsbehelfsbelehrung genügt regelmäßig die Angabe der amtlichen Bezeichnung der den Bescheid erlassenden Behörde und der Gemeinde, in der die Behörde ihren Sitz hat, wenn sich beides dem streitbefangenen Bescheid entnehmen lässt (vgl. BFH-Urteile vom 20. Februar 1976 VI R 150/73, BFHE 118, 417, BStBl II 1976, 477; vom 28. Februar 1978 VII R 92/74, BFHE 124, 487, BStBl II 1978, 390; vom 17. Mai 2000 I R 4/00, BFHE 192, 15, BStBl II 2000, 539; BFH-Beschlüsse vom 7. Dezember 1994 I B 68/94, BFH/NV 1995, 849, und vom 18. März 2016 V B 1/16, BFH/NV 2016, 997). Die Angabe der postalischen Anschrift ist dagegen in § 356 Abs. 1 AO für die Rechtsbehelfsbelehrung nicht vorgeschrieben. Eine dahingehende Verpflichtung ergibt sich nicht daraus, dass über den Sitz der Behörde zu belehren ist. Der Sitz der Behörde ist der Ort, an dem sich der räumliche Mittelpunkt der Verwaltung befindet. Der Begriff des Sitzes wird demgegenüber in gesetzlichen Bestimmungen nicht in Verbindung mit der postalischen Anschrift verwendet (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG – vom 9. November 1966 VC 196.65, BVerwGE 25, 261).

    27

    In der Kommentarliteratur wird dagegen teilweise die Auffassung vertreten, dass die Angabe der vollständigen Anschrift in dem Verwaltungsakt oder der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung zur Bestimmung des Sitzes der Behörde erforderlich sei, um eine Verwechslungsgefahr oder postalische Schwierigkeiten – etwa Verzögerungen aufgrund einer fehlerhaften Adressierung – bei der Zustellung der Rechtsbehelfsschrift zu vermeiden (vgl. Werth in Beermann/ Gosch, AO § 356, Rn. 16; Siegers in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 156 AO, Rn. 23; Hardtke in Kühn/von Wedelstädt, 21. Aufl., § 156, Rn. 6; Pahlke/Koenig, § 156 AO, Rn. 13; a.A. Stapperfend in Gräber, 8. Aufl., § 55 FGO, Rn. 16). Dieser Auffassung hat sich auch der Bundesgerichtshof – BGH – im Beschluss vom 23. Juni 2010 XII ZB 82/10, MDR 2010, 1073, in einem allerdings die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 17 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit – FamFG – für die nach § 39 FamFG vorgeschriebene Rechtsbehelfsbelehrung angeschlossen.

    28

    Für eine derartige über den Wortlaut des § 356 Abs. 1 AO hinausgehende erweiternde Auslegung der Belehrungspflicht sieht der erkennende Senat indessen keine überzeugenden Gründe. Sinn und Zweck der gesetzlich vorgeschriebenen Rechtsbehelfsbelehrung liegen in der Sicherung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes. Indem sich der Gesetzgeber bei der Normierung des notwendigen Inhalts einer Rechtsbehelfsbelehrung auf die Mindestvoraussetzungen der Bezeichnung des statthaften Rechtsbehelfs, der Rechtsbehelfsbehörde und deren Sitz sowie der einzuhaltenden Frist beschränkt hat, vermeidet er zugleich die Gefahr, dass die Verständlichkeit der Belehrung durch deren Überfrachtung mit weiteren detaillierten Angaben leiden könnte. Zugleich wird mit dieser Konzentration auf die verfahrensrechtlichen Mindestanforderungen eines Rechtsbehelfs auch die Fehleranfälligkeit der Rechtsbehelfsbelehrung begrenzt und im Regelfall die Erlangung wirkungsvollen Rechtsschutzes sichergestellt. Wie das BVerwG in seinem Urteil vom 9. November 1966 in BVerwGE 25, 261 zutreffend ausgeführt hat, hat die Rechtsmittelbelehrung allein die Funktion, die Rechtsunkenntnis des Rechtsuchenden in verfahrensrechtlicher Hinsicht zu beseitigen. Dagegen ist es nicht Aufgabe der Rechtsmittelbelehrung, dem Rechtsuchenden Erkundigungen in postalischer Hinsicht abzunehmen (so auch: Stapperfend in Gräber, 8. Aufl., § 55 FGO, Rn. 16). Die Ausgestaltung der Rechtsbehelfsbelehrung orientiert sich dabei an den Regelfall eines mündigen Bürgers als Adressat des Verwaltungsakts und nicht an dem Ausnahmefall, dass sich fehlende Informationen über die postalische Anschrift der Rechtsbehelfsbehörde als Hindernis für die Einlegung des Rechtsbehelfs erweisen könnten. Soweit ein Adressat dennoch im Einzelfall durch die fehlende Angabe der postalischen Anschrift an der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsbehelfs gehindert gewesen sein sollte, kann einem solchen Vorbringen gegebenenfalls durch die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO Rechnung getragen werden (so auch BFH-Urteil vom 20. Februar 1976 in BFHE 118, 417, und Urteil des Bundessozialgerichts – BSG – vom 26. Januar 1978 2 RU 97/77, SozR 1500 § 66 Nr. 9).

    29

    Unter dem Gesichtspunkt der Sicherung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes hat der BFH in dem bereits zitierten Urteil vom 20. Februar 1976 in BFHE 118, 417 die Erforderlichkeit der Angabe von Straße und Hausnummer in Bescheiden der örtlichen Finanzämter auch angesichts deren Publizität in ihrem örtlichen Zuständigkeitsbereich verneint. Nichts anderes kann für die Familienkassen der Bundesagentur für Arbeit gelten, deren genauer Standort aus allgemein zugänglichen Informationsquellen (Internet, Servicetelefon, Telefonbuch) ohne Schwierigkeiten festzustellen ist. Hinzu kommt, dass die infrage kommenden Finanzbehörden – wie auch die Beklagte im Streitfall – über ein Postfach verfügen, wodurch für die Postzustellung die Angaben über Straße und Hausnummer unerheblich sind. Aus diesem Grund sieht auch das BSG den Zugang von Klagen an die Sozialgerichte durch das Fehlen der Straßenbezeichnung und der Hausnummer in der Rechtsbehelfsbelehrung im Allgemeinen nicht als gefährdet an (BSG-Urteil vom 26. Januar 1978 in SozR 1500 § 66 Nr. 9).

    30

    Auch soweit die Möglichkeit der Erklärung des Einspruchs zur Niederschrift bei der Rechtsbehelfsbehörde infrage steht, ist ein überzeugender Grund für eine hinsichtlich des Sitzes der Rechtsbehelfsbehörde über die Mindestanforderungen des § 356 Abs. 1 AO hinausgehende Erweiterung der Belehrungspflicht nicht ersichtlich. Denn es ist für den betroffenen Rechtsbehelfsführer in der Regel nicht schwieriger, den genauen Standort der Rechtsbehelfsbehörde aus den genannten allgemein zugänglichen Informationsquellen zu ermitteln, als in der genannten Sitzgemeinde diesen Standort, also die Straße und Hausnummer, aufzufinden (vgl. dazu BSG-Urteil vom 26. Januar 1978 in SozR 1500 § 66 Nr. 9). Sollte sich die Einlegung des Einspruchs durch Erklärung zur Niederschrift ausnahmsweise aufgrund der fehlenden Angabe der postalischen Anschrift verzögern, käme wiederum gegebenenfalls die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht.

    31

    Die Angabe des Sitzes der Familienkasse ... in P zur Erklärung des Einspruchs zur Niederschrift kann auch nicht deshalb als falsch und irreführend qualifiziert werden, weil in dem Bescheid vom 2.12.2015 zusätzlich die Besucheranschrift in K, angegeben worden ist. Die Annahme des Klägers, dass für den Fall der Erklärung des Einspruchs zur Niederschrift die angegebene Besucheranschrift in K und nicht der in der Rechtsbehelfsbelehrung angegebene Sitz der Beklagten in P gelte, findet in der streitbefangenen Rechtsbehelfsbelehrung keine Stütze. Vielmehr beruht diese Annahme allein auf der von dem Kläger selbst vorgegebenen unzutreffenden Prämisse, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung in Bezug auf die Möglichkeit der Erklärung des Einspruchs zur Niederschrift stets mit der Angabe der vollständigen Anschrift der Rechtsbehelfsbehörde verbunden sein müsse.

    32

    Schließlich ist die Rechtsbehelfsbelehrung in Bezug auf die schriftliche Übermittlung des Einspruchs an die Familienkasse ... mit Sitz in P auch nicht deshalb falsch, weil die auf dem Briefkopf des Verwaltungsakts angegebene Faxnummer eine Vorwahl ausweist, die der Zweigstelle der Beklagten in der Stadt K zuzuordnen ist. Die bloße Angabe der Telefaxnummer auf dem Briefkopf des Verwaltungsakts kann bereits deshalb keinen an den Sitz der Rechtsbehelfsbehörde gebundenen inhaltlichen Anforderungen unterliegen, weil sie nicht zum notwendigen Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung nach § 356 Abs. 1 AO gehört (vgl. zu Letzterem: Werth in Beermann/ Gosch, AO § 356 Rz 16, m.w.N.) und die Rechtsbehelfsbehörde mit der Angabe der Telefaxnummer auf dem Briefkopf des Verwaltungsakts diese damit auch nicht zum Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung macht. Nur im letzteren Fall könnte sich überhaupt die Frage stellen, ob die Rechtsbehelfsbelehrung durch über ihren notwendigen Inhalt hinausgehende Angaben unrichtig geworden sein könnte. Davon zu trennen ist die Frage, ob die Finanzbehörde einen über die angegebene Telefaxnummer übermittelten Rechtsbehelf gegen sich gelten lassen muss. Dies kann indessen im Streitfall dahinstehen, da der Kläger keinen Einspruch per Telefax eingelegt hat.

    33

    3. Das Gericht kann im Streitfall nicht die Feststellung treffen, dass das Einspruchsschreiben des Klägers vom 17.12.2015 vor dem Ablauf der Monatsfrist des § 355 Abs. 1 Satz 1 AO bei der Beklagten eingegangen ist.

    34

    Die Einspruchsfrist des § 355 Abs. 1 Satz 1 AO ist gewahrt, wenn der Einspruch der Finanzbehörde (s. § 357 Abs. 2 AO) rechtzeitig innerhalb der Frist zugegangen ist. Hierfür ist auch der Zugang bei der in K, belegenen Zweigstelle der Beklagten ausreichend (vergleiche dazu BFH-Urteil vom 25. September 2014 III R 25/13, BFHE 247, 233, BStBl. II 2015, 847). Für den Zugang des Einspruchs innerhalb der Einspruchsfrist trägt der Einspruchsführer (hier: der Kläger) die Feststellungslast (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Oktober 1998 IV B 5/98, BFH/NV 1999, 585).

    35

    Auch wenn das Gericht die von dem Kläger vorgetragene Fertigung des Einspruchsschreibens und dessen Bereitstellung im Postausgang der zuständigen Sachbearbeiterin am 17.12.2015 ohne weitere Beweiserhebung als wahr unterstellt, kann dies nicht den indiziellen Schluss auf den Eingang dieses Schreibens bei der Beklagten bis einschließlich zum 7.1.2016 rechtfertigen. Denn wenn auch der Zugang des Schreibens ausweislich der elektronischen Akte der Beklagten spätestens am 15.1.2016 erfolgt sein soll, besagt die Bereitstellung des Einspruchsschreibens im Postausgang nichts darüber, wann die damit beabsichtigte Veranlassung der Beförderung des Schreibens auf dem Postwege an die Zweigstelle der Beklagten in K tatsächlich eingeleitet und zu welchem – möglicherweise vor dem 15.1.2016 liegenden – Zeitpunkt das Schreiben sodann bei dieser Zweigstelle der Beklagten eingeliefert worden ist. Ein Anscheinsbeweis des Inhalts, dass im Postausgang eines Absenders bereitgelegte Schreiben stets innerhalb des üblichen Zeitaufwands für die Anlieferung zur Post und der üblichen Postlaufzeiten bei dem Adressaten eintreffen, kommt dem Kläger nicht zugute. Ebenso wenig kann er sich auf die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO berufen (vergleiche dazu BFH-Beschluss vom 21. September 2007 IX B 79/07, BFH/NV 2008, 22).

    36

    4. Schließlich kann dem Kläger auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO in Bezug auf die versäumte Einspruchsfrist gewährt werden.

    37

    Nach § 110 Abs. 1 AO ist die Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist nur zu gewähren, wenn der Einspruchsführer ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war, den Wiedereinsetzungsantrag innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses gestellt und die zu Begründung des Antrags vorgetragenen Tatsachen glaubhaft gemacht hat (§ 110 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO).

    38

    Nach der Rechtsprechung des BFH, der der erkennende Senat folgt, gelten bei der Beurteilung der Frage, ob eine Behörde sich die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, grundsätzlich die gleichen Maßstäbe, wie sie von der Rechtsprechung für das Wiedereinsetzungsgesuch anderer Steuerpflichtiger entwickelt worden sind (vgl. BFH-Urteil vom 1. Oktober 1981 IV R 100/80, BFHE 134, 220, BStBl II 1982, 131; BFH-Beschluss vom 8. September 1998 VII R 136/97, BFH/NV 1999, 73, m.w.N.). Danach ist auch eine Behörde zu einer wirksamen Postausgangskontrolle verpflichtet (BFH-Beschluss vom 7. Dezember 1982 VIII R 77/79, BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229). Dabei muss die Kontrolle der Erledigung und tatsächlichen Absendung, d.h. der tatsächlichen Übergabe des Schriftstücks an die Post durch eine Person erfolgen, die den gesamten Bearbeitungsvorgang überwachen kann (BFH-Beschlüsse vom 26. August 1997 VII R 11/96, BFH/NV 1998, 70, und vom 6. November 1997 VII 113/97, BFH/NV 1998, 709, m.w.N.). Die einfache Zuleitung oder kommentarlose Übergabe des jeweiligen Schriftstücks an die amtsinterne Postausgangsstelle reichen hierfür ebenso wenig aus wie ein bloßer Abgangsvermerk der Stelle, die das Schriftstück an diese Postausgangsstelle weiterleitet, weil dadurch noch nicht ausreichend sichergestellt ist, dass das Schriftstück auch tatsächlich unmittelbar zur Weiterbeförderung an die Post gelangt (BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 73, m.w.N.). Vielmehr ist erforderlich, dass die ordnungsgemäße Absendung eines fristwahrenden Schriftstücks durch einen Absendevermerk der Poststelle in den Akten festgehalten wird. Liegt ein solcher Vermerk vor, ist der Behörde die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises für die ordnungsgemäße Absendung des Schriftstücks zuzubilligen; anderenfalls muss das Finanzgericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung beurteilen, ob es die rechtzeitige Absendung für nachgewiesen hält oder nicht (vgl. BFH-Beschluss vom 19. August 2002 IX B 179/01, BFH/NV 2003, 138, m.w.N.); die Regeln des Anscheinsbeweises sind insoweit nicht anwendbar (BFH-Urteil vom 28. September 2000 III R 43/97, BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211). Für die Beurteilung der Schuldhaftigkeit eines Fristversäumnisses des Klägers, der als Körperschaft des öffentlichen Rechts Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung wahrnimmt, können keine geringeren Anforderungen gelten.

    39

    Der Kläger hat nicht einmal dargelegt, in welcher Weise im Rahmen seiner Arbeitsorganisation eine wirksame Postausgangskontrolle gewährleistet wird. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die ordnungsgemäße Absendung des Einspruchsschreibens durch einen Absendevermerk der Poststelle des Klägers dokumentiert worden ist. Der Kläger konnte auch nicht darlegen, an welchem Tag das Schreiben an einen Postdienstleister übergeben und ob es dabei per Briefpost oder Paketpost versandt worden ist. Stattdessen hat sich der Kläger allein auf den Abgangsvermerk der zuständigen Sachbearbeiterin und die Bereitstellung des Einspruchsschreibens vom 17.12.2015 in deren Postausgang sowie die dem üblicherweise folgenden Abläufe bis zur Übergabe an einen Postdienstleister berufen. Durch die Bereitstellung des Einspruchsschreibens im Postausgang der Sachbearbeiterin in der Erwartung der sich hieran üblicherweise aufgrund der innerbetrieblichen Organisation anschließenden Arbeitsabläufe wird indessen noch nicht ausreichend sichergestellt, dass das Einspruchsschreiben auch tatsächlich zur Weiterbeförderung an die Post gelangt. Aufgrund der fehlenden Darlegung und Glaubhaftmachung der Einrichtung einer wirksamen Postausgangskontrolle in der Arbeitsorganisation des Klägers und der Anwendung bzw. der Überwachung der danach geltenden Regeln im Falle der Versendung des Einspruchsschreibens vom 17.12.2015 an die Beklagte muss das Gericht vielmehr davon ausgehen, dass eine derartige Postausgangskontrolle nicht stattgefunden hat und der Kläger sich deshalb die Versäumung der Einspruchsfrist als schuldhaft anrechnen lassen muss. Denn aussagekräftige Beweisanzeichen, aufgrund deren dennoch von der Übergabe des Einspruchsschreibens an den Dienstleister Postcon oder die Deutsche Post DHL zu einem Zeitpunkt ausgegangen werden könnte, zu dem der Kläger mit Rücksicht auf die normalen Postlaufzeiten noch auf den Zugang des Einspruchsschreibens bei der Beklagten bis zum 7.1.2016 vertrauen durfte (d.h., spätestens an dem dem Tag des Fristablaufs vorhergehenden Werktag, vergleiche dazu Rätke in: Klein, AO, 13. Aufl., § 110, Rn. 36 m.w.N.), sind von dem Kläger weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

    40

    Soweit der Kläger weiterhin einen Grund für die Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist darin sieht, dass mit dem Bescheid vom 2.12.2015 und der diesem beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung keine vollständige Anschrift des Behördensitzes der Beklagten in P für Zwecke der Erklärung des Einspruchs zur Niederschrift angegeben worden ist, sondern lediglich die zusätzlich bezeichnete Besucheradresse der Beklagten in K eine solche vollständige Anschrift ausweist, ist bereits nicht erkennbar, inwieweit diese Besonderheiten für den verspäteten Eingang des Einspruchsschreibens bei der Beklagten ursächlich geworden sind. Denn der Kläger hat nicht dargelegt, dass er beabsichtigte, den Einspruch zur Niederschrift am Sitz der Beklagten in P zu erklären und sich hieran mit der Auswirkung der Überschreitung der Rechtsbehelfsfrist durch die fehlende Angabe der vollständigen Adresse der Beklagten in P gehindert gesehen hat.

    41

    5. Die Revision wird im Hinblick auf die abweichenden Auffassungen in Rechtsprechung und Schrifttum zur Notwendigkeit der Angabe der vollständigen postalischen Adresse der Rechtsbehelfsbehörde in der Rechtsbehelfsbelehrung zugelassen.

    42

    6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    RechtsgebieteAO, EStG, SGB XIIVorschriften§ 108 Abs. 1 AO; § 110 Abs. 1 AO; § 155 Abs. 4 AO; § 355 Abs. 1 AO; § 356 Abs. 1 AO; § 356 Abs. 2 S. 1 AO; § 31 S. 3 EStG; §§ 53 ff. SGB XII

    Karrierechancen

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