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  • 26.07.2016 · IWW-Abrufnummer 187480

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 03.03.2016 – 1 K 2243/12 L

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Tenor:

    Der Haftungsbescheid des Beklagten vom 28.05.2010 und die Einspruchsentscheidung vom 22.06.2012 werden aufgehoben.

    Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs abwenden, wenn nicht zuvor der Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

    Die Revision wird nicht zugelassen.
     
    1

    Tatbestand:
    2

    Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides i.S. des § 191 Abs. 1 i.V. mit §§ 69 S. 1, 34 Abs. 1 Abgabeordnung (AO), mit dem das beklagte Finanzamt den Kläger als Geschäftsführer für Lohnsteuerschulden nebst Annexabgaben der Firma A-KG in Anspruch genommen hat.
    3

    Die A-KG in XXX war Teil eines Unternehmens in der XXX-Branche unter dem Dach der A-GmbH in YYY. Das Unternehmen unterhielt am Hauptstandort in YYY, am Standort der KG in XXX sowie im Ausland mehrere Produktionsstätten und beschäftigte alleine im Inland mehrere Tausend Mitarbeiter.
    4

    Die A-KG schuldet dem Land Nordrhein-Westfalen nach aktuellem Stand Lohnsteuer und Annexabgaben für den Zeitraum März 2009 i.H. von insgesamt 1.XXX.XXX,- EUR (Stand der letzten Berechnung des Beklagten über Lohnsteuer und Annexabgaben vom 15.11.2012; vom Insolvenzverwalter wurden dagegen zuletzt lediglich 9XX.XXX,- EUR angemeldet [Einspruchsverfahren des Insolvenzverwalters ist noch anhängig]).
    5

    Über das Vermögen der A-GmbH in YYY sowie über das Vermögen der A-KG in XXX wurde im Jahr 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellten die Geschäftsführer am 08.04.2009. Am gleichen Tage bestellte das Amtsgericht YYY einen vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete an, dass Verfügungen der Insolvenzschuldnerinnen nur noch mit dessen Zustimmung wirksam erfolgen konnten (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Insolvenzordnung – InsO). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschloss das Amtsgericht YYY am 29.06.2009.
    6

    Der Kläger war gemeinsam mit Herrn A Geschäftsführer der AA-GmbH, die wiederum zu 100% an der A-Verwaltungs-GmbH in XXX beteiligt war. Letztere war Komplementärin der A-KG. Zugleich waren der Kläger und Herr A zusammen mit Herrn C Geschäftsführer der A-GmbH in YYY.
    7

    Die A-KG hatte ihren Geschäftsbetrieb mit Betriebspachtvertrag vom 24.09.1998 an die A-GmbH in YYY verpachtet. Aufgrund eines Betriebsführungsvertrages selben Datums übertrug die A-GmbH die Betriebsführung für den gepachteten Betrieb an die A-KG zurück. Gemäß § 2 Abs. 3 dieses Vertrages nahm die A-KG die Arbeitgeberfunktion wahr. Die Betriebsführung erfolgte im Namen der A-KG, jedoch auf Rechnung der A-GmbH. Sämtlich Kosten im Zusammenhang mit der Betriebsführung wurden der A-KG durch die A-GmbH erstattet (§ 3 des Vertrages).
    8

    Die A-GmbH verfügte über mehrere Bankkonten, u.a. bei der D-Bank und bei der P-Bank. Das Konto bei der D-Bank war das zentrale Firmenkonto. Hinsichtlich der Transaktionen und der Entwicklung der Tagessalden im Zeitraum vom 25.03. bis zum 15.04.2009 wird auf die in der Gerichtsakte sowie in den Verwaltungsakten befindlichen Kontoauszüge verwiesen.
    9

    Am 26.03.2009 zahlte die A-KG in XXX die Gehälter an ihre Angestellten für März 2009 in voller Höhe aus (die Löhne der „Arbeiter“ sollten erst später ausgezahlt werden). Mit Lohnsteueranmeldung vom 07.04.2009 meldete die A-KG für den Zeitraum März 2009 Lohnsteuer nebst Annexabgaben i.H. von 1.XXX.XXX,- EUR an. Die Lohnsteueranmeldung ging am 08.04.2009 beim Beklagten ein. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gab der Insolvenzverwalter mehrfach korrigierte Lohnsteueranmeldungen für den Streitzeitraum ab.
    10

    Die Geschehnisse in den letzten Tagen vor der Insolvenzantragsstellung lassen sich nach dem (vom Beklagten nicht bestrittenen) Vortrag des Klägers unter Bezugnahme auf ein Gedächtnisprotokoll vom 09.04.2009 wie folgt zusammen fassen:
    11

    Am 06.04.2009 fand eine Geschäftsführersitzung bei der A-GmbH statt. Daran nahmen neben den Geschäftsführern (Kläger, Herr A und Herr C) der Prokurist Herr Dr. Z (Leiter Abteilung Finanzen, Rechnungswesen und Steuern), dessen Mitarbeiter Herr M und Herr S (Treasury / Kasse), Frau L (Sachbearbeiterin Personal) sowie Herr O (anwaltlicher Berater aus der Kanzlei Dr. W und Partner) teil. Im Rahmen der Geschäftsführersitzung verschafften sich die Teilnehmer zunächst einen Überblick über die Liquiditätssituation des Unternehmens. Sodann wiesen die Geschäftsführer Herrn Dr. Z an, alle Mittel bei der D-Bank „aus Sicherheitsgründen“ auf das Konto bei der P-Bank zu überweisen und dort zu deponieren. Ferner fassten die Geschäftsführer den Entschluss, „auf jeden Fall“ die auf die bereits am 26.03.2009 ausgezahlten Gehälter der „Angestellten“ in XXX entfallende Lohnsteuer der A-KG zu zahlen. Die Entscheidung, ob darüber hinaus auch die Löhne für den Monat März 2009 an die „Arbeiter“ der Standorte YYY und XXX nebst darauf entfallender Lohnsteuer ausgezahlt oder „Kasse für den Insolvenzverwalter gehalten“ werden sollte, wurde auf den nächsten Tag (07.04.2009) verschoben.
    12

    Noch am 06.04.2009 wurde ein Betrag i.H. von 4.200.000,- EUR vom Konto der D-Bank auf das Konto bei der P-Bank überwiesen.
    13

    Am 07.04.2009 wurde ein weiterer Betrag i.H. von 450.000,- EUR vom Konto der D-Bank auf das Konto bei der P-Bank überwiesen.
    14

    Ebenfalls am 07.04.2009 gegen 14.30 Uhr wies die Geschäftsführung den Leiter der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern (Herrn Dr. Z) an, folgende Überweisungen vorzunehmen:
    15

    Löhne A-GmbH YYY                                                                                    3.XXX.XXX,- EUR
    16

    Löhne A-KG XXX „Arbeiter“                                                                         5XX.XXX,- EUR
    17

    Lohnsteuer A-KG XXX                                                                                    1.XXX.XXX,- EUR
    18

    Zahlung „…“                                                                                                                   3XX.XXX,- EUR
    19

    Zahlung „…“                                                                                                                   3XX.XXX,- EUR
    20

                                                                                                                                  5.8XX.XXX,- EUR
    21

    Am späten Nachmittag des 07.04.2009 (16.15 Uhr) ordneten Herr Dr. Z und sein Mitarbeiter, Herr M, ohne Rücksprache mit bzw. Information der Geschäftsführung an, das bei der P-Bank vorhandene Guthaben i.H. von 4.650.000,- EUR wieder auf das Konto bei der D-Bank zurück zu überweisen. Der Betrag ist am 08.04.2009 auf dem Konto bei der D-Bank gutgeschrieben worden. Hintergrund dieser Rückübertragung soll gewesen sein, dass die Überweisung der Löhne technisch vom Konto der D-Bank habe wesentlich einfacher bewerkstelligt werden können, und zwar durch Nutzung einer nur dort bestehenden elektronischen Zahlungsverkehrsverbindung in Gestalt eines SAP-Entgeltabrechnungs- und Überweisungsverfahrens (die Lohnauszahlung machte zahlreiche Einzelüberweisungen nötig, etwa in Form der Löhne an die Arbeitnehmer, der Sozialversicherungsbeiträge an die Sozialversicherungsträger und vermögenswirksamer Leistungen an die Bankinstitute).
    22

    Am Morgen des 08.04.2009 (8.14 Uhr) erteilte Herr S (Mitarbeiter der A-GmbH in dem von Herrn Dr. Z geleiteten Bereich Finanzen, Rechnungswesen und Steuern, zuständig für den Zahlungsverkehr [„Treasury“]) der D-Bank den Auftrag, die Lohnsteuer für März 2009 i.H. von 1.XXX.XXX,- EUR zugunsten des beklagten Finanzamts zu überweisen. Ferner wurde die D-Bank angewiesen, die von der Geschäftsführung angeordneten weiteren Überweisungsvorgänge auszuführen (Löhne XXX und YYY, Zahlungen an Auslandsunternehmen). Der Habensaldo auf dem Konto bei der D-Bank belief sich zu Beginn des Tages auf 2.2XX.XXX,- EUR. Nach dem Eingang des vom P-Bank-Konto überwiesenen Betrages i.H. von 4.650.000,- EUR und weiteren Zugängen betrug der Habensaldo am Schluss des Tages 7.9XX.XXX,- EUR. In einer E-Mail vom 08.04.2009 übersandte Herr S der Controlling-Abteilung der A-GmbH eine aktuelle Liquiditätsübersicht und unterrichtete die Controlling-Abteilung über die der D-Bank zuvor von ihm erteilten Überweisungsaufträge.
    23

    Die D-Bank führte ab dem 08.04.2009 keine Überweisungen mehr aus, auch nicht den erteilten Auftrag zur Überweisung der streitgegenständlichen Lohnsteuer. Sie hielt das auf dem Konto befindliche Guthaben zurück und leitete die Angelegenheit an die interne Abteilung „Risk Management“ weiter, um die Absicherung etwaiger eigener Ansprüche gegen die A-GmbH zu prüfen. Nach erfolgter Überprüfung stellte die D-Bank einen Großteil des Kapitals dem Unternehmen später wieder zur Verfügung; sie transferierte am 01.07.2009 einen Betrag i.H. von 5.5XX.000,- EUR auf das Konto des vorläufigen Insolvenzverwalters.
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    Ebenfalls am 08.04.2009 widerrief die A-KG nach telefonischer Vorankündigung vom selben Tage gegenüber dem beklagten Finanzamt die bisher für Betriebssteuern gültigen Einzugsermächtigungen und bat um schriftliche Bestätigung.
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    Am 08.04.2009 stellten der Kläger und seine Mitgeschäftsführer beim Amtsgericht YYY Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die A-GmbH in YYY sowie für die A-KG in XXX. Um 9.50 Uhr (A-GmbH) und um 11.00 Uhr (A-KG) ordnete das Insolvenzgericht die vorläufige Verwaltung des Vermögens der Insolvenzschuldnerinnen an und bestellte insofern einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Gleichzeitig ordnete das Gericht an, dass Verfügungen der Insolvenzschuldnerinnen nur noch mit dessen Zustimmung wirksam erfolgen konnten.
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    Nachdem der Kläger und sein Mitgeschäftsführer den Insolvenzverwalter zunächst mündlich erfolglos um Überweisung der Lohnsteuer März 2009 gebeten hatten, forderten sie ihn am 04.05.2009 schriftlich auf, die rückständige Lohnsteuer nebst Annexabgaben an das beklagte Finanzamt zu zahlen. Mit Schreiben vom 12.05.2009 lehnte der Insolvenzverwalter eine Zahlung mit der Begründung ab, dass der Lohnsteueranmeldungszeitraum vor Insolvenzeröffnung liege, es sich bei der Lohnsteuer damit um eine „normale Insolvenzforderung“ handele und er sich im Falle einer Zahlung möglicherweise wegen Gläubigerbenachteiligung strafbar machen würde.
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    Nach erfolgter Anhörung erließ der Beklagte mit Datum vom 28.05.2010 jeweils einen Haftungsbescheid i.S. des § 191 Abs. 1 i.V. mit §§ 69 S. 1, 34 Abs. 1 AO sowohl gegenüber dem Kläger als auch gegenüber dessen Mitgeschäftsführer. Beide Geschäftsführer wurden in Bezug auf die zum Fälligkeitstag am 14.04.2009 durch die A-KG nicht entrichtete Lohnsteuer nebst Annexabgaben für den Voranmeldungszeitraum März 2009 i.H. von insgesamt 1.XXX.XXX,- EUR zuzüglich Säumniszuschlägen i.H. von 1XX.XXX,- EUR persönlich und unbeschränkt in Haftung genommen.
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    Zur Begründung des Haftungsbescheides führte der Beklagte aus, dass Personen i.S. der §§ 34 und 35 AO gemäß § 69 S. 1 AO als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden könnten, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis in Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Sorgfaltspflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt würden. Als Geschäftsführer der A-Verwaltungs-GmbH in XXX habe den Kläger die Pflicht getroffen, für die rechtzeitige Anmeldung und Abführung der Lohnsteuern der A-KG als Arbeitgeberin Sorge zu tragen. Die Lohnsteuer für den Voranmeldungszeitraum März 2009 sei zwar fristgerecht bis zum 14.04.2009 angemeldet, nicht jedoch abgeführt worden. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der A-KG sei mit einer Entrichtung der Lohnsteuer durch bzw. für die A-KG nicht mehr zu rechnen.
    29

    Der Kläger habe seine steuerlichen Pflichten als Geschäftsführer zum einen dadurch verletzt, dass er nicht für eine wirksame und rechtzeitige Entrichtung der Lohnsteuer gesorgt habe. Zahlungsschwierigkeiten einer Gesellschaft änderten grundsätzlich weder etwas an der Pflicht des Geschäftsführers zur Abführung der Lohnsteuer noch schlössen sie ein Verschulden bei Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten aus. Reichten die zur Verfügung stehenden Mittel zur Befriedigung der arbeitsrechtlich geschuldeten Löhne einschließlich des enthaltenen Steueranteils nicht aus, so dürfe der Geschäftsführer die Löhne nur entsprechend gekürzt auszahlen und müsse aus den dadurch übrig bleibenden Mitteln die auf die gekürzten Nettolöhne entfallende Lohnsteuer an das Finanzamt abführen. Bereits das Unterlassen, die auf die auszuzahlenden Löhne entfallende Lohnsteuer durch eine entsprechend Kürzung der Löhne einzubehalten und den gekürzten Betrag für die Errichtung zum Fälligkeitszeitpunkt bereitzuhalten, könne eine eigenständige Pflichtverletzung darstellen und den Haftungstatbestand des § 69 S. 1 AO auslösen.
    30

    Zwar habe die A-GmbH im Lohnzahlungszeitpunkt noch über liquide Mittel verfügt, die der Höhe nach auch zur Begleichung der Lohnsteuer für die A-KG ausgereicht hätten und zu diesem Zweck verwendet werden sollten. Alleine diese Tatsache könne den Kläger aber nicht von der Haftung befreien. Da sich die Gesellschaft nur wenige Tage vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und damit bereits seit Längerem in der Krise befunden habe, hätten die Geschäftsführer in Bezug auf die Lohnsteuerentrichtung erhöhte Sorgfaltspflichten getroffen. Sie hätten bereits zum Lohnzahlungszeitpunkt, also zum 26.03.2009, sicherstellen müssen, dass die auf die ausgezahlten Löhne entfallende Lohnsteuer tatsächlich pünktlich an das Finanzamt gezahlt werde. Dies hätten die Geschäftsführer etwa durch vorherige Gespräche mit Verantwortlichen der überweisenden Bank bewirken können. Aufgrund der bestehenden finanziellen Krisensituation und der im Raum stehenden Insolvenz hätten sich die Geschäftsführer nicht einfach darauf verlassen dürfen, dass die Banken einen Überweisungsauftrag wenige Stunden vor der Insolvenzantragsstellung noch ausführen werden.
    31

    Eine weitere Pflichtverletzung des Klägers sei darin zu sehen, dass dieser nicht auf die D-Bank eingewirkt und auf die Ausführung des Überweisungsauftrags bestanden habe. Der Überweisungsauftrag sei mit Zugang bei der Bank und damit vor der Insolvenzantragsstellung wirksam geworden (vgl. § 676a Abs. 1 S. 1 alte Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB a.F.). Die Voraussetzungen für eine Kündigung des Überweisungsauftrags durch die Bank hätten nicht vorgelegen. Gemäß § 676a Abs. 3 BGB a.F. dürfe ein Auftrag nach Beginn der Überweisungsfrist i.S. des § 676a Abs. 2 BGB a.F. nur gekündigt werden, wenn das Insolvenzverfahren bereits eröffnet worden sei. Der Überweisungsauftrag sei über § 116 S. 3 InsO auch insolvenzbeständig gewesen. Demzufolge hätte der Kläger auf die D-Bank einwirken und auf die Durchführung des rechtswirksam und insolvenzbeständig erteilten Überweisungsauftrags bestehen müssen. Das Unterlassen einer solchen Einwirkung sei als Pflichtverletzung zu werten. Bei dem Einwirken habe es sich nicht um eine Verfügung gehandelt, die nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters möglich gewesen wäre. Im Übrigen bleibe die Verpflichtung der Geschäftsführer, die Lohnsteuer bis zum Fälligkeitstag zu entrichten, auch nach der Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich bestehen.
    32

    Sein Ermessen beim Erlass des Haftungsbescheides begründete der Beklagte wie folgt: Eine vorherige Inanspruchnahme der Arbeitnehmer als Steuerschuldner sei unbillig, weil die Steuerabzugsbeträge bei der Auszahlung der Gehälter von der A-KG einbehalten worden seien. Die Inanspruchnahme der A-KG sei nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr erfolgversprechend. Es sei ermessensgerecht, sowohl den Kläger als auch den weiteren Mitgeschäftsführer der Komplementärin der A-KG als für die Nichtzahlung der Lohnsteuer jeweils verantwortliche Personen in voller Höhe in Anspruch zu nehmen. Die Haftung umfasse auch die infolge der Pflichtverletzung entstandenen Säumniszuschläge.
    33

    Gegen den Haftungsbescheid legte der Kläger am 22.06.2010 Einspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass er weder vorsätzlich noch grob fahrlässig seine steuerlichen Pflichten als Geschäftsführer verletzt habe. In der ungekürzten Auszahlung der Gehälter sei keine Pflichtverletzung zu erkennen. Die ungekürzte Auszahlung von Löhnen stelle nur dann eine Pflichtverletzung dar, wenn der Geschäftsführer befürchten müsse, dass zum Fälligkeitszeitpunkt nicht genügend Mittel zur Begleichung der Lohnsteuer vorhanden seien. Vorliegend hätten aber sowohl im Zeitpunkt der Lohnauszahlung als auch bei Insolvenzantragsstellung und auch noch im Zeitpunkt der Fälligkeit der Lohnsteuer ausreichende Mittel zur Begleichung der Steuerschuld bereit gestanden. Zunächst sei entsprechendes Kapital auf das P-Bank-Konto transferiert und von der Geschäftsführung u.a. zur Begleichung der Lohnsteuer vorgesehen worden. Auch bei Erteilung des Zahlungsauftrags an die D-Bank am Morgen des 08.04.2009 sei genügend Liquidität vorhanden gewesen. Der Kontostand bei der D-Bank habe sich immerhin auf über 7.XXX.XXX,- EUR belaufen. Ihren Mittelvorsorge- und Sorgfaltspflichten seien die Geschäftsführer also ausreichend nachgekommen. Für eine gekürzte Auszahlung der Gehälter im März 2009 habe daher keine Veranlassung bestanden.
    34

    Der Kläger führte weiter aus, dass ihm auch die Nichtzahlung der Lohnsteuer im Fälligkeitszeitpunkt nicht vorgeworfen werden dürfe. Dieser Umstand beruhe nicht auf einem Fehlverhalten seinerseits, sondern zum einen auf der Nichtausführung des erteilten Überweisungsauftrags durch die D-Bank sowie zum anderen auf der späteren Einsetzung des vorläufigen Insolvenzverwalters und dem damit verbundenen Verlust der freien Verfügungsbefugnis über das Vermögen der A-GmbH. Die Geschäftsführer hätten noch deutlich vor Fälligkeit und im Hinblick auf die drohende Bestellung eines Insolvenzverwalters alles daran gesetzt, die vorhandene Liquidität zur Entrichtung der Lohnsteuer einzusetzen. Dass der gegenüber der D-Bank noch vor Stellung des Insolvenzantrags erteilte Überweisungsauftrag nicht ausgeführt worden sei, könne ihnen nicht angelastet werden. Die D-Bank habe diesem Auftrag, wie sich später herausgestellt habe, zu Unrecht die Ausführung versagt. Die bankinterne Abteilung „Risk Management“ habe entschieden, den Überweisungsauftrag nicht auszuführen und stattdessen etwaige Zurückbehaltungsansprüche in Bezug auf das vorhandene Kapital geprüft. Später habe sich durch die Rücküberweisung der Beträge an den Insolvenzverwalter gezeigt, dass dieses Vorgehen nicht gerechtfertigt gewesen sei. Dieses Verschulden der D-Bank könne aber nicht den Geschäftsführern angelastet werden; eine entsprechende Zurechnung von Drittverschulden finde im Anwendungsbereich des § 69 AO gerade nicht statt. Auch sei für die Geschäftsführung nicht vorhersehbar gewesen, dass die D-Bank den Überweisungsauftrag nicht ausführen werde. Nach der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters seien eigenmächtige Verfügungen für die Geschäftsführer nicht mehr möglich gewesen. Die steuerliche Pflichtenstellung habe sich insofern auf ein Einwirken auf den Insolvenzverwalter beschränkt. Dieser Verpflichtung seien die Geschäftsführer nachgekommen, indem sie den Insolvenzverwalter zur Zahlung der Lohnsteuer aufgefordert hätten. Dieses Zahlungsverlangen habe der Insolvenzverwalter aus Gründen der Gläubigergleichbehandlung aber abgelehnt.
    35

    Der im Haftungsbescheid enthaltene Hinweis des Finanzamts, die Geschäftsführer hätten angesichts der Auszahlung der vollen Löhne frühzeitig eine Vereinbarung mit der Bank über die sichere Ausführung eines Überweisungsauftrags zur Entrichtung der Lohnsteuer treffen müssen, sei nicht zielführend. Sowohl zur P-Bank als auch zur D-Bank habe ein ganz normales Geschäftsbesorgungsverhältnis (Kontoführungsvertrag) bestanden. In Anbetracht dessen sei nicht davon auszugehen, dass sich die Banken überhaupt auf eine Vereinbarung dergestalt eingelassen hätten. Es sei nicht zu erwarten, dass irgendeine Bank entsprechende Vereinbarungen zu eigenen Lasten treffe. Denn die Banken hätten für den Fall der Zahlungsunfähigkeit bzw. der Insolvenzantragsstellung damit rechnen müssen, dass die Belastung des Kontos später an der erforderlichen Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters gescheitert wäre. Insofern hätte auch ein Gespräch mit Vertretern der Bank nicht weiter geführt.
    36

    Darüber hinaus verneinte der Kläger auch ein schuldhaftes Handeln i.S. des Haftungstatbestandes. Dabei wies er ausdrücklich auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 05.06.2007 (VII R 19/06, juris) hin, wonach den Geschäftsführern einer GmbH die Kontosperrung durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter nicht haftungsbegründend anzulasten sei. Gemessen an den dort niedergelegten Grundsätzen höchstrichterlicher Rechtsprechung hätten sich die Geschäftsführer im Streitfall sogar überobligatorisch verhalten, indem sie noch vor Fälligkeit und vor Insolvenzantragsstellung die Anweisung zur Überweisung der Lohnsteuer erteilt hätten.
    37

    Schließlich führte der Kläger aus, dass es auch an der für eine Haftung notwendigen Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden fehle. Der BFH habe im Urteil vom 17.11.1992 (VII R 13/92, juris) festgestellt, dass die Inanspruchnahme eines Geschäftsführers in dem Fall, dass noch vor dem Fälligkeitstag ein starker Insolvenzverwalter bestellt werde, nicht mehr kausal für den Steuerausfall sei. Im vorliegenden Fall sei zwar zunächst kein starker Insolvenzverwalter bestellt worden. Der Zustimmungsvorbehalt des schwachen Insolvenzverwalters habe aber de facto die gleiche Wirkung. Die fristgerechte Zahlung sei den Geschäftsführern seit der Bestellung des schwachen Insolvenzverwalters verwehrt gewesen, eine etwaige Pflichtverletzung für die Nichtentrichtung der Lohnsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt sei daher nicht mehr kausal.
    38

    Der Beklagte half dem Einspruch des Klägers mit Einspruchsentscheidung vom 22.06.2012 teilweise ab, indem die Säumniszuschläge um die Hälfte von 1XX.XXX,- EUR auf 6X.XXX,- EUR reduziert wurden. Im Übrigen (in Bezug auf die eigentliche Haftungsschuld) wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
    39

    Zur Herabsetzung der Säumniszuschläge führte der Beklagte aus, insofern sei eine Teilrücknahme des Haftungsbescheides gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 AO geboten. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung sei die Heranziehung eines Steuerschuldners ab dem Zeitpunkt des Eintritts der nachweislichen Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit teilweise unzulässig (Verweis auf BFH, Urteil v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris). Daraus folge für den Streitfall, dass die Haftung insoweit aufzuheben sei, als sie den Zeitraum zwischen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (29.06.2009) und dem Erlass des Haftungsbescheides (28.05.2010) beträfe. Aus diesem Grunde werde die Haftungssumme um die Hälfte der verwirkten Säumniszuschläge reduziert.
    40

    Im Übrigen sei der Haftungsbescheid aber rechtmäßig und damit aufrecht zu erhalten. Den Kläger habe aufgrund seiner gesetzlichen Stellung als Geschäftsführer der A-Verwaltungs-GmbH in XXX die Pflicht getroffen, für die Abführung der auf die im März 2009 durch die A-KG ausgezahlten Gehälter entfallende Lohnsteuer nebst Annexabgaben zu sorgen (vgl. § 34 Abs. 1 AO i.V. mit § 41a Abs. 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz – EStG). Dieser Pflicht sei der Kläger nicht nachgekommen. Die entsprechenden Steuerschulden seien bis zum heutigen Tage nicht entrichtet worden.
    41

    Nach ständiger finanzgerichtlicher Rechtsprechung stelle die Nichtabführung einzubehaltender und abzuführender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten regelmäßig eine, wenn nicht vorsätzliche, so zumindest grob fahrlässige Verletzung der Pflichten eines Geschäftsführers dar. Die in der Nichtentrichtung liegende objektive Pflichtwidrigkeit indiziere den Schuldvorwurf (Hinweis auf BFH, Urteil v. 04.12.2007, VII R 18/06, juris; Beschluss v. 25.07.2003, VII B 240/03, juris). Durch die Auszahlung des Bruttolohnes nehme der Geschäftsführer ein Haftungsrisiko auf sich, mit der Folge, dass bei Ausbleiben der Erfüllung seiner auf die entsprechende Lohnsteuer bezogenen Entrichtungsschuld die Haftungsfolge des § 69 S. 1 AO eintrete. Diesen strengen Verschuldensmaßstab leite die Rechtsprechung aus den einkommensteuerrechtlichen Regelungen zum Lohnsteuerabzug her (§ 38 Abs. 2 und Abs. 3, § 41a Abs. 1 Nr. 2 EStG). Danach fungiere der Arbeitgeber als Entrichtungsschuldner. Für den Arbeitgeber handele es sich insoweit um eine fremde Schuld. Ihn treffe kraft Gesetzes die Pflicht, die Lohnsteuer treuhänderisch zu verwalten und für ihre Entrichtung aus den verwalteten Mitteln der Gesellschaft Sorge zu tragen (Verweis auf BFH, Beschlüsse v. 08.05.2001, VII B 252/00, juris; v. 06.07.2005, VII B 296/04, juris; FG München, Urteil v. 15.12.2008, 15 K 4118/07, juris). Diese steuerrechtliche Verpflichtung sei eine „Grundpflicht“ bzw. „Garantenpflicht“ des Geschäftsführers. Dieser gebe mit voller Auszahlung der Löhne quasi eine „Garantie“ ab, die darauf entfallende Lohnsteuer bis zum Fälligkeitstag auch tatsächlich zu entrichten. Die eingegangene Verpflichtung beinhalte – da es sich bei der Lohnsteuer um fremde Gelder handele – nicht nur, dass der Geschäftsführer für eine entsprechende Kontodeckung am Fälligkeitstag zu sorgen habe. Darüber hinaus müsse der Geschäftsführer einen wirksamen Zahlungsauftrag erteilen und damit letztlich sicherstellen, dass die Lohnsteuer auch tatsächlich beim Finanzamt ankomme, mithin dass eine Entrichtung (Erfüllung) der Steuerschuld i.S. des § 224 Abs. 1 AO bis zum Fälligkeitstag erfolge (vgl. BFH, Beschluss v. 19.03.1999, VII B 158/98, juris).
    42

    Der Umstand, dass vor dem Fälligkeitstag ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt werde, ändere an den besagten Mittelvorsorge- und Garantiepflichten eines Geschäftsführers nichts. Gleiches gelte für die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters. Dadurch werde der Geschäftsführer nicht in seiner Verfügungsbefugnis eingeschränkt; er sei rechtlich nicht daran gehindert, Steuern für die Gesellschaft zu entrichten. Die Verpflichtung eines Geschäftsführers zur Abführung einbehaltener Lohnsteuer bestehe solange fort, bis ihm die Verfügungsbefugnis endgültig entzogen werde (Verweis auf BFH, Urteil v. 23.09.2008, VII R 27/07, juris).
    43

    Auf der Grundlage dieser Maßstäbe sei der Kläger seinen Pflichten als Geschäftsführer in mehrfacher Hinsicht nicht nachgekommen. Zum einen habe er gegen die Mittelvorsorge- und Garantiepflicht zur Entrichtung der Lohnsteuer verstoßen. Die Gehälter für die Angestellten am Standort der A-KG in XXX seien auf Veranlassung des Klägers am 26.03.2009 in voller Höhe ausgezahlt worden. Damit habe der Kläger sich verpflichtet, die einbehaltene Lohnsteuer bis zum Fälligkeitszeitpunkt am 14.04.2009 an das Finanzamt abzuführen. Der Kläger hätte also dafür Sorge tragen müssen, wirksame Maßnahmen zur Tilgung (Erfüllung) der Lohnsteuer zu ergreifen. Derartige Maßnahmen seien vom Kläger und dessen Mitgeschäftsführer aber nicht getroffen worden. Die Anweisung der Geschäftsführung an ihre Mitarbeiter, entsprechende Mittel auf das Konto bei der P-Bank zu überweisen und von dort aus eine Überweisung der Lohnsteuer an das Finanzamt vorzunehmen, sei lediglich geeignet gewesen, potentiell eine pünktliche Zahlung zu bewirken (§ 224 Abs. 2 AO). Die Erfüllung der Steuerschuld sei dadurch aber nicht eingetreten. Gleiches gelte für den wenige Stunden vor Insolvenzantragsstellung gegenüber der D-Bank abgegebenen Überweisungsauftrag. Beide Maßnahmen hätten letztlich nicht zu einer erfolgreichen Tilgung der Lohnsteuer geführt.
    44

    Darüber hinaus sei der Kläger seinen Überwachungsaufgaben als Geschäftsführer nicht hinreichend nachgekommen. Die hundertprozentige Auszahlung der Löhne gehe mit gesteigerten Überwachungspflichten einher. Der Kläger habe die Erfüllung der Steuerschuld durch geeignete Überwachungsmaßnahmen sicherstellen müssen. Gerade aufgrund des Umstandes, dass der Kläger mit dem Eingang seines Insolvenzantrages und der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters am 08.04.2009 habe rechnen müssen, sei er zu einer gesteigerten Überwachung aufgerufen gewesen. Auch sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der zunächst erfolgten Überweisung der Gelder vom Konto der D-Bank auf das Konto bei der P-Bank sowie bei dem weiteren Plan, die Lohnsteuer dann von dort aus an das Finanzamt abzuführen, um eine „außergewöhnliche Vorgehensweise“ gehandelt habe (abweichend von der bisherigen Übung der Steuerentrichtung im Lastschrifteinzugsverfahren). In Anbetracht dessen hätte der Kläger die Umsetzung der erteilten Aufträge besonders sorgfältig überwachen müssen. Dies habe er offensichtlich nicht getan. Der Vortrag des Klägers, er habe den Leiter der Finanzabteilung nicht kontrollieren müssen, weil es sich bei Herrn Dr. Z um eine stets zuverlässige Person gehandelt habe, die ihren Aufgaben in der Vergangenheit immer zur Zufriedenheit der Geschäftsführung nachgekommen sei, könne weder als Rechtfertigungs- noch als Entschuldigungsgrund herangezogen werden. Wenn der Kläger einen typischen Arbeitsauftrag erteilt hätte, dann habe er davon ausgehen können, dass die beauftragten Personen diesen gewohnt zuverlässig erledigen werden. Im Streitfall gelte aber etwas anderes. Vorliegend sei ein atypischer Zahlungsweg gewählt worden. Angesichts der drohenden Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters sei zudem alles davon abhängig gewesen, dass den Banken noch vor dem 08.04.2009 ein wirksamer Zahlungsauftrag erteilt werde. Diese Besonderheiten hätten es erforderlich gemacht, die beauftragten Mitarbeiter genau zu überwachen und damit für die Erfüllung des Zahlungsauftrags Sorge zu tragen. Auch der BFH gehe davon aus, dass an die Überwachungsmaßnahmen eines Geschäftsführers umso größere Anforderungen gestellt werden müssten, je weniger dieser sich ein auf Tatsachen gegründetes Urteil bilden könne, ob hinzugezogene Personen die notwendige Gewähr der zuverlässigen Erfüllung steuerlicher Angelegenheiten der Gesellschaft bieten würden (Verweis auf BFH, Beschluss v. 05.03.1998, VII B 36/97, juris). Bei Anwendung dieser Grundsätze habe der Kläger die Ausführung des Auftrags zur Überweisung der Lohnsteuer durch seine Mitarbeiter im Streitfall intensiver überwachen müssen, denn er habe keine Kenntnisse darüber gehabt, ob seine Mitarbeiter der Ausnahmesituation (atypische Zahlungsweise und drohende Insolvenz) gewachsen gewesen seien.
    45

    Die gleichzeitige Inanspruchnahme des Klägers und seines Mitgeschäftsführers sei auch ermessensgerecht. Dagegen sei der dritte Geschäftsführer der A-GmbH, Herr C, nicht in Haftung genommen worden, weil er nicht auch gleichzeitig Geschäftsführer der A-Verwaltungs-GmbH in XXX und damit nicht zur Abführung der Lohnsteuer der A-KG verpflichtet gewesen sei.
    46

    Der Kläger hat am 04.07.2012 die vorliegende Klage erhoben und begehrt weiter die Aufhebung des streitgegenständlichen Haftungsbescheides. Das parallele Klageverfahren des Mitgeschäftsführers wird unter dem Aktenzeichen 1 K 2245/12 L geführt.
    47

    Zur Begründung seiner Klage führt der Kläger wie folgt aus: Seine steuerlichen Pflichten als Geschäftsführer habe er nicht verletzt. Die ungekürzte Auszahlung der Gehälter für den streitbefangenen Zeitraum stelle keine Pflichtverletzung dar, denn zum Zeitpunkt der Gehaltsauszahlung sei hinreichend Liquidität für die Begleichung der Lohnsteuer März 2009 vorhanden gewesen. Eine Pflichtverletzung bestehe nach der Rechtsprechung des BFH nur, wenn zu befürchten sei, dass zum Fälligkeitszeitpunkt nicht mehr genügend Mittel zur Begleichung der Steuerschuld vorhanden seien (Hinweis auf BFH, Urteil v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; Beschluss v. 21.12.1998, VII B 175/98, juris). Es habe also gar keine Veranlassung zu einer Kürzung der Löhne bestanden. Auch zum gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt der Lohnsteuer habe die A-GmbH noch über ausreichend Liquidität verfügt. Die Nichtzahlung der Lohnsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt sei nicht auf eine Pflichtverletzung der Geschäftsführung (etwa zur Mittelvorsorge), sondern auf die nicht vorhersehbare Ablehnung des Überweisungsauftrags durch die D-Bank sowie die Einsetzung des vorläufigen Insolvenzverwalters und den damit verbundenen Verlust der Verfügungsmacht der Geschäftsführer zurückzuführen. Ursächlich für den Steuerausfall seien letztlich alleine die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters und dessen verweigerte Zustimmung zur Zahlung der Lohnsteuer gewesen. Das Unvermögen eines Geschäftsführers, am Fälligkeitstag die Lohnsteuerschulden ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters zu begleichen, begründe keine Pflichtverletzung (Hinweis auf BFH, Urteil v. 17.11.1992, VII R 13/92, juris). Auch unter dem Aspekt des Verschuldens scheide insofern eine Haftung aus (Hinweis auf BFH, Urteil v. 05.06.2007, VII R 19/06, juris). Unter den gegebenen Umständen sei auch nicht zu erwarten gewesen, dass ein Einwirken auf die D-Bank, den erteilten Überweisungsauftrag durchzuführen, erfolgreich gewesen wäre. Ohne die spätere Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Belastung des Kontos hätte die Bank eine Belastungsbuchung sowieso gar nicht vornehmen dürfen (Hinweis auf BGH, Urteil v. 05.02.2009, IX ZR 78/07, juris).
    48

    Darüber hinaus ist der Kläger der Ansicht, eine Pflichtverletzung scheide bereits aus dem Grund aus, dass die Lohnsteuer am 08.04.2009 (bei Einsetzung des vorläufigen Insolvenzverwalters) noch gar nicht fällig gewesen sei. Es habe demnach bis zu diesem Tage noch gar keine Pflicht zur Zahlung der Lohnsteuer bestanden. Demzufolge könne ihm auch nicht der Vorwurf einer (Überwachungs-)Pflichtverletzung gemacht werden. Der Kläger führt weiter aus, er habe sich sogar überobligatorisch verhalten, indem er gegenüber seinen Mitarbeitern veranlasst habe, dass die Lohnsteuer noch vor dem Fälligkeitstag an das Finanzamt überwiesen werden sollte. Bei der angedachten Abwicklung über das P-Bank-Konto habe es sich insofern um eine zusätzliche „Vorsichtsmaßnahme“ gehandelt, die weit über das hinausgegangen sei, was von einem Geschäftsführer berechtigterweise zu erwarten sei. Dass die D-Bank die Überweisung letztendlich nicht ausgeführt habe, könne ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden. Er dürfe insofern nicht schlechter stehen, als er stünde, wenn überhaupt kein Versuch zur vorzeitigen Entrichtung der Lohnsteuer unternommen worden wäre.
    49

    Der Kläger meint in diesem Zusammenhang weiter: Die Ansicht des Beklagten, die Lohnsteuer sei jedenfalls so rechtzeitig zu zahlen, dass die Erfüllung am 14.04.2009 in jedem Fall gewährleistet gewesen wäre, gehe fehl. Zwar sei es grundsätzlich richtig, dass der Geschäftsführer für die pünktliche Abführung der Lohnsteuer verantwortlich zeichne. Der Beklagte verkenne jedoch den Unterschied zwischen der gesetzlich angeordneten „Haftung für schuldhaft nicht abgeführte Lohnsteuer“ einerseits und einer „Garantiehaftung“ andererseits. Die Ausführungen des Beklagten in der Einspruchsentscheidung und in den im finanzgerichtlichen Verfahren ausgetauschten Schriftsätzen liefen darauf hinaus, dass mit jeder Lohnauszahlung eine verschuldensunabhängige Garantenpflicht für die Abführung der Lohnsteuer übernommen werde. Eine solche Auslegung finde jedoch im Gesetz keine Stütze, sondern verkehre den Haftungstatbestand des § 69 S. 1 AO in sein Gegenteil. Er (der Kläger) sei damit weder am 08.04.2009 noch an einem sonstigen vor dem Fälligkeitszeitpunkt liegenden Tage verpflichtet gewesen, die Lohnsteuer an das Finanzamt zu überweisen. Die Tatsache, dass die Geschäftsführer dies gleichwohl versucht hätten, könne ihnen im Nachhinein unter keinen Umständen als schuldhafte Pflichtverletzung vorgehalten werden.
    50

    Weiter führt der Kläger aus, dass eine Haftung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Zurechnung des Verhaltens der D-Bank oder der Mitarbeiter der A-GmbH in Betracht komme. Im Anwendungsbereich des § 69 S. 1 AO finde eine Zurechnung von Drittverschulden nicht statt (Hinweis auf BFH, Urteile v. 30.08.1994, VII R 101/92, juris; v. 30.06.1995, VII R 85/94, juris).
    51

    Im Übrigen hätten sich in Bezug auf die Zuverlässigkeit der Mitarbeiter keine Bedenken ergeben. Anlass zu der Vermutung, dass die Mitarbeiter die Lohnsteuer nicht (wie besprochen) vom Konto bei der P-Bank an das Finanzamt überweisen und damit von den eindeutigen Anweisungen der Geschäftsführung abweichen würden, habe nicht bestanden. Die für die Überweisung zuständigen Mitarbeiter seien im Rahmen dieser Geschäftsführersitzung anwesend gewesen und hätten die Anweisungen der Geschäftsführer bestätigt. Bei dem mit der Überweisung beauftragten Leiter der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern, Herrn Dr. Z, habe es sich zudem um einen kompetenten und berufserfahrenen Mitarbeiter gehandelt, der selbst mehrere Jahre in einer Großbank tätig gewesen sei. Der Vorwurf des Beklagten, es habe sich bei der Überweisung der Lohnsteuer vom Konto bei der P-Bank um einen derart komplexen Vorgang gehandelt, dass die Geschäftsführer ihre Mitarbeiter bei der Ausführung quasi hätten begleiten müssen, sei insofern entschieden zurückzuweisen. Zum einen sei die Anweisung einer Überweisung ein ganz alltäglicher Vorgang. Zum anderen verkenne der Beklagte bei seiner Argumentation, dass es sich bei der A-Unternehmensgruppe um einen Großkonzern und nicht um einen Kleinbetrieb gehandelt habe. Die vom Beklagten eingeforderte persönliche Kontrolle der Mitarbeiter durch die Geschäftsführung sei weder angemessen noch realitätsgerecht. Erst Recht seien die Geschäftsführer eines Konzernunternehmens nicht verpflichtet, entsprechende Überweisungen selbst auszuführen. Im Übrigen merkt der Kläger noch an, dass er sich im Vorfeld der Insolvenzantragsstellung der besonderen Sachkunde einer renommierten Sanierungs- und Insolvenzkanzlei bedient habe. Insgesamt hätten er und sein Mitgeschäftsführer „alles Menschenmögliche“ getan, um die Überweisung der streitbefangenen Lohnsteuer sicherzustellen.
    52

    Der Kläger vertritt die Ansicht, dass sich seine steuerlichen Pflichten alleine darauf beschränkt hätten, auf den vorläufigen Insolvenzverwalter einzuwirken und diesen um die Zahlung der offenen Lohnsteuer anzuhalten. Dieser Pflicht seien die Geschäftsführer nachgekommen. Dass der Insolvenzverwalter der Aufforderung letztlich nicht gefolgt sei, falle nicht in die Pflichtensphäre der Geschäftsführer. Rechtliche Schritte der Geschäftsführer gegenüber dem Insolvenzverwalter seien nicht zu erwarten gewesen (Hinweis auf BFH, Beschluss v. 03.12.2004, VII B 178/04, juris).
    53

    Schließlich macht der Kläger geltend, dass selbst bei der vom Beklagten eingeforderten Überwachung der Mitarbeiter und bei einer erfolgten Entrichtung der Lohnsteuer ebenfalls ein Schaden entstanden wäre. Denn es sei davon auszugehen, dass der Insolvenzverwalter die Zahlung gemäß § 130 Abs. 1 InsO angefochten hätte. Folglich wäre eine unterstellte Pflichtverletzung der Geschäftsführer für die Nichtentrichtung der Lohnsteuer nicht ursächlich geworden.
    54

    Was die Höhe der Haftungsschuld angeht, so trägt der Kläger wie folgt vor: Der in der Lohnsteueranmeldung ausgewiesene Betrag i.H. von 1.XXX.XXX,- EUR berücksichtige neben der Lohnsteuer, die auf die am 26.09.2009 ausgezahlten Gehälter der Angestellten entfalle, auch die Lohnsteuer, die für die Nettolöhne der Arbeiter einzubehalten und abzuführen gewesen wäre. Da diese Gehälter aber gar nicht mehr ausgezahlt worden seien, scheide eine Haftung von vorneherein aus.
    55

    Schließlich führt der Kläger hilfsweise aus, dass die Reduzierung der Säumniszuschläge auf den hälftigen Betrag rechtswidrig sei. Die Säumniszuschläge hätten aufgrund der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit der A-KG bzw. der A-GmbH ihren Zweck als Druckmittel verloren. Dementsprechend seien sie in voller Höhe aus Gründen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen. Dies gelte nicht nur für die Hauptschuld, sondern aufgrund der Akzessorietät auch für die Haftungsschuld. Darüber hinaus gelte für die Säumniszuschläge der Grundsatz der anteiligen Tilgung. Die allgemeine Tilgungsquote bei der A-GmbH bzw. bei der A-KG liege jedoch keinesfalls bei 100%.
    56

    Der Kläger beantragt,
    57

    den Haftungsbescheid vom 28.05.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.06.2012 aufzuheben,
    58

                  hilfsweise die Revision zuzulassen.
    59

    Der Beklagte beantragt,
    60

                  die Klage abzuweisen,
    61

                  hilfsweise die Revision zuzulassen.
    62

    Der Beklagte nimmt im Rahmen seiner Gegenäußerung Bezug auf die Einspruchsentscheidung. Vertiefend und ergänzend weist er darauf hin, dass der Kläger sich nicht lediglich darauf berufen könne, entsprechende Mittel zur Begleichung der streitbefangenen Lohnsteuer bereit gehalten zu haben. Vielmehr habe eine faktische Entrichtungsverpflichtung bestanden. Gerade der erfolglose Zahlungsversuch vom 08.04.2009 zeige, dass der Kläger für die besondere Krisensituation eben keine hinreichenden Vorkehrungen zur Erfüllung der Lohnsteuerschuld getroffen habe. Die Geschäftsführer hätten es beispielsweise versäumt, die für die Lohnsteuerzahlung eingeplanten und auf das Konto bei der P-Bank transferierten Gelder mit einer entsprechenden Verfügungsbeschränkung zu versehen und von den anderen Geldern zu trennen.
    63

    Der Kläger könne sich auch nicht mit dem Fehlverhalten seiner Mitarbeiter entschuldigen. Durch die unterlassene fortgesetzte Kontrolle seiner Mitarbeiter habe sich der Kläger pflichtwidrig verhalten. Dies gelte umso mehr, als es im Streitfall entscheidend darauf angekommen sei, dass bis zum Zeitpunkt der Insolvenzantragsstellung gezahlt werde. Dem Kläger sei bewusst gewesen, dass er aufgrund des selbst gestellten Insolvenzantrages nur bis spätestens zum 08.04.2009 die alleinige Verfügungsmacht über die Konten der A-GmbH inne gehabt habe. Um die Erfüllung der Lohnsteuerschuld bis zu diesem Zeitpunkt zu gewährleisten, hätte der Zahlungsvorgang deshalb in besonderem Maße überwacht und begleitet werden müssen. Die Geschäftsführer dagegen seien am Morgen des 08.04.2009 mit der festen Überzeugung zum Insolvenzgericht gegangen, dass die Lohnsteuer bereits am 07.04.2009 vom „sicheren“ P-Bank-Konto entrichtet worden sei. Diese Überzeugung hätten sie aber nur haben dürfen, wenn die Einhaltung der erteilten Weisung zur Lohnsteuerzahlung zuvor kontrolliert worden wäre. Die Geschäftsführer hätten den Insolvenzantrag also letztlich gestellt, ohne die tatsächliche Zahlung der Lohnsteuer zuvor geprüft zu haben. Gerade darin sei die Pflichtverletzung zu sehen. In diesem Zusammenhang führt der Beklagte nochmals explizit aus, dass grundsätzlich zwar keine Pflicht zur Leistung von Steuerschulden vor dem gesetzlichen Fälligkeitstermin bestehe. Im Streitfall hätten die Geschäftsführer der A-GmbH den Fälligkeitszeitpunkt jedoch selbst bewusst „vorverlegt“, indem sie den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hätten. Durch den damit verbundenen Verlust der alleinigen Verfügungsmacht über das Vermögen der Gesellschaft sei es den Geschäftsführern nunmehr nicht mehr möglich gewesen, ihren steuerlichen Pflichten nachzukommen. Über die Pflichterfüllung in Form der Lohnsteuerzahlung hätten sie sich vorher Gewissheit verschaffen müssen. Im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei insofern anerkannt, dass die gesetzlich ohnehin bestehende Lohnsteuerentrichtungspflicht in Zeiten wirtschaftlicher Krisen nochmals mit einer besonderen (gesteigerten) Sorgfaltspflicht einhergehe (Verweis auf BFH, Urteile v. 26.04.1984, V R 128/79, juris; v. 11.11.2008, VII R 19/08, juris).
    64

    Im Zusammenhang mit dem Verhalten der Geschäftsführer rund um den P-Bank-Überweisungsauftrag weist der Beklagte ferner auf einen weiteren Aspekt hin: Die Anweisung der Mitarbeiter, von dem P-Bank-Konto insgesamt die streitgegenständliche Lohnsteuer, die Löhne der Arbeiter in YYY und XXX sowie jeweils 3XX.XXX,- EUR an verbundene ausländische Unternehmen zu zahlen, hätte insgesamt ein Kapital von 5.8XX.XXX,- EUR erforderlich gemacht. Auf dem Konto bei der P-Bank hätten sich aufgrund der beiden Transfers vom 06. und 07.04.2009 aber nur 4.650.000,- EUR befunden. Bereits in der untauglichen Zahlungsanweisung sei eine Pflichtverletzung der Geschäftsführer zu sehen. Die Geschäftsführer wären in der außergewöhnlichen Situation aber verpflichtet gewesen, durch konkrete Maßnahmen sicherzustellen, dass jedenfalls die streitbefangene Lohnsteuer noch vor der Insolvenzantragsstellung aus den bei der P-Bank deponierten Mitteln beglichen werde. Da sie die konkrete Umsetzung des untauglichen Auftrags anderen Personen überließen, seien sie bewusst das Risiko der Nichterfüllung des Auftrags eingegangen. Die späteren Bemühungen der Geschäftsführer, auf den vorläufigen Insolvenzverwalter einzuwirken und diesen zur Zahlung der Lohnsteuer aufzufordern, seien insofern nicht mehr erheblich.
    65

    Der erkennende Senat hat am 03.03.2016 mündlich in der Sache verhandelt. Dabei ist Beweis erhoben worden durch Vernehmung des Zeugen Dr. Z. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme und des übrigen Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
    66

    Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
    67

    Entscheidungsgründe:
    68

    Die Klage ist zulässig und begründet.
    69

    Der Haftungsbescheid vom 28.05.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.06.2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in dessen Rechten. Der Haftungsbescheid war daher aufzuheben (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).
    70

    Der Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung sind bereits deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte dem Grunde nach zu Unrecht von einer Haftung des Klägers auf der Grundlage des § 69 S. 1 AO ausgegangen ist (dazu nachfolgend unter I.).
    71

    Darüber hinaus sind die Ausführungen des Beklagten im Hinblick auf die Inanspruchnahme weiterer potentieller Haftungsschuldner unvollständig. Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ausübung des Auswahlermessens i.S. des § 191 Abs. 1 S. 1 AO werden insoweit nicht erfüllt. Aufgrund dieses Begründungsmangels ist der Haftungsbescheid (formell) rechtswidrig und ebenfalls aufzuheben (dazu nachfolgend unter II.).
    72

    Schließlich ist der Haftungsbescheid noch in Bezug auf die erhobenen Säumniszuschläge rechtswidrig (dazu nachfolgend unter III.)
    73

    I. Die materiellen Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme des Klägers gemäß § 69 S. 1 i.V. mit § 34 Abs. 1 AO liegen schon dem Grunde nach nicht vor. Der Kläger hat in seiner Funktion als gesetzlicher Vertreter der A-KG weder die Pflicht zur Einbehaltung und Abführung der streitgegenständlichen Lohnsteuer nebst Annexabgaben schuldhaft verletzt (dazu näher unter 1.) noch gegen die Verpflichtung zur sog. Vermögens- und Mittelvorsorge verstoßen (dazu näher unter 2.). Ob der Kläger über die reine Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus verpflichtet war, geeignete Maßnahmen zur Abführung der Lohnsteuer noch vor der Insolvenzantragsstellung und damit vor dem gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt zu ergreifen, braucht der erkennende Senat nicht abschließend zu entscheiden. Denn der Kläger hat aus der Sicht des Gerichts entsprechende Maßnahmen eingeleitet und sich auch insofern nicht pflichtwidrig verhalten (dazu näher unter 3.). Dem Kläger kann auch nicht der Vorwurf einer unterlassenen oder pflichtwidrigen Überwachung seiner Mitarbeiter gemacht werden. Im Übrigen wäre eine Überwachungspflichtverletzung auch nicht kausal für den eingetretenen Haftungsschaden (dazu unter 4.). Schließlich kann dem Kläger auch ansonsten kein schuldhaftes pflichtwidriges Verhalten angelastet werden, etwa in Form eines unterlassenen Einwirkens auf die D-Bank (dazu unter 5.).
    74

    1. Den Kläger traf als gesetzlicher Vertreter der A-KG zwar grundsätzlich die Pflicht, die von der Gesellschaft als Arbeitgeberin im Zusammenhang mit der Auszahlung der Gehälter für den Monat März 2009 geschuldete Lohnsteuer aus den von ihm verwalteten Mitteln spätestens bis zum gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt zu entrichten. Die in der Nichtentrichtung liegende objektive Pflichtwidrigkeit ist dem Kläger aber in subjektiver Hinsicht nicht vorzuwerfen. Er hat in Bezug auf die Nichtabführung der Lohnsteuer im Streitfall weder vorsätzlich noch grob fahrlässig und damit insgesamt nicht schuldhaft gehandelt.
    75

    a. Gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Gemäß § 69 S. 1 AO haften die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis in Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Zu den potentiellen Haftungsschuldner gehören u.a. die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen sowie die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen (§ 34 Abs. 1 AO). Die Geschäfte einer Kommanditgesellschaft werden grundsätzlich durch die Komplementär-GmbH geführt. Gesetzlicher Vertreter einer GmbH ist deren Geschäftsführer (§§ 6, 35 GmbHG). Im Falle einer mit der Geschäftsführung betrauten Komplementär-GmbH ist der Geschäftsführer in dieser Funktion auch dazu verpflichtet, die steuerlichen Pflichten der KG zu erfüllen (vgl. BFH, Urteile v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; v. 27.06.1989, VIII R 73/84, juris; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, München 2014, § 34 AO Rz. 8).
    76

    Gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Gemäß § 34 Abs. 1 S. 2 AO haben sie insbesondere dafür Sorge zu tragen, dass die Steuern aus den von ihnen verwalteten Mitteln entrichtet werden. Bezogen auf das Lohnsteuerabzugsverfahren bedeutet dies, dass der Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH diejenigen lohnsteuerrechtlichen Pflichten zu erfüllen hat, die der von ihm vertretenen KG als Arbeitgeberin obliegen, insbesondere die auf § 38 Abs. 3 und § 41a Abs. 1 EStG beruhende Pflicht, bei jeder Lohn- und Gehaltszahlung die darauf entfallende Lohnsteuer für die Arbeitnehmer und Angestellten der Gesellschaft einzubehalten und zum gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt an das Finanzamt abzuführen.
    77

    Die Haftung gemäß § 69 S. 1 AO setzt neben einem (für den eingetretenen Haftungsschaden ursächlichen) objektiv pflichtwidrigen Verhalten der in den §§ 34 und 35 AO genannten Personen in subjektiver Hinsicht entweder Vorsatz oder zumindest grobe Fahrlässigkeit voraus. Grob fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich großem Maße verletzt. Dazu gehört, dass er unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen oder die einfachsten, ganz nahe liegenden Überlegungen nicht anstellt. Eine Haftung kommt demnach nur bei „gravierenden Sorgfaltspflichtverletzungen“ in Betracht (vgl. BFH, Urteil v. 23.09.2008, VII R 27/07, juris; Beschluss v. 03.12.2004, VII B 178/04 juris; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 23 ff., 26 m.w.N.; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 69 AO Rz. 32).
    78

    Nach ständiger Rechtsprechung des BFH stellt die Nichtabführung einzubehaltender und abzuführender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten im Regelfall eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers dar. Die in der Nichtabführung der Lohnsteuer liegende objektive Pflichtverletzung indiziert im Allgemeinen den subjektiven Schuldvorwurf (vgl. BFH, Urteile v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; v. 29.05.1990, VII R 81/89, juris; v. 27.02.2007, VII R 67/05, juris; v. 23.09.2008, VII R 27/07, juris; v. 19.09.2007, VII R 39/05, juris; Beschlüsse v. 21.12.1998, VII B 175/98, juris; v. 25.07.2003, VII B 240/02, juris; FG Köln, Urteil v. 25.02.2014, 10 K 2954/10, juris; s.a. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 40).
    79

    Zahlungsschwierigkeiten oder Zahlungsunfähigkeit ändern nach dieser Rechtsprechung weder etwas an der Pflicht des gesetzlichen Vertreters zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer noch schließen sie sein Verschulden bei Nichterfüllung dieser steuerlichen Pflichten aus. Reichen die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Befriedigung der arbeitsrechtlich geschuldeten Löhne und Gehälter einschließlich des darin enthaltenen Steueranteils nicht aus, so darf der gesetzliche Vertreter die Löhne und Gehälter nur entsprechend gekürzt auszahlen und muss aus den dadurch übrig bleibenden Mitteln die auf die gekürzten (Netto-)Löhne bzw. (Netto-)Gehälter entfallende Lohnsteuer an den Fiskus abführen (vgl. BFH, Urteile v. 20.04.1982, VII R 96/79, juris; v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; v. 23.09.2008, VII R 27/07, juris; Beschluss v. 21.12.1998, VII B 175/98, juris; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 69 AO Rz. 71 ff.).
    80

    Die bloße Erwartung, Lohnsteuerrückstände später durch Kredite eines privaten Kreditgebers, durch Realisierung von Außenständen, durch öffentliche Fördermittel oder durch eine Aufrechnung mit vermeintlichen Steuerguthaben ausgleichen zu können, vermag den gesetzlichen Vertreter nicht von seiner grundsätzlichen Verpflichtung zur Lohnsteuerentrichtung bzw. von dem Erfordernis einer entsprechenden Lohn- und Gehaltskürzung zu befreien. Die bloße Wahrscheinlichkeit des Eingangs weiterer Geldmittel reicht insofern zum Ausschluss eines Verschuldens nicht aus. Allenfalls eine plötzliche und unvorhersehbare Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft kann im Einzelfall zu einer Exkulpation des gesetzlichen Vertreters führen (vgl. BFH, Beschlüsse v. 01.02.2000, VII B 256/99, juris; v. 24.03.2004, VII B 317/03, juris; v. 06.07.2005, VII B 296/04, juris; s.a. FG Köln, Urteil v. 25.02.2014, 10 K 2954/10, juris; FG München, Urteil v. 15.12.2008, 15 K 4118/07, juris).
    81

    Nach alledem ist der gesetzliche Vertreter einer KG auch bzw. gerade während des Bestehens einer wirtschaftlichen Krise (bei Liquiditätsschwierigkeiten) verpflichtet, die aus einer Lohn- und Gehaltsauszahlung resultierenden Steuern und Annexabgaben pünktlich an die Staatskasse zu entrichten. Die Pflicht erschöpft sich dabei nicht in der bloßen Hingabe eines Schecks oder der Erteilung einer Einzugsermächtigung. Vielmehr hat der gesetzliche Vertreter darüber hinaus auch sicherzustellen, dass ein hingegebener Scheck tatsächlich eingelöst bzw. die Steuerschuld aufgrund einer Einzugsermächtigung tatsächlich eingezogen werden kann; er hat mithin regelmäßig dafür Sorge zu tragen, dass die Steuerschuld i.S. des § 224 Abs. 1 AO de facto getilgt wird (vgl. BFH, Beschluss v. 19.03.1999, VII B 158/98, juris).
    82

    Diesen strengen Haftungsmaßstab leitet der BFH zu Recht aus den einkommensteuerlichen Regelungen zur Vornahme des Lohnsteuerabzugs her. Die Pflicht zum Einbehalt und zur Abführung der Lohnsteuer obliegt dem Arbeitgeber, im Streitfall also der A-KG. Sowohl aus der Sicht der A-KG als Arbeitgeber als auch aus der Sicht des geschäftsführenden Klägers handelt es sich bei dem einbehaltenen Anteil des Bruttoarbeitslohns um eine fremde Schuld, für deren treuhänderische Verwaltung und spätere ordnungsgemäße Abführung Sorge zu tragen ist (vgl. BFH, Urteile v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; v. 15.04.1987, VII R 160/83, juris; v. 12.07.1988, VII R 108-109/87, juris; Beschlüsse v. 08.05.2001, VII B 252/00, juris; v. 06.07.2005, VII B 296/04, juris; s.a. Rüsken in Klein, AO-Kommentar, § 69 AO Rz. 71).
    83

    Der aufgezeigte strenge Haftungsmaßstab bei der Lohnsteuer schließt es jedoch nicht aus, dass besondere, vom gesetzlichen Vertreter glaubhaft zu machende Gründe die in der Nichtentrichtung der Lohnsteuer liegende objektive Pflichtverletzung entschuldigen oder nur den Vorwurf leichter Fahrlässigkeit rechtfertigen können. Dies folgt schon aus dem gesetzlichen Charakter des § 69 S. 1 AO, der keinen Erfüllungstatbestand, sondern lediglich einen Haftungstatbestand darstellt. Die Haftung setzt in subjektiver Hinsicht die schuldhafte Verletzung einer steuergesetzlich definierten Pflicht voraus, d.h. der gesetzliche Vertreter i.S. des § 34 Abs. 1 AO kann sich im Einzelfall exkulpieren (vgl. BFH, Urteile v. 17.11.1992, VII R 13/92, juris; v. 23.09.2008, VII R 27/07, juris; Beschlüsse v. 21.12.1998, VII B 175/98, juris; v. 03.12.2004, VII B 178/04, juris; v. 06.07.2005, VII B 296/04, juris; s.a. FG Köln, Urteil v. 25.02.2014, 10 K 2954/10, juris).
    84

    b. Gemessen an diesen Grundsätzen höchstrichterlicher Rechtsprechung hat der Kläger nach Ansicht des erkennenden Senats mit der Nichtabführung der Lohnsteuer zum gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt zwar objektiv eine Pflichtverletzung begangen, allerdings subjektiv nicht schuldhaft gehandelt.
    85

    Der Kläger war in seiner Funktion als Geschäftsführer der A-Verwaltungs-GmbH in XXX (Komplementärin der KG) im Grundsatz dazu verpflichtet, die steuerlichen Angelegenheiten der KG zu besorgen und die Steuern für die Gesellschaft aus den von ihm verwalteten Mitteln zu entrichten. Der zwischen der A-KG und der A-GmbH in YYY geschlossene Betriebspachtvertrag vom 24.09.1998 hat im Ergebnis keinen negativen Einfluss auf diese grundsätzliche Pflichtenstellung des Klägers. Denn gleichzeitig mit der Verpachtung des Betriebes der A-KG an die A-GmbH ist mit Betriebsführungsvertrag vom selben Tage die Betriebsführung an die A-KG zurück übertragen worden (folglich übte die A-KG gegenüber den in ihrem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern die Arbeitgeberfunktion aus). Die zur Betriebsführung notwendigen Aufwendungen waren der A-KG von der A-GmbH (an deren Geschäftsführung der Kläger ebenfalls beteiligt war) zu erstatten. Demnach hätte der Kläger als (mit-)verantwortlicher Geschäftsführer der A-KG nötigenfalls auf die A-GmbH tatsächlich und rechtlich einwirken müssen, um seiner Verpflichtung zur Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten der A-KG ordnungsgemäß nachzukommen.
    86

    Der Kläger war insbesondere dazu verpflichtet, die auf die Auszahlung der Gehälter für den Monat März 2009 durch die A-KG als Arbeitgeberin entfallende Lohnsteuer nebst Annexabgaben bis zum 14.04.2009 als gesetzlichem Fälligkeitszeitpunkt an das Finanzamt abzuführen (der eigentliche gesetzliche Fälligkeitstermin am 10.04.2009 fiel auf den Karfreitag, die Frist des § 41a Abs. 1 S. 1 EStG endete daher erst am Dienstag, den 14.04.2009, als dem nächstfolgendem Werktag, vgl. § 108 Abs. 3 AO).
    87

    Dieser Verpflichtung ist der Kläger objektiv weder fristgerecht noch überhaupt nachgekommen. Die streitgegenständliche Lohnsteuer ist weiterhin offen. Die Nichtabführung der Lohnsteuer durch den Kläger erfolgte jedoch nicht schuldhaft. Sie beruht vielmehr auf zwei äußeren Umständen tatsächlicher bzw. rechtlicher Natur, auf die der Kläger keinen Einfluss hatte bzw. die ihm unter dem Aspekt des Verschuldens nicht zugerechnet werden können. Dies sind zum einen die Nichtausführung des vom Kläger und dessen Mitgeschäftsführer vor Insolvenzantragsstellung veranlassten Auftrags zur (fristgerechten) Überweisung der Lohnsteuer durch die D-Bank am 08.04.2009 (dazu weiter unter aa.) sowie zum anderen der Umstand, dass der am selben Tage eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt, aufgrund dessen Bestellung der Kläger seine Befugnis, über das Vermögen der A-KG und der A-GmbH uneingeschränkt zu verfügen, verloren hatte, einer Abführung der Lohnsteuer in der Folgezeit widersprochen hat (dazu weiter unter bb.).
    88

    aa. Seiner Pflicht zur Abführung der streitgegenständlichen Lohnsteuer wollte der Kläger dadurch nachkommen, dass er den Mitarbeitern des Bereichs Finanzen, Rechnungswesen und Steuern der A-GmbH die Anweisung erteilte, die Lohnsteuer aus vorhandenen Mitteln der A-GmbH noch vor der Stellung des Insolvenzantrags an das Finanzamt zu überweisen. Der genaue Inhalt der Anweisung (Überweisung vom P-Bank-Konto, Überweisung vom Konto bei der D-Bank oder Überweisung ohne nähere Bestimmung) ist für die (Vor-)Frage, ob der Kläger in subjektiver Hinsicht überhaupt die Bereitschaft hatte, die arbeitgeberrechtlichen Pflichten der A-KG im Lohnsteuerabzugsverfahren zu erfüllen, nicht entscheidend (zur Frage der Geeignetheit der klägerischen Anweisung vgl. Gliederungspunkt I.3.). Die Mitarbeiter der A-GmbH haben der klägerischen Anweisung dem Grunde nach Folge geleistet und der D-Bank am Morgen des 08.04.2009 um 8.14 Uhr (mithin noch vor der Stellung des Insolvenzantrags) einen konkreten Überweisungsauftrag zur Zahlung der Lohnsteuer erteilt. Hätte die D-Bank diesen Auftrag weisungsgemäß ausgeführt, wäre es zu einer rechtzeitigen Tilgung der Lohnsteuerschulden gekommen. Der Kläger durfte auch davon ausgehen, dass eine solche Tilgung eintreten wird, denn die A-GmbH verfügte im Anweisungszeitpunkt über die entsprechenden Mittel zur Lohnsteuerzahlung und konnte – jedenfalls bis zur Insolvenzantragsstellung – in rechtlicher Hinsicht auch noch uneingeschränkt über diese Mittel verfügen (die Guthaben auf den Konten bei der P-Bank und bei der D-Bank beliefen sich am Abend des 07.04.2009 addiert auf ca. 7.XXX.XXX,- EUR). Dass es letztlich nicht zu der beabsichtigten Entrichtung der Lohnsteuer kam, hat seinen Grund in der Entscheidung der D-Bank, den durch die A-GmbH erteilten Überweisungsauftrag nicht (mehr) auszuführen. Die Anweisung des Klägers zur Zahlung der Lohnsteuer ist damit zunächst durch äußere Umstände, hier das tatsächliche Verhalten eines Dritten (der D-Bank), vereitelt worden. Für das Handeln dritter Personen (Hilfspersonen) muss der gesetzliche Vertreter i.S. des § 34 Abs. 1 AO aber nicht ohne weiteres einstehen. Es ist ihm unter dem Aspekt des Verschuldens nicht zuzurechnen. Auf den Rechtsgedanke des § 278 BGB kann im Anwendungsbereich des § 69 S. 1 AO nicht zurückgegriffen werden (zutreffend Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 27).
    89

    Von der Nichtausführung des Überweisungsauftrags durch die D-Bank verbunden mit der gleichzeitigen „Einziehung des Guthabens“ durch die bankinterne Abteilung „Risk Management“ hat der Kläger nach seinem glaubhaftem und seitens des Beklagten nicht bestrittenen Vortrag erst nach der Stellung des Insolvenzantrages erfahren (bei der Rückkehr vom Insolvenzgericht in das Unternehmen im Laufe des 08.04.2009). Zu diesem Zeitpunkt hatte das Insolvenzgericht allerdings bereits die vorläufige Verwaltung des Vermögens der A-KG und der A-GmbH angeordnet und bestimmt, dass Verfügungen beider Gesellschaften nur noch mit Zustimmung des mit sofortiger Wirkung bestellten vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind.
    90

    bb. Ab dem Zeitpunkt der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters war der Kläger sodann durch eine rechtliche Barriere an der Entrichtung der streitgegenständlichen Lohnsteuer gehindert. Zwar hat das Insolvenzgericht bezogen auf die A-KG und die A-GmbH kein allgemeines Verfügungsverbot ausgesprochen, wodurch die alleinige Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter übergegangen wäre (Fall des sog. „starken Insolvenzverwalters“). Das Insolvenzgericht hat aber einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt (sog. „schwacher Insolvenzverwalter“). Diesen vorläufigen Insolvenzverwalter hat es im Wege der Einzelanordnung mit einem sog. Zustimmungsvorbehalt ausgestattet (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Gleichzeitig hat es weitere Maßnahmen ergriffen und den vorläufigen Insolvenzverwalter etwa zur Einziehung von Forderungen, zur Sicherung und Erhaltung des Vermögens sowie zur Fortführung des Unternehmens (gemeinsam mit den Antragstellern) ermächtigt (§ 22 Abs. 2 InsO). Die Wirksamkeit von Verfügungen der Insolvenzschuldnerinnen (A-KG und A-GmbH) war von diesem Zeitpunkt an von der Zustimmung eben dieses vorläufigen Insolvenzverwalters abhängig. Durch die diversen Einzelanordnungen des Insolvenzgerichts ist die Verwaltungs- und Verfügungsmacht des Klägers in seiner Funktion als Geschäftsführer bezogen sowohl auf die A-KG als auch auf die A-GmbH erheblich eingeschränkt worden. Praktisch wurde die Verwaltungs- und Verfügungsmacht im Hinblick auf den Geschäftsbetrieb und das Vermögen der beiden Gesellschaften auf den Insolvenzverwalter übertragen, denn dem Insolvenzverwalter war eine Stellung eingeräumt, die ihn in die Lage versetzte, die Zugriffsmöglichkeiten der Geschäftsführer auf noch vorhandene Mittel der Gesellschaften wesentlich einzuschränken (Form des sog. „halbstarken Insolvenzverwalters“). Folgerichtig wird ein entsprechender Zustimmungsvorbehalt des vorläufigen Insolvenzverwalters dem allgemeinen Verfügungsverbot in der zivilrechtlichen Praxis weitgehend gleichgestellt (vgl. Uhlenbrock, Insolvenzordnung14, München 2015, § 21 InsO Rz. 24).
    91

    Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt ist vor allem berechtigt, die Genehmigung von Überweisungsaufträgen und von Belastungsbuchungen im Einzugsermächtigungsverfahren zu verhindern (vgl. BGH, Urteil v. 04.11.2004, IX ZR 22/03, juris; v. 05.02.2009, IX ZR 78/07, juris). Von dieser Befugnis hat der vorläufige Insolvenzverwalter auch im Streitfall Gebrauch gemacht. Der mehrfachen Aufforderung des Klägers und seines Mitgeschäftsführers zur Entrichtung der streitgegenständlichen Lohnsteuer ist er nicht nachgekommen. Die Bemühungen der beiden Geschäftsführer, den vorläufigen Insolvenzverwalter zur Zahlung der offenen Lohnsteuer anzuhalten, sind im Ergebnis erfolglos geblieben. Nach Auffassung des Senats kann dem Kläger in dieser Situation nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe die Abführung der Lohnsteuer grob fahrlässig unterlassen. Denn auch wenn der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters die Verwaltungs- und Verfügungsmacht des gesetzlichen Vertreters einer KG bzw. einer GmbH nicht vollständig einschränken, wären entsprechende Überweisungsaufträge des Klägers und seines Mitgeschäftsführers zum Zwecke der Entrichtung der offenen Lohnsteuer nach dem Ergehen der Beschlüsse des Insolvenzgerichts in Anbetracht des Zustimmungsvorbehalts zunächst schwebend und ab dem Zeitpunkt der endgültigen Verweigerung der Zustimmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter dann absolut unwirksam gewesen. Angesichts dieser rechtlichen Wirkungen ist in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass die Haftung des Geschäftsführer einer GmbH für rückständige Lohnsteuern i.S. des § 69 S. 1 AO nicht nur in Fällen eines allgemeinen Verfügungsverbotes ausgeschlossen ist (vgl. dazu BFH, Urteil v. 17.11.1992, VII R 13/92, juris), sondern jedenfalls auch dann nicht in Betracht kommt, wenn die Verfügungen der von ihm vertretenen Gesellschaft unter dem Vorbehalt der Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters stehen und Letzterer einer entsprechenden Anweisung zur Zahlung der Lohnsteuer durch den Geschäftsführer nicht zustimmt (vgl. BFH, Urteil v. 05.06.2007, VII R 19/06, juris; Beschluss v. 03.12.2004, VII B 178/04, juris; FG Schleswig Holstein, Beschluss v. 25.05.2004, 5 V 85/04, juris; s.a. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 12 und 43a).
    92

    Aus der Sicht des Senats kann dem Kläger auch nicht der Vorwurf gemacht werden, den vorläufigen Insolvenzverwalter schriftlich erst am 24.05.2009 und damit nach dem gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt zur Tilgung der streitgegenständlichen Lohnsteuer aufgefordert zu haben. Denn zum einen haben der Kläger und sein Mitgeschäftsführer den vorläufigen Insolvenzverwalter zuvor bereits mündlich erfolglos um Überweisung der Lohnsteuer gebeten (davon geht auch das beklagte Finanzamt aus, vgl. Aktenvermerk v. 24.05.2011 und vom 07.06.2011, Bl. 120 ff. und 129 ff. der Rechtsbehelfsakte). Zum anderen hat der vorläufige Insolvenzverwalter das schriftliche Ersuchen der Geschäftsführer mit Schreiben vom 12.05.2009 mit Nachdruck abgelehnt (und zwar mit dem Argument, dass der Lohnsteueranmeldungszeitraum März 2009 vor der Insolvenzantragsstellung liege und er sich im Falle der Zustimmung der Gläubigerbegünstigung strafbar machen würde). In Anbetracht dessen muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass auch eine vor dem Fälligkeitszeitpunkt erteilte schriftliche Aufforderung der Geschäftsführer zur Lohnsteuerzahlung durch den Insolvenzverwalter negativ beschieden worden wäre. Ein entsprechendes pflichtwidriges Verhalten des Klägers wäre insofern jedenfalls nicht kausal für den Eintritt des Haftungsschadens.
    93

    Dem Kläger kann auch nicht vorgeworfen werden, nicht weiter auf den vorläufigen Insolvenzverwalter eingewirkt bzw. keine rechtlichen Schritte ihm gegenüber ergriffen zu haben. Der gesetzliche Vertreter, der eine durch den vorläufigen Insolvenzverwalter ausgesprochene Zustimmungsverweigerung (zunächst) akzeptiert, verletzt nach der Rechtsprechung des BFH seine Pflichten im Regelfall gerade nicht grob fahrlässig (vgl. BFH, Urteil v. 03.12.2004, VII B 178/04, juris; Beschluss v. 19.10.2010, VII B 190/09, juris; s.a. FG Münster, Urteil v. 02.07.2009, 10 K 1549/08, juris). Etwas anderes kann nur gelten, wenn das Verhalten des vorläufigen Insolvenzverwalters offensichtlich geltendem Recht widerspricht. Dafür bietet der Streitfall jedoch keine Anhaltspunkte.
    94

    Ein anderes Ergebnis folgt schließlich auch nicht aus den Entscheidungen des BFH vom 23.09.2008 (VII R 27/07, juris) und des Finanzgerichts Köln vom 25.02.2014 (10 K 2954/10, juris). Zwar wird in den Leitsätzen beider Entscheidungen ausdrücklich betont, dass alleine der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt den Geschäftsführer einer GmbH nicht von der Lohnsteuerhaftung befreien. Bei genauer Betrachtung sind die entschiedenen Sachverhalte aber mit dem Streitfall nicht vergleichbar. Dem Urteil des BFH vom 23.09.2008 lag zugrunde, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erst am Tag der Fälligkeit der Lohnsteuer gestellt und der vorläufige Insolvenzverwalter erst nach dem gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt (einen Monat später) bestellt worden ist. Folgerichtig musste der Geschäftsführer im Urteilsfall haften, da ihm die Verfügungsmacht über die Mittel der Gesellschaft bis zum Fälligkeitstermin gerade nicht entzogen war. In der Entscheidung des Finanzgerichts Köln vom 25.02.2014 war der vorläufige Insolvenzverwalter bereits zum Zeitpunkt der Lohnzahlung bestellt worden, so dass dem Geschäftsführer jedenfalls der Vorwurf zu machen war, er habe unter diesen Umständen gar keine Löhne mehr auszahlen dürfen.
    95

    c. Das beklagte Finanzamt scheint dagegen sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Rahmen des finanzgerichtlichen Verfahrens von einer „faktischen Entrichtungspflicht“ des Klägers in Bezug auf die rückständige Lohnsteuer der A-KG für März 2009 auszugehen. Dies wird aus der argumentativen Verwendung von Begriffen wie „Grundpflicht“, „Garantenstellung“, „Garantenpflicht“ und „Garantiepflicht“ sowie aus dem Umstand deutlich, dass dem Kläger vorgehalten worden ist, er habe gerade keinen „wirksamen Zahlungsauftrag“ erteilt und „alleine die Vorsorge für eine Kontodeckung am Fälligkeitstag reiche nicht aus, wenn die Erfüllung der Pflicht nicht zur Tilgung der Steuerschuld führe“. Aus der Sicht des Senats verkennt das Finanzamt insofern den rechtlichen Charakter des Haftungstatbestandes. Die Haftung gemäß § 69 S. 1 AO knüpft nicht an den objektiv fehlenden Erfolgseintritt (die Nichtentrichtung einer Steuer), sondern an eine subjektiv vorwerfbare Pflichtverletzung an. Der Haftungstatbestand ist seinem Wesen nach gerade nicht als „Garantiehaftung“, sondern verschuldensabhängig ausgestaltet. Nichts anderes folgt aus der seitens des Beklagten mehrfach in Bezug genommenen Entscheidung des BFH vom 19.03.1999 (VII B 158/98, juris). Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt weicht schon insofern ganz entscheidend vom Streitfall ab, als die Fälligkeit der rückständigen Lohnsteuer im Urteilsfall bereits vor dem Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens lag. Der Geschäftsführer musste im Urteilsfall haften, weil er schon seiner Verpflichtung zur pünktlichen Entrichtung der Lohnsteuer nicht nachgekommen war. Dass darüber hinaus der hingegebene Scheck später „platzte“, mithin endgültig nicht zu einer Befriedigung des Finanzamts geführt hat, kam ergänzend hinzu. Im vorliegenden Fall dagegen war die rückständige Lohnsteuer erst zum 14.04.2009 fällig. Der Verlust der alleinigen Verwaltungs- und Verfügungsmacht des Klägers durch die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt ist bereits zu einem früheren Zeitpunkt eingetreten. Daher kann dem Kläger in Bezug auf die Nichtentrichtung der Lohnsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt kein Verschulden zur Last gelegt werden.
    96

    2. Der Kläger ist seiner allgemein anerkannten Verpflichtung zur Vermögens- und Mittelvorsorge in ausreichendem Umfang nachgekommen. Ein haftungsbegründendes Verhalten ist aus der Sicht des Senats insoweit nicht erkennbar.
    97

    a. Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen haben gemäß § 34 Abs. 1 S. 2 AO für die fristgerechte Entrichtung von Steuern aus von ihnen verwalteten Mitteln Sorge zu tragen. Sie trifft insofern zwar keine „echte Garantie“ zur Erfüllung des staatlichen Steueranspruchs, aber eine sog. Vermögens- und Mittelvorsorgepflicht. Nach ständiger Rechtsprechung kann von den gesetzlichen Vertretern bereits vor Fälligkeit einer Steuer verlangt werden, vorausschauend zu planen und - insbesondere in Zeiten der Krise – die notwendigen finanziellen Mittel zur Entrichtung der geschuldeten Steuern bereitzuhalten (vgl. BFH, Urteile v. 26.04.1984, V R 128/79, juris; v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; v. 09.01.1997, VII R 51/96, juris; v. 28.06.2005, I R 2/04, juris; v. 19.09.2007, VII R 39/05, juris; v. 20.05.2014, VII R 12/12, juris; Beschluss v. 11.11.2015, VII B 74/15, juris; FG Berlin, Beschluss v. 12.09.2003, 9 B 9470/02, juris; FG Münster, Urteil v. 03.05.2000, 5 K 2907/99, juris; FG Köln, Urteil v. 17.06.2009, 11 K 3017/05, juris; FG Saarland, Urteil v. 14.12.2011, 2 K 1564/09, juris; FG München, Urteile v. 22.05.2012, 2 K 3459/09, juris; v. 22.02.2010, 14 K 3114/08, juris; FG Hamburg, Urteil v. 16.07.2014, 3 K 240/13, juris; Sächsisches FG, Urteil v. 24.09.2014, 8 K 1883/12, juris; aus dem Schrifttum: Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 34 ff., 37 und 40; Jatzke in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 69 AO Tz. 27 f.).
    98

    Die Pflicht zur Vermögens- und Mittelvorsorge hat im Lohnsteuerrecht eine besondere Ausprägung gefunden. Die gesetzlichen Vertreter haben grundsätzlich (mit Ausnahmen besonderer, nicht vorhersehbarer bzw. nicht verschuldeter Ereignisse) dafür Sorge zu tragen, dass die auf ausgezahlte Löhne und Gehälter entfallende Lohnsteuer nebst Annexabgaben aus treuhänderisch verwalteten Mitteln der von ihnen vertretenen Arbeitgeber spätestens im Fälligkeitszeitpunkt entrichtet werden. Die gesetzliche Konstruktion des Lohnsteuerabzugsverfahrens, die darin besteht, die Lohnsteuer bereits mit der Auszahlung der Löhne und Gehälter einzubehalten und erst später - zum gesetzlichen Fälligkeitstermin - an das Finanzamt abzuführen ist (zeitliches Auseinanderfallen zwischen Einbehaltung und Abführung), sowie der besondere Umstand, dass es sich bei dem vom Arbeitslohn einbehaltene Steueranteil um fremdes Kapital der Arbeitnehmer handelt, lassen die Anforderungen an die Vermögens- und Mittelvorsorge steigen. Daher bemisst sich die Haftungsquote bei der Lohnsteuer nicht nach dem möglichen Umfang einer anteiligen Befriedigung aller Gläubiger (Grundsatz der anteiligen Tilgung), sondern nach der auf die tatsächlich ausgezahlten (Netto-)Löhne und (Netto-)Gehälter entfallenden Lohnsteuer (vgl. BFH, Urteil v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 69 AO Rz. 55 ff., 71).
    99

    Von den gesetzlichen Vertretern der Arbeitgeber kann daher im Einzelfall eine realistische Prognoseentscheidung sowie eine darauf basierende treuhänderische Vermögensverwaltung dahingehend erwartet werden, ob und dass ihnen ausreichende Mittel für die Abführung der mit den ausgezahlten Löhnen und Gehältern korrespondierenden Lohnsteuer und Annexabgaben im Fälligkeitszeitpunkt zur Verfügung stehen werden. Fällt diese Prognose negativ aus, dürfen die Löhne und Gehälter nur anteilig ausgezahlt werden. Dabei wird man gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Krise (Liquiditätsschwierigkeiten, Zahlungsengpässe, drohende Zahlungsunfähigkeit, bevorstehende Insolvenz etc.) erhöhte Anforderungen an die Begründetheit einer solchen Finanzplanung (Prognose und Mittelvorsorge) stellen müssen.
    100

    b. Im Streitfall sind aus der Sicht des Senats keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer gegen die skizzierte Verpflichtung zur Vermögens- und Mittelvorsorge verstoßen haben. Die A-GmbH, die der A-KG auf der Grundlage des Betriebsführungsvertrages vom 24.09.1998 zum Ausgleich ihrer Aufwendungen verpflichtet war, verfügte ausweislich der Gerichts- und Verwaltungsakten sowohl im Zeitpunkt der Auszahlung der Gehälter für März 2009 an die Angestellten der A-KG (26.03.2009) als auch im Folgezeitraum bis zur Stellung des Insolvenzantrags (08.04.2009) und sogar im gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt (14.04.2009) noch über die erforderlichen Mittel, um die gegenüber dem Finanzamt angemeldete Lohnsteuer nebst Annexabgaben i.H. von 1.XXX.XXX,- EUR zu entrichten (Verweis auf die Kontoauszüge der D-Bank, Bl. 87 ff. der Haftungsakte). Am Tage der Insolvenzantragsstellung belief sich der Habensaldo auf dem Konto bei der D-Bank auf über 7.9XX.XXX,- EUR. Gleiches gilt für den Habensaldo am Tage der Fälligkeit der Lohnsteuer. Nicht erforderlich ist nach Auffassung des Senats dagegen, dass entsprechende Mittel für die Lohnsteuerzahlung zu jeder Zeit zwischen der Auszahlung der Gehälter am 26.03.2009 und dem Fälligkeitszeitpunkt am 14.04.2009 hätten vorhanden sein müssen. Insofern ist es unschädlich, dass die Habensalden auf dem Konto bei der D-Bank an einzelnen Tagen dieses Zeitraums die Lohnsteuerschuld nicht abgedeckt hätten. Entscheidend ist lediglich, dass im Zeitpunkt der Zahlungsanweisung durch die Geschäftsführung (erfolgloser Zahlungsversuch) und im Fälligkeitszeitpunkt ausreichende Mittel zur Tilgung der Lohnsteuerschuld vorhanden waren. Denn daraus lässt sich ableiten, dass die von dem Kläger und seinem Mitgeschäftsführer in Bezug auf die Auszahlung der Gehälter März 2009 sowie die Abführung der korrespondierenden Lohnsteuer ursprünglich (im Auszahlungszeitpunkt) angestellte Prognoseentscheidung realistisch war und dass die Finanzplanung (Mittelvorsorge, geplante Entrichtung der Lohnsteuer bis zum Fälligkeitszeitpunkt) abgesehen von in tatsächlicher Hinsicht unvorhersehbaren Ereignissen (Nichtausführung des Überweisungsauftrags durch die D-Bank vor Insolvenzantragsstellung) sowie bei in rechtlicher Hinsicht fortbestehender uneingeschränkter Verwaltungs- und Verfügungsmacht (ohne die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt und dessen ausdrücklicher Weigerung zur Zahlung der Lohnsteuer) im positiven Sinne aufgegangen wäre. In Anbetracht dessen kann dem Kläger und seinem Mitgeschäftsführer auch nicht der Vorwurf gemacht werden, die Gehälter der Angestellten der A-KG für März 2009 ungekürzt ausgezahlt zu haben. Vielmehr deckten die im Unternehmensverbund vorhandenen Mittel auch in der Folgezeit (bis zum Fälligkeitszeitpunkt) die auf die volle Gehaltsauszahlung entfallende Lohnsteuer nebst Annexabgaben ab.
    101

    3. Ob der Kläger bereits vor der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens - also noch unter der Ägide seiner unbeschränkten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis - verpflichtet war, nicht nur adäquate Vermögens- und Mittelvorsorge zu betreiben, sondern darüber hinaus auch geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die eigentlich erst später fällig werdende Lohnsteuer an das Finanzamt abzuführen, braucht der Senat im Ergebnis nicht zu entscheiden. Denn der Kläger hat solche Maßnahmen im Rahmen des rechtlich Zumutbaren tatsächlich ergriffen. Dass die entsprechenden Bemühungen letztlich nicht zum Erfolg (Entrichtung der Lohnsteuer) geführt haben, kann dem Kläger nicht als schuldhaftes Handeln vorgehalten werden.
    102

    a. Die Pflicht der gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und der Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen zur Entrichtung von Steuern aus von ihnen zu verwaltenden Mitteln wird in temporärer Hinsicht regelmäßig durch die gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkte konkretisiert. Im Grundsatz besteht keine Verpflichtung zu einer Steuerentrichtung vor Fälligkeit. Die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis richtet sich nach den Vorschriften der Einzelsteuergesetze (§ 220 Abs. 1 AO). Für die Lohnsteuer ist insofern in § 41a Abs. 1 EStG normiert, dass der Arbeitgeber sie spätestens am zehnten Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums an das Finanzamt abzuführen hat. Bezogen auf den Streitfall bedeutet dies, dass die Lohnsteuer für März 2009 erst am 14.04.2009 fällig war.
    103

    Da die gesetzlichen Vertreter der A-KG nach der Stellung des Antrags auf Insolvenzeröffnung und im Anschluss an die vom Insolvenzgericht ergriffenen Maßnahmen bereits ab dem 08.04.2009 in ihrer Verwaltungs- und Verfügungsmacht erheblich beschränkt waren und der vorläufige Insolvenzverwalter seine Zustimmung zur Zahlung der Lohnsteuer in der Folgezeit auch ausdrücklich verweigerte, kann die Nichtentrichtung der Lohnsteuer dem Kläger jedenfalls ab diesem Zeitpunkt nicht (mehr) als schuldhaftes Verhalten zugerechnet werden. Eine weitergehende Pflichtverletzung des Klägers und damit eine Haftungsinanspruchnahme i.S. des § 69 S. 1 AO kämen dann nur noch in Betracht, wenn man den Pflichtenkreis der gesetzlichen Vertreter im Streitfall dahingehend definieren (erweitern) würde, dass sie bereits vor der Insolvenzantragsstellung und damit auch vor dem genannten Fälligkeitstermin geeignete Maßnahmen zur Tilgung der Lohnsteuer hätten ergreifen müssen, was de facto allerdings einer Vorverlagerung des gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkts gleichkäme.
    104

    Das beklagte Finanzamt geht im Streitfall von einer entsprechenden Verpflichtung des Klägers zur Ergreifung geeigneter Maßnahmen zur Tilgung der streitgegenständlichen Lohnsteuer bereits vor Insolvenzantragsstellung und damit vor dem eigentlichen Fälligkeitstermin aus. Es führt insofern aus, der Kläger und sein Mitgeschäftsführer seien mit der Gehaltsauszahlung eine abschließende Verpflichtung eingegangen, die korrespondierende Lohnsteuer spätestens bis zum Fälligkeitszeitpunkt an das Finanzamt abzuführen. Aufgrund des Umstandes, dass die Geschäftsführer der A-KG und der A-GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens selber beantragt hätten, sei die Beschränkung der Verwaltungs- und Verfügungsmacht aus ihrer Sicht nicht etwa überraschend gekommen, sondern absehbar gewesen. Aufgrund dieser Besonderheit sei es im Streitfall gerechtfertigt, den Geschäftsführern über die bloße Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus weitergehende Pflichten aufzuerlegen, d.h. die Einleitung von adäquaten Maßnahmen mit Blick auf eine wirksame Tilgung der Lohnsteuer spätestens zum Fälligkeitszeitpunkt einzufordern.
    105

    Der Kläger tritt diesem Standpunkt des Finanzamts entschieden entgegen und sieht darin eine unzulässige Erweiterung seines Pflichtenkreises als gesetzlicher Vertreter der A-KG. Er bezeichnet Maßnahmen, die über eine bloße Vermögens- und Mittelvorsorge hinausgehen, als „überobligatorisch“. Die Ansicht des beklagten Finanzamts führe zu einer unzulässigen Vorverlagerung der gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkte. Ferner laufe sie auf eine Art „Garantiehaftung“ hinaus, die mit dem Charakter des § 69 S. 1 AO und auch mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung (§ 85 AO) im Ergebnis nicht vereinbar sei.
    106

    Gemäß § 34 Abs. 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen sowie die Geschäftsführer nichtrechtsfähiger Personenvereinigungen ganz allgemein die steuerlichen Pflichten der Vertretenen zu erfüllen und insbesondere dafür Sorge zu tragen, dass Steuern aus von ihnen verwalteten Mitteln entrichtet werden. Die Frage, welche konkreten Maßnahmen von einem gesetzlichen Vertreter zur ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Pflichten des Vertretenen einzufordern sind, beantwortet sich jeweils nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. BFH, Urteile v. 20.05.2014, VII R 12/12, juris; v. 11.03.2004, VII R 19/02, juris; Beschluss v. 25.04.2013, VII B 245/12, juris; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 69 AO Rz. 46).
    107

    In der Rechtsprechung ist jedenfalls dem Grunde nach anerkannt, dass die Pflicht der gesetzlichen Vertreter, Steuern aus den von ihnen verwalteten Mitteln zu entrichten, in temporärer Hinsicht nicht erst bei Fälligkeit besteht, sondern darüber hinaus auch ein bestimmtes (pflichtgemäßes) Verhalten schon für vorgelagerte Zeiträume erforderlich machen kann (vgl. BFH, Urteile v. 26.04.1984, V R 128/79, juris; v. 09.01.1997, VII R 51/96, juris). Gerade der in der Rechtsprechung herausgebildete Grundsatz der Vermögens- und Mittelvorsorge basiert auf dem Gedanken, dass die spätere Tilgung der Steuern im Fälligkeitszeitpunkt bereits im Vorfeld mit gewissen Anforderungen (Vorkehrungen) einhergeht, mithin der Pflichtenkreis der gesetzlicher Vertreter auch Zeiträume vor Fälligkeit erfasst (Verweis auf die unter I.2.a. zitierte Rechtsprechung). In besonderen Konstellationen kann ein bestimmtes pflichtgemäßes Verhalten der gesetzlichen Vertreter sogar noch früher, nämlich schon vor der Entstehung des Steueranspruchs an sich geboten sein (vgl. BFH, Urteile v. 09.01.1997, VII R 51/96, juris; v. 11.03.2004, VII R 19/02, juris; v. 20.05.2014, VII R 12/12, juris; Beschluss v. 25.04.2013, VII B 245/12, juris; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 69 AO Rz. 46 ff. mit Beispielen).
    108

    Was die inhaltliche Ausgestaltung des Pflichtenkreises angeht, so wird in singulären Entscheidungen zudem angedeutet, dass sich die Pflichten der gesetzlichen Vertreter vor Fälligkeit nicht nur auf die Vermögens- und Mittelvorsorge beschränken, sondern auch darüber hinaus gehen können (vgl. etwa BFH, Beschluss v. 18.02.2008, VII B 97/07, juris: Vergewisserung, ob die Bank einen an das Finanzamt gerichteten Überweisungsauftrag auch tatsächlich durchführen wird; BFH, Urteil v. 19.09.2007, VII R 39/05, juris: Geschäftsführer einer in Zahlungsschwierigkeiten geratenen GmbH hat Lohnsteuer zum Zwecke der fristgerechten Befriedigung des Finanzamts bereitzuhalten und abzusondern).
    109

    Mit der Frage, welche über die bloße Vermögens- und Mittelvorsorgepflicht hinausgehenden Maßnahmen von einem gesetzlichen Vertreter erwartet werden können, wenn die Stellung eines Insolvenzantrags unmittelbar bevorsteht und mit einer Beschränkung der Verwaltungs- und Verfügungsmacht in absehbarer Zeit zu rechnen ist, hatte sich der BFH in seinem Urteil vom 05.06.2007 (VII R 19/06, juris) zu befassen. Dort führte das Gericht aus, der GmbH-Geschäftsführer sei nicht verpflichtet, für eine Abführung von Lohnsteuer noch vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu sorgen und es hieße, seine Pflichten zu überspannen, wollte man von ihm verlangen, den zu erwartenden Maßnahmen des Insolvenzgerichts vorausschauend entgegenzuwirken. Diese Entscheidung deutet darauf hin, den Pflichtenkreis der gesetzlichen Vertreter in entsprechenden Konstellationen eher restriktiv zu definieren und weitestgehend auf die reine Vermögens- und Mittelvorsorge zu beschränken, zumal die Insolvenzantragsstellung im Urteilsfall erst nach dem gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt erfolgte. Allerdings lag dem Urteilsfall im Vergleich zum Streitfall auch insofern ein abweichender Sachverhalt zugrunde, als im Zeitpunkt der Fälligkeit eine Einzugsermächtigung vorlag, so dass der Geschäftsführer davon ausgehen durfte, das Finanzamt werde davon Gebrauch machen und die offene Lohnsteuer auch ohne ein weiteres Zutun seinerseits einziehen.
    110

    Aus der Sicht des Senats bietet der Streitfall durchaus Anhaltspunkte, die dafür sprechen, den Pflichtenkreis des Klägers dahingehend zu definieren, dass bereits vor der Insolvenzantragsstellung und des damit verbundenen Verlusts der uneingeschränkten Verwaltungs- und Verfügungsmacht sowie über die bloße Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus geeignete Maßnahmen zu ergreifen gewesen wären, um auf die Entrichtung der streitbefangenen Lohnsteuer noch vor dem eigentlichen Fälligkeitstermin hinzuwirken. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass angesichts der Größe und Bedeutung des Unternehmensverbundes unmittelbar nach der Stellung des Insolvenzantrages damit zu rechnen war, dass das Insolvenzgericht Maßnahmen ergreifen wird, die die Verwaltungs- und Verfügungsmacht des Klägers und seines Mitgeschäftsführers jedenfalls erheblich einschränken werden. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die gesetzlichen Vertreter den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst gestellt haben und damit den Zeitpunkt des voraussichtlichen Verlustes der uneingeschränkten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis jedenfalls in einem gewissen Maß noch beeinflussen konnten. Vor allem aber sind hier die Besonderheiten des Lohnsteuerabzugsverfahrens und in diesem Zusammenhang die wirtschaftliche Situation sowohl der A-KG als auch der A-GmbH zu berücksichtigen. Der Kläger und sein Mitgeschäftsführer sind mit der (vollen) Auszahlung der Gehälter für den Monat März 2009 die Verpflichtung und damit auch das Risiko eingegangen, die darauf entfallende Lohnsteuer nebst Annexabgaben spätestens zum Fälligkeitszeitpunkt an das Finanzamt abzuführen. Nach eigenen Aussagen des Klägers und seines Mitgeschäftsführers in der mündlichen Verhandlung befanden sich die A-KG und die A-GmbH bereits seit längerer Zeit in einer wirtschaftlich schwierigen Situation (Krise hatte bereits im Jahr 2007 begonnen). Dafür spricht auch, dass die Unternehmen seit geraumer Zeit sowohl im Aufsichtsrat als auch im operativen Geschäft von auf Sanierungen und Insolvenzen spezialisierten Fachkräften unterstützt worden sind. Zwar stand eine Zahlungsunfähigkeit möglicherweise nicht unmittelbar bevor, zumal sich die Geschäftsführung noch in (aus ihrer Sicht erfolgversprechenden) Gesprächen mit potentiellen Investoren und Auftragsgebern befand. Eine latente Insolvenzgefahr bestand aber bereits seit geraumer Zeit, denn nach der Aussage des Zeugen Dr. Z in der mündlichen Verhandlung gab es bereits seit mehreren Wochen den Plan, im Falle einer Insolvenz ein gewisses „Startkapital“ für den Insolvenzverwalter bereit zu halten. Darüber hinaus war die finanzielle Lage des Unternehmensverbundes nach Aussage des Klägers und seines Mitgeschäftsführers bereits zum Zeitpunkt der Auszahlung der Gehälter am 26.03.2009 jedenfalls so prekär, dass die Frage, ob die Gehälter überhaupt ausgezahlt werden sollten, im Unternehmen intensiv diskutiert worden ist. Neben dieser kritischen Ausgangssituation ist der weitere Verlauf des Geschehens zu berücksichtigen. Die Hoffnungen der Geschäftsführung, die Fortführung der Unternehmen durch neue Aufträge, potentielle Geldgeber und Investoren bzw. eine Landesbürgschaft sichern zu können, haben sich in den folgenden Tagen immer mehr zerschlagen. Die wirtschaftliche Situation wurde zunehmend schwieriger. Die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit wurde größer und die damit verbundene Notwendigkeit einer eigenen Insolvenzantragsstellung wurde immer wahrscheinlicher. In entsprechendem Maße stieg auch das mit der Auszahlung der Gehälter ursprünglich seitens der Geschäftsführung eingegangene Risiko, die Lohnsteuer nicht nur fristgerecht, sondern überhaupt noch ordnungsgemäß an den Fiskus abführen zu können. Dem Kläger und seinem Mitgeschäftsführer war dieses Risiko durchaus bewusst (das folgt bereits aus dem Gedächtnisprotokoll v. 09.04.2009 über die Geschäftsführersitzung am 06.04.2009; zudem hat der Zeuge Dr. Z glaubhaft ausgesagt, es habe mehrere Hinweise in Bezug auf das Haftungsrisiko durch den auf Sanierungen und Insolvenzen spezialisierten Berater, Herrn Rechtsanwalt O, gegeben). Sie konnten mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es trotz einer bis zum jetzigen Zeitpunkt ausreichenden Vermögens- und Mittelvorsorge mit der Insolvenzantragsstellung zu einem Steuerausfall kommen wird, wenn nicht zuvor geeignete Maßnahmen zur (vorzeitigen) Abführung der Lohnsteuer ergriffen werden. In einer solchen Situation spricht gerade der Umstand, dass noch ausreichendes Kapital zur Entrichtung der Lohnsteuer der A-KG bei der A-GmbH vorhanden war, dafür, vom Kläger und dessen Mitgeschäftsführer vor der drohenden Beschränkung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis und damit auch vor der eigentlichen Fälligkeit der Lohnsteuer entsprechende Maßnahmen zur Tilgung der Steuerschuld einzufordern. Mit einer solchen Sichtweise wäre entgegen der Ansicht des Klägers keine unzulässige Erweiterung des Haftungstatbestandes oder ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung verbunden. Vielmehr dürfte es sich um eine die konkreten Umstände des Einzelfalles beachtende vertretbare Definition bzw. Ausdeutung des Pflichtenkreises der gesetzlichen Vertreter auf der Grundlage anerkannter Rechtsprechungsgrundsätze handeln.
    111

    Letztlich kann der Senat die aufgeworfene Frage, ob die gesetzlichen Vertreter der A-KG bereits im Vorfeld der Insolvenzantragsstellung überhaupt dazu verpflichtet waren, über die Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus gehende Maßnahmen zur vorzeitigen Zahlung der streitbefangenen Lohnsteuer zu ergreifen, aber dahinstehen lassen. Denn aus der Sicht des Gerichts haben der Kläger und sein Mitgeschäftsführer entsprechende Maßnahmen im Streitfall tatsächlich ergriffen. Im Ergebnis sind sie damit ihren Geschäftsführerpflichten in ausreichendem Maße nachgekommen.
    112

    b. Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, dass an die Beurteilung der Geeignetheit von über die Vermögens- und Mittelvorsorge hinausgehenden Maßnahmen zur Tilgung der Lohnsteuer noch vor dem Fälligkeitszeitpunkt kein allzu hoher Maßstab angelegt werden darf. Dies folgt bereits aus dem Wesen des § 69 S. 1 AO als verschuldensabhängigem Haftungstatbestand, der gerade keine „Garantiehaftung“ (Haftung bei ausbleibendem Erfolg = Steuerentrichtung) statuiert, sondern eine Inanspruchnahme gesetzlicher Vertreter nur und erst ab der Schwelle der grob fahrlässigen Pflichtverletzung, mithin bei gravierenden Verstößen gegen die persönlichen Sorgfaltspflichten vorsieht. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die situationsbedingte Definition (Ausdeutung) des Pflichtenkreises über eine bloße Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus bereits mit erhöhten Anforderungen an die persönliche Sorgfalt der Geschäftsführer im Einzelfall einhergeht. In Anbetracht dessen kann es aus der Sicht des Gerichts lediglich darauf ankommen, ob die von den gesetzlichen Vertretern der A-KG bzw. der A-GmbH zum damaligen Zeitpunkt ergriffenen Maßnahmen unter normalen Umständen (bei typischem Verlauf der Dinge) potentiell geeignet waren, die Abführung der streitgegenständlichen Lohnsteuer zu bewirken. Nicht entscheidend ist dagegen, ob ein alternatives Vorgehen möglicherweise „besser“ geeignet gewesen wäre, also mit größerer Wahrscheinlichkeit zu einer Entrichtung der Lohnsteuer geführt hätte. Eine entsprechende (Vergleichs-)Betrachtung, erst Recht aus nachträglicher Sicht (ex post) und unter Einbeziehung jetziger Erkenntnisse, würde die Reichweite des Haftungstatbestandes deutlich überspannen.
    113

    c. Auf der Grundlage des aufgezeigten Maßstabs kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer ihren gesteigerten Pflichten über die bloße Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus hinreichend nachgekommen sind. Der Vorwurf eines grob fahrlässigen Handelns kann ihnen auch im Zeitpunkt vor der Insolvenzantragsstellung in Bezug auf die Abführung der Lohnsteuer nicht gemacht werden.
    114

    aa. Der Senat hat zunächst aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer sehr wohl den Willen hatten, die streitbehaftete Lohnsteuer noch vor der Insolvenzantragsstellung zu entrichten. Das Handeln des Klägers war subjektiv zweifelsohne auf eine ordnungsgemäße Pflichterfüllung gerichtet. Der Kläger war sich bereits im Zeitpunkt der Auszahlung der Gehälter für März 2009 über seine Verpflichtung zur Abführung der korrespondierenden Lohnsteuer bewusst. Von dem in das operative Geschäft der A-GmbH eingebundenen Berater für Sanierungen und Insolvenzen, Herrn Rechtsanwalt O, ist der Kläger mehrfach auf das mit der vollen Auszahlung der Gehälter verbundene Haftungsrisiko hingewiesen worden. Die Verpflichtung zur Zahlung der Lohnsteuer war zwischen dem Tag der Gehaltsauszahlung (26.03.2009) und dem Tag des Antrags auf Insolvenzeröffnung (08.04.2009) mehrfach Gegenstand von unternehmensinternen Besprechungen (etwa der Geschäftsführersitzung am 06.04.2009 sowie dem Gespräch der Geschäftsführer mit dem Leiter der Abteilung Finanzen, Rechnungswesen und Steuern, dem Zeugen Dr. Z, am 07.04.2009). Ausweislich des von den drei Geschäftsführern der A-GmbH erstellten Gedächtnisprotokolls vom 09.04.2009 genoss die Tilgung der Lohnsteuer im Rahmen der Finanzplanung einen prioritären Status. Die Liquiditätsplanung der A-KG bzw. der A-GmbH war darauf ausgerichtet, die Lohnsteuer an das Finanzamt pflichtgemäß abzuführen (vgl. nur Ziffern 1., 2c. und 3. des Gedächtnisprotokolls). Auch der Zeuge Dr. Z hat im Rahmen seiner Aussage den Willen der Geschäftsführer zur Entrichtung der Lohnsteuer mehrfach betont und glaubhaft versichert. Schließlich belegt auch das Verhalten der Geschäftsführer nach der Stellung des Insolvenzantrags in Gestalt des Einwirkens auf den vorläufigen Insolvenzverwalter die grundsätzliche Bereitschaft zur Abführung der Lohnsteuer. Im Übrigen ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass die Geschäftsführung etwaige Vorteile aus der Nichtentrichtung der Lohnsteuer hatte (das Geld kam letztlich der Insolvenzmasse zu Gute).
    115

    bb. Auch in objektiver Hinsicht haben die gesetzlichen Vertreter der A-KG zur Überzeugung des Senats geeignete und damit ausreichende Maßnahmen ergriffen, um die streitgegenständliche Lohnsteuer bereits vor der Insolvenzantragsstellung an das Finanzamt abzuführen. Der Kläger und sein Mitgeschäftsführer tragen insofern vor, die zuständigen Mitarbeiter der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern der A-GmbH zur Überweisung der Lohnsteuer vom Konto bei der P-Bank angewiesen zu haben. Dieser Vortrag wird vom beklagten Finanzamt nicht bestritten. Auch der Beklagte geht nach Aktenlage davon aus, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer ihre Mitarbeiter mit der Überweisung der Lohnsteuer vom P-Bank-Konto beauftragt haben.
    116

    Ein entsprechender Auftrag war auch potentiell geeignet, für eine Tilgung der offenen Lohnsteuer zu sorgen. Auf dem Konto bei der P-Bank befanden sich am 07.04.2009 insgesamt 4.650.000,- EUR (nachdem am 06.04.2009 zunächst 4.200.000,- und am Morgen des 07.04.2009 dann nochmals 450.000,- EUR vom Konto bei der D-Bank auf das Konto bei der P-Bank transferiert wurden). Dass dieses Geld ursprünglich mit einem anderen Verwendungszweck belegt war und als „Startkapital“ bzw. „Kasse“ für den Insolvenzverwalter dienen sollte, ist nicht entscheidungserheblich. Ausweislich des Gedächtnisprotokolls vom 09.04.2009 stand bereits im Rahmen der Geschäftsführersitzung am 06.04.2009 dem Grunde nach fest, dass jedenfalls die offene Lohnsteuer noch aus diesem bei der P-Bank „deponierten“ Kapital entrichtet werden sollte. Die Entscheidung über die Anweisung weiterer Zahlungen war dagegen abhängig von der kurzfristigen Liquiditätsentwicklung und wurde auf den darauffolgenden Tag verschoben (vgl. Ziffern 1. u. 2c. des Gedächtnisprotokolls). Am frühen Nachmittag des 07.04.2009 haben der Kläger und sein Mitgeschäftsführer dem Zeugen Dr. Z als Leiter der zuständigen Abteilung Finanzen, Rechnungswesen und Steuern dann die konkrete Anweisung zur Lohnsteuerzahlung sowie weitere Zahlungsanweisungen erteilt (in der Besprechung um 14.30 Uhr, vgl. Ziffer 3. des Gedächtnisprotokolls).
    117

    Hätten die Mitarbeiter der A-GmbH den Auftrag weisungsgemäß ausgeführt und insbesondere die Lohnsteuer vom Konto bei der P-Bank an das Finanzamt abgeführt, wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Tilgung der Steuerschuld noch vor der Insolvenzantragsstellung gekommen. Dies wird auch vom Beklagten nicht in Frage gestellt. Der Rücktransfer des Kapitals vom Konto bei der P-Bank auf das Konto bei der D-Bank sowie die weitere Ausführung der erteilten Zahlungsanweisungen (u.a. Überweisung der Lohnsteuer) von dort aus erfolgten nach dem Inhalt der Akten und dem Prozessstoff aus der mündlichen Verhandlung gerade nicht auf Veranlassung der Geschäftsführung, sondern eigenmächtig durch den Leiter und die Mitarbeiter des Bereichs Finanzen, Rechnungswesen und Steuern. Unabhängig von der Frage, ob es für den Rücktransfer des Kapitals zur D-Bank sachliche Gründe gab (der Zeuge Dr. Z hat insofern vorgetragen, dass insbesondere die technischen Gegebenheiten in Bezug auf die angedachten Lohnauszahlungen sowie Vereinfachungsaspekte ausschlaggebend für die Rücküberweisung der Gelder gewesen wären), kann ein im Ergebnis weisungswidriges Vorgehen der Mitarbeiter den Geschäftsführern letztlich nicht als schuldhaftes Handeln zugerechnet werden.
    118

    cc. Der Senat sieht hilfsweise aber auch eine solche Anweisung der Mitarbeiter des Bereichs Finanzen, Rechnungswesen und Steuern als objektiv geeignete Maßnahme zur Lohnsteuerabführung an, bei der die Geschäftsführung eine direkte Überweisung vom Konto bei der D-Bank angeordnet oder alternativ offen gelassen hätte, ob die Zahlung vom Konto bei der P-Bank oder vom Konto bei der D-Bank erfolgen soll. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die gesetzlichen Vertreter bei Erteilung der Anweisung nicht mehr davon ausgehen durften, dass die D-Bank eine entsprechende Überweisung vor Insolvenzantragsstellung überhaupt noch ausführen würde. Der Senat sieht dafür aber weder hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte noch hält er eine Haftungsinanspruchnahme unter diesem Gesichtspunkt für rechtlich zulässig.
    119

    Schon in tatsächlicher Hinsicht dürfte fraglich sein, ob der Kläger und sein Mitgeschäftsführer davon ausgehen mussten, dass die D-Bank noch vor der Insolvenzantragsstellung Überweisungsaufträge nicht mehr ausführen und stattdessen vorhandene Guthaben „einfrieren“ werde (wie letztlich durch die Weigerung zur Durchführung der Überweisungsaufträge und die Weiterleitung von Geldmitteln an die Abteilung „Risk Management“ am 08.04.2009 geschehen). Zwar war die D-Bank als „Hausbank“ und Gläubigerin über die finanzielle Situation der Unternehmensgruppe im Bilde (das wird auch vom Kläger nicht bestritten). Auch dürfte sie insofern von der bevorstehenden Insolvenz gewusst haben (selbst wenn die Geschäftsführung die D-Bank über den genauen Zeitpunkt der Insolvenzantragsstellung nach eigener Aussage nicht informiert hatte). Ferner war es in der letzten Zeit zu einer Beschränkung der zuvor bestehenden Kreditlinie der A-GmbH gekommen (vgl. dazu das in der mündlichen Verhandlung überreichte Schreiben vom 05.03.2009). Dennoch reichen diese Aspekte zur Überzeugung des Senats nicht aus, um in tatsächlicher Hinsicht von einem hinreichenden Verdacht der gesetzlichen Vertreter der A-KG bzw. der A-GmbH in Bezug auf ein Einziehen („Konfiszieren“) von Guthaben durch die D-Bank auszugehen. Ein entsprechendes Verhalten war aus der Sicht der Geschäftsführung schon deshalb nicht zu befürchten, weil die D-Bank in der Vergangenheit sämtliche Überweisungsaufträge auftragsgemäß ausgeführt hatte, nicht zuletzt auch noch am 06.04. und am 07.04.2009 (vgl. etwa die Überweisungen von 4.200.000,- EUR und 450.000,- EUR an die P-Bank, die Ausführung einer Lastschrift i.H. von 11.XXX,- EUR und die Einlösung eines Barschecks von 5X.XXX,- EUR). Darüber hinaus hat der Zeuge Dr. Z im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass jedenfalls aus der Sicht der von ihm geleiteten Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern keinerlei Veranlassung bestanden habe, einen Zugriff der D-Bank auf die liquiden Mittel der A-GmbH zu befürchten. Genau zu dieser Frage habe man sich auch sehr intensiv durch Herrn Rechtsanwalt O als auf Sanierungen und Insolvenzen spezialisiertem Fachmann beraten lassen. Ferner dürfte für den Fall, dass die Geschäftsführung tatsächlich ernsthafte Anhaltspunkte für einen Zugriff der D-Bank auf die Guthaben der A-GmbH noch vor Insolvenzantragsstellung gehabt hätte, mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sein, dass eine entsprechende Vermutung innerhalb des Unternehmens dann auch gegenüber allen Entscheidungsträgern kommuniziert worden wäre (jedenfalls bis in die untere Leitungsebene). Unter dieser Prämisse ist es aber erst Recht unverständlich, dass sowohl der Leiter als auch mehrere Mitarbeiter der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern ohne entsprechendes Problembewusstsein eine Rücküberweisung der bei der P-Bank abgesonderten Gelder zur D-Bank veranlasst und vollzogen haben. In diesem Kontext ist schließlich auch die am 08.04.2009 versuchte abermalige Rücküberweisung eines Betrages von 1.XXX.XXX,- EUR vom Konto bei der D-Bank auf das Konto bei der P-Bank in den Blick zu nehmen. Wäre eine Beschränkung des Zahlungsverkehrs ernsthaft befürchtet worden, hätten die Mitarbeiter der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern das bei der P-Bank vermeintlich sicher „geparkte“ Kapital wohl nicht erst wieder an die D-Bank überwiesen, um dann einen Tag später den Versuch zu unternehmen, einen Teil des Geldes erneut zur P-Bank zu transferieren.
    120

    Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass die Separierung des Kapitals auf dem Konto bei der P-Bank nach eigener Aussage der Geschäftsführung „aus Sicherheitsgründen“ erfolgt ist (vgl. Gedächtnisprotokoll vom 09.04.2009, Ziffer 2c.). Welche Sachverhalte im Einzelnen von dieser Formulierung erfasst waren, lässt sich zur vollen Überzeugung des Gerichts nicht sagen. Mit dem Begriff können mehrere unterschiedliche Szenarien verbunden gewesen sein. Ein unmittelbarer Bezug zu einem Verhalten der D-Bank lässt sich den Aussagen der Geschäftsführung jedenfalls nicht entnehmen. Erst Recht haben der Kläger und sein Mitgeschäftsführer nicht die konkrete Vermutung geäußert, die D-Bank würde Überweisungen nicht mehr ausführen oder sogar vorhandene Guthaben „konfiszieren“. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung haben beide Geschäftsführer vielmehr glaubhaft zum Ausdruck gebracht, dass sie das Verhältnis zur D-Bank als „vertrauensvoll“ eingestuft haben und von dem Verhalten der D-Bank letztlich überrascht worden sind.
    121

    Erst Recht mussten der Kläger und sein Mitgeschäftsführer aber in rechtlicher Hinsicht nicht mit dem in Rede stehenden Verhalten der D-Bank (Einzug des Guthabens der A-GmbH noch vor Insolvenzantragsstellung) rechnen und es in ihre Handlungsoptionen im Rahmen der Abführung der Lohnsteuer einbeziehen. Unabhängig von der teilweisen Existenz aufrechenbarer Gegenansprüche zu Gunsten der D-Bank ist der Großteil des „eingefrorenen“ Kapitals (mehr als 5.000.000,- EUR) später an den Insolvenzverwalter der A-GmbH wieder ausgezahlt worden. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Einziehung der Guthaben noch vor der Insolvenzantragsstellung jedenfalls überwiegend zivilrechtlich unbegründet war. Zwar war die D-Bank rechtlich nicht verpflichtet, die am 08.04.2009 erteilten Überweisungsaufträge durchzuführen, denn dazu bedurfte es ihrer Zustimmung zu einem entsprechenden Überweisungsvertrag (vgl. dazu noch unter Gliederungspunkt I.5.). Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, wem die Verwaltungs- und Verfügungsmacht über das auf dem Konto bei der D-Bank vorhandene Guthaben zustand. Jedenfalls bis zur Einleitung von verfügungsbeschränkenden Maßnahmen durch das Insolvenzgericht lag die Verwaltungs- und Verfügungsmacht bei der A-GmbH als Kontoinhaberin. Die D-Bank dagegen war zur Einziehung der Guthaben – wie die spätere Freigabe der Guthaben gegenüber dem Insolvenzverwalter zeigt – im Wesentlichen nicht berechtigt. Ein entsprechendes rechtlich zweifelhaftes Verhalten brauchten der Kläger und sein Mitgeschäftsführer aber nicht vorhersehen. Keinesfalls kann ihnen insofern aus der Sicht des Senats der Vorwurf grob fahrlässigen Handelns gemacht werden.
    122

    Der Umstand, dass die gesetzlichen Vertreter der A-KG weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht eine Beschränkung in Bezug auf die Verwendung des bei der D-Bank vorhandenen Kapitals befürchten mussten, hat folgende weitere Konsequenzen für die Beurteilung des Sach- und Streitstandes:
    123

    Es kommt zum einen nicht darauf an, ob das Gericht der Aussage des Zeugen Dr. Z Glauben schenkt, die Geschäftsführung habe ihn und seine Mitarbeiter lediglich zur Überweisung der streitgegenständlichen Lohnsteuer angewiesen, darüber hinaus aber nicht ausdrücklich bestimmt, dass diese Überweisung von dem bei der P-Bank separierten Kapital erfolgen sollte. Die Richtigkeit dieser Behauptung kann dahingestellt bleiben, denn auch ein der D-Bank vor Insolvenzantragsstellung erteilter Auftrag hätte nach dem vorstehend Gesagten eine objektiv geeignete Maßnahme zur Abführung der Lohnsteuer dargestellt. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass er die Aussage des Zeugen Dr. Z in diesem Punkt als bloße Schutzbehauptung wertet. Denn im Falle des ausdrücklichen Eingeständnisses eines eigenen Fehlverhaltens (nicht ordnungsgemäße Ausführung der seitens der Geschäftsführung ausdrücklich erteilten Anweisung, die Überweisung der Lohnsteuer direkt vom P-Bank-Konto vorzunehmen) hätte sich der Zeuge möglicherweise selbst etwaigen Haftungs- und/oder Schadenersatzansprüchen ausgesetzt.
    124

    Zum anderen ist es nicht entscheidungserheblich, dass das am 07.04.2009 seitens der Geschäftsführung erteilte Bündel an Zahlungsanweisungen in einem Gesamtvolumen von 5.8XX.XXX,- EUR (Löhne YYY und XXX = 4.XXX.XXX,- EUR, offene Lohnsteuer Gehälter A-KG = 1.XXX.XXX,- EUR, Zahlung „…“= 3XX.XXX,- EUR und Zahlung „…“= 3XX.XXX,- EUR) nicht vollständig aus den bei der P-Bank „geparkten“ Mitteln i.H. von 4.650.000,- EUR hätte beglichen werden können. Denn der erforderliche Differenzbetrag stand als Guthaben auf dem Konto bei der D-Bank zur Verfügung und eine Einziehung („Konfiszierung“) des Guthabens vor Insolvenzantragsstellung war – wie erläutert – weder aus der Sicht des Klägers tatsächlich zu befürchten und vor allem rechtlich nicht gerechtfertigt. Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang aber auch zu berücksichtigen, dass die Begleichung der offenen Lohnsteuer (in Bezug auf die bereits ausgezahlten Gehälter in XXX) nach dem eindeutigen Willen der Geschäftsführung Priorität genießen sollte. Dieser Aspekt ist mehrfach gegenüber den Mitarbeitern der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern kommuniziert worden (vgl. etwa Ziffer 2c. des Gedächtnisprotokolls vom 09.04.2009; „… wobei auf jeden Fall Lohnsteuer für die am 26.03.2009 gezahlten Gehälter XXX bezahlt werden sollte.“). Nach der Aussage des Zeugen Dr. Z hatten die Mitarbeiter der A-KG bzw. der A-GmbH die Bedeutung der Lohnsteuerzahlung aus der Sicht der Geschäftsführung angesichts des damit verbundenen Haftungsrisikos sehr wohl verinnerlicht. Insofern war auch die Sammelanweisung der Geschäftsführung bei objektiver Betrachtung dahingehend zu verstehen, dass der Lohnsteuerzahlung vom P-Bank-Konto jedenfalls der Vorrang hätte eingeräumt werden müssen.
    125

    dd. Aus der Sicht des Senats kommt es schließlich nicht darauf an, dass es für den Kläger und seinen Mitgeschäftsführer auch andere (gegebenenfalls sogar besser geeignete) Wege gegeben hätte, um die Abführung der streitgegenständlichen Lohnsteuer tatsächlich zu bewirken. Ob – wie der Beklagte meint – insofern die Einrichtung eines Treuhandkontos wirksamer gewesen wäre, darf bezweifelt werden. Denn auch ein solches Treuhandkonto hätte nach der Insolvenzantragsstellung der durch den vorläufigen Insolvenzverwalter beschränkten Verwaltungs- und Verfügungsmacht unterlegen (Zurechnung zur Insolvenzmasse). Allenfalls durch eine in zeitlicher Hinsicht frühere Zahlungsanweisung hätten die Geschäftsführer die tatsächliche Abführung der offenen Lohnsteuer mit einem höheren Wahrscheinlichkeitsgrad bewirken können (etwa durch die Entrichtung der Lohnsteuer unmittelbar mit oder kurz nach Auszahlung der Gehälter). Dies würde aber eine unzulässige Verengung der aus objektiver Sicht bestehenden Alternativen für ein potentiell pflichtgemäßen Handelns der gesetzlichen Vertreter auf ganz bestimmte (ex post betrachtet wirksame) Maßnahmen und damit letztlich einen unverhältnismäßigen Eingriff in den Geschäftsbetrieb der Steuerschuldnerin bzw. in die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit der Geschäftsführer bedeuten. Im Übrigen lässt der Charakter des § 69 S. 1 AO als verschuldensabhängiger Haftungstatbestand, der eine Haftung erst ab dem erhöhten Verschuldensmaßstab der groben Fahrlässigkeit vorsieht, eine solche Betrachtung nicht zu.
    126

    4. Der Kläger hat auch seine im Zusammenhang mit der Überwachung von Mitarbeitern bestehenden Pflichten ordnungsgemäß erfüllt. Ihn trifft aus der Sicht des Gerichts kein sog. Überwachungsverschulden. Dafür sind folgende Gründe ausschlaggebend:
    127

    a. Der Senat weist zunächst darauf hin, dass ein Überwachungsverschulden bezogen auf die Einschaltung von Mitarbeitern in den Vorgang der Lohnsteuerabführung ohnehin lediglich dann in Betracht käme, wenn der Kläger überhaupt verpflichtet gewesen wäre, die Lohnsteuer bereits vor der Insolvenzantragsstellung (bis zum Verlust der uneingeschränkten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis) an das Finanzamt zu entrichten. Nur unter der Bedingung, dass die Pflichten des gesetzlichen Vertreters inhaltlich über den Grundsatz der reinen Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus definiert sowie in temporärer Hinsicht auf den Zeitpunkt vor Insolvenzantragsstellung (und damit auch vor Fälligkeit) vorverlagert werden, stellt sich das Problem einer Überwachungspflichtverletzung. Der Senat braucht die aufgeworfenen Fragen zur Reichweite des Pflichtenkreises aber auch an dieser Stelle nicht zu entscheiden, da eine etwaige vorwerfbare Verletzung von Überwachungspflichten durch den Kläger bereits an weiteren Aspekten scheitert.
    128

    b. Der Senat hat bereits ausgeführt, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer aus tatsächlichen, vor allem aber aus rechtlichen Gründen nicht davon ausgehen mussten, in der Verwendung von Guthaben der A-GmbH sowohl bei der P-Bank als auch bei der D-Bank noch vor der Insolvenzantragsstellung überhaupt beschränkt zu sein. Vielmehr konnten die gesetzlichen Vertreter darauf vertrauen, bis zur Anordnung konkreter Maßnahmen durch das Insolvenzgericht, die Verwaltungs- und Verfügungsmacht über das Vermögen der A-KG bzw. der A-GmbH uneingeschränkt ausüben zu können (vgl. dazu bereits die Ausführungen unter Gliederungspunkt I.3.c.). Vor diesem Hintergrund war das geplante Verhalten der Geschäftsführung, Gelder auf dem Konto bei der P-Bank zu separieren, um von dort aus die noch offene Lohnsteuer an das Finanzamt abzuführen, zur ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Pflichten gar nicht erforderlich, sondern überobligatorisch. Konsequenter Weise darf dem Kläger dann aber nicht der Vorwurf einer schuldhaften Verletzung von Überwachungspflichten gemacht werden, denn durch ein überobligatorisches Handeln kann ein gesetzlicher Vertreter die in §§ 69 S. 1 i.V. mit 34 Abs. 1 AO normierten Pflichten nach Auffassung des Gerichts gerade nicht verletzen.
    129

    c. Der Senat vertritt darüber hinaus die Ansicht, dass eine etwaige Verletzung von Überwachungspflichten nicht kausal für den eingetretenen Haftungsschaden war. Auch wenn sich die Geschäftsführer der A-KG zeitnah (also noch am selben Nachmittag) darüber vergewissert hätten, ob der von ihnen am 07.04.2009 um 14.30 Uhr gegenüber dem Zeugen Dr. Z erteilte Auftrag, die Lohnsteuer vom Konto bei der P-Bank an das Finanzamt abzuführen, weisungsgemäß ausgeführt wurde, wäre es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls zum Steuerausfall gekommen. Denn dann hätten die Geschäftsführer feststellen müssen, dass das auf dem P-Bank-Konto separierte Kapital weisungswidrig auf das Konto bei der D-Bank zurück transferiert worden war. Ihnen wäre also selbst nur die Möglichkeit verblieben, den Eingang des Geldes bei der D-Bank abzuwarten und die Abführung der Lohnsteuer nun von diesem Konto aus anzuweisen. Eine entsprechende Anweisung hätte die D-Bank aber mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls nicht mehr ausgeführt (ähnlich dem durch die Mitarbeiter der A-GmbH am frühen Morgen des 08.04.2009 um 8.14 Uhr erfolglos erteilten Überweisungsauftrag). Da die zurücktransferierten Gelder erst am 08.04.2009 auf dem Konto bei der D-Bank eingingen, wäre die Entrichtung der Lohnsteuer auch bei entsprechend enger Überwachung der Mitarbeiter durch die Geschäftsführer nicht mehr, erst Recht nicht zu einem früheren Zeitpunkt möglich gewesen. Gleiches dürfte für den Fall gelten, dass die Geschäftsführer die Mitarbeiter der Abteilung Finanzen, Rechungslegung und Steuern nicht aktiv kontrolliert, sondern von ihnen eine Bestätigung der weisungsgerechten Ausführung des erteilten Zahlungsauftrags eingefordert hätten. Da sich die Gelder nach der durch den Zeugen Dr. Z und seinen Mitarbeiter, Herrn M, veranlassten Rücküberweisung nicht mehr auf dem P-Bank-Konto befanden, wäre auch in diesem Fall letztlich nur eine Überweisung der Gelder vom Konto bei der D-Bank möglich gewesen, und zwar nach deren dortigem Eingang. Eine solche Überweisung ist jedoch am Morgen des 08.04.2009 gerade gescheitert. Im Ergebnis hätten die Geschäftsführer also auch bei entsprechend zeitnaher Überwachung keine Chance mehr gehabt, das vermeintliche Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter erfolgreich zu korrigieren.
    130

    d. Schließlich geht der Senat davon aus, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer ihren Überwachungspflichten auch inhaltlich zutreffend nachgekommen sind.
    131

    In ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, dass die gesetzlichen Vertreter i.S. des § 34 Abs. 1 AO nicht verpflichtet sind, die steuerlichen Angelegenheiten der von ihnen vertretenen natürlichen und juristischen Personen sowie Personenvereinigungen selbst zu erledigen. Vielmehr sind sie berechtigt und bei mangelnder Sachkunde sogar verpflichtet, die vollständige oder teilweise Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten auch anderen Personen (Dritten) zu übertragen. Für ein Fehlverhalten der beauftragten Hilfspersonen müssen die gesetzlichen Vertreter nicht ohne weiteres einstehen. Der allgemeine Rechtsgedanke der verschuldensunabhängigen Zurechnung fremden Handelns (wie er etwa in § 278 BGB zum Ausdruck kommt) ist im Rahmen der Vertreter-Haftung des § 69 S. 1 AO gerade nicht anwendbar (vgl. BFH, Urteil v. 30.08.1994, VII R 101/92, juris in Abgrenzung zum FG München, Urteil v. 18.03.1992, 3 K 3164/87, juris; s.a. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 27 m.w.N.).
    132

    Allerdings sind die gesetzlichen Vertreter stets verpflichtet, diejenigen Personen, denen sie die Erledigung der ihnen als Vertreter des Steuerpflichtigen auferlegten steuerlichen Pflichten übertragen haben, laufend und sorgfältig zu überwachen, insbesondere sich so eingehend über den Geschäftsgang zu unterrichten, dass unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfts gerechnet werden kann bzw. dass ihnen ein Fehlverhalten des beauftragten Dritten rechtzeitig erkennbar wird. Auf die ordnungsgemäße Aufgabenerledigung durch dritte Personen darf nicht blind vertraut werden. Mangelhaftes Überwachen der zur Pflichterfüllung herangezogenen Personen stellt regelmäßig eine grob fahrlässige Pflichtverletzung dar („Überwachungsverschulden“). Welche Überwachungsmaßnahmen von einem Geschäftsführer zu treffen sind, wenn er die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten Mitarbeitern überträgt, ist dabei weitgehend von den Umständen des Einzelfalles abhängig (vgl. BFH, Urteile v. 05.03.1985, VII R 134/80, juris; v. 16.04.1985, VII R 132/80, juris; v. 07.05.1985, VII R 111/78, juris; v. 11.11.1986, VII R 201/83, juris; v. 02.07.1987, VII R 162/84, juris; v. 10.05.1988, VII R 24/85, juris; v. 29.05.1990, VII R 81/89, juris; v. 30.08.1994, VII R 101/92, juris; v. 23.06.1998, VII R 4/98, juris; Beschlüsse v. 05.03.1998, VII B 36/97, juris; v. 21.08.2000, VII B 260/99, juris).
    133

    Gesteigerte Überwachungspflichten bestehen immer dann, wenn entweder die besondere Situation der Gesellschaft oder die handelnden Personen zu einer intensiveren Kontrolle Anlass geben. Dies ist etwa der Fall, wenn sich die Gesellschaft in einer wirtschaftlichen Krise befindet, mithin bei Liquiditätsschwierigkeiten, sich abzeichnender Zahlungsunfähigkeit oder einem bevorstehendem Insolvenzantrag (vgl. BFH, Urteil v. 26.04.1984, V R 128/79, juris; v. 23.06.1998, VII R 4/98, juris; Beschlüsse v. 04.03.1986, VII S 33/85, juris; 21.08.2000, VII B 260/99, juris; v. 12.05.2009, VII B 266/08, juris; v. 06.07.2005, VII B 296/04, juris; v. 20.04.2006, VII B 280/05, juris; FG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 10.12.2013, 3 K 1632/12, juris; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 31 u. 32).
    134

    Eine grob fahrlässige Überwachungspflichtverletzung zu Lasten des Klägers kann das Gericht anhand der soeben skizzierten allgemeinen Maßstäbe im Streitfall nicht erkennen: Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Sachverhalt keine Anhaltspunkte für ein etwaiges (Personal-)Auswahlverschulden des Klägers und seines Mitgeschäftsführers in Bezug auf die von ihnen beauftragten Mitarbeiter bietet. Bei den in die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten der A-KG und der A-GmbH eingeschalteten Personen handelte es sich nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens um gut ausgebildetes und sehr erfahrenes Personal. Dies gilt vor allem für den Leiter der Abteilung Finanzen, Rechnungswesen und Steuern, den Zeugen Dr. Z, der aufgrund seiner juristischen Ausbildung, seiner langjährigen Tätigkeit im Bankensektor und seinen diversen Einsätzen in der freien Wirtschaft (u.a. bei Großunternehmen) sowie in Anbetracht seiner steuerrechtlichen Kenntnisse als hoch qualifizierter Mitarbeiter einzustufen war.
    135

    Auch für ein Organisationsverschulden des Klägers und seines Mitgeschäftsführers gibt der Streitfall letztlich nichts her. Innerhalb der mit der Abführung der streitbefangenen Lohnsteuer beauftragten Abteilung Finanzen, Rechnungswesen und Steuern der A-GmbH wurde der Zahlungsverkehr von mehreren Mitarbeitern untereinander überwacht (sog. Zwei- oder Mehr-Augenprinzip). So erfolgte beispielsweise die Überweisung der zunächst bei der P-Bank separierten Gelder zurück auf das Konto bei der D-Bank auf Anweisung (mit Unterschrift) sowohl des Leiters der Abteilung als auch eines weiteren Mitarbeiters (der Überweisungsträger wurde von Herrn Dr. Z und von Herrn M unterzeichnet). Darüber hinaus verfügte die A-GmbH über eine eigene Controlling-Abteilung, die ebenfalls mit in die Überwachung des Zahlungsverkehrs eingeschaltet war. Das von den Geschäftsführern am 07.04.2009 erteilte Bündel an Zahlungsanweisungen ist nach dem Eingang des notwendigen Kapitals bei der D-Bank unmittelbar am frühen Morgen des 08.04.2009 ausgeführt worden. Der Vollzug der Aufträge ist der Controlling-Abteilung kurze Zeit später (noch am selben Tag) bestätigt worden.
    136

    Darüber hinaus weist der Senat darauf hin, dass sich der Unternehmensverbund A seit geraumer Zeit sowohl im Aufsichtsrat als auch im operativen Geschäft durch auf Sanierungen und Insolvenzen spezialisierte Fachleute hat beraten und unterstützen lassen. Sowohl aus dem Gedächtnisprotokoll vom 09.04.2009 als auch auf der Grundlage der Aussage des Zeugen Dr. Z ergibt sich, dass der im operativen Geschäft tätige Berater (Herr Rechtsanwalt O) nicht nur sehr eng in die Liquiditäts- und Finanzplanung des Unternehmens eingebunden, sondern auch mit der Frage der ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Angelegenheiten durch die Geschäftsführung befasst war (in dieser Eigenschaft hat er mehrfach auf die Notwendigkeit der Lohnsteuerabführung und das damit zusammenhängende Haftungsrisiko hingewiesen).
    137

    Was die konkrete Überwachung der Umsetzung des am 07.04.2009 durch die Geschäftsführung erteilten Bündels an Überweisungsaufträgen inklusive der Lohnsteuerzahlung angeht, so weist der Senat auf Folgendes hin: Es geht dabei nicht um die Erledigung von steuerlichen Angelegenheiten im Allgemeinen, die dem Grunde nach von der Geschäftsführung zu überwachen war und de facto auch überwacht worden ist (so haben die Geschäftsführer in den letzten Tagen vor der Insolvenzantragsstellung im Beisein ihrer Mitarbeiter mehrfach darauf hingewiesen, dass die Zahlung der offenen Lohnsteuer aus ihrer Sicht hohe Priorität genießt; außerdem haben die Geschäftsführer noch die Abgabe einer entsprechenden Lohnsteuervoranmeldung für den Monat März 2009 veranlasst; schließlich haben die Geschäftsführer für die notwendige Vermögens- und Mittelvorsorge zur Abführung der Lohnsteuer ausreichend Sorge getragen). Es geht vielmehr um die Ausführung einer durch die Geschäftsführung erteilten singulären Zahlungsanweisung mit wenigen Unterpositionen (Löhne XXX und YYY, Lohnsteuer Gehälter XXX, Zahlung „…“ und Zahlung“…“) und damit lediglich um die technische Umsetzung der dem Grunde nach beabsichtigten steuerlichen Pflichterfüllung. Die Ausführung einer solchen Zahlungsanweisung ist gemessen am Maßstab des allgemeinen wirtschaftlichen Verkehrs ein normaler, eher einfacher Vorgang, erst Recht wenn man bedenkt, dass mit der Anweisung mehrere Mitarbeiter eines Großunternehmens betraut waren, welches über eine eigene Abteilung „Finanzen, Rechnungslegung und Steuern“ mit funktionierenden Kontrollmechanismen verfügte. Angesichts dessen konnten der Kläger und sein Mitgeschäftsführer zur Überzeugung des Gerichts erwarten, dass die erteilte Zahlungsanweisung - auch ohne eine weitere Überwachung des Überweisungsvorgangs durch die Geschäftsführer selbst - erfolgreich ausgeführt wird. Der gegenteiligen Auffassung des beklagten Finanzamts, es handele sich insbesondere aufgrund der zeitlichen Nähe zum Insolvenzantrag und aufgrund der Abweichung vom bisherigen Lastschrifteneinzugsverfahren um einen „atypischen Vorgang“, der besondere (gesteigerte) Überwachungspflichten ausgelöst habe, vermag der Senat nicht zu folgen. Die Umsetzung einer entsprechenden Zahlungsanweisung durch geschulte und erfahrene Mitarbeiter ist auch unter einem verstärkten zeitlichen Druck nicht außergewöhnlich, sondern reines Alltagsgeschäft. Im Zusammenhang mit den an den Kläger und dessen Mitgeschäftsführer gestellten Überwachungsanforderungen sind auch die Struktur und die Größe des Unternehmens sowie die besondere Situation, in der sich der Unternehmensverbund zur damaligen Zeit befand, zu berücksichtigen. Die Geschäftsführer waren wegen der wirtschaftlichen Krise und der bevorstehenden Insolvenz verstärkt dazu aufgerufen, den Bestand des Unternehmens überhaupt zu retten. Zu diesem Zweck fanden in viele Richtungen Gespräche mit potentiellen Auftraggebern und Investoren, mit Gläubigern und auch mit der öffentlichen Hand (in Bezug auf eine Landesbürgschaft) statt. Diese äußeren Gegebenheiten entbinden die Geschäftsführung zwar nicht von der grundlegenden Verpflichtung, für eine ordnungsgemäße Erfüllung der steuerlichen Angelegenheiten der von ihnen vertretenen Unternehmen zu sorgen. Dennoch ist es aus der Sicht des Senats unter den gegebenen Umständen aber praxisfern, unzumutbar und im Ergebnis nicht gerechtfertigt, von den Geschäftsführern eine derart intensive und genaue, mitunter sogar pedantische Überwachung der technischen (nicht rechtlichen) Umsetzung einzelner Zahlungsanweisungen zu verlangen, wie dies letztlich vom beklagten Finanzamt einfordert wird.
    138

    d. Der Senat folgt auch nicht dem Vortrag des Beklagten aus der mündlichen Verhandlung, dass die Anweisung zur Überweisung der Lohnsteuer bereits ausdrücklich und unbedingt am 06.04.2009 erfolgt sei und sich die gesetzlichen Vertreter damit spätestens ab dem Mittag des nächsten Tages (07.04.2009) zu einer verstärkten Überwachung hätten aufgefordert fühlen müssen, nachdem der Überweisungsauftrag bis zu diesem Zeitpunkt durch die Mitarbeiter offensichtlich noch nicht ausgeführt worden war. Nach Aktenlage ist nicht ersichtlich, dass der endgültige Auftrag zur Überweisung der Lohnsteuer vom Konto bei der P-Bank bereits am 06.04.2009 erteilt worden ist. Aus dem Inhalt des Gedächtnisprotokolls vom 09.04.2009 lässt sich vielmehr schließen, dass die Entscheidung zur Zahlung der Lohnsteuer aus dem bei der P-Bank „geparkten“ Kapital zwar bereits während der Geschäftsführersitzung am 06.04.2009 angedacht und auch dem Grunde nach gefallen war, die konkrete Zahlungsanweisung aber erst am darauf folgenden Tag in der Besprechung der Geschäftsführung mit dem Zeugen Dr. Z erteilt wurde, und zwar zusammen mit den bis dato aufgeschobenen weiteren Mittelverwendungsentscheidungen. Darüber hinaus hat der Kläger eine vermeintlich widersprechende Darstellung seiner im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens eingereichten Schriftsätze im Rahmen der mündlichen Verhandlung nochmals klar gestellt.
    139

    5. Dem Kläger kann unter keinem anderen Gesichtspunkt eine schuldhafte Verletzung seiner Pflichten als gesetzlicher Vertreter der A-KG vorgeworfen werden. Insbesondere war er entgegen den anders lautenden Ausführungen in der Begründung des Haftungsbescheides nicht verpflichtet, auf die D-Bank einzuwirken und ihr gegenüber die Ausführung des noch vor Insolvenzantragsstellung erteilten Auftrags zur Überweisung der streitgegenständlichen Lohnsteuer an das Finanzamt durchzusetzen.
    140

    a. Eine entsprechende Pflicht zur Einwirkung auf die D-Bank scheitert schon daran, dass diese die Ausführung des von der A-GmbH erteilten Überweisungsauftrags rechtlich betrachtet ablehnen durfte (davon zu unterscheiden ist die Frage der rechtlichen Befugnis zur Einziehung von Guthaben). Bei dem Überweisungsauftrag handelt es sich um das Angebot zum Abschluss eines sog. Überweisungsvertrages. Eine korrespondierende Annahme hat die D-Bank aber weder ausdrücklich noch konkludent erklärt (§§ 145 ff. BGB). Sie hat vielmehr noch am selben Tage die Kreditlinie der A-GmbH gekündigt und damit zumindest konkludent zu erkennen gegeben, dass sie weitere Überweisungen nicht ausführen wird.
    141

    Im Übrigen konnte ein Kreditinstitut nach der damaligen Fassung des § 676a Abs. 3 S. 1 BGB einen Überweisungsauftrag auch ohne die Angabe von Gründen kündigen, solange die Ausführungsfrist noch nicht begonnen hatte. Die Ausführungsfrist begann gemäß § 676a Abs. 2 S. 3 BGB a.F. grundsätzlich (soweit nichts anderes vereinbart war) mit Ablauf des Tages, an dem der Name des Begünstigten, sein Konto, sein Kreditinstitut und die sonst zur Ausführung des Überweisungsauftrags erforderlichen Angaben dem überweisenden Kreditinstitut vorlagen und ein zur Ausführung der Überweisung ausreichendes Guthaben vorhanden oder ein ausreichender Kredit eingeräumt war. Da der Überweisungsauftrag erst am frühen Morgen des 08.04.2009 (um 8.14 Uhr) bei der D-Bank eingegangen war, lief die Ausführungsfrist noch bis zum Ablauf eben dieses Tages. Die D-Bank konnte die Ausführung des Überweisungsauftrags also auch unter diesem Aspekt noch verweigern.
    142

    b. Ein Einwirken des Klägers auf die D-Bank unter dem Gesichtspunkt, dass diese die Guthaben der A-GmbH größtenteils unberechtigter Weise eingezogen („eingefroren“) hatte, hätte ebenfalls nicht zur Abführung der Lohnsteuer geführt. Denn unmittelbar nachdem der Kläger und sein Mitgeschäftsführer Kenntnis von der Nichtausführung des Überweisungsauftrags erlangt hatten, bestellte das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt, so dass den Geschäftsführern nunmehr die uneingeschränkte Verwaltungs- und Verfügungsmacht entzogen war. Zwar hätten sie möglicherweise die Bank noch zu einer Auskehrung der Guthaben veranlassen können. Die Bank hätte bei einer entsprechenden Verwendungsbestimmung die Guthaben aber nur noch zu Gunsten des vorläufigen Insolvenzverwalters auszahlen dürfen (vgl. entsprechend dem Rechtsgedanken des BGH, Urteil v. 05.02.2009, IX ZR 78/07, juris). Dieser hatte die Überweisung der noch offenen Lohnsteuer aber gerade verweigert.
    143

    c. Wie der Senat im Laufe der Urteilsgründe bereits ausgeführt hat, kann eine grob fahrlässige Pflichtverletzung zu Lasten des Klägers auch nicht durch das bloße Hervorheben von alternativen Maßnahmen zur Tilgung der Lohnsteuer begründet werden, etwa der Einrichtung eines Treuhandkontos, dem Verhängen einer Verfügungsbeschränkung, der Schließung von auf die Überweisung der Lohnsteuer gerichteten Vereinbarungen mit den Banken oder der Zahlung der Lohnsteuer zu früheren Zeitpunkten. Die Diskussion entsprechender Alternativmaßnahmen zur Lohnsteuertilgung bedeutet einen unzulässigen Eingriff in die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit der für die A-KG sowie die A-GmbH handelnden gesetzlichen Vertreter und führt zu einer Umdeutung der verschuldensabhängigen Vertreter-Haftung des § 69 S. 1 AO in eine Erfüllungs- bzw. Garantiehaftung. Auch eine zeitliche Verschiebung („Hinauszögern“) der Insolvenzantragsstellung durfte man von dem Kläger und seinem Mitgeschäftsführer aus entgegenstehenden zivilrechtlichen (Gläubigerbevorzugung) und strafrechtlichen Aspekten (Insolvenzverschleppung) nicht erwarten.
    144

    II. Der Haftungsbescheid ist darüber hinaus rechtswidrig, weil die Anforderungen an die Begründung von Ermessensentscheidungen nicht eingehalten worden sind.
    145

    1. Bei der Inanspruchnahme eines gesetzlichen Vertreters nach den §§ 69 S. 1 i.V. mit 34 Abs. 1 AO handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (§ 191 Abs. 1 S. 1 AO), die vom Gericht nach § 102 FGO darauf zu überprüfen ist, ob das Finanzamt die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen lässt, muss die Ermessensentscheidung der Verwaltung im Haftungsbescheid, spätestens aber in der Einspruchsentscheidung begründet werden (§ 121 Abs. 1 i.V. mit § 126 Abs. 1 und 2 AO). Dabei müssen die bei der Ausübung des Verwaltungsermessens angestellten Erwägungen – die Abwägung des Für und Wider der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners – aus der Entscheidung erkennbar sein (vgl. BFH, Urteile v. 13.04.1978, V R 109/75, juris; v. 03.02.1981, VII R 86/78, juris; v. 07.04.1992, VII R 104/90, juris). Dies gilt im Übrigen nicht nur aus dem Blickwinkel des Gerichts, sondern vor allem auch aus der Perspektive des in Anspruch genommenen Haftungsschuldners. Mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und den Grundsatz effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) muss der Haftungsschuldner spätestens mit der Einspruchsentscheidung die Gründe kennen, von denen sich das Finanzamt bei der Entscheidung über den Erlass des Haftungsbescheides hat leiten lassen, um diese Gründe prüfen und etwaige Rechtsschutzüberlegungen daran ausrichten zu können.
    146

    Im Rahmen der Begründung ihrer Ermessensentscheidung muss die Behörde insbesondere zum Ausdruck bringen, warum sie den Haftungsschuldner anstatt des Steuerschuldners oder anstelle anderer ebenfalls für die Haftung in Betracht kommender Personen in Anspruch nimmt (sog. Auswahlermessen). Diese Begründungspflicht besteht nicht erst dann, wenn tatsächlich und rechtlich sicher feststeht, ob weitere Haftungsschuldner in Betracht kommen, sondern bereits dann, wenn die Inanspruchnahme weitere potentieller Haftungsschuldner nur möglich erscheint. Fehlt eine entsprechende Begründung, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Finanzamt überhaupt keine Erwägungen zur Inanspruchnahme weiterer potentieller Haftungsschuldner angestellt und damit wesentliche Umstände des Sach- und Streitstandes außer Acht gelassen hat (vgl. BFH, Urteil v. 07.04.1992, VII R 104/90, juris; s.a. Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 191 AO Rz. 58).
    147

    2. Den soeben skizzierten Anforderungen an die Begründung von Ermessensentscheidungen genügen der angefochtene Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung nicht. Der Beklagte hat es versäumt, im Rahmen des Auswahlermessens auf eine mögliche Haftungsinanspruchnahme des Zeugen Dr. Z einzugehen.
    148

    Der Zeuge Dr. Z war im Zeitpunkt der haftungsbegründenden Ereignisse als Prokurist für die A-GmbH tätig. Er war in der jüngeren Vergangenheit auch als Prokurist der A-KG in XXX bestellt. Darüber hinaus war der Zeuge Dr. Z als Leiter der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern der A-GmbH im Innen- und Außenverhältnis mit den steuerlichen Angelegenheiten des Unternehmensverbundes betraut. Gegenüber dem beklagten Finanzamt ist er in seiner Eigenschaft als Prokurist und Leiter der Steuerabteilung in der Vergangenheit auch mehrfach in Erscheinung getreten (sowohl schriftlich als auch fernmündlich).
    149

    Aufgrund dieses Sachverhaltes geht das Gericht davon aus, dass eine Haftungsinanspruchnahme des Zeugen Dr. Z jedenfalls potentiell möglich war und hätte geprüft werden müssen. Der Prokurist eines Unternehmens kommt grundsätzlich neben den gesetzlichen Vertretern i.S. des § 34 Abs. 1 AO als Haftungsschuldner in Betracht, vgl. § 35 AO (zu den Voraussetzungen der Haftungsinanspruchnahme eines Prokuristen s.a. BFH, Beschluss v. 23.04.2007, VII B 92/06, juris). Im Streitfall kommt hinzu, dass der Zeuge Dr. Z rein tatsächlich betrachtet in entscheidendem Maße in den haftungsbegründenden Sachverhalt involviert war (u.a. in den Geldtransfer zwischen der D-Bank und der P-Bank sowie in die Entscheidung, die streitgegenständliche Lohnsteuer nicht vom Konto bei der P-Bank, sondern vom Konto bei der D-Bank an das Finanzamt abzuführen). In Anbetracht dieser Umstände wäre der Beklagte jedenfalls verpflichtet gewesen, eine Haftungsinanspruchnahme (auch) des Zeugen Dr. Z zu erwägen und das Ergebnis seiner Prüfung im Rahmen des Auswahlermessens darzulegen. Dabei ist unerheblich, ob die materiellen Voraussetzungen für eine Haftung letztlich vorgelegen haben oder nicht (etwa weil die Prokura des Zeugen Dr. Z bezogen auf die A-KG bereits im Jahr 2008 erloschen war). Im Rahmen der mündlichen Verhandlung haben die Vertreter des beklagten Finanzamts selbst zugestanden, sich Gedanken über eine entsprechende Inanspruchnahme des Zeugen Dr. Z als Haftungsschuldner gemacht zu haben. Wenn aber der Beklagte selbst von der (dem Grunde nach nicht fernliegenden) Möglichkeit der Existenz weitere Haftungsschuldner ausgeht, erscheint es aus der Sicht des Gerichts notwendig, diesen Überlegungen auch im Rahmen der Ermessensentscheidung Ausdruck zu verleihen, nicht zuletzt um die Rechtsschutzmöglichkeiten der tatsächlich in Anspruch genommenen Haftungsschuldner nicht unangemessen zu verkürzen.
    150

    Dafür spricht auch das weitere Vorgehen des Beklagten, der in der Einspruchsentscheidung Ausführungen zu einer potentiellen Haftung (auch) des dritten Geschäftsführers der A-GmbH (Herr C) gemacht und eine Inanspruchnahme als Haftungsschuldner mit der Begründung verneint hat, dieser sei nicht zugleich auch Geschäftsführer der A-KG und damit schon gar nicht zur Abführung der streitgegenständlichen Lohnsteuer verpflichtet gewesen. Auch insofern hat also lediglich die Möglichkeit einer Inanspruchnahme ausgereicht, um den Beklagten zu einer entsprechenden Prüfung und zu einer Verschriftlichung seines Prüfungsergebnisses zu veranlassen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verständlich, warum dies in Bezug auf die Person des ehemaligen Prokuristen Dr. Z anders gehandhabt wurde.
    151

    III. Der Haftungsbescheid ist schließlich insofern rechtswidrig, als die Haftung des Klägers für Säumniszuschläge betroffen ist (§ 69 S. 2 AO).
    152

    1. Der Senat hat in Bezug auf die Säumniszuschläge schon Bedenken an der inhaltlichen Bestimmtheit des Haftungsbescheides und der Einspruchsentscheidung.
    153

    Der Haftungsbescheid muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein (§ 119 Abs. 1 AO). Die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Haftungsbescheides sind aus § 191 Abs. 1 AO herzuleiten. Danach müssen nicht nur die erlassende Finanzbehörde, der Haftungsschuldner und der zu zahlende Gesamtbetrag erkennbar sein, sondern auch für welche Steuer und Nebenabgaben der Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird. Die Finanzbehörde muss die Steuer und folglich auch die Nebenabgaben nach Art, Schuldner und Erhebungszeitraum angeben (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 191 AO Tz. 83 ff.). Für den erkennenden Senat folgt daraus, dass auch in Bezug auf die Nebenabgaben ein Erhebungszeitraum anzugeben ist. Bei einer Haftung für Säumniszuschläge setzt dies voraus, dass der Zeitraum der Säumnis genau zu bezeichnen ist (§ 240 Abs. 1 AO).
    154

    Entsprechende Angaben fehlen sowohl im Haftungsbescheid als auch in der Einspruchsentscheidung. Die Säumniszuschläge bezogen auf die Hauptschuld (Lohnsteuer 2009) sind dort lediglich in einer Summe ausgewiesen. Die Berechnungsgrundlagen, insbesondere der Zeitraum der Säumnis, werden nicht angegeben.
    155

    2. Darüber hinaus enthält die Einspruchsentscheidung in Bezug auf die Reduzierung der Säumniszuschläge ebenfalls ein Ermessensdefizit.
    156

    Der Beklagte hat die im Haftungsbescheid ausgewiesenen Säumniszuschläge i.H. von 1XX.XXX,- EUR im Rahmen der Einspruchsentscheidung um die Hälfte reduziert. Er hat sich dabei auf die Rechtsprechung des BFH zum Erlass von Säumniszuschlägen im Falle der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit berufen, die grundsätzlich auch auf Haftungsschuldner anwendbar ist (vgl. BFH, Urteil v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris). Danach ist die Erhebung von Säumniszuschlägen sachlich unbillig, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert. Darüber hinaus sind Säumniszuschläge nach den Wertungen des Gesetzgebers aber auch als Gegenleistung für das Hinausschieben der Fälligkeit anzusehen und dienen zur Abgeltung des Verwaltungsaufwandes (der Beklagte spricht dagegen missverständlich davon, dass der Säumniszuschlag den Schuldner zur künftig pünktlichen Zahlung anregen soll).
    157

    In Anbetracht dieser gesetzgeberischen Wertungen kommt bei Säumniszuschlägen, wenn sie ihren eigentlichen Zweck als Druckmittel verloren haben, im Fall der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit in der Regel nur ein Teilerlass in Betracht (vgl. BFH Urteil v. 16.07.1997, XI R 32/96, juris; kritisch Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 36 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Der BFH geht aber davon aus, dass im Einzelfall auch ein weitergehender Erlass von Säumniszuschlägen nicht ausgeschlossen ist. Der Erlass der vollen Säumniszuschläge kann insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen dann gerechtfertigt sein, wenn die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Festsetzung von Stundungszinsen i.S. des § 234 Abs. 2 AO erfüllt gewesen wären (vgl. BFH Urteil v. 16.07.1997, XI R 32/96, juris). Zu einer entsprechenden Unbilligkeit der Erhebung von Säumniszuschlägen im Streitfall (weitergehender Erlass) verhält sich die Einspruchsentscheidung nicht. Vor diesem Hintergrund kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beklagte diesen weiteren Erlassgesichtspunkt nicht gesehen und sein Ermessen insoweit gar nicht ausgeübt hat.
    158

    3. Schließlich hat der Beklagte im Zusammenhang mit der Haftung des Klägers für Säumniszuschläge nicht dazu Stellung genommen, inwieweit der Höhe nach eine uneingeschränkte oder mit Blick auf den Grundsatz der anteiligen Tilgung nur eine beschränkte Haftung in Betracht kommt (vgl. dazu BFH, Urteil v. 01.08.2001, VII R 110/99, juris; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 69 AO Rz. 15 f.). Auch insoweit leiden der Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung nach Ansicht des Senats an einem Begründungs- und damit Ermessenausfall.
    159

    IV. Da dem Antrag des Klägers auf Aufhebung des Haftungsbescheides und der Einspruchsentscheidung bereits aus den oben genannten Gründen stattzugeben war, brauchte der Senat sich mit etwaigen Fragen zur Höhe der Haftungsschuld nicht zu befassen (etwa in Bezug auf die Entscheidung des FG Niedersachsen, Urteil v. 15.01.2015, 14 K 91/13, juris). Insofern war es auch unerheblich, dass in Bezug auf die Hauptschuld (Lohnsteuer März 2009) noch ein Einspruchsverfahren beim beklagten Finanzamt anhängig ist.
    160

    V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
    161

    VI. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs. Es handelt sich vielmehr um eine Einzelfallentscheidung auf der Grundlage der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung herausgebildeten Grundsätze und Maßstäbe.


     

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