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  • 02.11.2010 · IWW-Abrufnummer 143853

    Finanzgericht München: Beschluss vom 04.05.2010 – 13 V 540/10

    1. Bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.
    2. Die Methodenwahl steht im pflichtgemäßen Ermessen des FA. Die Methode muss auf zumutbare Weise zum Ergebnis mit der größten Wahrscheinlichkeit führen.
    3. Die Nachkalkulation ist eine anerkannte Schätzungsmethode, die so zuverlässig ist, dass sie die Beweiskraft einer formell ordnungsmäßigen Buchführung widerlegen und in Höhe der errechneten Beträge nicht verbuchte Betriebseinnahmen nachweisen kann.
    4. Bei einer Kassenführung ist zu fordern, dass Manipulationen der Kassenaufzeichnungen möglichst ausgeschlossen werden und das System programmmäßige Sicherungen und Sperren beinhaltet, die schon vom Zeitpunkt der ersten Speicherung an verhindern, dass einmal eingegebene Daten der nachträglichen Änderung preisgegeben sind. Entscheidend im Streitfall ist, dass nicht festgestellt werden kann, ob und welche Änderung noch im Excel-Programm auf dem PC vor dem Ausdruck auf das Papier erfolgt ist und nicht als solche gekennzeichnet wurde.
    5. Die Offene-Posten-Buchhaltung (§ 146 Abs. 5 AO) befreit nur von der Führung eines Geschäftsfreundebuches als Nebenbuch und ersetzt nicht die entsprechenden Buchungen auf den Sachkonten.
    6. § 393 Abs. 1 AO verbietet nach seinem ausdrücklichen Wortlaut Zwangsmittel gemäß § 328 AO, dazu zählen aber keine Schätzungen.


    BESCHLUSS
    In der Streitsache
    hat der 13. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung […] ohne mündliche Verhandlung am 4. Mai 2010 beschlossen:
    1. Der Antrag wird abgelehnt.
    2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
    Gründe
    I.
    Der Antragsteller (ASt) betreibt einen Groß- und Einzelhandel mit Getränken aller Art und einen „eBay-Shop”. Streitig ist im Einspruchsverfahren, ob in den angefochtenen Steuerbescheiden nach der Betriebsprüfung Besteuerungsgrundlagen vom Antragsgegner – dem Finanzamt (FA) – zutreffend geschätzt wurden.
    Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf den Betriebsprüfungsbericht vom 9. Dezember 2008 ([…]), die angefochtenen Steuerbescheide, die vorgelegten Akten und die ausgetauschten Schriftsätze ([…]) verwiesen.
    Der Antragsteller beantragt,
    die Vollziehung
    der Bescheide vom 26. November 2009 über die Einkommensteuer für 2003 in Höhe von 83.823,33 EUR, für 2004 in Höhe von 45.498,00 EUR und für 2005 in Höhe von 51.282,00 EUR, der Bescheide vom 26. November 2009 über den Solidaritätszuschlag für 2003 in Höhe von 4.580,67 EUR, für 2004 in Höhe von 2.502,39 EUR und für 2005 in Höhe von 2.820,51 EUR sowie der Bescheide vom 26. November 2009 über den Gewerbesteuermessbetrag für 2003 in Höhe von 10.692,00 EUR, für 2004 in Höhe von 5.549,00 EUR und für 2005 in Höhe von 7.031,00 EUR wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit für die Dauer des Einspruchsverfahrens auszusetzen und die bereits verwirkten Säumniszuschläge aufzuheben,
    hilfsweise die Beschwerde zuzulassen.
    Der Antragsgegner (Finanzamt) beantragt,
    den Antrag abzulehnen.
    II.
    Der Antrag ist unbegründet.
    1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte im Sinne des § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) bestehen nach Aktenlage nicht.
    Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung der Vollziehung (AdV) soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO). Solche Zweifel bestehen dann, wenn bei summarischer Überprüfung des Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (BFH-Beschlüsse vom 26. September 2007 I B 53, 54/07, BStBl II 2008, 415, m.w.N.; vom 14. Juli 2008 VIII B 176/07, BStBl II 2009, 117).
    2. Nach diesem Maßstab bestehen nach summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbetragsbescheide. Im Streitfall erscheinen die Gewinnerhöhungen durch die Hinzuschätzung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 Abgabenordnung (AO) zutreffend.
    a) Rechtsgrundlage für die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen ist § 162 AO. Er regelt die Befugnisse des FA, im Verfahren der Festsetzung der Einkommensteuer des ASt die Höhe der Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu schätzen, die er aus dem Verkauf von Waren erzielt hat. Die Vorschrift ist sinngemäß anzuwenden, soweit es die Festsetzung der Gewerbesteuermessbeträge und die Ermittlung des Gewerbeertrags durch den Antragsgegner angeht (§ 184 Abs. 1 Satz 3 AO). § 162 AO gilt aufgrund der Verweisung in § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO schließlich sinngemäß für die Überzeugung, nach welcher der Senat in vorliegendem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu entscheiden hat.
    b) Nach § 162 Abs. 2 Satz 2 Fall 2 AO ist insbesondere dann zu schätzen, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden. § 158 AO verlangt, dass die Buchführung und die Aufzeichnungen des Antragstellers den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen. An das Tatbestandsmerkmal der sog. formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung (BFH-Beschluss vom 20. September 1999 X B 56/99, BFH/NV 2000, 304) knüpft § 158 AO die gesetzliche Vermutung, dass das Buchführungsergebnis sachlich richtig sei. Eine Buchführung ist dann formell ordnungswidrig, wenn sie wesentliche Mängel aufweist oder wenn die Gesamtheit aller unwesentlichen Mängel diesen Schluss fordert (Seer in Tipke/Kruse, AO-/FGO-Kommentar, § 158 AO Rz 13 [Aug. 2006] m.w.N.; BFH-Beschlüsse vom 2. Dezember 2008 X B 53/08, – Zeitschrift für Steuern und Recht – ZSteu – 2009, R-243 m.w.N.; vom 25. Januar 1990 IV B 140/88, BFH/NV 1990, 484 u.ö.).
    Bei der danach vorzunehmenden Gesamtwertung ist nach summarischer Prüfung die Buchführung des ASt als formell nicht ordnungsmäßig anzusehen. Die Führung des Kassenbuchs auf der Basis der Software „Microsoft Excel” in den Jahren 2003 und 2004 gibt zu erheblichen Zweifeln an der Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung Anlass. Wie sich schon aus § 146 Abs. 4 AO und auch aus § 239 Abs. 3 Handelsgesetzbuch (HGB) ergibt, ist das Buchführungswerk vor Manipulationen zu schützen. Die Kassenaufzeichnungen als eine Art von Eigenbelegen sind die einzige Möglichkeit der direkten Kontrolle der Umsätze und deshalb einer strengen Beurteilung zu unterwerfen. Bei einer Kassenführung ist infolgedessen, genauso wie bei einem manuell geführten Kassenbuch alter Art, zu fordern, dass Manipulationen der Kassenaufzeichnungen möglichst ausgeschlossen werden und das System programmmäßige Sicherungen und Sperren beinhaltet, die schon vom Zeitpunkt der ersten Speicherung an verhindern, dass einmal eingegebene Daten der nachträglichen Änderung preisgegeben sind (Drüen in Tipke/Kruse, AO-/FGO-Kommentar, § 146 Rz. 59 f. [Sept. 2009]; Winkeljohann/Klein in Beck Bil-Komm, 7. Aufl. 2010, § 239 Rz. 7). Auch wenn zuzugeben ist, dass wohl kein EDV-System Manipulationen völlig ausschließen kann, dürfte es an einer ordnungsgemäßen Kasse fehlen, wenn (wie hier) das Kassensystem jede beliebige nachträgliche Änderung zulässt und damit gegen Manipulationen in keiner Weise geschützt ist. Dass der ASt im Streitfall behauptet, er habe jede nachträgliche Änderung gekennzeichnet, reicht nicht aus. Entscheidend im Streitfall ist, dass nicht festgestellt werden kann, ob und welche Änderung noch im Excel-Programm auf dem PC vor dem Ausdruck auf das Papier erfolgt ist und nicht als solche gekennzeichnet wurde. Dass erst die späteren Änderungen, die auf dem ausgedruckten Papier vorgenommen worden sind, nachvollziehbar sind, ist kein ausreichender Schutz vor Manipulationen. Im Übrigen sind die weiteren – vom ASt nicht angegriffenen – Feststellungen im Betriebsprüfungsbericht unter Tz. 1.5.1. zur verspäteten Aufzeichnung von Kasseneinnahmen im Jahr 2004 und von Ausgaben im Jahr 2003 sowie zur fehlenden Kassensturzfähigkeit und den falschen Kassenbeständen ausreichend, um Zweifel an der formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung zu begründen. Der ASt räumt ja selbst – auch im vorliegenden AdV-Verfahren – ein, dass sich erst ab dem Jahr 2005 keine Kassenfehlbeträge mehr ergeben.
    Außerdem bestehen im Streitfall weitere Umstände, die ebenfalls erhebliche Zweifel an der formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung erwecken. So stellt die Vernichtung der Originalinventuraufzeichnungen einen Verstoß gegen § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO dar. Welche Anforderungen an ein Inventar und an die ihm zugrunde liegenden Belege zu stellen sind, ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt; § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO formuliert nur „[…] Inventare […] sowie die zu ihrem Verständnis erforderlichen Arbeitsanweisungen und sonstigen Organisationsunterlagen”. Die Rechtsgrundsätze, die bei einer Inventur zu beachten sind, ergeben sich aber aus dem Zweck des Inventars, einen Nachweis darüber zu erbringen oder mindestens zu ermöglichen, dass die bilanzierten Bestände vollständig aufgenommen worden sind. Die Inventurunterlagen müssen eine angemessene Kontrolle ermöglichen; über die Durchführung und das Ergebnis der körperlichen Bestandsaufnahme müssen Aufzeichnungen angefertigt werden, die unter Angabe des Zeitpunktes der Aufnahme von den aufnehmenden Personen zu unterzeichnen sind (BFH-Urteile vom 24. November 1971 I R 141/68, BStBl 1972, 400; vom 13. Oktober 1972 I R 123/70, BStBl II 1973, 114; vgl. Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO-/FGO-Kommentar, § 147 Rz. 17 [Juni 1999]). Die beim ASt noch vorhandene EDV-Liste mit den Inventuraufzeichnungen zum 31. Dezember 2006 genügt diesen Anforderungen jedenfalls nicht. Außerdem räumt der ASt selbst ein, dass während des laufenden Jahres keine Debitoren- und Kreditorenkonten geführt wurden; damit ist gegen den Grundsatz des § 145 Abs. 1 Satz 2 AO verstoßen, denn die Entstehung von Forderungen und Schulden und deren Tilgung werden vom ASt nicht als getrennte Geschäftsvorfälle behandelt. Soweit der ASt meint, diesen Mangel durch einen Hinweis auf die Offene-Posten-Buchhaltung (§ 146 Abs. 5 AO) rechtfertigen zu können, greift dies nicht durch. Denn die Offene-Posten-Buchhaltung befreit nur von der Führung eines Geschäftsfreundebuches als Nebenbuch (Falterbau/Bolk/Reiß/Eberhart, Buchführung und Bilanz, 20. Aufl. 2007, Seite 278, Tz. 10.1.3.2; Winkeljohann/Klein in Beck Bil-Komm, 7. Aufl. 2010, § 239 Rz. 9; BFH-Urteil vom 26. März 1968 IV 63/63, BStBl II 1968, 527 unter III.3); es ersetzt aber nicht die entsprechenden Buchungen auf den Sachkonten, die – wie der ASt selbst einräumt – nicht vorgenommen wurden.
    c) Nach summarischer Prüfung hat der beschließende Senat keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Zuschätzungen zum Gewinn auch der Höhe nach zutreffend sind.
    Die Einwendungen des ASt gegen die Erhöhung der Privatentnahmen für 2003 um 473.778,20 EUR, für 2004 um 192.015,35 EUR und für 2005 um 228.086,25 EUR (vgl. Tz. 1.10 des Betriebsprüfungsberichts) hält der Senat bei summarischer Prüfung für nicht durchgreifend.
    Nach § 162 Abs. 1 Satz 2 AO sind bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Das gewonnene Schätzungsergebnis muss schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein (BFH-Beschluss vom 28. März 2001 VII B 213/00, BFH/NV 2001, 1217, m.w.N.). Die Methodenwahl steht im pflichtgemäßen Ermessen des Finanzamts (BFH-Beschluss vom 3. September 1998 XI B 209/95, BFH/NV 1999, 290). Die Methode muss auf zumutbare Weise zum Ergebnis mit der größten Wahrscheinlichkeit führen (BFH-Urteil vom 17. Oktober 2001 I R 103/00, BFH/NV 2002, 134). Die Nachkalkulation ist eine anerkannte Schätzungsmethode, die – richtig angewendet – so zuverlässig ist, dass sie (sogar) die Beweiskraft einer formell ordnungsmäßigen Buchführung widerlegen und in Höhe der errechneten Beträge nicht verbuchte Betriebseinnahmen nachweisen kann (BFH-Urteile vom 8. September 1994 IV R 6/93, BFH/NV 1995, 573; vom 17. November 1981 VIII R 174/77, BStBl II 1982, 430, 435, jeweils m.w.N.). Eine Schätzung erweist sich erst dann als rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt. Wird die Schätzung – wie im Streitfall – wegen Verletzung der Buchführungs- oder Aufzeichnungspflichten erforderlich, so kann sich das FA an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren, weil der Steuerpflichtige möglicherweise Einkünfte verheimlichen will (BFH-Urteile vom 1. Oktober 1992 IV R 34/90, BStBl II 1993, 259; vom 29. März 2001 IV R 67/99, BStBl II 2001, 484; BFH-Beschluss vom 13. Juli 2000 IV R 55/99, BFH/NV 2001, 3). Da jede Schätzung gewisse Unsicherheiten enthält (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1984 VIII R 195/82, BStBl II 1986, 226, 228), muss der Steuerpflichtige, will er eine abweichende Schätzung herbeiführen, erweisbare Tatsachen oder Erfahrungssätze vortragen, die geeignet sind, zu dem Schluss zu gelangen, dass ein anderer als der von der Finanzbehörde geschätzte Betrag wahrscheinlicher sei (BFH-Beschluss vom 5. Februar 1993 VIII B 103/92, BFH/NV 1993, 351, ständige Rechtsprechung).
    Nach diesem Maßstab hat der beschließende Senat nach summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Hinzuschätzung der Betriebseinnahmen in den Streitjahren 2003 bis 2005 rechtmäßig ist.
    Denn der Einwand des ASt, dass die Nachkalkulation des FA deshalb fehlerhaft sei, weil die Streckengeschäfte des ASt ebenfalls mit einem Rohgewinn von 16% in die Berechnungen des FA eingegangen sind, ist nach summarischer Prüfung nicht überzeugend. Zum einen ist der Senat der Auffassung, dass der Einwand des ASt, dass in der Kalkulation im Betriebsprüfungsbericht Streckenumsätze mit berücksichtigt sind, die nicht mit dem pauschalen Rohgewinnsatz von 16% mit kalkuliert werden können, zutreffend. Der ASt hat aber – worauf das FA zutreffend hinweist – bei seiner Aufstellung des Umfangs der Streckengeschäfte auch Stornobuchungen im Sachkonto 8400 mit berücksichtigt und deshalb einen zu hohen Abzug beim Wareneinsatz für den Großhandel in den Streitjahren vorgenommen. Zum anderen muss aber nach Auffassung des beschließenden Senats für die Hinzuschätzungen ein höherer Rohgewinnaufschlagsatz angewendet werden, denn das FA hat im Betriebsprüfungsbericht den Rohgewinnsatz mit 16% im unteren Bereich gewählt und dies damit begründet, dass mögliche Unwägbarkeiten ausgeglichen werden sollen. Zwar ist der Senat auch der Auffassung, dass das FA seinen höheren Rohgewinnsatz bei dieser veränderten Nachkalkulation unzutreffend begründet hat. In seiner weiteren Berechnung geht das FA von einem mittleren Rohgewinnsatz von 26% – bei einer Spannbreite von 16 – 35% – aus (z.B. Anlage zum Fax des FA vom 19. November 2009 an den Prozessbevollmächtigten des ASt). Dieser Rohgewinnsatz betrifft aber nach den Richtsatzsammlungen für die Streitjahre des Bundesministeriums der Finanzen den Getränkeeinzelhandel (vgl. z.B. für 2003, Seite 27, Wirtschaftszweig Nr. 52250.0) und wird vom FA auf den Wareneinsatz des Getränkegroßhandels angewendet. Im Ergebnis erscheint aber nach summarischer Prüfung dem beschließenden Senat ein Rohgewinnsatz von 26% auf den um die Streckengeschäfte verminderten Wareneinsatz des Großhandels zutreffend (vgl. Stellungnahme des FA zum AdV-Antrag an das FG vom 29. März 2010, Seite 4), denn er liegt noch in der Mitte zwischen den im Betriebsprüfungsbericht (unter Tz. 1.10, Seite 11) angegebenen Rohgewinnsätzen der beiden – anonymen – Vergleichsbetriebe.
    Im Übrigen ist bei der Schätzung mit dem höheren Rohgewinnsatz auch zu berücksichtigen, dass der ASt für das Jahr 2003 – entgegen seiner Antragsbegründung – nach Auffassung des Senats nicht nachgewiesen hat, dass die Feststellung der Betriebsprüfung unzutreffend ist, dass Wareneinsatz in Höhe von 112.714,16 EUR nicht verbucht worden ist. Für die vom FA einzeln aufgelisteten Rechnungen der Firma […XX] (Stellungnahme des FA vom 29. März 2010, Seite 3) hat der ASt dem Senat keine entsprechenden Buchungen im Wareneingangskonto benannt. Aus dem Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 23. November 2009 ergibt sich nur die Behauptung des ASt, dass die monierten Beträge geklärt seien. Gerade diese Behauptung wird aber vom FA bestritten.
    Zwar setzt eine Hinzuschätzung weiterer Einkünfte voraus, dass der Gewerbebetrieb des Steuerpflichtigen Betriebseinnahmen und Gewinne in der geschätzten Höhe überhaupt „abwerfen” kann (BFH-Urteil vom 28. Januar 2009 X R 20/05, BFH/NV 2009, 912 m.w.N.). Der Verweis des ASt darauf, dass wegen des erheblichen Überschuldungsstatus nicht davon ausgegangen werden könne, dass die zum Ansatz gebrachten Aufschlagsätze auch erwirtschaftet wurden, rechtfertigt aber für die Streitjahre keine weitere Korrektur, denn das Schuldanerkenntnis gegenüber […YY] stammt erst vom September 2008.
    Wird ein Rohgewinnsatz von 26% auf die um die Streckengeschäfte verminderten Wareneinsätze des Großhandels für die Streitjahre angewendet, ergeben sich sogar noch höhere Gewinne aus Gewerbebetrieb, als in den angefochtenen Steuerbescheiden aufgrund der Betriebsprüfung zugrunde gelegt wurden. Da das FA bisher im Einspruchsverfahren die angefochtenen Steuerbescheide nicht zum Nachteil des ASt geändert hat, sind die Ausführungen des ASt zu den Anforderungen an Verböserungshinweise gemäß § 367 Abs. 2 Satz 2 AO unbehelflich.
    d) Der weitere Einwand des ASt, dass die angefochtenen Steuerbescheide rechtswidrig seien, weil eine Schlussbesprechung nicht stattgefunden habe und deshalb § 201 AO verletzt sei, wird von der herrschenden Kommentarliteratur und Rechtsprechung (vgl. nur Klein/ Rüsken, AO, 10. Aufl. 2010, § 201 Rz. 5 m.w.N.) nicht geteilt. Ebensowenig vermag der Hinweis des ASt zu überzeugen (Schreiben vom 2. Dezember 2008, Seite 3; FG-Akte Bl. 118), dass durch die Schätzung des FA nach Einleitung des Strafverfahrens § 393 Abs. 1 AO verletzt werde. § 393 Abs. 1 AO verbietet nach seinem ausdrücklichen Wortlaut Zwangsmittel gemäß § 328 AO, dazu zählen aber – nach weit verbreiteter Auffassung – keine Schätzungen gemäß § 162 AO (vgl. nur Klein/Jäger, AO, 10. Aufl. 2010, § 393 Rz. 20 f. m.w.N.).
    e) Die Einwendungen des ASt im AdV-Verfahren gegen die Korrekturen im Betriebsprüfungsbericht wegen der Beteiligung an der Getränke Schall GmbH, der Schwarzlohnzahlungen und des nicht verbuchten Wareneinkaufs sind unbehelflich, denn diese Korrekturen waren entweder erfolgsneutral (Beteiligung, vgl. Betriebsprüfungsbericht Tz. 1.6 und 1.7 für 2005) oder haben zu Gewinnminderungen geführt (nicht verbuchter WEK, Betriebsprüfungsbericht Tz. 1.10 für 2003; Schwarzlöhne, Betriebsprüfungsbericht Tz. 1.10 für 2003 bis 2005).
    f) Da der AdV-Antrag in Sachen Einkommensteuer 2003 bis 2005 unbegründet ist, bleibt auch der AdV-Antrag in Sachen Folgebescheide Solidaritätszuschlag 2003 bis 2005 ohne Erfolg.
    3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Beschwerde war nicht zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO).

    VorschriftenAO § 162 Abs. 2 S. 2, AO § 158, AO § 147 Abs. 1 Nr. 1, AO § 146 Abs. 4, AO § 146 Abs. 5, AO § 145 Abs. 1, FGO § 69 Abs. 3, FGO § 69 Abs. 2, HGB § 239 Abs. 3