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  • 10.08.2012 · IWW-Abrufnummer 122482

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 23.05.2012 – 11 K 2524/09 K

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Münster

    11 K 2524/09 K

    Tenor:

    Der Haftungsbescheid vom 16.11.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.06.2012 wird aufgehoben.

    Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

    Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

    T a t b e s t a n d :

    Streitig ist, ob das Finanzamt (FA) den Kläger (Kl.) zu Recht für rückständige und nicht beitreibbare Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer und hierauf entfallende Nachzahlungszinsen gemäß § 233a Abgabenordnung (AO) der X.-GmbH mit früherem Sitz in H. (GmbH) als Haftungsschuldner in Anspruch genommen hat.

    Der Kl. war bis zum 13.05.1992 an dem bis zu diesem Zeitpunkt 50.000 DM umfassenden Stammkapital der GmbH als alleiniger Gesellschafter beteiligt, ab dem 14.05.1992 waren nach Aufstockung des Stammkapitals auf 100.000 DM er sowie seine Ehefrau D. Q.-Z. zu je 50 v.H. beteiligt. Beide waren jeweils als die allein vertretungsberechtigten Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen. Die Gewinne der GmbH wurden gemäß § 8 Körperschaftsteuergesetz (KStG) in Verbindung mit § 5 Einkommensteuergesetz (EStG) durch Bilanzierung ermittelt. Durch Beschluss des Amtsgerichts N. vom 04.09.2001 – Az.: .. IN ../01 – wurde die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH mangels Masse abgelehnt. Die Gesellschaft war dadurch aufgelöst (vgl. Eintragungsnachricht des Amtsgerichts C. vom 22.11.2001 zu Geschäfts-Nr. HRB ...).

    Für die Jahre 1990 bis 1997 war die GmbH auf der Grundlage ihrer Erklärungen zur Körperschaftsteuer sowie für die Jahre 1992 bis 1994 auf der Grundlage ihrer Erklärungen zur Umsatzsteuer (USt) veranlagt worden. Die auf dieser Basis festgesetzten Steuern waren gezahlt worden.

    Im Jahr 1996 führte das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (StrafaFA N.) bei der GmbH auf der Grundlage des § 208 Abs. 1 Satz 1 AO eine Fahndungsprüfung durch. Dabei wurde u.a. festgestellt, dass in den Jahren 1991 bis 1995
    - von Bauherren im Zusammenhang mit der Erbringung von Bauleistungen durch die GmbH zusätzliche Zahlungen außerhalb der Kaufpreisvereinbarungen an die Gesellschafter der GmbH (Kl. sowie Ehefrau) erbracht waren, die als verdeckte Gewinnausschüttungen (vgA) zu erfassen waren (T., H1., Q1., I1. und E.),
    - an Arbeitnehmer über die angemeldeten und abgeführten Beträge hinaus Schwarzlöhne bezahlt waren, ohne dass diese verbucht waren,
    - sowie dass im Privathaushalt des Kl. und seiner Ehefrau eine Haushälterin beschäftigt war, die von der GmbH entlohnt worden war.

    Zur Abgeltung eventueller Unsicherheiten über die wirkliche Höhe der Vereinnahmungen waren angesichts der nicht beweiskräftigen Buchführung Zuschätzungen vorzunehmen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht vom 24.02.1999 über die steuerlichen Feststellungen des StrafaFA verwiesen (Bl. 65 ff. GA).

    Hierdurch kam es zu höheren Festsetzungen betreffend die Körperschaftsteuer (KSt) der Jahre 1991 bis 1995 sowie – weil ein bisher aus dem Jahr 1992 stammender Verlustrücktrag nach 1990 nicht mehr zu berücksichtigen war – zu einer erstmaligen Festsetzung von KSt für 1990. Außerdem waren für 1997 entgegen der ursprünglichen Erklärung höhere KSt festzusetzen. Schließlich waren die bisherigen USt‘n der Jahre 1992 bis 1994 zum Nachteil der GmbH zu ändern.

    Nach Auffassung des Prüfers hatte der Kl. als verantwortlicher Geschäftsführer der GmbH hinsichtlich der vorgenannten zu den höheren Steuerfestsetzungen führenden Vorgänge bei Abgabe der Steuererklärungen unrichtige Angaben über die in Wahrheit bei der GmbH gegebenen steuerlich erheblichen Tatsachen gemacht und hatte dadurch die KSt der Jahre 1990 bis 1995 sowie die USt der Jahre 1992 bis 1994 bei der GmbH verkürzt. Aus diesem Grund war von einer zehnjährigen Festsetzungsfrist – vgl. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO – auszugehen, die im Zeitpunkt der Beendigung der Prüfung im Jahr 1999 noch nicht abgelaufen war.

    Das FA folgte dem Vorschlag des Prüfers und setzte für die Jahre
    1990 1991 1992 1993 1994 1995
    mit Änderungsbescheiden vom 01.06.1999 01.06.1999 01.06.1999 01.06.1999 01.06.1999 01.06.1999
    die KSt auf ...... DM ...... DM ...... DM ....... .DM ........ DM ...... DM
    fest.
    Nachzahlung ..... DM ..... DM ...... DM ....... DM ...... DM ...... DM
    sowie für die Jahre
    1990 1991 1992 1993 1994 1995
    mit Änderungsbescheiden vom 04.06.1999 04.06.1999 04.06.1999
    die USt auf ....... DM ....... DM ....... DM
    fest.
    Nachzahlung ..... DM ...... DM ..... DM
    Außerdem setzte das FA für 1997 die KSt mit Bescheid vom 08.06.1999 auf ..... DM fest. Dieser Betrag war auch nachzuzahlen.

    Hiergegen legte die GmbH Einspruch ein. Im Rahmen dieses Verfahrens beantragte sie die Aussetzung der Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel. Mit Verfügung vom 10.09.1999 gewährte das FA wegen der oben aufgeführten nachzuzahlenden Steuern sowie der hierauf entfallenden Nachzahlungszinsen gemäß § 233 a AO Aussetzung der Vollziehung unter der aufschiebenden Bedingung, dass Sicherheit geleistet wurde ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch, wobei gleiches bei anderweitiger Beendigung des Verfahrens galt. Es behielt sich vor, die Aussetzung der Vollziehung nach pflichtgemäßem Ermessen zu widerrufen.

    Die GmbH erbrachte die Sicherheitsleistung in Gestalt einer Bankbürgschaft der Spar- und Darlehenskasse H. vom 09.09.1999 in Höhe von ....... DM. Nach Nr. 3 der Bürgschaftserklärung wurde sie für folgende Ansprüche übernommen:

    „Aussetzung der Vollziehung aus dem Einspruch gegen die erlassenen Steuerbescheide auf Grund des Steuerfahndungsberichtes. Schreiben des FA B. vom 23.08.1999 zu Steuer-Nr. 000/0000/0001.“ Sie war befristet bis zum 30.09.2002.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 06.11.2000 wies das FA die Einsprüche der GmbH als unbegründet zurück.

    Hiergegen erhob die GmbH Klage vor dem FG Münster unter den Az.: 9 K 7500/00 K wegen u.a. KSt 1990 bis 1997 sowie unter dem Az 15 K 6936/00 U wegen USt 1992 bis 1994. Auf den Antrag der GmbH vom 14.11.2000 wurde die Aussetzung der Vollziehung im bisherigen Umfang bis zum rechtskräftigen Abschluss der finanzgerichtlichen Verfahren verlängert.

    In diesen Verfahren wurde vom FA am 29.11.2001 mitgeteilt, dass die GmbH aufgelöst worden ist. Die Ehefrau des Kl., D. Q.-Z., wurde zur Liquidatorin bestellt. In dieser Eigenschaft sind von ihr beide gerichtliche Verfahren 9 K 7500/00 K und 15 K 6936/00 U bis zum Abschluss fortgeführt worden.

    Im Jahr 2005 wurden die beiden gerichtlichen Verfahren durch eine tatsächliche Verständigung erledigt. Entsprechende Änderungsbescheide ergingen unter dem Datum 22.02.2006 wegen KSt 1990 bis 1992 und unter dem Datum 23.02.2006 für KSt 1993 bis 1997 sowie unter dem Datum 22.02.2006 wegen USt 1993 und 1994. Wegen USt 1992 hatte sich keine Änderung ergeben.

    Nach vorheriger Anhörung nahm das FA den Kl. mit Haftungsbescheid vom 15.11.2006 in Höhe von insgesamt ......... € in Haftung. In diesem Betrag waren u.a. Säumniszuschläge und Aussetzungszinsen enthalten.

    Zur Begründung führte das FA aus, dass der Kl. durch die Abgabe unrichtiger Erklärungen zur KSt und USt der Jahre ab 1991 dazu beigetragen habe, dass die entsprechenden Beträge erst verspätet auf Grund der im Rahmen der Prüfung getroffenen Feststellungen hätten festgesetzt werden können. Bei rechtzeitiger Festsetzung hätten der GmbH noch ausreichende Mittel zur Verfügung gestanden, um die dann in zutreffender Höhe festgesetzten Steuern zu begleichen.

    Der Einspruch des Kl. hatte insofern Erfolg, als das FA mit der EE vom 30.06.2009 die Haftungssumme auf ......... € herabsetzte. Sie war um Aussetzungszinsen gemäß § 237 AO in Höhe von ...... € sowie um Säumniszuschläge in Höhe von ..... € zu mindern. Im Übrigen wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Die Haftungs-summe umfasste nunmehr folgende bei der GmbH nicht mehr beitreibbare Beträge:
    Abgabenart/Zeitraum Betrag
    KSt 1990 ...... €
    KSt 1993 ......... €
    KSt 1995 ........ €
    Solidaritätszuschlag 1995 ...... €
    KSt 1997 ......... €
    Solidaritätszuschlag 1997 ...... €
    USt 1992 ...... €
    USt 1993 ........ €
    USt 1994 ........ €
    Nachzahlungszinsen KSt 1990 ...... €
    Nachzahlungszinsen KSt 1992 ..... €
    Nachzahlungszinsen KSt 1993 ......... €
    Nachzahlungszinsen KSt 1995 ....... €
    Nachzahlungszinsen KSt 1997 ....... €
    Nachzahlungszinsen USt 1992 ...... €
    Nachzahlungszinsen USt 1993 ........ €
    Nachzahlungszinsen USt 1994 ....... €
    Haftungssumme ......... €

    Zur Begründung, dass im Übrigen der Einspruch zurückzuweisen sei, führte das FA aus, dass der Kl. als Geschäftsführer der GmbH schuldhaft seine Pflichten verletzt habe. Hierzu habe insbesondere gehört, dafür Sorge zu tragen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet würden, die der gesetzliche Vertreter – hier: der Kl. als Geschäftsführer der GmbH – verwalte. Das FA gehe davon aus, dass er in dieser Eigenschaft unrichtige Erklärungen zur KSt und USt der Jahre ab 1990 abgegeben habe und dadurch schuldhaft seine Pflichten verletzt habe. Infolgedessen seien die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis bei der GmbH nicht rechtzeitig festgesetzt und auch nicht erfüllt worden.

    Im Rahmen der tatsächlichen Verständigung im finanzgerichtlichen Verfahren sei es bei Nachzahlungen verblieben. Dies impliziere, dass die ursprünglich abgegebenen Steuererklärungen wegen der den Nachzahlungen zu Grunde liegenden Vorgänge inhaltlich falsch gewesen seien und dadurch eine schuldhafte Verletzung der Pflichten nach § 34 AO vorliege. Es liege auch kein Mitverschulden des FA an dem Steuerausfall vor, weil es nicht aus der Bankbürgschaft vollstreckt habe. Das FA habe die Rückstände gegen Sicherheitsleistung von der Vollziehung ausgesetzt bis zum rechtskräftigen Abschluss der Klageverfahren vor dem FG Münster. Deshalb habe es keine Möglichkeit gehabt, sich von der gewährten Aussetzung der Vollziehung zu lösen und die Steuerausfälle durch Rückgriff auf die Bankbürgschaft zu verhindern. Die Klageverfahren vor dem FG Münster hätten länger gedauert als die Befristung der Bankbürgschaft. Zu dem Zeitpunkt, als im Jahr 2001 klar geworden sei, dass die GmbH insolvent geworden sei, habe es keine Möglichkeiten mehr gegeben, anderweitige Sicherheiten zu erhalten.

    Hiergegen hat der Kl. Klage erhoben. Er macht geltend, dass es an einer Pflichtverletzung fehle und dass er aus diesem Grund für den Steuerausfall nicht verantwortlich sei. Die Steuererklärungen seien – so behauptet er – für alle Jahre umfassend und vollständig abgegeben worden. Die Steuernachzahlungen resultierten letztendlich aus Umsätzen, die das Ergebnis einer gerichtlichen Verständigung gewesen seien. Umsätze, über die sich die Parteien verständigt hätten, könnten nicht – so macht er weiter geltend – Gegenstand der in § 69 AO normierten Erklärungs- und Erfüllungspflicht sein. Im Übrigen sei die Verständigung vor dem FG nur deshalb erfolgt, damit die GmbH einen Rechtsfrieden mit dem FA herbeiführe. Ihr sei daran gelegen gewesen, weitere rufschädigende Maßnahmen des FA abzuwenden.

    Im Übrigen fehle es an einer Kausalität für den Steuerschaden. Die nachzuzahlenden Beträge seien durch das FA gegen Sicherheitsleistung von der Vollziehung ausgesetzt worden. Als Sicherheit habe eine Bankbürgschaft in einer Höhe von ....... DM gedient. Das FA habe es schuldhaft unterlassen, diese Sicherheit zu verwerten. Spätestens ab dem 20.11.2011 habe das FA Kenntnis davon gehabt, dass die Gesellschaft durch Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst sei. Für ihn, den Kl., sei es nicht nachvollziehbar, warum das FA nicht auf die Sicherheit nicht zurückgegriffen habe. Eine Gefährdung des Steueranspruchs habe spätestens nach dem gerichtlichen Beschluss vom 04.09.2001 vorgelegen und sei dem FA auch positiv bekannt gewesen. Im Rahmen einer ermessensgerechten Abwägung wäre das FA verpflichtet gewesen, die Aussetzung der Vollziehung umgehend zu widerrufen und die gestellten Sicherheiten zu verwerten. Der Kl. ist der Auffassung, dass das FA hieran nicht gehindert gewesen sei. Durch die Beibringung der Bankbürgschaft sei ein möglicher Steuerschaden beseitigt gewesen. Die Gestellung der Bankbürgschaft sei mit der Geldzahlung gleichzusetzen.

    Außerdem sei die Haftungssumme unzutreffend. Ein KSt-Guthaben aus der geänderten Veranlagung 1994 in einer Höhe von ......... € (KSt: ......... € sowie Zinsen zur KSt 1994: ..... €) sei – so behauptet der Kl. – weder ausgezahlt noch mit Rückständen verrechnet worden. Bei Minderung der Haftungssumme um diesen Betrag sowie um Säumniszuschläge ergebe sich nur noch eine Haftungssumme in einer Höhe von ........ €.

    Schließlich hätte der Haftungsbescheid im Jahr 2006 wegen zwischenzeitlich eingetretener Verjährung nicht mehr ergehen dürfen. Nach § 191 Abs. 3 Satz 3 AO beginne bei Erteilung eines Haftungsbescheids die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Tatbestand verwirklicht worden sei, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpfe. Nach Satz 4 dieser Vorschrift sei der Ablauf der Festsetzungsfrist nur so lange gehemmt, wie die Erstschuld nicht festgesetzt gewesen sei. Das FA habe aber die dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Steuern mit den Bescheiden vom 01.06. und 04.06.1999 festgesetzt.

    Der Kl. beantragt,

    den Haftungsbescheid vom 16.11.2006 in Gestalt der EE vom 30.06.2009 aufzuheben.

    Das FA beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Es verweist in erster Linie auf die Ausführungen in der EE. Zu der Verrechnung des Guthabens aus der Veranlagung zur KSt 1994 verweist es auf ein Erläuterungsschreiben vom 19.04.2006, aus dem sich ergibt, in welcher Weise Rückstände und Gut-haben aus den Veranlagungen zur KSt 1993, 1994, 1995, 1996 und 1997 verrechnet worden sind. Danach sei es im Ergebnis bei den Rückständen verblieben, die nunmehr in dem Haftungsbescheid aufgeführt seien.

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze der Beteiligten und die vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die beigezogenen Akten zu den gerichtlichen Verfahren 9 K 7500/00 K und 15 K 6936/00 U verwiesen.

    Der Senat hat am 23.05.2012 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

    Die Klage ist begründet.

    Nach § 191 Abs. 1 AO kann derjenige, der kraft Gesetzes für eine Steuer haftet, durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Entscheidung über die Inan-spruchnahme eines Haftungsschuldners ist zweigliedrig (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH –, vgl. u.a. BFH-Urteil vom 13.06.1997 VII R 96/96, BFH/NV 1998, 4). Das FA hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es zur Haftung heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme erfüllt sind. Hierbei handelt es sich um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung – vgl. § 5 AO – des FA an, ob und ggf. wen es als Haftenden in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Satz 1 FGO auf Ermessensfehler (Ermessensfehlgebrauch bzw. Ermessensüberschreitung) überprüfbar (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 11.03.2004 VII R 52/02, BStBl II 2004, 579 unter II 1a m.w.N.).

    Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Inhaftungnahme des Kl. haben vorgelegen. Nach § 69 Satz 1 AO haften die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) in Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden.

    Der Kl. war vor Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH am 04.09.2001 einer der Geschäftsführer, dem alleinige Vertretungsberechtigung eingeräumt war. In dieser Eigenschaft hatte er die GmbH gemäß § 35 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten. Damit war er diejenige Person, der auch die Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen für die GmbH oblag. Seine Verantwortlichkeit ergibt sich bereits aus seiner nominellen Bestellung zum Geschäftsführer (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH- Beschluss vom 16.02.2006 VII B 122/05, BFH/NV 2006, 1051).

    In dieser Eigenschaft oblag ihm die Verpflichtung, für die GmbH zutreffende Erklärungen zur KSt und USt der Jahre ab 1990 abzugeben. Diese Pflichten hatte er zu den Zeitpunkten verletzt, als die für die genannten Steuern maßgeblichen Erkllärungen abgegebenen wurden. Das war betr. KSt 1993 im Jahr 1995, betr. KSt 1995 im Jahr 1996 und betr. 1997 im Jahr 1998 sowie betr. USt 1992 im Jahr 1993 und betr. USt 1993 und 1994 im Jahr 1995. Soweit es um die KSt 1990 geht, ist zu beachten, dass für dieses Jahr zunächst die KSt nur deswegen 0 DM betragen hatte, weil ein Verlustrücktrag aus 1992 zu berücksichtigen war. Nachdem sich für dieses Jahr 1992 die höheren Besteuerungsgrundlagen herausgestellt hatten, entfiel die Möglichkeit des Verlustrücktrags. Damit kam es für die die KSt 1990 betreffende Pflichtverletzung auf die Abgabe der ursprünglichen unrichtigen KSt-Erklärungen 1992 an. Dieser Zeitpunkt lag im Jahr 1993.

    Die zunächst vom Kl. für die GmbH abgegebenen Erklärungen zur KSt der Jahre 1992, 1993, 1995 und 1997 sowie zur USt der Jahre 1992 bis 1994 waren falsch. Im Rahmen der Prüfung durch das StrafaFA sind verschiedene Sachverhalte aufgedeckt worden, die einerseits zur Erhöhung der Umsätze bzw. Betriebseinnahmen geführt hatten und andererseits als vGA anzusehen waren und um die die körperschaftsteuerlich zu erfassenden Gewinne ebenfalls zu erhöhen waren. Auch wenn im Rahmen der Verständigung vom 28.10.2005 im Verfahren 9 K 7500/00 K, die auch Grundlage für die Verständigung im Verfahren 15 K 6936/00 U gewesen ist, das FA an einem Teil der die USt und KSt der Jahre ab 1990 erhöhenden Vorgänge nicht weiter festgehalten hat, übersieht der Kl., dass es hinsichtlich der verbliebenen Mehrsteuern (KSt 1990, 1993, 1995 und 1997 sowie USt 1992 bis 1994) dabei verblieben ist, dass die ihnen zugrunde liegenden Erklärungen unrichtig waren.

    Diese falschen Erklärungen des Kl. waren auch ursächlich dafür, dass die Steuern, wie sie bei zutreffender Erfüllung der Erklärungspflichten festzusetzen gewesen wären, von der GmbH später nicht erfüllt worden sind. Das zu diesen niedrigeren Steuerfestsetzungen führende pflichtwidrige Verhalten des Kl. kann nämlich nicht hinweg gedacht werden, ohne dass der Erfolg – der spätere Steuerausfall gerade dieser Mehrsteuern bei der GmbH – entfiele.

    Soweit der Kl. darauf verweist, dass es ihm bei der Verständigung mit dem FA in den Verfahren 9 K 7500/00 K und 15 K 6936/00 U darum gegangen sei, den Rechtsfrieden wieder herzustellen, ändert dies nichts daran, dass die zu den Mehrsteuern führenden tatsächlichen Vorgänge vom Kl. in pflichtwidriger Weise unzutreffend erklärt waren.

    Die Änderung der im Streitfall zu beurteilenden Steuerbescheide, die zu den höheren Steuerfestsetzungen betreffend KSt der Jahre 1990, 1993, 1995 und 1997 sowie betreffend USt der Jahre 1992 bis 1994 geführt hatten, war im Jahr 1999 auch zulässig. Grundlage war § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Dem FA waren die zu den höheren Steuerfestsetzungen führenden Vorgänge erst nachträglich – nämlich auf Grund der Prüfung durch das Strafa FA N. – bekannt geworden.

    Die Änderung des Jahres 1990 beruhte zwar nicht auf einer dieses Jahr betreffenden Prüfungsanordnung. Geprüft wurde aber das Jahr 1992. Wegen der Versagung eines bisher berücksichtigten Verlustes aus dem Jahr 1992 im Rahmen eines Rücktrags war aber die bisherige Festsetzung von KSt für das Jahr 1990 zu ändern.

    Im Hinblick auf die Erteilung der Änderungsbescheide für die Jahre ab 1990 war auch noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten. Gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO galt eine Festsetzungsfrist von 10 Jahren. Denn dem Kl. war die Hinterziehung von KSt der Jahre 1990, 1993, 1995 und 1997 sowie von USt der Jahre 1992 bis 1994 vorzuwerfen. Er hatte durch Abgabe unrichtiger Erklärungen gegenüber dem FA bewirkt, dass dieses die KSt der Jahre 1990, 1993, 1995 und 1997 sowie die USt der Jahre 1992 bis 1994 zu niedrig festgesetzt hatte. Nach Auffassung des Senats hatte der Kl. bei der Abgabe der unrichtigen Erklärungen auch vorsätzlich gehandelt. Dieser Meinung ist im Übrigen auch das Gericht im Verfahren 9 K 7500/00 K und 15 K 6936/00 U gewesen. Es gibt für den erkennenden Senat keinen Grund von dieser Beurteilung abzuweichen. Für die Richtigkeit einer vorsätzlichen Hinterziehung von Steuern spricht im Übrigen, dass gegen den Kl. ein Steuerstrafverfahren eingeleitet war, das nur gegen Zahlung einer Auflage von ...... DM gemäß § 153a Strafprozessordnung eingestellt worden ist – Az.: 14 AK 207/00.

    Dass angesichts der vorgenannten Umstände der Kl. seine steuerlichen Pflichten im Hinblick auf die Abgabe von zutreffenden Steuererklärungen schuldhaft verletzt hatte, bedarf keiner weiteren Darlegung.

    Lagen hiermit die rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung eines Haftungsbescheids gegenüber dem Kl. vor, kann offen bleiben, ob seinen Einwendungen in der Hinsicht gefolgt werden könnte, dass es dem FA selbst zuzurechnen sei, dass es zu den Steuerausfällen bei der GmbH gekommen ist, weil es auf eine mögliche Sicherheit (Bankbürgschaft) nicht zurückgegriffen hat, sowie dass die tatsächlich durchgeführten Verrechnungen der Erstattung aus der Veranlagung zur KSt 1994 mit den rückständig gebliebenen Ansprüchen des FA zutreffend gewesen sind.

    Denn im Jahr 2006 hatte ein Haftungsbescheid nicht mehr ergehen können. Die Haftungsansprüche waren zu diesem Zeitpunkt durch Verjährung erloschen.

    Nach § 47 AO erlöschen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen nach § 37 Abs. 1 AO auch der Haftungsanspruch gehört, u.a. durch Verjährung nach den §§ 169 bis 171 AO, also auch durch den Ablauf der Fristsetzungsfrist.

    Die Vorschriften über die Festsetzungsfrist sind nach § 191 Abs. 3 Satz 1 AO auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden (vgl. BFH-Urteil vom 12.08.1997 VII R 107/96, BStBl II 1998, 131). Nach dem danach anzuwendenden § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist die Festsetzung des Haftungsanspruchs nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist.

    Die Festsetzungsfrist beträgt für Haftungsbescheide nach § 191 Abs. 3 Satz 3 AO grundsätzlich vier Jahre, beginnend mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Tatbe-stand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Insoweit ist auf die Verwirklichung der Tatbestandsvoraussetzungen einer Haftungsnorm sowie die Entstehung der Steuerschuld abzustellen (vgl. BFH-Beschluss vom 04.09.2002 I B 145/01, BStBl. II 2003, 223 unter II 2b aa m.w.N.).

    Im Streitfall hatte das FA die Inanspruchnahme des Kl. im Wege der Haftung auf die §§ 34 und 69 Satz 1 AO gestützt. Hiernach wird die Haftung eines Geschäftsführers einer GmbH ausgelöst, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis in Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Hiervon ausgehend ist im Streitfall als haftungsbegründende Pflichtverletzung an die Abgabe der unrichtigen Erklärungen zur KSt der Jahre bis 1997 sowie der USt der Jahre bis 1994 sowie an die Nichtabführung der sich hieraus ergebenden Zahlungen anzuknüpfen.

    Auf dieser Grundlage errechnet sich der Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist. Bei Erteilung des Haftungsbescheids am 16.11.2006 war diese vierjährige Frist bereits abgelaufen. Selbst hinsichtlich der am spätesten festzusetzenden Steuer, der KSt des Jahres 1997, war angesichts der maßgeblichen im Jahr 1998 liegenden Pflichtverletzung die Möglichkeit für die Erteilung eines Haftungsbescheids nur noch innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren bis zum 31.12.2002 gegeben. Diese Frist hatte das FA nicht eingehalten.

    Entgegen der offensichtlich vom FA vertretenen Rechtsauffassung kommt es für den Beginn der Festsetzungsfrist nicht auf den Zeitpunkt an, in dem endgültig feststeht, dass das FA mit seinen Steuerforderungen gegenüber dem Steuerschuldner ausfallen würde. Anknüpfungspunkt für die einem Haftungsschuldner zur Last gelegte Pflichtverletzung nach § 69 AO sind allein die Abgabe von unrichtigen Steuererklärungen zu den gesetzlichen Zeitpunkten und die Nichtzahlung der Steuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten. Tatsächliche Fälligkeit und Schadenseintritt gehören nicht dazu (vgl. BFH-Beschluss vom 04.09.2002 I B 145/01, BStBl II 2003, 223 unter II 2b aa m.w.N.).

    In diesem Zusammenhang ist auf die Rechtsprechung des BFH zu verweisen. Danach setzt die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners nicht voraus, dass die Steuerschuld gegen den Erstschuldner festgesetzt worden ist. Ein Haftungsanspruch kann vielmehr unmittelbar nach seiner Entstehung (§ 37 Abs. 1 AO, § 38 AO) gegenüber dem Haftenden eigenständig durch Haftungsbescheid geltend gemacht werden, ohne dass ein Steuerbescheid hätte erlassen oder gar bestandskräftig werden müssen (vgl. BFH-Urteil vom 12.10.1999 VII R 98/98, BStBl. II 2000, 486 unter II 3 b mit Hinweisen auf eine ständige Rechtsprechung).

    Der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Erteilung eines Haftungsbescheids war im Streitfall auch nicht nach Satz 4 des § 191 Abs. 3 AO gehemmt. Ist die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, so endet nach der ersten Alternative dieser Vorschrift die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist. Die zweite Alternative lautet: „Andernfalls“ gilt § 171 Abs. 10 AO sinngemäß. Die erste Alternative der vorgenannten Vorschrift war nicht erfüllt. Die Steuern, für die der Kl. in Haftung genommen wurde, waren bereits festgesetzt.

    Damit war die in dieser Vorschrift genannte zweite Alternative – „anderenfalls“ – zu beachten, die auf § 171 Abs. 10 AO verweist.

    Soweit für die Festsetzung einer Steuer ein Feststellungsbescheid bindend ist (Grundlagenbescheid) endet nach § 171 Abs. 10 Satz 1 die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf von 2 Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids. Das bedeutet für den Fall der Erteilung eines Haftungsbescheids, dass dem FA bei einer entsprechenden Anwendung von § 171 Abs. 10 AO für den Erlass des Haftungsbescheids ein Zeitrahmen von 2 Jahren nach Bekanntgabe des Steuerbescheids, für den gehaftet werden soll, zur Verfügung steht. (Vgl. BFH-Beschluss vom 04.09.2002 I B 145/01, BStBl II 2003, 223 unter II 2b bb bbb m.w.N.).

    Auch diese Vorschrift ändert nichts daran, dass im Streitfall im Zeitpunkt der Erteilung des Haftungsbescheids am 16.11.2006 bereits Verjährung eingetreten war. Die Steuerbescheide, für die die Haftung ausgesprochen wurde, waren am 01.06. bzw. 04.06.1999 erteilt worden. Die nach § 191 Abs. 3 Satz 4 zweite Alternative AO i.V.m. § 171 Abs. 10 AO vorgegebene Frist von zwei Jahren war bereits vor dem Jahr 2006 abgelaufen.

    Der Umstand, dass im Streitfall dem Kl. Hinterziehung von Steuern vorzuwerfen war, vermag an dem vorgenannten Ergebnis nichts zu ändern. Nach § 191 Abs. 3 Satz 2 AO beträgt zwar die Festsetzungsfrist in den Fällen des § 70 AO bei Steuerhinterziehung 10 Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung 5 Jahre und in den Fällen des § 71 AO 10 Jahre. Auf der Grundlage der vorgenannten Vorschriften hätte zwar ein Haftungsbescheid gegenüber dem Kl. erteilt werden können. Dies aber war nicht geschehen. Das FA hatte die Haftung auf § 69 Satz 1 AO mit den darin genannten Pflichtverletzungen gestützt, die dafür ursächlich waren, dass Steuern nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt wurden. Eine Umdeutung des Haftungsbescheids vom 16.11.2006 im gerichtlichen Verfahren in einem solchen, der auf der Grundlage des § 70 AO hätte erteilt werden können, war nicht möglich. Dies hätte zu einer veränderten Grundlage für die Voraussetzungen eines Haftungsbescheids mit Folgen für die darauf basierende Ermessensbetätigung geführt.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    RechtsgebietFinanz- und Abgaberecht

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