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  • · Fachbeitrag · Heilmittelverordnung

    BARMER-Heilmittelreport 2022 ‒ zwei Aufreger, aber auch Erhellendes zu Rückenschmerzen

    | Jedes Jahr erstellt das BARMER Institut für Gesundheitsforschung (bifg). den BARMER-Heilmittelreport. Grundlage sind die Daten von ca. 8,7 Mio. Versicherten, d. h. etwa 12 Prozent der gesetzlich Versicherten in Deutschland. Diese Datenbasis ist zwar kleiner als die des WIdO-Berichts der AOK ( PP 03/2023, Seite 3 ff.), lässt aber trotzdem Rückschlüsse auf die Gesamtheit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu. Wie schon im Vorjahr ( PP 02/2022, Seite 10 ), stoßen Äußerungen des Reports über Zahl, Struktur und Vergütung der Leistungserbringer auf harsche Kritik. Der Report liefert aber auch Erhellendes ‒ etwa zur Behandlung von Rückenschmerzen. |

    Zahl der Leistungserbringer

    Im Zeitraum von 2018 bis 2021 ist ‒ so die Autoren des BARMER-Heilmittelreports ‒ die Zahl der Heilmittelerbringer deutlich gestiegen. Den größten Zuwachs verzeichnen die Physiotherapeuten mit 15 Prozent. Der BARMER-Report beruft sich dabei auf die LEO-Datenbank des Verbands der Ersatzkassen e. V. (vdek). Die Autoren vermuten, dass die durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) angestoßenen Vergütungserhöhungen in der Physiotherapie zu einem „Schub an Betriebsgründungen“ unter den Heilmittelerbringern geführt haben, der es den Versicherten ermögliche, bei gleichbleibender Anzahl an Verordnungen, den geeigneten Therapeuten auszuwählen.

     

    In einer Stellungnahme vom 02.03.2023 kritisiert der Spitzenverband der Heilmittelerbringer (SHV) diese Einschätzung als unglaubwürdig. Die Zahlen der LEO-Datenbank seien viel zu hoch. Andere Quellen wiesen weitaus niedrigere Zuwächse aus: Nach Angaben der Berufsgenossenschaft für Gesundheit und Wohlfahrtspflege (BGW) sei die Zahl der Physiotherapiepraxen von 2018 bis 2021 um 1,5 Prozent gestiegen, der WIdO-Bericht weise für denselben Zeitraum lediglich einen Zuwachs von 0,82 Prozent aus. Die Behauptung, es liege ein Gründungsschub vor, weist der SHV entschieden zurück ‒ im Gegenteil ist der der Meinung: Der demografische Wandel wie auch die Zunahme bestimmter Erkrankungen (vgl. PP 11/2022, Seite 10 ff.) ließen den Bedarf an physiotherapeutischen Behandlungen deutlich ansteigen und die flächendeckende Patientenversorgung bleibe ernsthaft gefährdet.

    Heilmittelpreise und Gehälter angestellter Therapeuten

    Ähnlich wie schon der Bericht des Vorjahres setzt der BARMER-Heilmittelreport die Vergütungssteigerungen in der Physiotherapie über die Erhöhung der Heilmittelpreise in Relation zur Gehaltsentwicklung angestellter Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten. Von 2017 bis 2021 seien die Heilmittelpreise um 50 bis 70 Prozent gestiegen, der  Gehaltszuwachs bei den angestellten Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten im gleichen Zeitraum aber betrage nur ca. 20 bis 30 Prozent. Damit wiederholt die BARMER ihre Argumentation vom Vorjahresbericht: Die Umsatzsteigerungen kämen nicht bei den Angestellten an und die Intention des TSVG werde unterlaufen (vgl. PP 02/2022, Seite 10 ff.)

     

    Auch diese Einschätzung des BARMER-Reports weist der SHV in seiner Stellungnahme als falsch zurück: Der Heilmittelreport stütze sich fälschlicherweise auf Zahlen aus dem Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit und nicht auf die Statistik der BGW, die für die Heilmittelberufe maßgebend sei. Die BGW-Statistik weise für alle Heilmittelberufe deutliche höhere Gehaltssteigerungen auf als die Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Der SHV vermutet, dass die BARMER absichtlich fehlerhafte Zahlen verwende, um politisch motivierte Aussagen zu begründen.

    Heilmittelverordnung bei unspezifischen Rückenschmerzen

    Häufigste Indikation der Physiotherapie sind Wirbelsäulenerkrankungen. Im Berichtsjahr 2021 betrafen diese 42,3 Prozent aller Physiotherapieverordnungen und 38,1 Prozent aller physiotherapeutischen Behandlungseinheiten.

     

    Fakten zur Häufigkeit und zur Behandlung unspezifischer Rückenschmerzen

    Leitsymptomatik von Wirbelsäulenerkrankungen sind unspezifische Kreuzschmerzen. Um zu untersuchen, wie diese in Deutschland behandelt werden, hat die BARMER die Daten von Versicherten für die Jahre 2017 und 2018 ausgewertet. U. a. ist dabei von Interesse, ob die verordneten Heilmittel den einschlägigen Leitlinien entsprechen (Heilmittel-Richtlinie, nationale Versorgungsleitlinie „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“, Versorgungsleitlinie des DMP chronischer Rückenschmerz, internationale Versorgungsleitlinien Rückenschmerz).

     

    • Untersuchungsergebnisse zu chronischen Rückenschmerzen
    • Unspezifische Rückenschmerzen nehmen mit dem Alter zu. Diese Entwicklung ist unabhängig vom Erwerbsleben. Dennoch dominieren in der Altersgruppe bis 60 Jahren Patientinnen und Patienten mit Erwerbsarbeit.

     

    • In 90 Prozent der Fälle werden leitliniengerecht empfohlene Heilmittel (Krankengymnastik [KG], Übungsbehandlung, Chirogymnastik) oder bedingt empfohlene Heilmittel (Manuelle Therapie [MT]) verordnet.

     

    • 9,5 Prozent der Erwerbslosen und 7,7 Prozent der Erwerbspersonen mit unspezifischen Rückenschmerzen erhalten nicht empfohlene Heilmittel verordnet (z. B. Massage, Kälte-/Wärmetherapie, Traktionsbehandlung sowie Behandlung mit medizinischen Hilfsmitteln, wie z. B. dem TENS-Gerät).

     

    • In den neuen Bundesländern dominiert als primär verordnetes Heilmittel die MT (in mehr als 50 Prozent der Fälle verordnet), Krankengymnastik liegt mit 30 Prozent nur auf Platz 2.

     

    • Im Westen Deutschlands ist der Anteil an Verordnungen empfohlener Heilmittel höher (94,3 Prozent) als im Osten (85 Prozent).
     

    Unterschiedliche Versorgungspraxis in Ost und West ‒ mögliche Ursachen

    Um die Ursachen für die unterschiedliche Verordnungspraxis zu ermitteln, untersucht der Report die Personen, die innerhalb Deutschlands umgezogen sind. Der Anteil an empfohlenen / bedingt empfohlenen Heilmitteln liegt bei Patientinnen und Patienten, die von West nach Ost umgezogen sind, bei 91,5 Prozent und bei Personen mit Umzug von Ost nach West bei 91,4 Prozent. Aus den Differenzen in Prozentpunkten zur jeweils „alten“ Heimat schlussfolgern die Autoren, dass die Verordnung des Heilmittels zu etwa zwei Dritteln durch die therapeutische Orientierung des Arztes und zu etwa einem Drittel durch Patientenerwartungen beeinflusst ist.

     

    • Beispiel: Physiotherapie-Patienten, die von Ost nach West umgezogen sind
    • Der Versorgungsanteil empfohlener Therapien beträgt bei Patienten, die schon immer in Westdeutschland gelebt haben, 94,3 Prozent. Bei Patienten, die schon immer in Ostdeutschland gelebt haben, liegt er bei 85 Prozent (Differenz: 9,3 Prozentpunkte).
    • Bei Patienten, die vom Osten in den Westen gezogen sind, beträgt der Versorgungsanteil 91,4 Prozent. Das ergibt eine Differenz von 2,9 Prozentpunkten zu Westdeutschland und von 6,4 Prozentpunkten zu Ostdeutschland.
    • Angenommen, der Umzug verändert die Leistungserwartungen des Patienten nicht, lässt sich der Unterschied mit 6,4 Prozentpunkten (ca. zwei Drittel von 9,3 Prozentpunkten) auf die Überzeugung des Arztes und mit 2,9 Prozentpunkten (ca. ein Drittel von 9,3 Prozentpunkten) auf die Patientenerwartungen zurückführen.
    • Für den Umzug von West nach Ost ergibt sich das gleiche Bild (vgl. BARMER-Heilmittelreport, Seite 40).
     

    Weitere Ergebnisse des BARMER-Heilmittelreports

    Neben den o. g. Schwerpunktthemen untersucht der BARMER-Heilmittelreport 2022 auch das Verordnungsgeschehen im Allgemeinen. Viele Untersuchungsergebnisse decken sich mit den Ergebnissen aus dem Vorjahresreport (PP 02/2022, Seite 10 ff.)

     

    • Heilmittel: Verordnungsgeschehen 2022 in Deutschland
    • Im Berichtsjahr 2021 gab die BARMER 1,4 Mrd. Euro für 1,9 Mio. Patienten aus. Drei Viertel (74,7 Prozent) der Ausgaben entfielen auf die Physiotherapie.
    • In den ersten beiden Quartalen 2020 hatte die Coronapandemie die Inanspruchnahme von Heilmittelbehandlungen deutlich reduziert. Für die ersten beiden Quartale 2021 ist eine gegenläufige Entwicklung zu beobachten.
    • Die von Mai 2020 bis Juni 2022 berechnungsfähige Corona-Hygienepauschale (vgl. PP 06/2020, Seite 3 ff.) verursachte in den Jahren 2020 und 2021 für die BARMER Kosten i. H. v. ca. 12,4 Mio. Euro. Hochgerechnet auf die gesamte gesetzliche Krankenversicherung entspricht das etwa 88,6 Mio. Euro.
    • Der Heilmittelbedarf steigt mit dem Lebensalter und nimmt erst in der Altersgruppe über 90 Jahre wieder ab.
    • Frauen nehmen mehr Heilmittelbehandlungen in Anspruch als Männer.
    • Versicherte aus den neuen Bundesländern ‒ insbesondere Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern verursachen die höchsten Leistungsausgaben. In Sachsen lagen diese z. B. im Berichtsjahr 2021 bei 39 Prozent über dem Bundesdurchschnitt.
     

    Weiterführende Hinweise

    • Primärquelle: BARMER Institut für Gesundheitsforschung (bifg; Hg.): Heilmittelreport 2022. Berlin Januar 2023; online unter iww.de/s7796
    • Zusätzlich zum Heilmittelreport stellt das bifg auch einen Entgeltatlas als interaktives Analysetool bereit (online unter iww.de/5859).
    • Sekundärquelle: Stellungnahme zum Barmer Heilmittelreport, veröffentlicht am 02.03.2023, online unter iww.de/s7797
    Quelle: Ausgabe 04 / 2023 | Seite 3 | ID 49210316