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  • · Fachbeitrag · Arbeiten im Ausland

    Der Brexit und seine Folgen: Wie geht’s weiter für EU-Bürger?

    von Silke Jäger, Freie Journalistin für Gesundheitsinformationen, www.silke-jaeger.de

    | Das britische Nationale Gesundheitssystem NHS beschäftigt traditionell viele Migranten, z. B. als Physiotherapeuten. Unter ihnen auch EU-Bürger. Doch das NHS leidet unter dem Brexit: Es wird durch Steuermittel finanziert und ist nun durch die wirtschaftlichen Unsicherheiten bei einem Brexit bedroht. Auch für die EU-Bürger im Land wächst die Unsicherheit seit Jahren. PP erklärt, was die Lage für EU-Bürger so schwierig macht und zeigt in einem Folgebeitrag auf, wie sich der Brexit auf das NHS auswirkt. |

    Neue Aufenthaltsregelungen

    Vor dem Brexit-Referendum waren EU-Bürger in Großbritannien den Briten rechtlich und gesellschaftlich gleichgestellt. Seit dem De-facto-Austritt sind sie nun zu Migranten geworden und müssen sich um einen Aufenthaltstitel bewerben (Informationen der Deutschen Botschaft online unter iww.de/s2809). Doch das dafür aufgelegte „Settled Status Scheme“ ist ein Online-Register, das man nur mit einer Android-App bedienen kann. Das stellt alle vor Probleme, die kein Android-Handy nutzen. Aber vor allem ältere Menschen. Zudem muss sich jedes einzelne Familienmitglied einzeln bewerben, sodass Familien getrennt werden können, sollten nicht alle Familienmitglieder die Aufenthaltserlaubnis bekommen.

     

    Besonders gefährdet sind Menschen ohne eigenes Einkommen (z. B. Mütter, die mehrere Jahre aus dem Berufsleben aussteigen oder pflegende Angehörige). Vor allem Menschen, die schon lange in Großbritannien leben, sind herausgefordert. Denn jedes Jahr, das man im Land verbracht hat, muss belegt werden: Wie viele Tage hat man das Land verlassen? Wie war die Einkommenssituation? Gab es eine zusätzliche private Krankenversicherung? Liegen die Belege nicht lückenlos vor, fragt das Innenministerium nach. Dabei droht den Menschen tatsächlich der Verlust der Arbeitserlaubnis oder der Aufenthaltsberechtigung. Im schlimmsten Fall können EU-Bürger illegal werden. Solange Großbritannien die EU noch nicht verlassen hat, besteht diese Gefahr noch nicht und ist deshalb kaum in der Berichterstattung zu finden. Vor allem aber, wenn es zum No-Deal-Brexit kommt, also einem Brexit ohne Übergangsregelungen, dürfte sich das ändern.

    Migranten haben es schwerer als früher

    Bürgerrechtsinitiativen wie die Bewegung the3million schlagen Alarm (Pressemeldung online unter iww.de/s2808): Die Lage ist jetzt schon so, dass viele Menschen unrechtmäßig ausgewiesen werden können. Aus Versehen. So geschehen im Jahr 2018: Viele Briten, die aus Übersee-Kolonien stammten und zur sog. „Windrush-Generation“ gehörten, hatten nicht alle Papiere zur Hand, die das Innenministerium verlangte. Trotz zugesichertem Aufenthaltsrecht wurden einige ausgewiesen. Andere verloren ihre Arbeitserlaubnis oder ihnen wurde eine lebensnotwendige kostenintensive Therapie verweigert (Online-Nachricht der Deutschen Welle vom 21.04.2019, online unter iww.de/s2810)

     

    MERKE | Das restriktive Vorgehen gegen Migranten ist durch ein Gesetzespaket gedeckt, das aus Theresa Mays Zeit als Innenministerin stammt: „Hostile Environment“, „Feindselige Umgebung“ heißt es sehr treffend (online unter iww.de/s2811). Seitdem können Migranten viele Probleme bekommen: eine Wohnung mieten, arbeiten, ein Konto führen, zur Schule oder Uni gehen, Sozialleistungen erhalten und den Führerschein machen ‒ alles kann schwierig werden. Je nachdem, mit welchem Makler, Arbeitgeber, Bankangestellten, Schulleiter, Sozialamtsmitarbeiter oder Fahrlehrer sie es zu tun bekommen. Denn im Zweifel haften diese dafür, wenn sie an Menschen, die keine Aufenthaltsgenehmigung nachweisen können, z. B. vermieten oder ihnen Arbeit geben.

     

    Dazu kommt: Der neue Aufenthaltstitel nach dem EU-Bürger-Register wird nicht in Paierform ausgehändigt und liegt nur online vor. D. h., die Menschen haben im Zweifel kein Dokument zur Hand, mit dem sie ihr Gegenüber überzeugen können, dass sie ein Recht auf Einreise, medizinische Behandlung oder das Mieten einer Wohnung haben. Gerade diejenigen, die keinen gut bezahlten Job haben, können die Nachteile zu spüren bekommen.

    Wie Menschen und Unternehmen gegensteuern

    Ein neues Einwanderungsgesetz soll nach dem Brexit den Zustrom von Migranten regeln. Doch aufgrund der politischen Turbulenzen ist das Gesetz bisher noch nicht einmal vorgestellt worden. Das heißt: Zurzeit weiß niemand, wie genau sich die Rechtesituation nach dem Brexit ändern wird. Denn das Gesetz wird nicht nur die Neueinreise regeln, sondern auch die Situation der im Land lebenden Ausländer verändern. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor.

     

    Unternehmen, die auf EU-Bürger angewiesen sind und nicht gleich ihren Hauptsitz in ein EU-Land verlegen, versuchen häufig ihren Beschäftigten zu helfen. Sie stellen ihnen Android-Handys für den Antrag des Aufenthaltstitels zur Verfügung, vermitteln Kontakt zu Anwälten mit Schwerpunkt Immigrationsrecht und versuchen, zu beruhigen. Doch die Nervosität unter den EU-Bürgern ist groß. Schließlich äußert sich die Ablehnung nicht nur auf der Ebene der Gesetze, sondern auch oft ganz persönlich. Personal in Arztpraxen und Kliniken wird angepöbelt, wenn es nicht auf den ersten Blick als urbritisch zu erkennen ist, Patienten lehnen eine Behandlung durch EU-Bürger ab. Kinder von EU-Bürgern werden in der Schule ausgegrenzt.

     

    Natürlich sind nicht alle so. Es gibt weiterhin viele Landstriche, in denen sich EU-Bürger sicher fühlen. Und viele Briten sind höchst unglücklich mit der Entwicklung, die ihr Land nimmt. Durch die politische Sackgasse liegen im tief gespaltenen Land bei allen die Nerven blank. Wie sich diese neue Situation in Sachen EU-Bürgerrechten auf das Nationale Gesundheitssystem auswirkt, erläutert ein Folgebeitrag in PP.

    Quelle: Ausgabe 07 / 2019 | Seite 19 | ID 45984227