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  • · Fachbeitrag · Mietspiegel

    Ortsübliche Vergleichsmiete im Prozess bestimmen

    von VRinLG Astrid Siegmund, Berlin

    | Es entspricht der herrschenden Rechtspraxis, dass die ortsübliche Vergleichsmiete in Mieterhöhungsverfahren nach §§ 558 ff. BGB (oder im Rahmen des § 556d Abs. 1 BGB) möglichst unter Verwendung ordnungsgemäß aufgestellter Mietspiegel bestimmt wird. Mietspiegel sind keine Beweismittel i. S. d. ZPO, dürfen aber ‒ so der BGH in st. Rspr. ‒ im Prozess der richterlichen Überzeugungsbildung von der Höhe der ortsüblichen Einzelvergleichsmiete zugrunde gelegt werden (§ 286 ZPO). Erstellung und Anwendung von Mietspiegeln liegen im Interesse der Parteien, denn die Alternative ‒ ein Sachverständigengutachten ‒ steht hinsichtlich der Kosten i. d. R. außer Verhältnis zum Erhöhungsbetrag. Der BGH mag ‒ so seine Selbstwahrnehmung ‒ alles gesagt haben, was zur Anwendung von Mietspiegeln zu sagen war. Und auch wenn die überwiegende Zahl der Vermieter Mietspiegel nutzt und schätzt: Es kommt immer wieder vor, dass sich Vermieter von einem Gutachten einen höheren „Ertrag“ versprechen. Der BGH hat nun einen Fall „abgearbeitet“, in dem der Sachverständige die ortsübliche Vergleichsmiete auf Grundlage eines Mietspiegels ermittelt, das Ergebnis durch Vergleichswohnungen aber nur plausibilisiert hat. |

     

    Sachverhalt

    Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung in Anspruch. Der Beklagte ist seit 2002 Mieter einer 71 qm großen Wohnung der Klägerin in Köln. Die Nettokaltmiete betrug seit dem 1.8.05 monatlich 769,49 EUR. Mit Schreiben vom 31.1.18 verlangte die Klägerin vom Beklagten, einer Erhöhung der Nettokaltmiete auf 861,23 EUR mit Wirkung ab dem 1.4.18 zuzustimmen. Der Beklagte erteilte die Zustimmung nicht, die Klägerin hat deshalb Klage erhoben. Das AG hat ein Sachverständigengutachten zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete eingeholt. Der Sachverständige hat sich auf den einfachen Mietspiegel der Stadt Köln gestützt und zur Plausibilisierung zehn Vergleichswohnungen herangezogen. Das AG hat den Beklagten auf der Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen verurteilt, einer Erhöhung der Nettokaltmiete auf 787,39 EUR zuzustimmen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Berufung der Klägerin vor dem LG hatte keinen Erfolg. Der BGH hat die (zugelassene) Revision der Klägerin nach Hinweis zurückgewiesen (BGH 25.10.22 und 24.1.23, VIII ZR 223/21, Abruf-Nr. 234546 und 233936).

     

    Entscheidungsgründe

    Der BGH stellt gleich zu Beginn seines Hinweises klar: Die grundsätzlichen Fragen zu dem Maßstab, nach dem die ortsübliche Vergleichsmiete nach § 558 Abs. 1 BGB im Prozess zu bestimmen ist, sind höchstrichterlich geklärt. Bedenken gegen die Überzeugungsbildung des Tatrichters auf der Grundlage der durch einen Sachverständigen vorgenommenen Einordnung einer Wohnung in einen (einfachen) Mietspiegel ergäben sich danach nicht. Ob bzw. inwiefern das Vorliegen eines einfachen Mietspiegels und die Einordnung einer Wohnung in diesen durch einen Sachverständigen unter Plausibilisierung durch Vergleichswohnungen im konkreten Fall ausreiche, um dem Gericht im Rahmen seiner freien Überzeugungsbildung (§ 286 ZPO) Feststellungen zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete zu ermöglichen, sei nicht allgemein und abstrakt zu klären. Das hänge vielmehr von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, etwa von der Qualität und Aussagekraft des Mietspiegels und der sachverständigen Feststellungen.

     

    Beachten Sie | Die Besonderheit des Falls besteht darin, dass der Sachverständige den „einfachen“ Mietspiegel der Stadt Köln anwendet und sich in seinem Gutachten letztlich darauf beschränkt, das danach ermittelte Ergebnis durch Vergleichswohnungen zu plausibilisieren. Das ist irgendwie ehrlich. Schon das BVerfG hat vor mehr als 30 Jahren in seiner Entscheidung zur (nicht bestehenden) Verpflichtung der Gerichte, ein Sachverständigengutachten zur Ortsüblichkeit der geforderten Miete einzuholen, festgestellt, dass ordnungsgemäß aufgestellte Mietspiegel in der Regel auf einer erheblich breiteren Tatsachenbasis beruhen, als ein gerichtlich bestellter Sachverständiger sie mit einem Kosten- und Zeitaufwand ermitteln könnte, der zum Streitwert des gerichtlichen Verfahrens in einem angemessenen Verhältnis steht (BVerfG 3.4.90, 1 BvR 268/90). Diese Situation stellt sich heute ‒ für Sachverständige und ihre Datenbasis ‒ keinesfalls günstiger dar. Der BGH verweist auf seine ständige Rechtsprechung, wonach die ortsübliche (Einzel-)Vergleichsmiete für die jeweilige Wohnung im Prozess nur auf der Grundlage von Erkenntnisquellen bestimmt werden darf, die die tatsächlich und üblicherweise gezahlten Mieten für vergleichbare Wohnungen in einer für die freie tatrichterliche Überzeugungsbildung (§ 286 ZPO) hinreichenden Weise ermittelt haben (zuletzt: BGH 26.5.21, VIII ZR 93/20; 28.4.21, VIII ZR 22/20; 18.11.20, VIII ZR 123/20).

     

    Hätten die Vorinstanzen dies zutreffend zugrunde gelegt, hätten sie im Rahmen ihrer freien Überzeugungsbildung zur materiellen Berechtigung des Mieterhöhungsverlangens die Einzelvergleichsmiete auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens unter Heranziehung des Kölner Mietspiegels in einer zweistufigen Prüfung ‒ Feststellung der einschlägigen Mietspanne nach dem Kölner Mietspiegel und anschließende Spanneneinordnung der streitgegenständlichen Wohnung ‒ ermittelt und dieses Ergebnis mittels der Vergleichsmietenauswertung des Sachverständigen plausibilisiert.

     

    Beachten Sie | Die ortsübliche Vergleichsmiete kann durch einen Sachverständigen aufgrund unterschiedlicher wissenschaftlicher Bewertungsmethoden ermittelt werden. Die Wahl einer bestimmten Bewertungsmethode ist dem ‒ sachverständig beratenen ‒ Tatrichter vorbehalten, seine Entscheidung nur eingeschränkt überprüfbar, etwa darauf, ob sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Hier waren beide Methoden anerkannt, geeignet und gebräuchlich; ihre Kombination führt nicht zur Fehlerhaftigkeit des Ergebnisses.

     

    Dann setzt der BGH sich mit der Argumentation der Klägerin auseinander, dass das LG den Kölner Mietspiegel nicht (mehr?) anwenden durfte, weil das AG zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte. Er stellt (erneut) klar: Sachverständigengutachten und Mietspiegel schließen sich nicht aus. Es bleibe dabei, dass ein sog. einfacher Mietspiegel nach § 558c BGB ‒ wie hier der Kölner Mietspiegel ‒ im Mieterhöhungsprozess eine taugliche Erkenntnisquelle bei der richterlichen Überzeugungsbildung sein könne (BGH 16.6.10, VIII ZR 99/09).

     

    MERKE | Ein Mietspiegel nach § 558c BGB stellt ein Indiz dafür dar, dass die dort angegebenen Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete zutreffend wiedergeben. Die Reichweite der Indizwirkung hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, vor allem von der Qualität des Mietspiegels (st. Rspr.: BGH 28.4.21, VIII ZR 22/20). Der BGH bejaht die Indizwirkung auch, wenn der „einfache“ Mietspiegel nicht von der Gemeinde, sondern gemeinsam von Interessenvertretern der Mieter und der Vermieter erstellt wurde. Denn es sei fernliegend, anzunehmen, die Interessenvertreter würden einen Mietspiegel erstellen oder billigen, der den Interessen ihrer jeweiligen Mitglieder widerspreche, weil er die ortsübliche Vergleichsmiete, die tatsächlichen Verhältnisse ignorierend, unzutreffend abbildet.

     

    Im Rahmen der Reichweite seiner Indizwirkung eröffnet (auch) der (einfache) Mietspiegel dem Tatrichter die Möglichkeit, die volle richterliche Überzeugung über die ortsübliche Vergleichsmiete zu bilden; ein Mietspiegel nach § 558c BGB stellt nicht nur eine Schätzgrundlage nach § 287 Abs. 2 ZPO dar. Er ist eine vollwertige Erkenntnisquelle für die tatrichterliche Überzeugungsbildung (§ 286 ZPO). Der Tatrichter ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, diese auf die Indizwirkung des einfachen Mietspiegels zu stützen und vom Einholen eines von der beweisbelasteten Partei beantragten Sachverständigengutachtens zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete abzusehen.

     

    Der Beweiswert des einfachen Mietspiegels und seine Eignung als Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung ändert sich nicht dadurch, dass das Gericht einen Sachverständigen beauftragt und auch dieser die Mietspannen des Mietspiegels bei seiner Begutachtung heranzieht. Zwar biete das Sachverständigengutachten in diesem Fall für die ortsüblichen Mietspannen keine über den Mietspiegel hinausgehende zusätzliche Erkenntnisquelle. Das bedeute aber nicht, dass ein ergänzendes Gutachten eingeholt werden müsse. Der Richter müsse vielmehr ‒ wie auch sonst ‒ (nur) prüfen, ob der Mietspiegel eine hinreichende Beurteilungsgrundlage für seine Überzeugungsbildung darstellt. Ist das der Fall, kann dieser ‒ wie im Streitfall geschehen ‒ hinsichtlich der dort aufgeführten Mietspannen zugrunde gelegt werden.

     

    Der Sachverständige habe sich durch die Nutzung des Mietspiegels auch kein tatrichterliches Ermessen angemaßt: Ob der jeweilige Mietspiegel eine hinreichende Beurteilungsgrundlage für das Bemessen der Spannen der ortsüblichen Vergleichsmieten biete und damit insoweit für die richterliche Überzeugungsbildung ausreichend ist oder nicht, entscheide das Gericht. Eine ergänzende oder erneute Begutachtung zur Bestimmung der einschlägigen Mietspanne wäre ‒ so der BGH ‒ nur erforderlich gewesen, wenn dem Kölner Mietspiegel keine hinreichende Indizwirkung zukäme und er somit für die tatrichterliche Überzeugungsbildung nicht ausreichend gewesen wäre.

     

    Wird die Qualität des Mietspiegels angegriffen, muss das Gericht sich mit den Beanstandungen auseinandersetzen. Das war hier geschehen. Das LG hat insbesondere zutreffend darauf abgestellt, dass die Beteiligung der örtlichen Interessenvertreter von Mieter- und Vermieterseite in einer Projektgruppe sowie die Anerkennung der gefundenen Ergebnisse nach der Lebenserfahrung dafür sprechen würden, dass der Mietspiegel der Stadt Köln die örtliche Mietsituation nicht nur einseitig, sondern objektiv zutreffend abbildet. Konkrete Einwendungen gegen diese Feststellungen erhebt die Revision nicht.

     

    MERKE | Beanstandungen eines Mietspiegels beziehen sich häufig auf Qualitätsanforderungen, die nur für qualifizierte Mietspiegel (§ 558d BGB) gelten (Beispiel: Repräsentativität der Daten). Die Anforderungen an einen Mietspiegel nach § 558c BGB sind anders und auch nach neuem Recht nicht hoch: Für einen einfachen Mietspiegel reicht es aus, dass er als Übersicht über die ortsübliche Vergleichsmiete von der nach Landesrecht zuständigen Behörde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter gemeinsam erstellt oder anerkannt worden ist. Wie bisher ist die Erstellung und Anpassung eines einfachen Mietspiegels an kein Verfahren gebunden, § 3 MsV. Vorgeschrieben ist für einfache Mietspiegel, die nach neuem Recht zu erstellen sind, inzwischen nur, dass Erstellen und Anpassen und die dafür verwendeten tatsächlichen Grundlagen in Grundzügen im Mietspiegel oder in einer gesonderten Dokumentation anzuzeigen und zu erläutern sind, § 4 MsV. Nach § 5 MsV sind der einfache Mietspiegel und seine Dokumentation zudem kostenfrei im Internet zu veröffentlichen.

     

    Bei einem Mietspiegel, der wie der Kölner Spannen ausweist, ist die Einzelvergleichsmiete durch eine Spanneneinordnung der Wohnung im Wege der richterlichen Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO vorzunehmen; es kann aber auch ‒ wie hier ‒ ein Gutachten dazu eingeholt werden. Dem Sachverständigen wird in einem solchen Fall der Einordnung der streitgegenständlichen Wohnung in die zuvor ermittelte Spanne ortsüblicher Vergleichsmieten auch nicht ein dem Gericht vorbehaltenes Schätzungsermessen i. S. d. § 287 Abs. 1, 2 ZPO eingeräumt. Er bestimmt vielmehr aufgrund seiner Fachkunde die typischen und besonderen Wohnwertmerkmale der konkreten Wohnung, vgl. § 558 Abs. 2 BGB und gelangt ‒ so im Streitfall ‒ durch Zu- und Abschläge auf den Mittelwert der zuvor ermittelten Spanne zu einem konkreten Ergebnis. Die Heranziehung von (nur) zehn Vergleichswohnungen stellte keine zu geringe, nicht hinreichend belastbare Tatsachengrundlage dar, denn dies geschah nur ergänzend zur Plausibilitätskontrolle, ohne zwingend erforderlich zu sein.

     

    Relevanz für die Praxis

    Der BGH bestätigt erneut, dass die Gerichte berechtigt sind, die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete im Prozess unter Heranziehen eines (ordnungsgemäß aufgestellten) Mietspiegels festzustellen; verpflichtet sind sie dazu nicht. Das gilt genauso für das Einholen eines Sachverständigengutachtens. Die Entscheidung liegt im pflichtgemäß auszuübenden Ermessen des Richters, wobei der BGH ‒ wie schon in einer vorangegangenen Entscheidung (25.5.21, VIII ZR 93/20) ‒ Kosten-Nutzen (Erkenntniswert-)Gesichtspunkte anspricht.

     

    Angriffe gegen Mietspiegel übersehen oft, dass sie ggf. eine Bewertung als qualifizierter Mietspiegel infrage stellen können, nicht aber die Indizwirkung als einfacher Mietspiegel. Ein Mietspiegel, der qualifiziert sein soll, es aber nicht ist, kann also ohne Weiteres den Anforderungen des § 558c BGB genügen und als einfacher Mietspiegel auch im Prozess herangezogen werden. Die am 1.7.22 in Kraft getretene Mietspiegelverordnung regelt das in § 6 Abs. 2 S. 2 MsV: Soweit Mietspiegel die Anforderungen für die Erstellung qualifizierter Mietspiegel (§§ 7 bis 21 MsV) nicht erfüllen, sind sie einfache Mietspiegel. Ob § 558d BGB n. F. und die aufgrund der Ermächtigung in § 558c BGB erlassene Mietspiegelverordnung künftig Streit um Mietspiegel im Prozess vermeiden, ist abzuwarten. Mit Blick auf die Erstellungspflicht für Gemeinden ab 50.000 Einwohnern (§ 558c Abs. 4 S. 2 BGB) bleibt es in jedem Fall spannend.

    Quelle: Ausgabe 07 / 2023 | Seite 127 | ID 49533246