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  • · Fachbeitrag · Revision

    Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung unterliegt hohen Hürden

    | Der Mieter wird erstinstanzlich zur Räumung verurteilt. In der Berufung soll PKH für die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde und die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragt werden. Was muss der Anwalt hierbei beachten? Der Fall ist alltäglich, enthält aber prozessuale Einzelprobleme, die jeder Anwalt kennen sollte. Denn: Der Wohnraumsenat des BGH gibt wichtige Hinweise für die Prozessführung. |

    Sachverhalt

    Das AG hat die Beklagte gem. § 985 BGB vorläufig vollstreckbar zur Räumung und Herausgabe des von ihr bewohnten Hauses der Klägerin verurteilt. Grund: Der Beklagten sei es nicht gelungen, ihre ‒ schon nicht substanziiert vorgetragene ‒ Behauptung zu beweisen, sie sei zum Besitz der Wohnräume berechtigt (§ 986 Abs. 1 S. 1 BGB), weil sie 2010 mit ihrer Mutter, der früheren Eigentümerin des Hauses, einen Mietvertrag über 50 Jahre geschlossen und die Miete von 80.000 EUR für die gesamte Mietzeit im Voraus bar bezahlt habe.

     

    Die Berufung der Beklagten wird nach § 522 Abs. 1 S. 1 ZPO zurückgewiesen. Ihre durch den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde sowie ihre Anträge auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung, Bewilligung von PKH und Bestellung eines Notanwalts scheitern vor dem BGH (26.9.18, VIII ZR 290/18, Abruf-Nr. 205024).

    Relevanz für die Praxis

    Nach § 719 Abs. 2 ZPO, der gemäß § 544 Abs. 5 S. 2 für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde entsprechend anzuwenden ist, ordnet das Revisionsgericht auf Antrag an, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Die Parteien haben die tatsächlichen Voraussetzungen glaubhaft zu machen. Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung setzt einen zulässigen und begründeten Antrag voraus.

     

    Zulässigkeit des Antrags auf einstweilige Einstellung

    Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. § 544 Abs. 5 S. 2, § 719 Abs. 2 ZPO ist unzulässig. Grund: Die Normen setzen ein Revisions- bzw. Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren voraus, in dem sich die Parteien durch Rechtsanwälte vertreten lassen müssen, die beim BGH zugelassen sind. Hieran fehlt es. Die Beklagte wird entgegen § 78 Abs. 1 S. 3 ZPO nicht von einem beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt vertreten.

     

    Beachten Sie | Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Partei für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat (vgl. BGH WuM 04, 2370). Zwar können PKH-Anträge und -Erklärungen gemäß §§ 117 Abs. 1 S. 1 Hs. 2, 118 Abs. 1 S. 1 ZPO vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommen werden. Sie unterliegen daher gemäß § 78 Abs. 3 ZPO nicht dem Anwaltszwang. Der BGH hält aber entgegen Bedenken des Schrifttums (Zöller/Althammer, ZPO, 32. Aufl., § 78 Rn. 28; Vollkommer, MDR 12, 1432) daran fest, dass § 78 Abs. 3 ZPO über das Prozesskostenhilfeverfahren hinaus nicht auch den Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung umfasst. Das heißt: Ein Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung, der gemäß § 719 Abs. 2 ZPO an den BGH gerichtet wird, unterliegt dem Anwaltszwang. Das gilt auch dann, wenn die Antragstellung nicht in einem bereits anhängigen Revisionsverfahren, sondern ‒ wie hier ‒ gemäß § 544 Abs. 5 S. 2 ZPO in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erfolgt.

     

    Beachten Sie | Nach § 544 Abs. 5 S. 2 ZPO ist eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 719 Abs. 2 ZPO durch den BGH möglich, wenn der Schuldner gegen die Nichtzulassung der Revision in dem zugrunde liegenden Urteil Beschwerde nach § 544 Abs. 1 S. 1 ZPO eingelegt hat. Bereits nach dem Wortlaut ist zweifelhaft, ob eine Einstellung der Zwangsvollstreckung für eine ‒ wie hier ‒ von einem beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt noch einzulegende Nichtzulassungsbeschwerde in Betracht kommt (dagegen BGH BeckRS 01, 2363; MüKo/Krüger, ZPO, § 719 Rn. 3; Zöller/Herget, ZPO, 32. Aufl., § 719 Rn. 5), wofür jedoch der Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes sprechen könnte.

     

    Der BGH konnte dies offenlassen, weil der Einstellungsantrag jedenfalls nicht begründet war.

     

    Begründetheit des Einstellungsantrags

    Die Zwangsvollstreckung kann unter den weiteren Voraussetzungen des § 719 Abs. 2 ZPO einstweilen eingestellt werden, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.

     

    Beachten Sie | Nachteile sind dann nicht unersetzlich, wenn der Schuldner sie selbst vermeiden kann. Deswegen kann er sich nach der ständigen Rechtsprechung des BGH nur darauf berufen, die Zwangsvollstreckung bringe ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil, wenn er in der Berufungsinstanz einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO gestellt hat.

     

    Hat der Schuldner dies versäumt, kommt eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 2 ZPO nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn es dem Schuldner im Berufungsverfahren aus besonderen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar war, einen Vollstreckungsschutzantrag zu stellen. Das muss er substanziieren und glaubhaft machen.

     

    Beachten Sie | Ob auch ein in erster Instanz versäumter Antrag nach § 712 ZPO in der Berufungsinstanz einen Antrag nach §§ 719 Abs. 1, 707 ZPO ausschließt, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung streitig (dafür z. B. OLG Düsseldorf 24.6.14, I-10 U 80/14 n. v. und 6.10.2011, I-10 U 136/11 n. v.; dagegen z. B. OLG Frankfurt a. M. NJOZ 17, 1726).

     

    Erfolgsaussicht der Nichtzulassungsbeschwerde

    Der Einstellungsantrag muss zudem scheitern, wenn das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg hat. Das setzt in einem Fall wie hier voraus, dass die (beabsichtigte) Nichtzulassungsbeschwerde zulässig und begründet ist.

     

    Nach der aktuell bis 31.12.19 befristeten Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht ‒ den Fall des § 522 Abs. 1 ZPO ausgenommen ‒ nur zulässig, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 EUR übersteigt. Hieran fehlt es im Streitfall.

     

    Streiten die Parteien über das Bestehen eines Mietverhältnisses, dessen Dauer unbestimmt ist, gilt für den Wert der Beschwer nach ständiger Rechtsprechung der Mietsenate der dreieinhalbfache Jahresbetrag der Nettomiete (§§ 8, 9 ZPO).

     

    Aus Sicht des BGH sprechen ungeachtet der behaupteten Dauer von 50 Jahren zwei Gründe für ein Mietverhältnis von unbestimmter Dauer:

     

    • Von einem befristeten Wohnraummietverhältnis wäre nur auszugehen, wenn ein für den wirksamen Abschluss eines zeitlich befristeten Mietverhältnisses (Zeitmietvertrag) erforderlicher Befristungsgrund nach § 575 Abs. 1 S. 1 BGB vorliegen würde. Das setzt entweder entsprechende Feststellungen des Berufungsgerichts oder einen entsprechenden Vortrag der Beschwerdeführerin voraus. Hieran fehlt es. Damit gilt das Mietverhältnis gemäß § 575 Abs. 1 S. 2 BGB als auf unbestimmte Zeit geschlossen.

     

    • Argument 2 folgt aus § 550 BGB. Die Beklagte hatte eine handschriftliche Quittung vom 10.10.10 über den angeblichen Erhalt von 80.000 EUR als Mietvorauszahlung vorgelegt. Dass diese nicht den Anforderungen eines schriftlichen Mietvertrags genügt, hatten bereits die Instanzgerichte zutreffend festgestellt. Nach § 550 S. 1 BGB war das Mietverhältnis damit auf unbestimmte Zeit geschlossen.

     

    Ausgehend von einer behaupteten Gesamtmiete von 80.000 EUR beträgt die jährliche Nettomiete 1.600 EUR. Multipliziert mit 3,5 errechnet sich eine Beschwer von 5.600 EUR. Damit war die Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig.

     

    Legt man stattdessen nach dem Vortrag der Beklagten ein auf 50 Jahre befristetes Mietverhältnis zugrunde, beträgt der Wert der Beschwer nach § 9 S. 1 ZPO ebenfalls nur 5.600 EUR.

     

    Last, not least war die Nichtzulassungsbeschwerde auch deshalb unbegründet, da ein Grund für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO) weder von der Beklagten aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich ist und der angegriffene Beschluss des Berufungsgerichts ‒ wie der BGH feststellt ‒ der Rechtslage entspricht.

    Quelle: Ausgabe 04 / 2019 | Seite 67 | ID 45685327