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  • · Fachbeitrag · Prozessrecht

    Zustellungen nach Erlöschen der Prozessvollmacht

    von VRinLG Astrid Siegmund, Berlin

    | Wird im Prozess das Mandatsverhältnis zwischen Partei und Prozessbevollmächtigtem gekündigt, ergeben sich für das Gericht und den bisherigen und ggf. neuen Prozessbevollmächtigten Unsicherheiten. Sie resultieren letztlich aus dem etwas kryptischen Wortlaut des § 87 ZPO (Erlöschen der Vollmacht) und seinem Zusammenspiel mit § 172 ZPO (Zustellung an Prozessbevollmächtigte). Unter welchen Voraussetzungen Zustellungen an die Partei den Lauf von Fristen auslösen, hat der BGH nun in einem Verfahren entschieden, dem eine Verurteilung der Mieterin zur Räumung zugrunde lag. |

     

    Sachverhalt

    Die Klägerin nimmt die Beklagte nach einer Kündigung wegen Zahlungsverzugs auf Räumung und Herausgabe eines gemieteten Reihenhauses in Anspruch. Vor dem AG wurde die Beklagte zunächst durch Rechtsanwalt L. vertreten. Zwei Tage vor dem auf den 21.10.21 anberaumten Verkündungstermin ging beim AG per Telefax ein maschinenschriftlich von der Beklagten verfasstes, an die Kanzlei des Prozessbevollmächtigten adressiertes, auf den 4.10.21 datiertes Schreiben ein, auf dem handschriftlich das Aktenzeichen des Verfahrens vor dem AG notiert war. Das Schreiben, das der Geschäftsstelle des AG am 20.10.2021 vorlag, lautet wie folgt:

     

    • Im Wortlaut: das Schreiben der Beklagten

    Kündigung

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    hiermit kündige ich meinen Vertrag sofort, ersatzweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Bitte senden Sie mir eine schriftliche Kündigungsbestätigung unter Angabe des Beendigungszeitpunktes zu. Eine Kontaktaufnahme zum Zweck der Rückwerbung ist nicht erwünscht. Ich bitte Sie höflich, davon abzusehen.

     

    Ebenfalls am 20.10.21 ging ein Schriftsatz des Rechtsanwalts L. beim AG ein, in dem dieser mitteilte, dass die Beklagte mit Schreiben vom 4.10.21, bei ihm am 19.10.21 per Telefax eingegangen, das Mandat gekündigt habe und daher von ihm nicht mehr vertreten werde. Zugleich bat er darum, die Zustellung des Urteils sowie weitere Zustellungen direkt an die Beklagte vorzunehmen. Der Schriftsatz gelangte am 21.10.21 um 11.30 Uhr zur Geschäftsstelle des AG. Bereits zuvor, um 11 Uhr, wurde das Urteil verkündet, das der Klage in vollem Umfang stattgab.

     

    Am 22.10.21 veranlasste die Geschäftsstelle die Zustellung der Urteilsabschrift an die Beklagte persönlich. Die Zustellung erfolgte am 23.10.21. Mit am 24.11.21 (Mittwoch) beim LG eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte, nun vertreten durch Rechtsanwalt K., Berufung gegen das Urteil eingelegt. Sie hält die Berufung nicht für verfristet, weil die Zustellung des Urteils an sie gegen § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO verstieße und daher den Lauf der Berufungseinlegungsfrist nicht habe auslösen können. Trotz der Kündigung des Mandats sei die Rechtsanwalt L. erteilte Prozessvollmacht nicht erloschen gewesen.

     

    Das LG hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg (BGH 8.11.22, VIII ZB 21/22, Abruf-Nr. 234518).

     

    Entscheidungsgründe

    Der BGH teilt im Ergebnis die Auffassung des LG: Die Zustellung der Entscheidung durfte (auch) an die Beklagte persönlich bewirkt werden. In einem anhängigen Verfahren muss die Zustellung nach § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO ‒ ausschließlich ‒ an den für den (jeweiligen) Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten erfolgen (st. Rspr.: BGH NJW-RR 11, 417). Zustellungen an die Partei selbst, die gegen die o. g. Bestimmung verstoßen, sind unwirksam und setzen Fristen nicht in Lauf (BVerfG NJW 17, 318).

     

    Die Notwendigkeit einer Zustellung an den Prozessbevollmächtigten endet im Parteiprozess jedoch mit der Anzeige des Erlöschens der Prozessvollmacht gegenüber dem Gericht, § 87 Abs. 1 Alt. 1 ZPO. Die Vorschrift gilt im Rahmen des § 172 ZPO auch, wenn es nur noch um die Zustellung eines den Rechtszug abschließenden Urteils geht (BGH 18.6.20, I ZB 83/19, Abruf-Nr. 217266).

     

    Aus dem Umstand, dass Zustellungen ab diesem Zeitpunkt nach § 172 ZPO nicht mehr an den (bisherigen) Prozessbevollmächtigten bewirkt werden müssen, folgt jedoch ‒ anders als das LG annahm ‒ nicht, dass sie nun nur noch an die Partei persönlich vorgenommen werden dürften und eine an den empfangsbereiten und gemäß § 87 Abs. 2 ZPO vertretungsberechtigten Anwalt vorgenommene Zustellung unwirksam wäre.

     

    Beachten Sie | Nach § 87 Abs. 2 ZPO wird der Bevollmächtigte durch seine Kündigung nicht gehindert, für den Vollmachtgeber so lange zu handeln, bis dieser für die Wahrnehmung seiner Rechte in anderer Weise gesorgt hat. Das wird daraus geschlossen, dass § 87 Abs. 1 Alt. ZPO besagt, dass die Kündigung des Vollmachtvertrags dem Gegner gegenüber erst durch die Anzeige des Erlöschens der Vollmacht rechtliche Wirkung erlangt.

     

    PRAXISTIPP | Der BGH geht im Folgenden der Frage nach, auf welches beim AG eingegangene Schreiben insoweit abzustellen ist: Eine Anzeige i. S. d. § 87 Abs. 1 Alt. 1 ZPO sieht der BGH nicht schon in dem beim AG noch vor der Urteilsverkündung mit „Kündigung“ bezeichneten Schreiben der Beklagten. Die Anzeige des Erlöschens der Vollmacht bedürfe zwar keiner besonderen Form, muss aber ‒ weil das Prozessrecht klare Verhältnisse verlangt ‒ eindeutig sein. An dieser Eindeutigkeit fehlte es hier, weil sich weder aus dem Schreiben selbst noch den Umständen seiner Übermittlung hinreichend sicher ableiten ließ, dass die Übersendung an das AG mit einem Anzeigewillen der Beklagten erfolgte und nicht auf einem Versehen beruhte. Das Schreiben war an die Kanzlei des Rechtsanwalts L. adressiert und enthielt allein an ihn gerichtete Erklärungen. Eine für das AG bestimmte Erklärung war ihm nicht beigefügt. Die handschriftliche Angabe des gerichtlichen Aktenzeichens könne auch nur den Zweck gehabt haben, Rechtsanwalt L. die Zuordnung des Schreibens zu erleichtern.

     

    Anders verhielt es sich mit dem Schreiben des Rechtsanwalts L. Diesem lässt sich klar entnehmen, dass die Beklagte mit einer am Vortag bei ihm eingegangenen schriftlichen Erklärung das Mandatsverhältnis gekündigt hat und deshalb von seiner Kanzlei nicht weiter vertreten werde. Zugleich hat er um die ‒ im gegebenen Prozessstadium allein noch im Raum stehende ‒ Zustellung des erstinstanzlichen Urteils, dessen Verkündung für den nächsten Tag anberaumt war, an die Beklagte persönlich gebeten.

     

    Der mit der Urteilszustellung befassten Geschäftsstelle des AG war diese Mitteilung bekannt. Maßgeblich war insoweit nicht der Zeitpunkt der Urteilsverkündung, sondern der der Veranlassung der Zustellung, der sich aus dem sogenannten Ab-Vermerk der Geschäftsstelle ergibt. Der anwaltliche Schriftsatz hatte der Geschäftsstelle bereits am Vortag vorgelegen.

     

    Beachten Sie | Die im Schreiben vom 4.10.21 enthaltene Kündigungserklärung hatte auch nicht etwa nur das Mandatsverhältnis beendet (§ 627 Abs. 1 BGB) und die Prozessvollmacht materiell-rechtlich mit der Folge der prozessualen Wirkungslosigkeit fortbestehen lassen. Die Beendigung des Grundverhältnisses führt materiell-rechtlich ‒ im Innenverhältnis der Vertragsparteien ‒ im Zweifel auch zum Erlöschen der Vollmacht (§ 168 S. 1 BGB). Im Regelfall sei, so der BGH, auch nicht von der Erteilung einer „isolierten Vollmacht“ auszugehen. Wollte die Beklagte die Rechtswirkungen der Kündigung einschränken, bedurfte es einer entsprechenden Erklärung der Beklagten, die hier nicht vorlag.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Konstellation ist ‒ gerade in Wohnraummietsachen ‒ durchaus alltäglich und kann auch auf eine Säumnissituation mit nachfolgender Zustellung eines Versäumnisurteils übertragen werden. Die in vielen Einzelfragen von denen des LG abweichenden Feststellungen des BGH zeigen die Unsicherheit im Umgang mit diesen Fällen. Der Anwalt, dessen Mandatsverhältnis durch Kündigung ‒ sei es durch ihn oder den Mandanten ‒ beendet wurde, sollte für klare Verhältnisse gegenüber dem Gericht sorgen. Der das Mandat übernehmende Anwalt begibt sich „in Teufels Küche“, wenn er aufgrund zögerlichen Verhaltens der Partei (ab-)laufende Fristen gar nicht mehr einhalten kann.

    Quelle: Ausgabe 05 / 2023 | Seite 86 | ID 49317251