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  • 20.01.2011 | Der besondere Fall

    Rollstuhlschienen und Verkehrssicherheit

    Barrierefreiheit und Verkehrssicherungspflicht können leicht in Konflikt geraten. Dabei verstellen die unterschiedlichen Positionen der Beteiligten oft die Sicht auf naheliegende Lösungen, wie ein Fall des AG München zeigt (25.11.10, 453 C 27330/10, Abruf-Nr. 110175).  

     

    Der Fall des AG München (25.11.10, 453 C 27330/10, Abruf-Nr. 110175)

    Zu dem Eingang eines Mehrparteienhauses führen zwei Stufen hinauf, die mit einem herkömmlichen Rollstuhl nicht zu überwinden sind. Eine Auffahrtsrampe gibt es nicht. Mieterin M des Hauses ist auf den Rollstuhl angewiesen. Sie besorgt sich in den Baumarkt zwei mobile Schienen aus Aluminium, die lang genug sind, dass sie als Auffahrtsschienen über die Stufen gelegt werden können und die Auffahrt zum Hauseingang ermöglichen. Das geht so lange gut, wie sich hilfsbereite Nachbarn finden, die die Schienen immer, wenn die M es benötigt, hinlegen und anschließend entfernen. Als dies nicht mehr funktioniert, was auch damit zu tun haben könnte, dass die M öfter erst spät in der Nacht heimkommt, bleiben die Schienen einfach liegen.  

     

    Nachdem der Geschäftsführer G der WEG zufällig gerade noch einen Sturz eines anderen Mieters über die Schienen verhindern kann, wird die WEG tätig und erwirkt eine einstweilige Verfügung gegen die M, mit der ihr verboten wird, mobile Schienen auf die Aufgangsstufen zum Hauseingang zu legen. Hierbei macht sie geltend, dass die WEG sich einem Konzept der M für eine verkehrssichere Auffahrtsrampe nicht verschlossen hätte, die M aber nicht kooperativ war. Vermieter und WEG hafteten gegenüber Dritten aus Verkehrssicherungspflicht.  

     

    Wie soll die M das Haus verlassen um einzukaufen oder sonstige Erledigungen zu machen? Sie legt gegen die einstweilige Verfügung Widerspruch ein und beantragt, sie aufzuheben.  

     

    In der anschließenden Gerichtsverhandlung können sich die Parteien zwar nicht einigen, die Antragstellerpartei signalisiert aber, dass sie ein Urteil akzeptieren würde, das der M gestattet, fachgerecht fest installierte Auffahrtsschienen, die zudem mit einem Mittelteil versehen sind, anzubringen. So geschieht es. Die mittlerweile über den Fall informierte Presse ist des Lobes voll über die weise Entscheidung, die auf einfache Weise das Problem der M löst.  

    Worauf stützt sich eigentlich das Urteil? § 554a BGB ist nicht einschlägig. Zum einen handelte es sich bei den Auffahrtsrampen im Gegensatz zu einer betonierten Rampe wohl nicht einmal um eine bauliche Maßnahme im Sinne der Vorschrift, zum anderen kann ein Mieter ohne Zustimmung des Vermieters, die er gegebenenfalls einklagen muss, behindertengerechte Einrichtungen nicht durchsetzen.  

     

    Bleibt § 535 BGB, denn die Nutzung der Mietsache, auf die nach dieser Vorschrift der Mieter einen Anspruch hat, umfasst auch die Nutzung der Gemeinschaftsflächen, d.h. auch der Stufen zum Hauseingang. Wie Mütter ihren Kinderwagen und Senioren ihren Rollator abstellen dürfen, kann man annehmen, dass Rollstuhlfahrern die zweckdienliche Nutzung der Gemeinschaftsflächen in irgendeiner Form ermöglicht werden muss.  

    Das Urteil ist rechtskräftig.