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  • · Fachbeitrag · Praxisbewertung

    Kann man noch guten Gewissens Multiplikatorverfahren verwenden?

    von Dipl.-Kfm. Reiner Löbbers, WP StB Rechtsbeistand;externer Berater bei Glawe, Köln

    | Multiplikatorverfahren sind einfach zu handhaben, da man in kurzer Zeit einen groben Anhaltspunkt für den Wert der Praxis erhält. Der Jahresnettoumsatz wird mit einem „branchenüblichen“ Faktor multipliziert, dessen Höhe aus den in der Vergangenheit realisierten Veräußerungspreisen bei Praxisverkäufen abgeleitet wird. Der so errechnete Goodwill wird ergänzt um das materielle Praxisvermögen (Substanzwert oder Vermögensstatus). Der so ermittelte Praxiswert kann aber nie mehr als ein erster Einstieg in konkrete Kaufpreisverhandlungen sein. |

    Der nachhaltig übertragbare Jahresnettoumsatz

    Im ersten Schritt ist der nachhaltige übertragbare Jahresnettoumsatz als Summe der Jahresnettoumsätze aller Mandanten am Bewertungsstichtag zu ermitteln. Der in der BWA bzw. GuV ausgewiesene Jahreshonorarumsatz ist daher ggf. zu korrigieren. Die gebuchten Umsätze der letzten drei bis fünf Jahre geben dafür wichtige Hinweise auf die Nachhaltigkeit und die erwartbare Trendentwicklung der Umsätze.

     

    • Hinweise zur Bereinigung des Jahresumsatzes
    • Einmalige und höchstpersönlich zu erbringende Leistungen sind zu kürzen.

     

    • Bei Bilanzierung bzw. Einnahmen-Überschussrechnung ist die Periodenabgrenzung der erbrachten Leistungen zu beachten. Die Analyse des Forderungsmanagements kann hierbei hilfreich sein.

     

    • Die nicht regelmäßig erbrachten Leistungen können aber mit dem Durchschnitt der letzten drei bis fünf Jahre auch nach den Hinweisen der BStBK zur Praxisbewertung als nachhaltig übernommen werden.

     

    • Honorarminderungen aufgrund von Leistungsänderungen, z. B. bei Wechsel eines gewerblichen Mandats zu einem reinen Einkommensteuermandat und Honorarverluste durch Tod, Insolvenz oder Kündigung, sind ebenfalls zu kürzen.

     

    • Sachbezüge und weiter berechnete Gebühren sind keine Honorare und daher ebenfalls zu eliminieren und ggf. mit den korrespondierenden Aufwendungen zu saldieren.

     

    Eine sinnvolle Gewichtung der einzelnen Umsätze der vergangenen Jahre muss gut begründbar und nachvollziehbar sein.

     

    Multiplikation mit einem „branchenüblichen“ Faktor

    Für die Bewertung wird der nachhaltige, korrigierte Jahresnettohonorarumsatz mit einem „branchenüblichen“ Faktor multipliziert. Dieser soll sich als Verhältniszahl aus Kauf-(Markt-)Preis und Umsatz vergleichbarer Praxen in den letzten Jahren ergeben. Dieser Multiplikator wird von der BStBK, vom Schrifttum und auch von der Rechtsprechung mit einer Bandbreite von 0,8 ‒ 1,4 als „üblich“ angeführt. Die Herleitung dieser Zahl ist mangels statistischer Quellen nicht belegt. Auch sogenannte Kaufpreissammlungen sind nicht bekannt. Angesichts von hunderten jährlich durchgeführter nicht bekannter oder nicht transparenter Transaktionen sind solche Faktoren ‒ wenn überhaupt ‒ nur in Verbindung mit weitergehenden Untersuchungen anzuwenden.

    Individuelle Anpassung des so gefundenen Werts

    Ein innerhalb dieser Bandbreite (oder darunter oder darüber) als Ausgangspunkt angenommener Multiplikator soll je nach den Besonderheiten der Praxis dann innerhalb der Bandbreite individuell angepasst werden, um Chancen und Risiken in die Bewertung einfließen zu lassen, wie z. B.:

     

    • Über- oder unterdurchschnittliche Rendite (vor und nach Unternehmerlohn)
    • Analyse der Mandantenstruktur nach Branche, Alter, Klumpenrisiken u. a.
    • Analyse der Geschäftsprozesse wie Organisation, Auftragsbearbeitung, Forderungsmanagement
    • Analyse der Mitarbeiterstruktur nach Qualifikation, Alter, Fluktuation, Produktivität u. a.

     

    In der Literatur finden sich dazu eine Vielzahl kreativer Darstellungen, die in variantenreichen Rastern, Tabellen und Balanced Scorecards abgebildet werden. „Diese Verfahren bewerten einzelne Merkmale nach einem definierten Punktesystem und ermitteln über eine einfache Verhältnisrechnung mögliche Zu- und Abschläge vom Ausgangsmultiplikator“ (Boerger, M. [2016] Nachfolgeplanung, IDW-Verlag Band 9).

    Kritische Anmerkung

    Nach Wollny liegt der Nachteil des Verfahrens in der pauschalen Bewertung des Unternehmens ohne ausreichende Berücksichtigung der individuellen Unternehmensentwicklung.

     

    Auch der BGH (9.2.11, XII ZR 40/09) wendet sich von der Umsatzmultiplikatormethode ab. Im Urteil hat der BGH ausgeführt: „Eine Bemessung des Werts allein nach dem Umsatz verbietet sich schon deswegen, weil der Umsatz keine sicheren Rückschlüsse auf die Gewinnerwartung und damit auch nicht auf den am Stichtag realisierbaren Wert zulässt“ (Rz. 18 a).

     

    In der Praxis machen es sich viele Kollegen der kleineren Kanzleien einfach, indem sie auf einen irgendwie gefühlten „üblichen“ Multiplikator zugreifen, ohne ausreichende Plausibilitätsüberlegungen anzustellen, wobei die Kostenstruktur immer mit einzubeziehen ist, um die Finanzierbarkeit eines Kaufpreises aus der Kapitaldienstfähigkeit der erworbenen Praxis nachzuweisen.

     

    Die Ausführungen zum Umsatzverfahren geben auch selten oder gar nicht an, welche Bandbreite zugrunde gelegt wird und warum und welcher Wert für die Berechnung des Multiplikators als Bezugsgröße genommen wird. Das größte Problem dabei ist sicherlich, die vielen Gewichtungen in den verschiedenen Tabellen objektiv zu begründen; i. d. R. fehlt dazu auch jegliche Ausführung.

     

    FAZIT | Zu Recht zählt das IDW das Umsatzwertverfahren nicht zu den Bewertungsverfahren, sondern stuft es lediglich als vereinfachtes Preisfindungsverfahren ein. Das Umsatzverfahren unterstellt durch Anwendung des „branchenüblichen“ Multiplikators eine bestimmte „branchenübliche“ Rentabilität und „übliche“ Amortisierbarkeit des Kaufpreises. Das Umsatzverfahren ist daher im Grunde kein eigenständiges Verfahren, sondern ein standardisiertes Ertragswertverfahren.

     

    Die im Schrifttum vorneweg bei der Beschreibung des Umsatzverfahrens behauptete Einfachheit wird aber dann durch die weiteren umfangreichen Ausführungen über die doch notwendige Differenzierung widerlegt. Es zeigt sich dann, dass die notwendige Analyse der Umsatzstrukturen und auch der Erträge einen nicht zu unterschätzenden Aufwand für die Informationsbeschaffung mit sich bringt, der sich in nichts von den Anforderungen bei der Ertragswertmethode unterscheidet.

     
    Quelle: ID 46078273

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