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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuerhinterziehung

    Vorsteuerversagung wegen Hinterziehung auf vorhergehenden Umsatzstufen

    von RD David Roth, LL.M. oec., Köln

    | Der EuGH stellt klar, dass dem Steuerpflichtigen, der Waren oder Dienstleistungen erworben hat, die Gegenstand einer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Lieferkette begangenen USt-Hinterziehung waren, und der dies wusste bzw. hätte wissen müssen, der Vorsteuerabzug zu versagen ist, obwohl er an der Hinterziehung nicht aktiv beteiligt war. |

     

    Sachverhalt

    Für ihren Getränkegroßhandel erwarb die Steuerpflichtige K u. a. Getränke, die ihr Lieferant unter Begehung mehrerer USt-Hinterziehungen bezogen hatte. Nach der Aufdeckung versagte das FA dem Lieferanten sowie der K den Vorsteuerabzug aus diesen Getränkelieferungen. K sei mit ihrem Unternehmen Teil der Lieferkette gewesen, in der die USt-Hinterziehungen begangen worden waren. Dagegen klagte die K beim FG Berlin-Brandenburg. Dieses legte die Sache dem EuGH zur Entscheidung vor (Vorlagebeschluss: PStR 21, 26).

     

    Entscheidungsgründe

    Die MwStSystRL 2006/112/EG (und das darauf gründende deutsche UStG) ist so auszulegen, dass sie einer nationalen Praxis nicht entgegensteht, nach der einem Steuerpflichtigen, der Waren erworben hat, die Gegenstand einer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Lieferkette begangenen USt-Hinterziehung waren, und der davon wusste oder hätte wissen müssen, das Recht auf Vorsteuerabzug versagt wird, obwohl er an dieser Steuerhinterziehung nicht aktiv beteiligt war (14.4.21, C-108/20, „Finanzamt Wilmersdorf“, Abruf-Nr. 224305).

     

    Die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen sei ein Ziel, das von der MwStSystRL gefördert werde. Das Recht auf Vorsteuerabzug sei nicht nur zu versagen, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Hinterziehung begehe. Ein Vorsteuerabzugs sei des Weiteren auch zu versagen, wenn er wusste, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine USt-Hinterziehung einbezogen war. Gleiches gelte, wenn er dies hätte wissen müssen. Dies sei unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige im Rahmen seiner besteuerten Ausgangsumsätze aus dem Weiterverkauf der Gegenstände oder der Verwendung der Dienstleistungen Gewinne erziele.

     

    Der Vorsteuerabzug sei auch ohne aktive Beteiligung an der Steuerhinterziehung oder Verschleierung der Lieferbeziehungen zu versagen. Für eine Beteiligung an einer vorherigen Steuerhinterziehung genüge, dass der Steuerpflichtige Gegenstände oder Dienstleistungen erworben habe, obwohl er in irgendeiner Weise „wusste“, dass er mit dem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Liefer- oder Leistungskette begangene USt-Hinterziehung einbezogen war. Dies gelte auch, wenn er davon „hätte wissen müssen“. Entsprechende Sorgfaltspflichten zu missachten, führe dazu, dass der Vorsteuerabzug versagt werde.

     

    Beachten Sie | Damit besteht die einzige für die Versagung des Vorsteuerabzugs entscheidende (und ausreichende) aktive Handlung im Erwerb der bemakelten Gegenstände oder Dienstleistungen (sofern auch das „hiervon wissen müssen“ vorliegt). Es bedarf daher keines Nachweises dafür, dass der Steuerpflichtige in irgendeiner Form aktiv an der vorangehenden Steuerhinterziehung beteiligt gewesen ist, oder diese aktiv gefördert oder begünstigt hat. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass er seine Lieferbeziehungen und Lieferer nicht verschleiert hat. Das FA muss aber das „wissen“ bzw. „hätte wissen müssen“ nachweisen (EuGH 3.9.20, C-610/19, „Vikingo Fövallalkozo“).

     

    Den Einwand, der Umsatz auf einer vorangehenden Lieferstufe sei vollendet gewesen, sodass die dort verwirklichte Steuerhinterziehung nicht mehr begünstigt oder gefördert werden könne, weist der EuGH als irrelevant zurück. Es reiche allein die Tatsache, dass der Steuerpflichtige Gegenstände oder Dienstleistungen erworben habe, obwohl er wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit dem Erwerb dieser Gegenstände oder Dienstleistungen an einem Umsatz teilnahm, der in eine auf einer vorhergehenden Umsatzstufe begangene Steuerhinterziehung einbezogen war. Dies ist nach Auffassung des EuGH ausreichend, um eine Beteiligung des Steuerpflichtigen an dieser Steuerhinterziehung anzunehmen und ihm das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen. Die „Vollendung“ der vorherigen Steuerhinterziehung ist daher für die „Beteiligung“ im missbrauchsrechtlichen Sinn irrelevant.

     

    Beachten Sie | Eine Vorsteuerversagung kann dabei trotz vollendeter, beendeter und strafrechtlich verjährter Steuerhinterziehungen erfolgen. Offen ist, ob auch versuchte Steuerhinterziehungen auf vorhergehenden Umsatzstufen eine Vorsteuerversagung herbeiführen (dafür Grommes in: Rolletschke/Kemper, Steuerstrafrecht, Loseblatt [Stand 04/2021], § 25f UStG Rn. 22). Wenn schon die Vollendung keine Versagung hindert, dürfte dies erst recht für den Versuch gelten, zumal eine solche, in der Begehung befindliche Hinterziehung durch nachfolgende Handlungen eher gefördert werden kann, als dies bei bereits vollendeten/beendeten Taten der Fall ist. Im Übrigen stellt auch eine versuchte USt-Hinterziehung bereits einen Straftatbestand und damit einen Anknüpfungspunkt für die steuerliche Missbrauchsrechtsprechung dar.

     

    Da allein der Erwerb der bemakelten Dienstleistung/Gegenstands (nebst subjektiven Voraussetzungen) ausreicht, kann der in der Missbrauchsrechtsprechung verwendete Begriff der Lieferkette nach Ansicht des EuGH auch nicht auf Fälle reduziert werden, in denen die Steuerhinterziehung auf eine besondere Kombination aufeinanderfolgender Umsätze (z. B. Waren-Kreisel) oder auf einen Gesamtplan (z. B. kollusives Zusammenwirken aller Akteure) zurückgehe, nach dem diese Lieferungen Teil einer über mehrere Umsätze erstreckten Steuerhinterziehung sein sollen (so noch FG Berlin-Brandenburg; z. B. USt-Karusselle). Durch eine solche restriktive Auslegung würden zusätzliche Voraussetzungen geschaffen, um den Vorsteuerabzug bei Steuerhinterziehungen zu versagen, die sich nicht aus der EuGH-Rechtsprechung ergeben. Zudem bleibe außer Acht, dass eine auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Liefer- oder Leistungskette begangene Steuerhinterziehung sich auf die nachfolgenden Stufen dieser Kette auswirkt, wenn der Betrag der MwSt aufgrund des infolge der nicht erhobenen Vorsteuer geringeren Preises der Gegenstände oder Dienstleistungen nicht dem eigentlich marktgängigen Betrag entspricht.

     

    Beachten Sie | Indem der EuGH nachfolgende Stufen der Lieferkette mit einbezieht, ist mit „vorhergehender“ Umsatzstufe nicht nur die unmittelbar dem betroffenen Vorsteuerbezugsgeschäft vorangehende Stufe gemeint, sondern es sind alle vorhergehenden Umsatzstufen gemeint (ebenso Grommes in: Rolletschke/Kemper, a. a. O., § 25f UStG Rn. 21; a. A. Wäger, UR 20, 45). Dafür spricht, dass der EuGH i. d. R. von „einer“ und nicht „der“ vorhergehenden Umsatzstufe redet. Zudem hatte das vorlegende FG genau hiernach gefragt („Fortwirkung einer auf (irgend-)einer Vorstufe erfolgten Steuerhinterziehung für sämtliche nachfolgenden Umsätze bei bloßer Kenntnis oder Kennenmüssen dieser Hinterziehung“). Beweisschwierigkeiten dürften aber (hinsichtlich des wissen“ bzw. „hätte wissen müssen“) zunehmen, je weiter die Steuerhinterziehungsbemakelte Umsatzstufe vom konkreten Vorsteuerbezugsgeschäft entfernt ist.

     

    Irrelevant ist, ob der Steuerpflichtige einen Steuervorteil erlangt hat: Die Feststellung seiner Beteiligung an einer USt-Hinterziehung hänge ‒ so der EuGH ‒ nicht davon ab, dass er durch diesen Umsatz einen Steuervorteil erlange, dessen Gewährung dem mit der MwStSystRL verfolgten Ziel zuwiderlaufe. Unerheblich sei auch, ob der Umsatz ihm einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft habe. Der EuGH weist darauf hin, dass mit seiner Auslegung betrügerischen Umsätzen entgegengewirkt werde, indem sie u. a. den Waren und Dienstleistungen, die Gegenstand eines in eine Steuerhinterziehung einbezogenen Umsatzes waren, den Absatzmarkt nehme und so Steuerhinterziehungen bekämpfe.

     

    Relevanz für die Praxis

    Konsequenz der weiten Auslegung des EuGH ist, dass die sog. Missbrauchsrechtsprechung ausgeweitet wird, um den Vorsteuerabzug zu versagen. Jede Hinterziehung auf einer der ‒ ggf. zahlreichen ‒ vorhergehenden Umsatzstufen reicht potenziell aus, soweit der Steuerpflichtige dies wusste bzw. hätte wissen müssen. Ein Gesamtplan (kollusives Zusammenwirken) aller beteiligten Unternehmer der Lieferkette (z. B. in Form eines USt-Karussells bzw. sonst abgestimmten Vorgehens) ist nicht nötig. Redliche Steuerpflichtige müssen daher mehr denn je durch dokumentierte Nachforschungen bei entsprechenden Zweifeln jeden Verdacht auf bemakelte Umsätze zu vermeiden suchen.

     

    Die Vorgaben des EuGH schlagen auf § 25f UStG durch, der die Missbrauchsrechtsprechung im UStG nachzeichnet. Nicht eindeutig ist, ob die EuGH-Entscheidung ebenso für Hinterziehungen gilt, die erst auf dem Vorsteuerabzugsbezugsgeschäft „nachfolgenden“ Umsatzstufen begangen wurden. Dafür spricht, dass laut EuGH eine aktive Begünstigung oder Förderung einer Steuerhinterziehung nicht erforderlich ist und auch kein Vorteil beim Steuerpflichtigen vorliegen muss (ebenso Grommes in: Rolletschke/Kemper, a. a. O., § 25f UStG Rn. 21; a. A. wohl Wäger, UR 20, 45). Vielmehr reicht der Erwerb bzw. die Veräußerung von Gegenständen bzw. Dienstleistungen, die anschließend auf anderen Umsatzstufen zur Steuerhinterziehung genutzt werden, aus, wenn der Steuerpflichtige dies wusste bzw. hätte wissen müssen. Zudem nennt der EuGH „vorangehende“ und „nachfolgende“ Umsatzstufen in einem Atemzug. § 25f UStG, der auch auf vorhergehende und auf nachfolgende bemakelte Umsatzstufen abstellt, erstreckt die Missbrauchsrechtsprechung bereits auf nachfolgende Umsatzstufen. In der Praxis dürften gleichwohl ‒ aus Nachweisgründen ‒ Hinterziehungen auf vorangehenden Umsatzstufen die Hauptanwendungsfälle bilden.

    Quelle: Ausgabe 06 / 2022 | Seite 124 | ID 47561639

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