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  • · Fachbeitrag · Vertragsarztrecht

    Die 11 wichtigsten Regeln zur Abwehr von Honorarkürzungen (Teil 2)

    von RA, FA MedR Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Dortmund, und RAin, FAin MedR Dr. Anna Kirchhefer-Lauber, LL.M., Münster, kanzlei-am-aerztehaus.de

    | Seit der Gesetzgeber 2017 die Prüfverfahren wieder in die Hände der regionalen Vertragspartner gelegt hat, ist ein Flickenteppich an Prüfmethoden entstanden, der Ärzte und auch Anwälte herausfordert. Im ersten Teil dieses Beitrags ( AAA 01/2021, Seite 14 ) haben wir fünf der elf wichtigsten Regeln zur Abwehr von Honorarkürzungen vorgestellt. In diesem zweiten Teil folgen weitere sechs Regeln, die Ihnen als erste Handhabe dienen sollen, um Honorarkürzungen zu vermeiden. Lernen Sie Ihre Rechte im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung kennen und erfahren Sie vor allem, wie Sie diese Rechte wahrnehmen können. |

    Regel Nr. 6: Widerspruch und mündliche Verhandlung

    Das Widerspruchsverfahren bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen ist i. d. R. zweistufig. Im ersten Schritt gibt es ein schriftliches Stellungnahmeverfahren.

     

    Wenn die Prüfungsstelle trotz Stellungnahme des Arztes eine negative Entscheidung trifft, haben Sie in einem zweiten Schritt die Möglichkeit, innerhalb von einem Monat hiergegen Widerspruch einzulegen. Dies können Sie auch zunächst zur Wahrung der Frist ohne Begründung tun.

     

    Falls Sie aus Ihrer Sicht schon alles Erhebliche im Rahmen der schriftlichen Stellungnahme vorgetragen haben, ziehen Sie einen Fachanwalt für Medizinrecht zu Rate. Die Anforderungen an die Begründung und Darlegung in diesen Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfungen sind sehr hoch. Vielleicht lag es nur an der Art und Tiefe der Darstellung, dass Ihre Argumentation nicht verfangen hat.

     

    Beantragen Sie im Rahmen des Widerspruchsverfahrens unbedingt die persönliche Anhörung vor dem Beschwerdeausschuss. Dort können Sie dann gezielt das kollegiale Fachgespräch mit den ärztlichen Ausschussmitgliedern suchen und den Beschwerdeausschuss besser von der Wirtschaftlichkeit der Leistungen überzeugen.

     

    PRAXISTIPP | Die Beschwerdeausschüsse sind zwar paritätisch mit Vertretern von Ärzten und Kostenträgern besetzt und sollen sachlich den Sachverhalt aufklären. Dennoch stellt sich die mündliche Verhandlung sehr häufig als Stresssituation für die Ärzte heraus. Sie sollten daher entweder

    • einen sachkundigen Kollegen oder
    • einen fachkundigen Rechtsanwalt

     

    als Bevollmächtigten mit in die Prüfung nehmen.

     

    Regel Nr. 7: Argumentieren mit dem BSG

    Der fachkundige Rechtsanwalt wird Ihre Ausführungen aus dem Stellungnahmeverfahren vor dem Hintergrund seiner Kenntnisse der Rechtsprechung des BSG auf diesem Gebiet noch erheblich ausweiten können. Hierbei geht es oft um das Hinterfragen des methodischen oder rechnerischen Vorgehens der Prüfgremien bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit.

     

    Ein relevantes Thema ist beispielsweise im Rahmen der Durchschnitts- und Richtgrößenprüfung immer wieder die Frage, ob die herangezogene Vergleichsgruppe tauglich ist, insbesondere wenn in der Vergleichsgruppe Ärzte unterschiedlicher Fachgruppen vereinigt sind, die teils sehr unterschiedliche Leistungsspektren haben und entsprechend unterschiedliche Versorgungsnotwendigkeiten aufweisen („Inhomogenität der Fachgruppe“). Zu dieser Problematik gibt es einschlägige Rechtsprechung. Ein Hinweis auf ein „passendes Urteil“ kann vielleicht auch in Ihrem Fall die entscheidende Wende in der Beurteilung durch den Beschwerdeausschuss verursachen.

    Regel Nr. 8: Transparenz der Daten fordern

    Im Bereich der Schadensermittlung, d. h. Feststellung des Nettoregresses, aber auch in anderen Bereichen, z. B. beim Errechnen der Richtgrößen etc. besteht eine erhebliche Datenintransparenz. Die Gerichte sind immer weniger gewillt, die von den Vertragspartnern, den KVen und den Prüfgremien präsentierten Daten als unumstößliche Wahrheit zu übernehmen.

     

    PRAXISTIPP | Es lohnt sich daher bereits im Verwaltungsverfahren, Daten, deren Erstellung und Berechnung nicht nachvollziehbar sind, die aber zur Grundlage der Entscheidung des Prüfgremium gemacht werden, infrage zu stellen. Dies können Sie tun, indem Sie direkte Fragen formulieren, z. B. wie setzt sich die Vergleichsgruppe zusammen? Wie viele Praxen sind einbezogen worden? Wie viele Praxen der Fachgruppe erbringen diese Leistung überhaupt?

     

    Dies gilt umso mehr, als dass sich das BSG jüngst im Rahmen der Vergleichsgruppenbildung mit der Datentransparenz beschäftigt und sie bei den Hinweis- und Begründungspflichten der Prüfgremien verankert hat.

    Regel Nr. 9: Berufen Sie sich auf den Grundsatz „Beratung vor Regress“

    Es gilt weiterhin der Grundsatz „Beratung vor Regress“. § 106b Abs. 2 SGB V enthält die Vorgabe, dass bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich verordneter Leistungen ein Verfahren festzulegen ist, das sicherstellt, dass individuelle Beratungen bei statistischen Prüfungen der Ärztinnen und Ärzte der Festsetzung einer Nachforderung bei erstmaliger Auffälligkeit vorgehen.

     

    MERKE | Diese Privilegierung nach dem Prinzip „Beratung vor Regress“ gilt weder für Einzelfallprüfungen noch für die Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlicher Leistungen.

     

    Die Rahmenvereinbarung entwickelt den Grundsatz „Beratung vor Regress“ jedoch noch weiter. Zwar erfolgt keine sogenannte „Nullstellung“ der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Allerdings bringt die Rahmenvereinbarung einige wesentliche Verbesserungen.

     

    Unverändert gilt, dass bei einer erstmaligen Auffälligkeit im Rahmen einer statistischen Prüfung eine individuelle Beratung durchgeführt wird. Diese kann auch schriftlich erfolgen. Eine „erstmalige Auffälligkeit“ liegt vor, wenn bisher

     

    • weder eine individuelle Beratung im Sinne der neuen Rahmenvorgaben
    • noch ‒ nach derzeitiger Rechtslage ‒ ein Regress bzw. eine Beratung bei Überschreitung der Richtgröße um mehr als 25 Prozent erfolgt ist.

     

    MERKE | Neu ist in diesem Zusammenhang die „Verjährungsregelung“: Wenn die individuelle Beratung bzw. der Regress länger als fünf Jahre zurückliegen, liegt erneut eine „erstmalige Auffälligkeit“ vor. In diesem Fall gilt wieder der Grundsatz „Beratung vor Regress“ ‒ also eine Art „Nullstellung“ nach Bewährungsfrist!

     

    Regel Nr. 10: Bei Erfolg die Kosten des Verfahrens geltend machen

    Beantragen Sie beim Beschwerdeausschuss die Entscheidung über die Kostentragungspflicht und über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Beschwerdeverfahren. So muss der Beschwerdeausschuss im Falle Ihres Obsiegens die Kosten für einen von Ihnen beauftragten Rechtsanwalt tragen!

    Regel Nr. 11: Entscheidung des Beschwerdeausschusses kritisch überprüfen und Fristen beachten

    Bei kritischer Überprüfung der Bescheide der Beschwerdeausschüsse fällt auf, dass sowohl das formale als auch das materielle Prüfungsrecht bisweilen nicht eingehalten wird. So finden sich regelhaft vorformulierte Textbausteine, die eine kritische Auseinandersetzung mit den vorgetragenen Sach- und Rechtsargumenten des Vertragsarztes vermissen lassen und insoweit die Entscheidung nicht begründen (können).

     

    Achten Sie auch bei den Bescheiden des Beschwerdeausschusses auf die Fristen: Der schriftliche Beschluss muss Ihnen innerhalb von fünf Monaten nach Beschlussverkündung zugestellt werden. Missachtet der Beschwerdeausschuss diese Frist, führt dies zwingend zur Rechtswidrigkeit des Beschlusses. Die Bescheide des Beschwerdeausschusses sind innerhalb von einem Monat mit der Klage vor dem Sozialgericht angreifbar.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Neue Spielregeln für die Wirtschaftlichkeitsprüfung lassen zentrale Probleme ungelöst (AAA 06/2020, Seite 12)
    Quelle: Ausgabe 02 / 2021 | Seite 14 | ID 47039524