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  • · Fachbeitrag · Unerlaubte Handlung

    Was tun, wenn nach einer Straftat dieSchadensentstehung noch nicht abgeschlossen ist?

    | Straftäter sehen sich oft erheblichen zivilrechtlichen Schadenersatzforderungen ausgesetzt. Sie versuchen daher, über das Verbraucherinsolvenzverfahren die Restschuldbefreiung zu erlangen. Demgegenüber steht der Geschädigte vor dem Problem, dass die Folgen der Tat ihn bei der Forderungsanmeldung hindern können und die Schadensentstehung ggf. noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Der BGH erkennt in einer aktuellen Entscheidung zwar das Dilemma. Er sieht die InsO aber als unzureichend an, um dem Geschädigten hier zu helfen. Dieser ist daher auf kompetenten Rat und konsequentes Handeln angewiesen, wenn er nicht mit leeren Händen dastehen will. Hierfür bietet der folgende Beitrag Lösungen. |

    Sachverhalt

    Die 1990 geborene Klägerin macht gegen den Beklagten immateriellen und materiellen Schadenersatz wegen vorsätzlicher Verletzung ihrer sexuellen Selbstbestimmung im Jahr 2003 geltend, wegen der der Schuldner 2005 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Der Beklagte hält die Forderung aufgrund einer ihm am 13.11.14 erteilten Restschuldbefreiung für nicht mehr durchsetzbar. Obwohl das Insolvenzverfahren bereits 2008 eröffnet und dem Schuldner 2009 die Restschuldbefreiung angekündigt wurde, hat die Klägerin erstmals 2013 Schadenersatz begehrt und im Januar 2014 dann versucht, die Forderung im Insolvenzverfahren anzumelden.

     

    Trotz erteilter Restschuldbefreiung verfolgt sie die Forderung weiter und macht nun geltend, es liege gar keine Insolvenzforderung, sondern eine Neuforderung vor. Ihre gesundheitlichen Schäden, insbesondere ihre psychischen Beeinträchtigungen, die zu einem Suizidversuch in 2011 geführt hätten, seien zu einem erheblichen Teil erst nach dem Zeitpunkt entstanden, in dem die Forderung spätestens zur Insolvenztabelle hätte angemeldet werden müssen. Vor dem LG und OLG hatte sie damit keinen Erfolg.

    Entscheidungsgründe

    Der BGH folgt zwar den Vorinstanzen. Er zeigt aber zugleich, welche Fehler es zu vermeiden gilt. Seine Kernaussage lässt sich in folgendem Leitsatz zusammenfassen:

     

    • Leitsatz: BGH 5.4.16, VI ZR 283/15

    Nicht zur Insolvenztabelle angemeldete Schadenersatzansprüche wegen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung genießen im Insolvenzverfahren keine Privilegierung, auch wenn Minderjährige betroffen sind. Die Restschuldbefreiung ergreift auch sie (Abruf-Nr. 186950).

     

    Anspruch nicht durchsetzbar

    Der BGH sieht den Anspruch zwar nicht als verjährt, aber gemäß §§ 286, 301 Abs. 1 InsO als nicht durchsetzbar an. Denn er werde von der dem Beklagten erteilten Restschuldbefreiung erfasst. Die Verjährung war gemäß § 208 S. 1 BGB bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres der Klägerin, mithin bis 2011 gehemmt, sodass die Verjährungsfrist bei Klagezustellung nicht verstrichen war (§ 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB i. V. m. Art. 229 § 31 EGBGB). Diese Privilegierung wirkt aber mangels gesetzlicher Grundlage nicht in gleicher Weise auch im Insolvenzverfahren.

     

    PRAXISHINWEIS | Für Geschädigte bleiben danach nur zwei Optionen, um einen Verlust der Forderung durch die Restschuldbefreiung zu vermeiden:

     

    • Zum einen können sie die Forderung als vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung zur Insolvenztabelle anmelden. Nach § 302 InsO erstreckt sich die Restschuldbefreiung nicht auf solche Forderungen.

     

    • Zum anderen sind Konstellationen denkbar, in denen gar keine Insolvenzforderung vorliegt, sondern eine erst nach der Insolvenzeröffnung entstandene Forderung, die vom Insolvenzverfahren nicht erfasst wird.
     

    Nachträgliche Anmeldung

    Nachdem die Klägerin, die zum Zeitpunkt der möglichen Forderungsanmeldung 19 Jahre alt war, im konkreten Fall die erste Option verpasst hatte, blieb ihr nur, die zweite Karte zu spielen ‒ im Ergebnis vergeblich. Der BGH konnte auch hier offenlassen, wie lange die Anmeldung möglich ist: bis zum Schlusstermin oder bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens.

     

    PRAXISHINWEIS | Dem Grundsatz des sichersten Wegs folgend, sollten Sie die die nachträgliche Anmeldung stets vor dem Schlusstermin vornehmen.

     

    Wichtig | Die psychischen Belastungen nach einer die körperliche Integrität in Frage stellenden Straftat sind meist beträchtlich. Trotzdem kommt es auf ein Verschulden nicht an. Auch wenn die Frist schuldlos versäumt wird, gibt es kein nachträgliches Anmelderecht. Dies führt auch nicht dazu, § 302 InsO ohne Anmeldung anzuwenden. Könnte sich ein Gläubiger nachträglich mit Erfolg darauf berufen, ohne Verschulden an der Forderungsanmeldung gehindert gewesen zu sein, wäre dies ‒ so der BGH - der mit § 301 Abs. 1 S. 2, § 302 Nr. 1 InsO bezweckten Rechtssicherheit höchst abträglich.

     

    PRAXISHINWEIS | Es obliegt deshalb gerade den gesetzlichen Vertretern von Minderjährigen, im Übrigen den Bevollmächtigten und Betreuern des volljährigen Geschädigten im weitesten Sinne, ihre Mandanten darauf hinzuweisen, dass es notwendig ist, Forderungen anzumelden. Unterstützen Sie sie dabei! Ein solcher Hinweis hätte im konkreten Fall schon 2005 bei der strafrechtlichen Verurteilung erteilt werden sollen. Bei Nebenklägervertretern sollte diese Belehrung zu § 302 InsO zum Service gegenüber dem Mandanten gehören.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Restschuldbefreiung wirkt gemäß § 286 und § 301 Abs. 1 S. 1 InsO gegen alle Insolvenzgläubiger, also gegen alle persönlichen Gläubiger des Schuldners, die zurzeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner hatten. Das bedeutet: Der anspruchsbegründende Tatbestand muss bereits abgeschlossen sein, bevor das Verfahren eröffnet wird. Begründet in diesem Sinne ist ein Anspruch, wenn das Schuldverhältnis vor Verfahrenseröffnung bestand, selbst wenn sich hieraus eine Forderung erst nach Verfahrenseröffnung ergibt (BGH ZInsO 05, 537; NZI 11, 953).

     

    Ob Ansprüche aus unerlaubter Handlung Insolvenzforderungen sind, hängt danach davon ab, ob der Schuldner die unerlaubte Handlung begangen hat, bevor das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Treten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens neue schädigende Folgen zu den bereits zuvor entstandenen hinzu, ist für das Insolvenzverfahren eine einheitliche Behandlung geboten, soweit zu erwarten war, dass sich der Schaden fortentwickelt.

     

    Der gesamte aus einer unerlaubten Handlung entspringende Schaden stellt sich verjährungsrechtlich nicht als Summe einzelner selbstständiger, nicht zusammenhängender Schäden, sondern als Einheit dar. Sie umfasst alle Folgezustände, die im Zeitpunkt der Erlangung allgemeinen Wissens um den Schaden überhaupt nur als möglich vorauszusehen waren. Dieser Grundsatz gilt auch für die insolvenzrechtliche Beurteilung.

     

    Den folgenden Einwänden der Klägerin gibt der BGH keinen Raum:

     

    • Er lässt nicht gelten, dass eine bestimmte Geldforderung nicht angemeldet werden kann, wenn die Schadensentwicklung nicht abgeschlossen ist. Die Lösung dafür bietet § 45 InsO: Forderungen, die nicht auf Geld gerichtet sind oder deren Geldbetrag unbestimmt ist, sind mit dem Wert geltend zu machen, der für die Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschätzt werden kann. Der Anspruchsteller muss also nicht den Abschluss der Schadensentwicklung abwarten. Er kann den Anspruch immer anmelden, wenn auch die Feststellungsklage möglich wäre.

     

    • Auch eine rechtsfortbildende Analogie aufgrund des § 208 BGB zugrunde liegenden Rechtsgedankens dahingehend, dass bei vorsätzlicher Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung die Restschuldbefreiung auch dann nicht greift, wenn der Schadenersatzanspruch nicht zur Insolvenztabelle angemeldet wird, will der BGH nicht sehen. Dabei ignoriert er den Wertungswiderspruch zu § 208 S. 1 BGB nicht. Es liege vielmehr schon keine planwidrige Lücke vor, weil der Gesetzgeber trotz der bekannten Problematik und dem Ziel, Schutzlücken zu schließen, für das Insolvenzverfahren keine besondere Lösung geschaffen hat. Selbst, wenn man noch eine Regelungslücke annehme, fehle es an der Planwidrigkeit, da der Gesetzgeber erkennbar Zielkonflikte gelöst habe. Er habe hier der Rechtssicherheit den Vorrang vor der materiellen Gerechtigkeit eingeräumt.

     

    In der Praxis muss der Bevollmächtigte des Geschädigten auf Folgendes achten:

     

    Checkliste / Hierauf müssen Sie unbedingt achten

    • Einen Schadenersatzanspruch sollten Sie möglichst frühzeitig zumindest als Feststellungsanspruch titulieren lassen ‒ ggf. auch im Rahmen eines Adhäsionsverfahrens als Teil des Strafverfahrens. Dabei sollte zugleich festgestellt werden, dass der Anspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung stammt.

     

    • Die Einleitung eines Insolvenzverfahrens durch den Schädiger kann naheliegen. Deshalb sollten Sie mithilfe von Auskunfteien die Insolvenzanmeldung in regelmäßigen Abschnitten überprüfen. Insoweit wird im professionellen Auskunftsmarkt ein Insolvenzmonitoring angeboten.

     

    • Auf die Insolvenzantragstellung oder -eröffnung sollten Sie unmittelbar die Forderung aus „vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung“ anmelden ‒ dies ggf. mit einem nur geschätzten Schadensbetrag.

     

    • Es kann zu beantragen sein, die Restschuldbefreiung zu versagen. Der BGH hat bereits mehrfach betont: Verschweigt der Schuldner einen Anspruch bewusst, um die Restschuldbefreiung zu erreichen, kann eine unerlaubte Handlung im Sinne des § 826 BGB vorliegen. Diese begründet eine eigenständige neue Schadenersatzforderung des Gläubigers (BGH ZinsO 09, 52; NZI 09, 66; WM 11, 271; NZI 15, 132). Prüfen Sie die Insolvenzakte also dahingehend (§ 4 InsO i. V. m. § 299 ZPO).
     

     

    Quelle: Ausgabe 10 / 2016 | Seite 172 | ID 44258198