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  • 28.01.2010 · IWW-Abrufnummer 100364

    Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 09.07.2009 – C-204/08

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)
    9. Juli 2009(*)
    „Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich – Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 Buchst. a – Übereinkommen von Montreal – Art. 33 Abs. 1 – Luftverkehr – Klagen von Fluggästen gegen Fluggesellschaften auf Ausgleichszahlungen bei Annullierung von Flügen – Erfüllungsort der Leistung – Gerichtliche Zuständigkeit bei einer Beförderung im Luftverkehr von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat durch eine in einem dritten Mitgliedstaat ansässige Fluggesellschaft“
    In der Rechtssache C-204/08
    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 22. April 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Mai 2008, in dem Verfahren
    Peter Rehder
    gegen
    Air Baltic Corporation
    erlässt
    DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter), G. Arestis und J. Malenovský,
    Generalanwalt: M. Poiares Maduro,
    Kanzler: N. Nanchev, Verwaltungsrat,
    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. April 2009,
    unter Berücksichtigung der Erklärungen
    - von Herrn Rehder, vertreten durch Rechtsanwalt J. Kummer,
    - der Air Baltic Corporation, vertreten durch Rechtsanwalt G.-S. Hök,
    - der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und J. Kemper als Bevollmächtigte,
    - der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
    - der lettischen Regierung, vertreten durch E. Eihmane und U. Dreimanis als Bevollmächtigte,
    - der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch L. Seeboruth als Bevollmächtigten,
    - der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët und S. Grünheid als Bevollmächtigte,
    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
    folgendes
    Urteil
    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).
    Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Rehder und der Air Baltic Corporation (im Folgenden: Air Baltic) infolge der Annullierung eines von Herrn Rehder bei dieser Gesellschaft gebuchten Fluges von München (Deutschland) nach Vilnius (Wilna, Litauen).
    Rechtlicher Rahmen
    Gemeinschaftsrecht
    Die Verordnung Nr. 44/2001 ist am 1. März 2002 in Kraft getreten und nach ihrem Art. 68 Abs. 1 an die Stelle des Brüsseler Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung späterer Änderungen (ABl. 1998, C 27, S. 1, im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) getreten.
    Im ersten Erwägungsgrund dieser Verordnung wird dargelegt, dass sich „[d]ie Gemeinschaft … zum Ziel gesetzt [hat], einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist, zu erhalten und weiterzuentwickeln. Zum schrittweisen Aufbau dieses Raums hat die Gemeinschaft unter anderem im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen die für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlichen Maßnahmen zu erlassen.“
    Im zweiten Satz des zweiten Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 44/2001 heißt es, dass „[e]s … unerlässlich [ist], Bestimmungen zu erlassen, um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und die Formalitäten im Hinblick auf eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus den durch diese Verordnung gebundenen Mitgliedstaaten zu vereinfachen“.
    Nach dem ersten Satz des elften Erwägungsgrundes dieser Verordnung müssen „[d]ie Zuständigkeitsvorschriften … in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist“.
    Im zwölften Erwägungsgrund derselben Verordnung wird dargelegt, dass „[d]er Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten … durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden [muss], die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind“.
    Die mit der Verordnung Nr. 44/2001 aufgestellten Zuständigkeitsregeln finden sich in ihrem Kapitel II, das aus den Art. 2 bis 31 besteht.
    Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung, der zu Kapitel II Abschnitt 1 („Allgemeine Vorschriften“) gehört, sieht vor:
    „Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“
    Im selben Abschnitt 1 sieht Art. 3 Abs. 1 der Verordnung vor:
    „Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 dieses Kapitels verklagt werden.“
    Art. 5 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001, der zu ihrem Kapitel II Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“) gehört, lautet:
    „Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:
    1. a) wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;
    b) im Sinne dieser Vorschrift – und sofern nichts anderes vereinbart worden ist – ist der Erfüllungsort der Verpflichtung
    – für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen;
    – für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen;
    c) ist Buchstabe b) nicht anwendbar, so gilt Buchstabe a)“.
    Art. 60 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 sieht vor:
    „Gesellschaften und juristische Personen haben für die Anwendung dieser Verordnung ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich
    a) ihr satzungsmäßiger Sitz,
    b) ihre Hauptverwaltung oder
    c) ihre Hauptniederlassung
    befindet.“
    Art. 71 Abs. 1 derselben Verordnung bestimmt:
    „Diese Verordnung lässt Übereinkommen unberührt, denen die Mitgliedstaaten angehören und die für besondere Rechtsgebiete die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung oder die Vollstreckung von Entscheidungen regeln.“
    In der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. L 46, S. 1) wird der Grundsatz aufgestellt, dass Fluggäste im Rahmen von Beförderungen im internationalen Luftverkehr bei Annullierung eines Fluges Ausgleichsleistungen erhalten. Art. 5 („Annullierung“) dieser Verordnung bestimmt:
    „(1) Bei Annullierung eines Fluges [wird] den betroffenen Fluggästen

    c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn, … sie werden über die Annullierung … unterrichtet …
    …“
    Art. 7 („Ausgleichsanspruch“) Abs. 1 derselben Verordnung sieht vor:
    „Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:
    a) 250 EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger,
    …“
    Art. 12 Abs. 1 dieser Verordnung lautet:
    „Diese Verordnung gilt unbeschadet eines weiter gehenden Schadensersatzanspruchs des Fluggastes. Die nach dieser Verordnung gewährte Ausgleichsleistung kann auf einen solchen Schadensersatzanspruch angerechnet werden.“
    Das Übereinkommen von Montreal
    Das am 28. Mai 1999 in Montreal geschlossene Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (im Folgenden: Übereinkommen von Montreal) wurde von der Europäischen Gemeinschaft am 9. Dezember 1999 unterzeichnet und in ihrem Namen mit dem Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 (ABl. L 194, S. 38) genehmigt; es ist für die Gemeinschaft am 28. Juni 2004 in Kraft getreten. Art. 19 („Verspätung“) dieses Übereinkommens sieht vor:
    „Der Luftfrachtführer hat den Schaden zu ersetzen, der durch Verspätung bei der Luftbeförderung von Reisenden, Reisegepäck oder Gütern entsteht. …“
    18
    „Die Klage auf Schadensersatz muss im Hoheitsgebiet eines der Vertragsstaaten erhoben werden, und zwar nach Wahl des Klägers entweder bei dem Gericht des Ortes, an dem sich der Wohnsitz des Luftfrachtführers, seine Hauptniederlassung oder seine Geschäftsstelle befindet, durch die der Vertrag geschlossen worden ist, oder bei dem Gericht des Bestimmungsorts.“
    Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
    Herr Rehder, der seinen Wohnsitz in München hat, buchte bei Air Baltic, deren Geschäftssitz sich in Riga (Lettland) befindet, einen Flug von München nach Vilnius. Die Entfernung zwischen München und Vilnius beträgt etwas weniger als 1 500 Kilometer. Etwa 30 Minuten vor dem geplanten Start in München wurden die Fluggäste über die Annullierung ihres Fluges unterrichtet. Nach entsprechender Umbuchung durch Air Baltic flog der Kläger über Kopenhagen nach Vilnius, wo er mehr als sechs Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit des ursprünglich gebuchten Fluges eintraf.
    Mit Klage beim Amtsgericht Erding, in dessen Zuständigkeitsbereich der Flughafen München liegt, begehrte Herr Rehder, Air Baltic zu verurteilen, ihm nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 Ausgleich in Höhe von 250 Euro zu zahlen. Das Amtsgericht Erding erklärte sich für die Klage von Herrn Rehder auf Zahlung von Ausgleich für zuständig und begründete dies damit, dass Dienstleistungen im Luftverkehr am Abflugort erbracht würden, dass also der Ort des Abflugflughafens, im vorliegenden Fall München, der Erfüllungsort der vertraglichen Verpflichtung im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 sei.
    Auf die von Air Baltic eingelegte Berufung hin hob das Oberlandesgericht München die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts mit der Begründung auf, dass Dienstleistungen im Luftverkehr am Ort des Geschäftssitzes der Gesellschaft, die den Flug durchführe, erbracht würden. Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichts legte Herr Rehder Revision beim Bundesgerichtshof ein.
    Das vorlegende Gericht legt dar, dass die Frage, ob das Amtsgericht Erding im vorliegenden Fall zuständig sei, von der Auslegung des Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 44/2001 abhänge. Der Gerichtshof habe zum ersten Gedankenstrich dieser Vorschrift, der den Verkauf beweglicher Sachen betreffe, zunächst entschieden, dass mit dieser Regel eines besonderen Gerichtsstands für vertragliche Streitigkeiten der Lieferort als autonomes Anknüpfungskriterium festgelegt werde, das auf sämtliche Klagen aus ein und demselben Vertrag über den Verkauf beweglicher Sachen und nicht nur auf diejenige aus der Lieferverpflichtung an sich anwendbar sei (Urteil vom 3. Mai 2007, Color Drack, C-386/05, Slg. 2007, I-3699, Randnr. 26). Der Gerichtshof habe ferner entschieden, dass diese Regel auch im Fall mehrerer Lieferorte gelte und dass in diesem Fall unter Erfüllungsort der Ort zu verstehen sei, an dem die engste Verknüpfung zwischen dem Vertrag und dem zuständigen Gericht bestehe, wobei die engste Verknüpfung im Allgemeinen am Ort der Hauptlieferung gegeben sei, die nach wirtschaftlichen Kriterien zu bestimmen sei (Urteil Color Drack, Randnr. 40). Schließlich habe der Gerichtshof dargelegt, dass dann, wenn der Ort der Hauptlieferung nicht festgestellt werden könne, jeder der Lieferorte eine hinreichende Nähe zum Sachverhalt des Rechtsstreits aufweise und dass der Kläger den Beklagten in einem solchen Fall vor dem Gericht des Lieferorts seiner Wahl verklagen könne (Urteil Color Drack, Randnr. 42).
    Der Bundesgerichtshof hebt jedoch hervor, dass der Gerichtshof im Übrigen in Randnr. 16 des Urteils Color Drack ausdrücklich ausgeführt habe, dass sich seine Erwägungen auf den Fall mehrerer Lieferorte in einem einzigen Mitgliedstaat beschränkten und einer Entscheidung im Fall mehrerer Lieferorte in verschiedenen Mitgliedstaaten nicht vorgriffen.
    Der Bundesgerichtshof fragt sich daher, ob es nicht angesichts der Ziele der Verordnung Nr. 44/2001, die Zuständigkeitsregeln zu vereinheitlichen und vorhersehbar zu gestalten und einen einzigen Erfüllungsort zu bestimmen, der grundsätzlich der Ort sei, zu dessen Gericht der Streitgegenstand die engste Verknüpfung aufweise, geboten sei, Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 44/2001 in gleicher Weise auszulegen und auch die gerichtliche Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten über Vertragspflichten aus einem Vertrag über eine Beförderung im internationalen Luftverkehr grundsätzlich an einem Erfüllungsort zu konzentrieren, auch wenn es im Rahmen eines solchen Vertrags nicht einfach sei, den Ort, an dem die Dienstleistungen schwerpunktmäßig erbracht würden, eindeutig zu bestimmen.
    In Anbetracht dieser Erwägungen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
    1. Ist Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen, dass auch bei Flugreisen von einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft in einen anderen Mitgliedstaat ein einheitlicher Erfüllungsort für sämtliche Vertragspflichten an dem nach wirtschaftlichen Kriterien zu bestimmenden Ort der Hauptleistung anzunehmen ist?
    2. Wenn ein einheitlicher Erfüllungsort zu bestimmen ist: Welche Kriterien sind für seine Bestimmung maßgeblich; wird der einheitliche Erfüllungsort insbesondere durch den Ort des Abflugs oder den Ort der Ankunft bestimmt?
    Zu den Vorlagefragen
    Vor der Prüfung der vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen ist einleitend darauf hinzuweisen, dass in einigen beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen die Frage aufgeworfen wird, ob in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren Art. 33 des Übereinkommens von Montreal zur Bestimmung des zuständigen Gerichts herangezogen werden kann.
    Dazu ist zu sagen, dass der vom Kläger des Ausgangsverfahrens geltend gemachte, aus Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 hergeleitete Anspruch ein Anspruch auf eine pauschale und einheitliche Ausgleichszahlung für den Fluggast infolge der Annullierung eines Fluges ist, der unabhängig vom Ersatz des Schadens im Rahmen von Art. 19 des Übereinkommens von Montreal besteht (vgl. Urteil vom 10. Januar 2006, IATA und ELFAA, C-344/04, Slg. 2006, I-403, Randnrn. 43 bis 46). Für Ansprüche, die auf die genannten Vorschriften der Verordnung Nr. 261/2004, und solche, die auf das Übereinkommen von Montreal gestützt sind, gelten somit unterschiedliche Regelungsrahmen.
    Da die Klage im Ausgangsverfahren allein auf der Grundlage der Verordnung Nr. 261/2004 erhoben wurde, ist sie demzufolge anhand der Verordnung Nr. 44/2001 zu prüfen.
    Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Kontext einer auf die Verordnung Nr. 261/2004 gestützten Klage auf Zahlung von Ausgleich um die Klarstellung, wie die Wendung „der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem [die Dienstleistungen] nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen“ in Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 44/2001 im Fall einer Beförderung von Personen im Luftverkehr von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat auszulegen ist.
    In Wirklichkeit wird der Gerichtshof mit diesen Fragen um Antwort darauf ersucht, ob dieser Wendung im Fall einer Dienstleistung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden dieselbe Auslegung zu geben ist, wie sie der Gerichtshof im Urteil Color Drack dem ersten Gedankenstrich der genannten Vorschrift im Fall mehrerer Lieferorte für bewegliche Sachen in ein und demselben Mitgliedstaat gegeben hat.
    In Randnr. 18 des Urteils Color Drack hat sich der Gerichtshof zur Beantwortung der gestellten Frage auf die Entstehungsgeschichte, die Ziele und die Systematik der Verordnung Nr. 44/2001 gestützt.
    Der Gerichtshof hat insoweit zunächst darauf hingewiesen, dass die in Art. 5 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 vorgesehene Regel eines besonderen Gerichtsstands für vertragliche Streitigkeiten, die die grundsätzliche Regel des Gerichtsstands des Wohnsitzes des Beklagten ergänzt, dem Ziel der räumlichen Nähe entspricht und ihren Grund in der engen Verknüpfung zwischen dem Vertrag und dem zur Entscheidung berufenen Gericht hat (Urteil Color Drack, Randnr. 22).
    Sodann hat der Gerichtshof zum Erfüllungsort von Verpflichtungen aus Verträgen über den Verkauf beweglicher Sachen ausgeführt, dass die Verordnung Nr. 44/2001 dieses Anknüpfungskriterium in ihrem Art. 5 Nr. 1 Buchst. b erster Gedankenstrich autonom definiert, um die Ziele der Vereinheitlichung der Gerichtsstandsregeln und der Vorhersehbarkeit zu stärken. Für solche Fälle wird somit der Ort der Lieferung der beweglichen Sachen als autonomes Anknüpfungskriterium festgelegt, das auf sämtliche Klagen aus ein und demselben Kaufvertrag anwendbar ist (Urteil Color Drack, Randnrn. 24 und 26).
    In Anbetracht der Ziele der räumlichen Nähe und der Vorhersehbarkeit hat der Gerichtshof entschieden, dass die in Art. 5 Nr. 1 Buchst. b erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 44/2001 aufgestellte Regel auch im Fall mehrerer Lieferorte in einem Mitgliedstaat anwendbar ist, da nur ein Gericht für die Entscheidung über alle Klagen aus dem Vertrag zuständig sein soll (Urteil Color Drack, Randnrn. 36 und 38).
    Für einen solchen Fall mehrerer Lieferorte innerhalb eines Mitgliedstaats hat der Gerichtshof schließlich ausgeführt, dass der Ort, an dem die engste Verknüpfung zwischen dem Vertrag und dem zuständigen Gericht besteht, der Ort der Hauptlieferung ist, die nach wirtschaftlichen Kriterien zu bestimmen ist, und dass, wenn der Ort der Hauptlieferung nicht festgestellt werden kann, jeder der Lieferorte eine hinreichende Nähe zum Sachverhalt des Rechtsstreits aufweist; in diesem Fall kann der Kläger den Beklagten vor dem Gericht des Lieferorts seiner Wahl verklagen (Urteil Color Drack, Randnrn. 40 und 42).
    Die Erwägungen, auf die sich der Gerichtshof gestützt hat, um zu der im Urteil Color Drack formulierten Auslegung zu gelangen, gelten auch bei Verträgen über die Erbringung von Dienstleistungen, und zwar auch in Fällen, in denen die Dienstleistungen nicht nur in einem Mitgliedstaat erbracht werden. Denn die in der Verordnung Nr. 44/2001 für Verträge über den Verkauf beweglicher Sachen und die Erbringung von Dienstleistungen vorgesehenen besonderen Zuständigkeitsregeln haben dieselbe Entstehungsgeschichte, verfolgen dasselbe Ziel und nehmen denselben Platz in dem mit dieser Verordnung errichteten System ein.
    Für die Ziele der räumlichen Nähe und der Vorhersehbarkeit, die mit der Konzentration der gerichtlichen Zuständigkeit an dem Ort, an dem nach dem entsprechenden Vertrag die Dienstleistungen zu erbringen sind, und mit der Festlegung einer einheitlichen gerichtlichen Zuständigkeit für alle auf diesen Vertrag gestützten Forderungen verfolgt werden, kann keine andere Betrachtungsweise gelten, wenn die fraglichen Dienstleistungen an mehreren Orten in verschiedenen Mitgliedstaaten zu erbringen sind. Eine solche Differenzierung fände nämlich nicht nur keine Grundlage in den Bestimmungen der Verordnung Nr. 44/2001, sondern stünde auch im Widerspruch zu dem für ihren Erlass maßgebenden Ziel, dass die Verordnung durch die Vereinheitlichung der Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zur Entwicklung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts innerhalb der Gemeinschaft beiträgt (vgl. die Erwägungsgründe 1 und 2 der Verordnung Nr. 44/2001).
    Folglich ist auch im Fall mehrerer, in verschiedenen Mitgliedstaaten gelegener Orte, an denen die Dienstleistungen erbracht werden, der Ort zu suchen, an dem die engste Verknüpfung zwischen dem fraglichen Vertrag und dem zuständigen Gericht besteht, insbesondere der Ort, an dem nach dem Vertrag die Hauptdienstleistung zu erbringen ist.
    Insoweit ist zunächst festzustellen, dass der Ort des Sitzes oder der Hauptniederlassung der Fluggesellschaft entsprechend den Ausführungen des vorlegenden Gerichts nicht die erforderliche enge Verbindung mit dem Vertrag aufweist. Die Operationen und Handlungen, die von diesem Ort aus unternommen werden, wie etwa die Bereitstellung eines angemessenen Flugzeugs mit entsprechender Besatzung, stellen nämlich logistische Vorbereitungshandlungen für die Durchführung des Vertrags über die Beförderung im Luftverkehr dar und keine Dienstleistungen, deren Erbringung in Zusammenhang mit dem Inhalt des Vertrags im eigentlichen Sinne stünde. Ebenso verhält es sich mit dem Ort, an dem der Vertrag über die Beförderung im Luftverkehr abgeschlossen wurde, und dem der Aushändigung des Flugscheins.
    Bei den Dienstleistungen, die in Erfüllung der Verpflichtungen aus einem Vertrag über die Beförderung von Personen im Luftverkehr erbracht werden, handelt es sich nämlich um die Abfertigung und das Anbordgehen der Fluggäste sowie ihren Empfang an Bord des Flugzeugs an dem im fraglichen Beförderungsvertrag vereinbarten Abflugort, den Start der Maschine zur vorgesehenen Zeit, die Beförderung der Fluggäste und ihres Gepäcks vom Abflugort zum Zielort, die Betreuung der Fluggäste während des Fluges und schließlich das sichere Verlassen des Flugzeugs durch die Fluggäste am Ort der Landung zur im Vertrag vereinbarten Zeit. Unter diesem Aspekt weisen auch die Orte, an denen die Maschine gegebenenfalls zwischenlandet, keine hinreichende Verbindung zum Kern der sich aus dem Vertrag ergebenden Dienstleistungen auf.
    Die einzigen Orte, die eine unmittelbare Verbindung zu den genannten Dienstleistungen aufweisen, die in Erfüllung der Verpflichtungen entsprechend dem Gegenstand des Vertrags erbracht werden, sind der Ort des Abflugs und der Ort der Ankunft des Flugzeugs, wobei unter den Begriffen „Ort des Abflugs“ und „Ort der Ankunft“ die Orte zu verstehen sind, die in dem fraglichen, mit einer einzigen Luftfahrtgesellschaft, dem ausführenden Luftfahrtunternehmen, geschlossenen Vertrag vereinbart wurden.
    Allerdings ist insoweit darauf hinzuweisen, dass Beförderungen im Luftverkehr im Gegensatz zu Lieferungen beweglicher Sachen an verschiedenen Orten, die getrennte Vorgänge darstellen und sich zum Zweck der Bestimmung der Hauptlieferung nach wirtschaftlichen Kriterien quantifizieren lassen, bereits ihrer Natur nach Dienstleistungen sind, die untrennbar und einheitlich vom Ort des Abflugs bis zum Ort der Ankunft des Flugzeugs erbracht werden, so dass es in solchen Fällen nicht möglich ist, anhand wirtschaftlicher Kriterien einen gesonderten Teil der Leistung auszumachen, der die an einem bestimmten Ort erbrachte Hauptleistung darstellte.
    Unter diesen Umständen sind sowohl der Ort des Abflugs als auch der Ort der Ankunft des Flugzeugs gleichermaßen als die Orte anzusehen, an denen die Dienstleistungen, die Gegenstand eines Beförderungsvertrags im Luftverkehr sind, hauptsächlich erbracht werden.
    Jeder dieser beiden Orte weist eine hinreichende Nähe zum Sachverhalt des Rechtsstreits auf, so dass an beiden Orten die nach den in Art. 5 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 aufgestellten besonderen Zuständigkeitsregeln vorgegebene enge Verknüpfung zwischen dem Vertrag und dem zuständigen Gericht besteht. Folglich kann ein Kläger, der eine auf die Verordnung Nr. 261/2004 gestützte Ausgleichszahlung beansprucht, den Beklagten auf der Grundlage von Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 44/2001 nach seiner Wahl vor dem Gericht eines dieser Orte verklagen.
    Mit einer solchen Wahlmöglichkeit des Klägers wird nicht nur das Kriterium der Nähe beachtet, sondern auch dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit Genüge getan, da sowohl der Kläger als auch der Beklagte leicht die Gerichte ausmachen können, bei denen eine Klage erhoben werden kann. Überdies steht sie im Einklang mit dem Ziel der Rechtssicherheit, da die Wahl des Klägers im Rahmen des Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 44/2001 auf zwei Gerichte beschränkt ist. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger die Möglichkeit behält, gemäß Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung das Gericht des Wohnsitzes des Beklagten anzurufen, d. h. im vorliegenden Fall nach Art. 60 Abs. 1 dieser Verordnung das Gericht, in dessen Zuständigkeitsbereich das Luftfahrtunternehmen seinen satzungsmäßigen Sitz, seine Hauptverwaltung oder seine Hauptniederlassung hat, was im Einklang mit Art. 33 des Übereinkommens von Montreal steht.
    In der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs wird dem Kläger im Übrigen eine solche Wahlmöglichkeit, selbst wenn es um Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten geht, auch im Rahmen der besonderen Zuständigkeit gemäß Art. 5 Nr. 3 des Brüsseler Übereinkommens, die in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 übernommen wurde, für Fälle eingeräumt, in denen eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden (vgl. u. a. Urteile vom 30. November 1976, Bier, „Mines de potasse d’Alsace“, 21/76, Slg. 1976, 1735, Randnrn. 24 und 25, und vom 10. Juni 2004, Kronhofer, C-168/02, Slg. 2004, I-6009, Randnr. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).
    Nach alledem ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass im Fall einer Beförderung von Personen im Luftverkehr von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat auf der Grundlage eines mit einer einzigen Luftfahrtgesellschaft, dem ausführenden Luftfahrtunternehmen, geschlossenen Vertrags für eine auf diesen Beförderungsvertrag und die Verordnung Nr. 261/2004 gestützte Klage auf Ausgleichszahlungen nach Wahl des Klägers das Gericht des Ortes des Abflugs oder das des Ortes der Ankunft des Flugzeugs entsprechend der Vereinbarung dieser Orte in dem Vertrag zuständig ist.
    Kosten
    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
    Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass im Fall einer Beförderung von Personen im Luftverkehr von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat auf der Grundlage eines mit einer einzigen Luftfahrtgesellschaft, dem ausführenden Luftfahrtunternehmen, geschlossenen Vertrags für eine auf diesen Beförderungsvertrag und die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 gestützte Klage auf Ausgleichszahlungen nach Wahl des Klägers das Gericht des Ortes des Abflugs oder das des Ortes der Ankunft des Flugzeugs entsprechend der Vereinbarung dieser Orte in dem Vertrag zuständig ist.
    Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

    RechtsgebietFluggastrechteVorschriftenArt. 5, 7 Verordnung (EG) 261/2004