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  • 11.11.2025 · IWW-Abrufnummer 251104

    Oberlandesgericht Celle: Beschluss vom 30.07.2025 – 13 W 24/25

    Die einem Grundversorger nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Strom-/GasGVV eingeräumte Befugnis, bei Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung die Grundversorgung mit Strom und Gas unterbrechen zu lassen, ist eine besondere Ausgestaltung des Leistungsverweigerungsrechts gemäß §§ 273, 320 BGB und kann grundsätzlich im Wege einer einstweiligen (Sicherungs-)Verfügung gemäß § 935 ZPO durchgesetzt werden.


    Tenor:

    Die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens tragen die Antragsgegner je zur Hälfte.

    Der Streitwert wird für das erst- und das zweitinstanzliche Verfahren auf 8.142 € festgesetzt.
    Gründe

    I.

    Nachdem die Antragstellerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt hat und die Antragsgegner dieser Erklärung nach dem erfolgten Hinweis gemäß § 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht innerhalb der Notfrist von zwei Wochen widersprochen haben, war gemäß § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden.

    Die Kosten des Rechtsstreits waren danach den Antragsgegnern aufzuerlegen. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene sofortige Beschwerde wäre ohne das erledigende Ereignis mit den von der Antragstellerin noch weiterverfolgten Anträgen zu 1 und 2 erfolgreich gewesen.

    1. Der Antragstellerin standen nach ihrem insgesamt schlüssigen Vortrag die geltend gemachten Verfügungsansprüche zu. Sie ist im Gebiet der Antragsgegner die Grundversorgerin, zuständige örtliche Netzbetreiberin ist die Y GmbH. Zwischen den Parteien bestand ein Grundversorgungsverhältnis für die Verbrauchsstelle XXX für die Belieferung mit Strom und für die Verbrauchsstelle XXX für die Belieferung mit Gas. Die Voraussetzungen für die Unterbrechung der Stromversorgung (Antrag zu 1) nach § 19 Abs. 2 - 6 StromGVV und der Gasversorgung (Antrag zu 2) gemäß § 19 Abs. 2 - 6 GasGVV lagen vor.

    a) Die Antragsgegner waren entsprechend den Voraussetzungen nach § 19 Abs. 2 Satz 8 und 9 Strom-/GasGVV mit ihren Zahlungsverpflichtungen aus den beiden Grundversorgungsverhältnissen jeweils mit Beträgen in Verzug, die mehr als das Doppelte des rechnerisch auf den laufenden Monat entfallenden Abschlagsbetrags von zuletzt 994 € für Strom und 363 € für Gas ausmachten und die auch 100 € überstiegen.

    b) Weiter hatte die Antragstellerin mit Schreiben vom 11. März 2025 die Zahlungsrückstände angemahnt, den Antragsgegnern die Unterbrechung der Versorgung angedroht und sie auf Möglichkeiten zur Vermeidung der Unterbrechung einschließlich des Abschlusses einer Abwendungsvereinbarung sowie des Vortrags von Gründen zur Unverhältnismäßigkeit hingewiesen. Solche Gründe, insbesondere eine Gefahr für Leib oder Leben, waren weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Die Vierwochenfristen gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 Strom-/GasGVV, die mit der Androhung der Versorgungsunterbrechung beginnt, waren abgelaufen.

    c) Schließlich hatte die Antragstellerin den Antragsgegnern mit Schreiben vom 26. März 2025 die Sperrung gemäß § 19 Abs. 4 Satz 1 Strom-/GasGVV rechtzeitig angekündigt und sie gemäß § 19 Abs. 6 Strom-/GasGVV ordnungsgemäß auf den Grund der Unterbrechung sowie auf die voraussichtlichen Kosten für die Unterbrechung und die Wiederherstellung der Versorgung hingewiesen.

    2. Darüber hinaus lag auch der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund vor.

    a) Die zu duldende Versorgungsunterbrechung stellt keine - regelmäßig unzulässige - Vorwegnahme der Hauptsache dar (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 14. Dezember 2004 - 8 W 826/04, juris Rn. 3; OLG Karlsruhe, Beschlüsse vom 18. Mai 2016 - 14 U 172/15, juris Rn. 5 und vom 31. März 2023 - 9 W 71/22, juris Rn. 22).

    aa) Die dem Grundversorger nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Strom-/GasGVV eingeräumte Befugnis, bei Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung die Grundversorgung mit Strom und Gas unterbrechen zu lassen, ist eine besondere Ausgestaltung des Leistungsverweigerungsrechts gemäß §§ 273, 320 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 1991 - VIII ZR 190/90, juris Rn. 10 [zur Vorgängervorschrift in § 33 Abs. 2 AVBEltV]), welches durch das Verfahren und die materiellen Voraussetzungen der § 19 Abs. 2 - 6 Strom-/GasGVV lediglich modifiziert und eingeschränkt wird. Zur Ausübung des Zurückbehaltungsrechts bedarf es einer Sperre des Gas- oder Stromzählers (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. September 1981 - 1 BvR 581/81, juris Rn. 6), für die regelmäßig die Räumlichkeiten des Kunden betreten werden müssen. Denn es ist einem Energieversorgungsunternehmen - anders als anderen Verkäufern in einer Dauerlieferbeziehung - bereits in technischer Hinsicht nicht möglich, die eigene Leistung auf andere Weise einzubehalten (vgl. OLG Karlsruhe, Beschlüsse vom 18. Mai 2015 - 14 U 172/15, juris Rn. 6; vom 31. Januar 2023 - 9 W 71/22, juris Rn. 22).

    bb) Mit dem Erlass einer auf die Duldung der Sperrung des Zählers gerichteten einstweiligen Verfügung wird zwar das Recht des Energieversorgers durchgesetzt, die Grundversorgung unterbrechen zu lassen. Insoweit unterscheiden sich die Anträge in einem einstweiligen Verfügungsverfahren auch nicht von denen eines entsprechenden Hauptsacheverfahrens (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31. Januar 2023 - 9 W 71/22, juris Rn. 23). Jedoch liegt entgegen einer streng formalen Betrachtungsweise die Hauptsache nicht in dem Erlass eines auf Duldung der Zählersperrung gerichteten Titels (so aber LG Potsdam, Urteil vom 2. Mai 2008 - 13 T 23/08, juris Rn. 21; LG Lübeck, Beschluss vom 7. Januar 2014 - 1 T 64/13, juris Rn. 5; LG Osnabrück, Beschluss vom 10. Dezember 2014 - 2 T 664/14, juris Rn. 13). Vielmehr ist bei wertender Betrachtung die Hauptsache in der Bezahlung der Energielieferungen zu sehen, die mit der Verpflichtung zur Duldung der Versorgungsunterbrechung gerade nicht vorweggenommen wird (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 14. Dezember 2004 - 8 W 826/04, juris Rn. 3). Die Duldungspflicht des Kunden stellt einen bloßen Annex zur Durchsetzung des Zurückbehaltungsrechts dar (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31. Januar 2023 - 9 W 71/22, juris Rn. 23). Mit dem Zurückbehaltungsrecht übt der Energieversorger zwar Druck auf den Kunden aus, um die offenen Forderungen zu begleichen (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 19. November 2021 - V ZR 104/20, juris Rn. 18 m.w.N.). Jedoch beugt es nur der Entstehung weiterer Zahlungsrückstände vor. Die bereits entstandenen Zahlungsrückstände müssten weiterhin in einem Hauptsacheverfahren geltend gemacht werden, sofern der Kunde diese nicht freiwillig bezahlen sollte.

    b) Vor diesem Hintergrund stellt die begehrte einstweilige Verfügung auch keine Leistungsverfügung (vgl. dazu Becker in Anders/Gehle, ZPO, 83. Aufl., § 940 Rn. 13 m.w.N.), sondern eine Sicherungsverfügung im Sinne des § 935 ZPO dar. Der für deren Erlass erforderliche Verfügungsgrund lag vor. Die durch die einstweilige Verfügung zu ermöglichende Versorgungsunterbrechung war für die Antragstellerin so eilbedürftig, dass ohne diese Sofortmaßnahme die Durchsetzung ihres Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert worden wäre und ihr ein Zuwarten auf eine Hauptsacheentscheidung nicht zuzumuten war (vgl. zu diesen Voraussetzungen: Becker in Anders/Gehle, ZPO, 83. Aufl., § 935 Rn. 6 m.w.N.).

    aa) Ohne die Versorgungsunterbrechung droht ein weiteres Anwachsen der Zahlungsrückstände und häufig auch der Ausfall mit den entsprechenden Zahlungsforderungen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31. Januar 2023 - 9 W 71/22, juris Rn. 22).

    Die zur Ausübung dieses Zurückbehaltungsrechts notwendigen Maßnahmen konnte die Antragstellerin trotz vorheriger ordnungsgemäßer Ankündigung nicht durchführen, weil die Antragsgegnerin zu 2 dem beauftragten Unternehmen den Zutritt verweigert hatte bzw. die Antragsgegner nicht angetroffen worden waren.

    Ein weiteres Zuwarten war der Antragstellerin auch nicht zuzumuten. Dagegen kann nicht eingewandt werden, dass der zuständige Grundversorger gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 EnWG einem Kontrahierungszwangs unterliegt und häufig ein höheres Entgelt für Energielieferungen beanspruchen kann als bei Sonderverträgen über Energielieferungen. § 19 Abs. 2 - 6 StromGVV bzw. GasGVV knüpfen eine Versorgungsunterbrechung aufgrund Zahlungsverzuges an eine Vielzahl kundenschützender Voraussetzungen, so dass die Belange der Versorgungskunden bereits hierdurch regelmäßig ausreichend berücksichtigt werden.

    bb) Ob und inwieweit ein Verfügungsgrund in Ausnahmefällen entfallen kann (vgl. dazu etwa Becker in Anders/Gehle, ZPO, 83. Aufl., § 935 Rn. 7), bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.

    II.

    Der Streitwert ist gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO entsprechend der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung auch im einstweiligen Verfügungsverfahren mit dem 6-fachen Monatsbetrag der Abschlagszahlungen zu bemessen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31. Januar 2023 - 9 W 71/22, juris Rn. 38; OLG Köln, Beschluss vom 26. November 2018 -15 W 61/18, juris Rn. 10 m.w.N.). Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die im vorliegenden Fall eine abweichende Festsetzung rechtfertigen. Danach ergibt sich folgende Festsetzung:
    Antrag zu 1 (6 x mtl. Abschlag in Höhe von 994 € =):    5.964 €
    Antrag zu 2 (6 x mtl. Abschlag in Höhe von 363 €):    2.178 €
    Gesamt:    8.142 €

    Der Wert für das erstinstanzliche Verfahren war gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen zu ändern.
    Hinweis:

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    RechtsgebietEnergieversorgungVorschriften§ 935 ZPO