10.06.2020 · IWW-Abrufnummer 216143
Kammergericht Berlin: Beschluss vom 02.04.2020 – 1 VA 26/19
Bei einer Hinterlegung wegen Gläubigerungewissheit nach § 372 BGB gilt für den Anspruch des Gläubigers, der sich innerhalb von 30 Jahren bei der Hinterlegungsstelle gemeldet aber seine Berechtigung als Herausgabevoraussetzung nicht nachgewiesen hat, die Ausschlussfrist des § 22 BerlHintG. Diese kann nicht nach § 24 BerlHintG unterbrochen werden.
Kammergericht Berlin
Beschluss vom 02.04.2020
Az.: 1 VA 26/19
Tenor:
Der Antrag wird nach einem Wert von 32.754,07 EUR zurückgewiesen.
Gründe
I.
Das Rechtsmittel ist gemäß § 6 Abs. 3 BerlHintG i.V.m. § 23 EGGVG statthaft, allerdings ist es unzulässig. Gemäß § 24 Abs. 1 EGGVG ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, durch die Maßnahme (den angefochtenen Justizverwaltungsakt) oder ihre Ablehnung in seinen Rechten verletzt zu sein. Daran fehlt es hier.
1.
Gegenstand des angefochtenen Bescheids vom 15. August 2019 war die Zurückweisung der Beschwerde vom 23. April und 8. Mai 2019, mit der sich die Antragstellerin dagegen gewandt hatte, dass die Hinterlegungsstelle ihren Antrag vom 2. April 2019 auf Verlängerung der Ausschlussfrist zurückgewiesen und auch dem Auszahlungsantrag vom 27. September 2018 nicht stattgegeben hat. Zu beiden Begehren legt die Antragstellerin mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht dar, dass der Bescheid des Antragsgegners rechtswidrig sei.
a)
Die Antragstellerin teilt vielmehr die - zutreffende - Auffassung des Antragsgegners,dass die Ausschlussfristen der §§ 22, 23 BerlHintG nicht verlängert werden können, weil eine solche Fristverlängerung gesetzlich nicht vorgesehen ist.
b)
Die Antragstellerin legt auch nicht dar, dass sie entgegen der Entscheidung des Antragsgegners einen Anspruch auf Auszahlung von 32.754,07 EUR (entsprechend 64.061,41 DM) hat, ohne weitere Bewilligungen der übrigen Beteiligten des Hinterlegungsverfahrens beibringen zu müssen. Die Antragstellerin begehrt mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vielmehr die Feststellung, dass die Veranlassung zur Hinterlegung fortbestehe (§ 24 BerlHintG), um zukünftig noch die Möglichkeit zu haben, weitere Zustimmungen der übrigen Beteiligten vorzulegen. Dies ist unzulässig. Ein solcher Antrag war nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens, weshalb das Unterlassen einer entsprechenden Feststellung auch nicht rechtswidrig gewesen sein und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt haben kann.
2.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist auch unzulässig, soweit die Antragstellerin hilfsweise beantragt, den hinterlegten Betrag nebst Zinsen an den "Rechtsnachfolger" des Hinterlegers Notar Dr. G### auszukehren. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Antragstellerin insoweit antragsberechtigt wäre, obgleich sie den Auszahlungsantrag nicht auf ein eigenes Recht stützt (vgl. dazu Bülow/Schmidt, Hinterlegungsordnung, 4. Aufl., § 13 Rdn. 3). Die Auszahlung an Notar Dr. G### war jedenfalls weder gegenüber der Hinterlegungsstelle noch im Beschwerdeverfahren gegenüber dem Antragsgegner beantragt, so dass die Unterlassung entsprechender Auszahlung nicht rechtswidrig gewesen sein kann und die Antragstellerin auch nicht in ihren Rechten verletzt haben kann.
II.
Im Übrigen ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung aber auch unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten, vgl. § 28 Abs. 2 S. 1 EGGVG.
1.
Eine Fristverlängerung für die Ausschlussfrist war nicht zu gewähren, weil eine solche Verlängerung gesetzlich nicht vorgesehen ist.
2.
Auch der Antrag auf Auszahlung von 32.754,07 EUR ohne Beibringen weiterer Zustimmungen der übrigen Beteiligten ist unbegründet.
Die Herausgabe einer bei der Hinterlegungsstelle hinterlegten Masse erfordert einedarauf gerichtete Herausgabeanordnung (§ 16 Abs. 1 BerlHintG). Diese ergeht auf Antrag, wenn die Berechtigung des Empfängers nachgewiesen ist (§ 17 Abs. 1 BerlHintG). Der Nachweis ist gemäß § 17 Abs. 3 BerlHintG namentlich als geführt anzusehen, wenn die Beteiligten die Herausgabe an den Empfänger schriftlich bewilligt oder seine Empfangsberechtigung in gleicher Weise anerkannt haben (§ 17 Abs. 3 Nr. 1 BerlHintG), oder wenn die Berechtigung des Empfängers durch rechtskräftige Entscheidung mit Wirkung gegen die Beteiligten oder gegen das Land festgestellt ist (§ 17 Abs. 3 Nr. 2 BerlHintG). Beteiligte sind dabei gemäß § 4 Abs. 2 BerlHintG sämtliche Personen, die vom Hinterleger schriftlich als (mögliche) Empfänger des Hinterlegungsgegenstandes bezeichnet worden sind.
Die Antragstellerin ist nicht durch Ablauf von Ausschlussfristen (nur) für die anderen Beteiligten alleinige mögliche Berechtigte geworden. Zwar erlischt bei einer Hinterlegung nach §§ 372 ff BGB (Hinterlegung als Erfüllungssurrogat) gemäß § 382 BGB der Anspruch des Gläubigers auf den hinterlegten Betrag mit dem Ablauf von 30 Jahren ab Empfang der Anzeige von der Hinterlegung, wenn nicht der Gläubiger sich vorher bei der Hinterlegungsstelle meldet. Die verfahrensgegenständliche Hinterlegung wegen Gläubigerungewissheit unterfällt § 372 S. 2 BGB und damit auch § 382 BGB. Außer der Antragstellerin haben sich jedoch zumindest die Beteiligten A### -N## -Z## AG, H## -J### H###, C#### F### T####, H### Pharma GmbH & Co, J## D## -E## und G##### & Co. KG fristgemäß zur Hinterlegungsakte gemeldet, denn "Melden" im Sinne von § 382 BGB setzt nicht voraus, dass die eigene Berechtigung nachgewiesen wird (Fetzer in Münchener Kommentar BGB, 8. Aufl., § 382 Rdn. 1). Die Antragstellerin hat schon von diesen Beteiligten nicht sämtlichst Auszahlungsbewilligungen vorgelegt, so dass dahingestellt bleiben kann, ob auch für weitere Beteiligte die Ausschlussfrist des § 382 BGB nicht abgelaufen ist.
Auch die verfahrensrechtlichen Ausschlussfristen des BerlHintG haben nicht dazu geführt, dass nur noch die Antragstellerin als mögliche Empfangsberechtigte Beteiligte des Hinterlegungsverfahrens ist. Gemäß §§ 22, 23 BerlHintG erlöschen die Ansprüche auf Herausgabe mit Ablauf von 30 bzw. 31 Jahren, wenn nicht vor Ablauf ein begründeter Herausgabeantrag vorliegt. "Begründet" im Sinne dieser Regelungen ist ein Antrag nicht schon, wenn er mit einer Begründung versehen ist, sondern wenn die Berechtigung des Antragstellers vollständig nachgewiesen ist. Einen solchen begründeten Antrag hat die Antragstellerin ebenso wenig wie die übrigen Beteiligten vorgelegt.
Die verfahrensrechtliche Ausschlussfrist ist nicht nur für die übrigen Beteiligten, sondern auch für die Antragstellerin bereits abgelaufen. Es galt die Frist von 31 Jahren gemäß § 22 Abs. 1 BerlHintG, die gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 BerlHintG bei jedem der Gläubiger mit Empfang der Hinterlegungsanzeige zu laufen begann. Bei der Antragstellerin war dies der 5. Oktober 1988, so dass die Frist am 5. Oktober 2019 abgelaufen ist.
§ 22 BerlHintG gilt u.a. "in den Fällen der §§ 382...BGB". Neben der in § 382 BGB geregelten materiellrechtlichen Ausschlussfrist hat er eine selbständige Bedeutung sowohl für das Rücknahmerecht des Hinterlegers, das nicht nach § 382 BGB erlischt, als auch für den Herausgabeanspruch eines Gläubigers, der sich zwar innerhalb der Frist des § 382 BGB bei der Hinterlegungsstelle "gemeldet", seine Berechtigung aber nicht nachgewiesen hat. Sein Anspruch erlischt nicht bereits mit Ablauf von 30 Jahren gemäß § 382 BGB, sondern nach Ablauf von 31 Jahren gemäß § 22 BerlHintG.
Weder Wortlaut und Systematik noch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen dafür, dass § 22 BerlHintG "im Fall des § 382 BGB" nur den Anspruch des Schuldners betreffen soll (so Wiedemann/Armbruster, Bayerisches Hinterlegungsgesetz, § 25 Rdn. 12 für die entsprechende Regelung in § 25 BayHintG). § 22 BerlHintG verweist nicht auf bestimmte Ansprüche, sondern auf bestimmte materielle Hinterlegungsgründe (Abgeordnetenhaus Berlin, Drucksache 16/3883, S. 21). Unterfiele der Anspruch des Gläubigers nicht § 22 BerlHintG, so gälte für ihn § 23 BerlHint ("In den übrigen Fällen"). Der Anspruch des Gläubigers würde dann einerseits abweichend von § 382 BGB nach Ablauf von 30 Jahren erlöschen, wenn sich der Gläubiger innerhalb dieser Frist bei der Hinterlegungsstelle gemeldet aber seine Berechtigung nicht nachgewiesen hat. Andererseits begänne die Ausschlussfrist gemäß § 24 BerlHintG neu zu laufen, wenn der Gläubiger nachgewiesen hat, dass die Veranlassung zur Hinterlegung fortbesteht. Das widerspräche Sinn und Zweck der §§ 22 bis 24 BerlHintG. Diese sollen für die Herausgabe bestimmte Ausschlussfristen bereitstellen, um den Abschluss des Hinterlegungsverfahrens nach gewissen äußersten Zeitgrenzen zu ermöglichen (Abgeordnetenhaus Berlin, Drucksache 16/3883, S. 21). Dem Land soll es also nicht obliegen, Hinterlegungen über die genannten äußersten Zeitgrenzen hinaus durchzuführen. Dies wäre bei einer Hinterlegung nach § 372 ff. BGB obsolet, wenn bereits das Fortbestehen des Hinterlegungsgrundes auch einen Neubeginndes Fristlaufs nach § 24 BerlHintG für den Gläubiger begründen würde. Denn den Hinterlegungsgründen des Annahmeverzuges und der Gläubigerungewissheit (§ 372 BGB) ist es - anders als etwa der Hinterlegung zur Sicherheitsleistung - immanent, dass diese Gründe nicht entfallen, solange nicht die Gläubiger aktiv werden. Ein derartiger Widerspruch ergibt sich für das Bayerische Hinterlegungsgesetz nicht, weil dieses Gesetz keine dem § 24 BerlHintG entsprechende Unterbrechung der Ausschlussfrist kennt.
Die Ausschlussfrist hat auch nicht zugunsten der Antragstellerin gemäß § 24 BerlHintG neu zu laufen begonnen. § 24 BerlHintG bezieht sich ausdrücklich nur auf die Fälle des § 23 BerlHintG.
III.
Die Wertfestsetzung folgt aus § 1 Abs. 1 Nr. 19 i.V.m. § 36 Abs. 1 GNotKG.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen. Die Entscheidung über die Unzulässigkeit der Beschwerde hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert sie sonst eine Entscheidung des Bundesgerichthofs (§ 29 Abs. 2 EGGVG). Die Ausführungen zur Unbegründetheit des Antrags beruhen ausschließlich auf nicht revisiblem Berliner Landesrecht.
RechtsgebietHinterlegungVorschriften§ 372 BGB