Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 11.01.2024 · IWW-Abrufnummer 239058

    Oberlandesgericht Bremen: Beschluss vom 20.11.2023 – 2 W 48/23

    Das Entgegenkommen einer Partei, in einem Prozessvergleich eine Regelung für einen nicht streitgegenständlichen Sachverhalt zu treffen, begründet keinen Vergleichsmehrwert, wenn damit verbundene Ansprüche bislang nicht konkret zwischen den Parteien im Streit standen.


    Oberlandesgericht Bremen 

    Beschluss vom 20.11.2023

    2 W 48/23

    Tenor:

    Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 26.07.2023 gegen den Beschluss des Landgerichts vom 26.06.2023 wird zurückgewiesen.

    Das Verfahren ist gebührenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.

    Gründe

    Die gemäß §§ 32 Abs. 2 RVG, 68 Abs. 1 GKG zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten ist unbegründet.

    1. Die Klägerin hat mit ihrer Klage aus einer Betriebsschließungsversicherung die Zahlung in Höhe von 30.463,30 € mit der Begründung geltend gemacht, dass es bedingt durch die Corona-Pandemie zu Einschränkungen und Schließungen gekommen sei. Die Parteien haben den Rechtsstreit durch Vergleich beendet. Danach verpflichtete sich die Beklagte, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 10.154,43 € zu zahlen. Auf Vorschlag der Beklagten wurde eine umfassende Abgeltungsklausel in den Vergleich aufgenommen. Die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs waren zu 2/3 von der Klägerin und zu 1/3 von der Beklagten zu tragen. Der Streitwert für des Verfahren wurde auf den Betrag der Klageforderung festgesetzt. Mit der Streitwertbeschwerde vom 26.07.2023 begehrt die Beklagte die Festsetzung eines überschießenden Vergleichswertes in Höhe von 30.463,30 €. Zur Begründung trägt die Beklagte vor, die Parteien hätten bezüglich der ersten Welle der Corona-Pandemie einen Vergleich geschlossen, jedoch beziehe sich die Abfindungsklausel auch auf die zweite, dritte Welle und auf die gesamte Corona-Pandemie. Der umfassende Vergleichsabschluss ginge mithin über die erste Welle hinaus, was einen Vergleichsmehrwert begründe.

    2. Ein Vergleichsmehrwert besteht, wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, nicht.

    Grundsätzlich gilt für den gebührenrelevanten Mehrwert eines Vergleichs, dass ein Vergleichsmehrwert anfällt, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit oder außergerichtlicher Streit erledigt oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden (LAG Köln, Beschluss vom 09.06.2016 - 4 Ta 122/16-, juris; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 06.09.2004 - 4 W 232/04 -, Rn. 6, juris; OLG Köln, Beschluss vom 17.09.1998 - 25 WF 143/98 -, juris). Wie schon der Begriff "Streitgegenstand" nahe legt, muss es sich bei den wertbestimmenden Gegenständen um "streitige" Gegenstände handeln (vgl. BGH, Urteil vom 14.09.2005 - IV ZR 145/04 -, juris). Es muss sich - was den Mehrwert anbelangt - um die Ausdehnung des Vergleichs auf bereits "rechtshängige" oder "nichtrechtshängige Streitgegenstände" bzw. um die "Miterledigung anderer Streitpunkte" (vgl. BGH aaO) gehen. Regelungen, die ein freiwilliges Entgegenkommen der einen Partei darstellen, um die andere Partei dazu zu bewegen, den Vergleich abzuschließen und den bestehenden Rechtsstreit aus der Welt zu schaffen, erhöhen hingegen den Gegenstandswert des Vergleichs nicht (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. Januar 2008 - 4 U 145/07 -, juris). Zwar wird eine Einigung der Parteien häufig nur zu erreichen sein, wenn derartige Vereinbarungen getroffen werden; denn die Parteien sind nicht selten nur dann zum Abschluss eines Vergleichs bereit, wenn weitere Fragen geregelt werden und ein diesbezüglicher zukünftiger Streit vermieden wird. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts, die zum Abschluss eines Vergleichs führt, ist jedoch mit der Einigungsgebühr als solcher abgegolten. Für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts und die damit verbundene Gebührenerhöhung muss darüber hinaus festgestellt werden, dass die geregelten Gegenstände vor Abschluss zwischen den Parteien im Streit standen. Hierzu genügen weder die Vergleichsverhandlungen als solche noch Regelungen, durch die Leistungspflichten erstmals begründet oder beseitigt werden, die Rechtsverhältnisse lediglich klarstellen oder auf sonstige Weise ausschließlich einen künftigen Streit der Parteien vermeiden (LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.11.2022 - 26 Ta (Kost) 6064/22 -, Rn. 24, juris). Nach diesen Grundsätzen kann ein Vergleichsmehrwert nicht festgestellt werden, denn es ist nicht dargelegt, dass zwischen den Parteien das Bestehen von Ansprüchen wegen einer zweiten oder dritten Corona-Welle in dem Sinne streitig waren, dass solche Ansprüche von der Klägerin geltend gemacht wurden (vgl. auch OLG Hamburg Beschluss vom 12.04.2023 - 9 W 12/23, BeckRS 2023, 14856 Rn. 4, beck-online). Es liegt hier ein einseitiges Interesse der Beklagten vor, im Rahmen des Vergleichs abstrakt denkbare Ansprüche für die Zukunft auszuschließen. Der Umstand, dass die Klägerin bereit war, der Beklagten insoweit entgegenzukommen, vermag einen besonderen Mehrwert des Vergleichs nicht zu begründen.

    RechtsgebietZivilprozessrechtVorschriften§ 32 Abs. 2 RVG; § 68 Abs. 1 GKG