09.06.2022 · IWW-Abrufnummer 229601
Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Beschluss vom 03.02.2022 – 11 SV 55/21
Der gemeinsame Erfüllungsort bei stationären Heilbehandlungen, der auch den Vergütungsanspruch des Krankenhauses umfasst, liegt nach ganz überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Lehre am Ort des Krankenhauses (vgl. dazu Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 29 Rn 25.37). Dennoch kann ein Verweisungsbeschluss bei einem Rechtsstreit um (privat-)ärztliche Honorarforderungen an das am Wohnort des Patienten zuständige Gericht für sich gesehen nicht den Vorwurf der Willkür begründen, wenn kein konkreter Anlass bestand, sich mit dieser Rechtsprechung zu beschäftigen und keine der Parteien darauf hingewiesen hat.
OLG Frankfurt 11. Zivilsenat
Tenor
Das Amtsgericht Weilburg wird als das gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zuständige Gericht bestimmt.
Gründe
I.
Die Klägerin, eine A-Klinik im Bezirk des Amtsgerichts Gießen, nimmt den Beklagten, der seinen Wohnsitz im Bezirk des Amtsgerichts Weilburg hat, auf Entgelt für eine Behandlung in der A-Klinik in Anspruch.
Nach der Anspruchsbegründungsschrift liegt der Klage Folgendes zugrunde: Der Beklagte, der privat krankenversichert sei, habe sich zweimal in stationärer Behandlung im Klinikum der Klägerin befunden. Daher seien ihm die mit der Klage geltend gemachten Honorarforderungen in Rechnung gestellt worden, die dieser nachfolgend nicht beglichen habe.
Dem Klageverfahren ging ein Mahnverfahren voraus. Im Mahnantrag hatte die Klägerin das Amtsgericht Gießen als für das Streitverfahren zuständiges Gericht angegeben. Nachdem der Beklagte Widerspruch eingelegt hatte, wurde das Verfahren an das Amtsgericht Gießen abgegeben. Mit Beschluss vom 28.9.2021 (Bl. 22 d.A.) wies das Amtsgericht Gießen darauf hin, dass Zweifel an seiner örtlichen Zuständigkeit beständen. Der Beklagte habe seinen allgemeinen Gerichtsstand nicht im Bezirk des angerufenen Gerichts. Auch der Gerichtsstand gemäß § 29 ZPO dürfe vorliegend beim Amtsgericht Weilburg eröffnet sein, da streitgegenständlich eine Zahlungspflicht des Beklagte sei, mithin einer Schickschuld, die er an seinem Wohnsitz zu erbringen habe.
Nachdem das Amtsgericht Gießen am 25.10.2021 die Klägerin noch einmal auf den Beschluss vom 28.9.2021 hingewiesen und angefragt hatte, ob Verweisung des Rechtsstreits beantragt werde, da andernfalls eine Klageabweisung mangels örtlicher Zuständigkeit erfolgen müsse (Bl. 37 d.A.), hat die Klägerin die Verweisung des Verfahrens beantragt (Bl. 48 d.A.). Der Beklagte hatte bereits zuvor mit einer Verweisung an das Amtsgericht Weilburg sein Einverständnis erklärt (Bl. 39 d.A.).
Das Amtsgericht Gießen hat sich mit Beschluss vom 1.11.2021 (Bl. 50 d.A.) für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Weilburg verwiesen.
Das Amtsgericht Weilburg hat die Parteien unter dem 19.11.2021 (Bl. 55 d.A.) darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, den Rechtsstreit an das Amtsgericht Gießen zurückzuverweisen. Nach allgemeiner Rechtsansicht sei gemeinsamer Erfüllungsort für stationäre Heilbehandlungen der Klinikort, die seitens der Klägerin getroffene Wahl dieses Gerichtsstands sei unwiderruflich und bindend. Das Amtsgericht Gießen habe in seinem Beschluss, der nicht begründet sei, nicht erkennbar gemacht, weshalb es dieser Auffassung nicht folge. Der Verweisungsbeschluss sei daher nicht bindend.
Mit Beschluss vom 7.12.2021 hat sich das Amtsgericht Weilburg für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Gießen zurückverwiesen (Bl. 59 d.A.). Zur Begründung verwies es auf den Hinweis vom 19.11.2021. Soweit sich aus dem zuletzt eingegangenen Schriftsatz der Klägerin ergebe, dass Gegenstand der Klage auch Vergütung für ambulante in der Klinik erbrachte Leistungen sei, sei auch insoweit nach überwiegender und zutreffender Auffassung ein einheitlicher Erfüllungsort am Sitz der Klinik anzunehmen. All dies habe das Amtsgericht Gießen nicht erörtert.
Mit Beschluss vom 15.12.2021 hat das Amtsgericht Gießen das Verfahren dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt (Bl. 61f. d.A.). Der Verweisungsbeschluss an das Amtsgericht Weilburg sei bindend. Selbst wenn die Rechtsansicht des Amtsgerichts Weilburg, wonach der Gerichtsstand gemäß § 29 ZPO am Sitz der Klinik eröffnet sei, zutreffe, ließe dies nicht die Bindungswirkung entfallen. Vorliegend ergebe sich die Begründung der Verweisung aus dem Beschluss vom 28.9.2021.
Die Parteien haben zu dem Bestimmungsantrag keine Stellung genommen.
II.
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main ist als das gemeinsam nächsthöhere Gericht zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit berufen (§ 36 Abs. 1 ZPO).
Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Gießen als auch das Amtsgericht Weilburg haben sich in unanfechtbaren Beschlüssen für örtlich unzuständig erklärt.
Das Amtsgericht Weilburg ist für die Entscheidung des Rechtsstreits aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Gießen vom 1.11.2021 zuständig geworden.
Grundsätzlich haben Verweisungsbeschlüsse Bindungswirkung, auch wenn sie möglicherweise fehlerhaft sind. Die Bindungswirkung entfällt erst, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen worden ist oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (BGH, Beschluss vom 9.6.2015 - X ARZ 115/15). Es genügt hierfür nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BGH, aaO - Beschluss vom 9.6.2015 und vom 19.2.2013 - X ARZ 507/12). Da eine Verweisung die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichts voraussetzt, kann die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses auch dann entfallen, wenn sich ein nach geltendem Recht unzweifelhaft zuständiges Gericht gleichwohl über diese Zuständigkeit hinwegsetzt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verweist, weil es eine klare Zuständigkeitsnorm nicht beachtet oder zur Kenntnis nimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 17.5.2011 - X ARZ 109/11 ; BGH NJW 1993, 1273) oder dem Verweisungsbeschluss keinerlei Begründung zu entnehmen ist, warum das verweisende Gericht örtlich nicht zuständig sein soll (BGH, Urteil vom 13.12.2005 - X ARZ 223/05) und damit objektiv der Anschein erweckt wird, das Gericht sehe das Fehlen der eigenen Zuständigkeit nicht als Voraussetzung für eine Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Absatz 1 ZPO an.
Auf dieser Grundlage ergibt sich, dass die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses nicht entfallen ist:
Das Amtsgericht Gießen hat das rechtliche Gehör der Parteien nicht verletzt. Es hat den Beschluss vom 28.9.2021, in dem es die Parteien auf Zweifel an seiner örtlichen Zuständigkeit hingewiesen hatte, beiden Parteien übersandt und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme eröffnet. Es hatte die Parteien mit diesem Beschluss darauf aufmerksam gemacht, dass sich nach seiner Auffassung seine örtliche Zuständigkeit nicht aus § 29 ZPO ergebe, da die hier streitgegenständliche Zahlungspflicht gemäß § 29 ZPO am Wohnsitz des Schuldners, hier des Beklagten, zu erfüllen sei. Beide Parteien haben hierzu auch Stellung genommen und die Verweisung an das Amtsgericht Weilburg beantragt bzw. einer solchen zugestimmt.
Die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses entfällt auch nicht deshalb, weil der Beschluss vom 1.11.2021 selbst nicht mit einer Begründung versehen war. Jedenfalls dann, wenn - wie vorliegend - beide Parteien die Möglichkeit hatten, zu der Rechtsauffassung des verweisenden Gerichts Stellung zu nehmen, weil Ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zum Hinweisbeschluss vom 28.9.2021 gewährt worden war, genügt es, dass sich die Begründung für die Verweisung aus dem Akteninhalt, vorliegend aus dem Hinweisbeschluss, erschließt. Ein schwerwiegender Verstoß, der die Bindungswirkung entfallen lässt, liegt unter diesen Umständen nicht vor (vgl. BGH, Beschluss vom 26.8.2014 - X ARZ 275/14 Rn. 9). Zudem ist selbst bei gänzlichem Fehlen einer Begründung ein Verweisungsbeschluss wegen dieses Mangels noch nicht offensichtlich gesetzeswidrig, wenn die Entscheidung - wie vorliegend - im Einvernehmen beider Parteien ergangen ist (BGH, Beschluss vom 10.6.2003 - X ARZ 92/03).
Der Verweisungsbeschluss ist schließlich bindend, auch wenn das Amtsgericht Gießen in seinem Beschluss von der überwiegenden Rechtsauffassung abgewichen ist, wonach bei stationärer Heilbehandlung der gemeinsame Erfüllungsort, der auch den Vergütungsanspruch des Krankenhauses umfasst, der Klinikort ist (vgl. hierzu Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Auflage, § 29 Rn. 25.37; BGH, Urteil vom 8.12.2011 - III ZR 114/11). Allein dies mag den Vorwurf der Willkür jedoch nicht zu begründen, weil dem deutschen Recht eine Präjudizienwirkung grundsätzlich fremd ist (BGH, Beschluss vom 10.6.2003 - X ARZ 92/03). Für die Annahme, dass der Verweisungsbeschluss jeder rechtlichen Grundlage entbehre, bedarf es deshalb zusätzlicher Umstände, die vorliegend nicht gegeben sind. Insbesondere hat das Amtsgericht Gießen sich mit § 29 ZPO auseinandergesetzt und darauf verwiesen, dass eine Geldschuld am allgemeinen Gerichtsstand des Schuldners, hier in Weilburg, zu erfüllen sei (vgl. in diesem Sinne für die Geldschuld: Schultzky, aaO, § 29 Rn. 25.21). Zwar hat das Amtsgericht Gießen sich hierbei nicht damit auseinandergesetzt, dass für einen stationären Heilbehandlungsvertrag abweichend hiervon nach der genannten überwiegenden Rechtsauffassung gemeinsamer Erfüllungsort gemäß § 29 ZPO der Klinikort ist. Dies führte jedoch lediglich dann zum Wegfall der Bindungswirkung, wenn konkreter Anlass für eine solche Erörterung bestanden hätte, was vorliegend nicht feststellbar ist. Insbesondere hat keiner der Parteien auf den Hinweis vom 28.9.2011 geltend gemacht, dass der gemeinsamer Erfüllungsort für stationäre Heilbehandlungen der Klinikort ist und daher beim Amtsgericht Gießen der besondere Gerichtsstand gemäß § 29 ZPO bestehe (vgl. zur Willkür eines Verweisungsbeschlusses wegen fehlender Auseinandersetzung des Gerichts mit der eigenen Zuständigkeit trotz ausdrücklichen Hinweises der Parteien: Senat, Beschluss vom 20.6.2018 - 11 SV 27/18; OLG Hamm, Beschluss vom 14.5.2014 - I-32 SA 32/14).
03.02.2022
Tenor
Das Amtsgericht Weilburg wird als das gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zuständige Gericht bestimmt.
Gründe
I.
Die Klägerin, eine A-Klinik im Bezirk des Amtsgerichts Gießen, nimmt den Beklagten, der seinen Wohnsitz im Bezirk des Amtsgerichts Weilburg hat, auf Entgelt für eine Behandlung in der A-Klinik in Anspruch.
Nach der Anspruchsbegründungsschrift liegt der Klage Folgendes zugrunde: Der Beklagte, der privat krankenversichert sei, habe sich zweimal in stationärer Behandlung im Klinikum der Klägerin befunden. Daher seien ihm die mit der Klage geltend gemachten Honorarforderungen in Rechnung gestellt worden, die dieser nachfolgend nicht beglichen habe.
Dem Klageverfahren ging ein Mahnverfahren voraus. Im Mahnantrag hatte die Klägerin das Amtsgericht Gießen als für das Streitverfahren zuständiges Gericht angegeben. Nachdem der Beklagte Widerspruch eingelegt hatte, wurde das Verfahren an das Amtsgericht Gießen abgegeben. Mit Beschluss vom 28.9.2021 (Bl. 22 d.A.) wies das Amtsgericht Gießen darauf hin, dass Zweifel an seiner örtlichen Zuständigkeit beständen. Der Beklagte habe seinen allgemeinen Gerichtsstand nicht im Bezirk des angerufenen Gerichts. Auch der Gerichtsstand gemäß § 29 ZPO dürfe vorliegend beim Amtsgericht Weilburg eröffnet sein, da streitgegenständlich eine Zahlungspflicht des Beklagte sei, mithin einer Schickschuld, die er an seinem Wohnsitz zu erbringen habe.
Nachdem das Amtsgericht Gießen am 25.10.2021 die Klägerin noch einmal auf den Beschluss vom 28.9.2021 hingewiesen und angefragt hatte, ob Verweisung des Rechtsstreits beantragt werde, da andernfalls eine Klageabweisung mangels örtlicher Zuständigkeit erfolgen müsse (Bl. 37 d.A.), hat die Klägerin die Verweisung des Verfahrens beantragt (Bl. 48 d.A.). Der Beklagte hatte bereits zuvor mit einer Verweisung an das Amtsgericht Weilburg sein Einverständnis erklärt (Bl. 39 d.A.).
Das Amtsgericht Gießen hat sich mit Beschluss vom 1.11.2021 (Bl. 50 d.A.) für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Weilburg verwiesen.
Das Amtsgericht Weilburg hat die Parteien unter dem 19.11.2021 (Bl. 55 d.A.) darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, den Rechtsstreit an das Amtsgericht Gießen zurückzuverweisen. Nach allgemeiner Rechtsansicht sei gemeinsamer Erfüllungsort für stationäre Heilbehandlungen der Klinikort, die seitens der Klägerin getroffene Wahl dieses Gerichtsstands sei unwiderruflich und bindend. Das Amtsgericht Gießen habe in seinem Beschluss, der nicht begründet sei, nicht erkennbar gemacht, weshalb es dieser Auffassung nicht folge. Der Verweisungsbeschluss sei daher nicht bindend.
Mit Beschluss vom 7.12.2021 hat sich das Amtsgericht Weilburg für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Gießen zurückverwiesen (Bl. 59 d.A.). Zur Begründung verwies es auf den Hinweis vom 19.11.2021. Soweit sich aus dem zuletzt eingegangenen Schriftsatz der Klägerin ergebe, dass Gegenstand der Klage auch Vergütung für ambulante in der Klinik erbrachte Leistungen sei, sei auch insoweit nach überwiegender und zutreffender Auffassung ein einheitlicher Erfüllungsort am Sitz der Klinik anzunehmen. All dies habe das Amtsgericht Gießen nicht erörtert.
Mit Beschluss vom 15.12.2021 hat das Amtsgericht Gießen das Verfahren dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt (Bl. 61f. d.A.). Der Verweisungsbeschluss an das Amtsgericht Weilburg sei bindend. Selbst wenn die Rechtsansicht des Amtsgerichts Weilburg, wonach der Gerichtsstand gemäß § 29 ZPO am Sitz der Klinik eröffnet sei, zutreffe, ließe dies nicht die Bindungswirkung entfallen. Vorliegend ergebe sich die Begründung der Verweisung aus dem Beschluss vom 28.9.2021.
Die Parteien haben zu dem Bestimmungsantrag keine Stellung genommen.
II.
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main ist als das gemeinsam nächsthöhere Gericht zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit berufen (§ 36 Abs. 1 ZPO).
Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Gießen als auch das Amtsgericht Weilburg haben sich in unanfechtbaren Beschlüssen für örtlich unzuständig erklärt.
Das Amtsgericht Weilburg ist für die Entscheidung des Rechtsstreits aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Gießen vom 1.11.2021 zuständig geworden.
Grundsätzlich haben Verweisungsbeschlüsse Bindungswirkung, auch wenn sie möglicherweise fehlerhaft sind. Die Bindungswirkung entfällt erst, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen worden ist oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (BGH, Beschluss vom 9.6.2015 - X ARZ 115/15). Es genügt hierfür nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BGH, aaO - Beschluss vom 9.6.2015 und vom 19.2.2013 - X ARZ 507/12). Da eine Verweisung die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichts voraussetzt, kann die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses auch dann entfallen, wenn sich ein nach geltendem Recht unzweifelhaft zuständiges Gericht gleichwohl über diese Zuständigkeit hinwegsetzt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verweist, weil es eine klare Zuständigkeitsnorm nicht beachtet oder zur Kenntnis nimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 17.5.2011 - X ARZ 109/11 ; BGH NJW 1993, 1273) oder dem Verweisungsbeschluss keinerlei Begründung zu entnehmen ist, warum das verweisende Gericht örtlich nicht zuständig sein soll (BGH, Urteil vom 13.12.2005 - X ARZ 223/05) und damit objektiv der Anschein erweckt wird, das Gericht sehe das Fehlen der eigenen Zuständigkeit nicht als Voraussetzung für eine Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Absatz 1 ZPO an.
Auf dieser Grundlage ergibt sich, dass die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses nicht entfallen ist:
Das Amtsgericht Gießen hat das rechtliche Gehör der Parteien nicht verletzt. Es hat den Beschluss vom 28.9.2021, in dem es die Parteien auf Zweifel an seiner örtlichen Zuständigkeit hingewiesen hatte, beiden Parteien übersandt und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme eröffnet. Es hatte die Parteien mit diesem Beschluss darauf aufmerksam gemacht, dass sich nach seiner Auffassung seine örtliche Zuständigkeit nicht aus § 29 ZPO ergebe, da die hier streitgegenständliche Zahlungspflicht gemäß § 29 ZPO am Wohnsitz des Schuldners, hier des Beklagten, zu erfüllen sei. Beide Parteien haben hierzu auch Stellung genommen und die Verweisung an das Amtsgericht Weilburg beantragt bzw. einer solchen zugestimmt.
Die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses entfällt auch nicht deshalb, weil der Beschluss vom 1.11.2021 selbst nicht mit einer Begründung versehen war. Jedenfalls dann, wenn - wie vorliegend - beide Parteien die Möglichkeit hatten, zu der Rechtsauffassung des verweisenden Gerichts Stellung zu nehmen, weil Ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zum Hinweisbeschluss vom 28.9.2021 gewährt worden war, genügt es, dass sich die Begründung für die Verweisung aus dem Akteninhalt, vorliegend aus dem Hinweisbeschluss, erschließt. Ein schwerwiegender Verstoß, der die Bindungswirkung entfallen lässt, liegt unter diesen Umständen nicht vor (vgl. BGH, Beschluss vom 26.8.2014 - X ARZ 275/14 Rn. 9). Zudem ist selbst bei gänzlichem Fehlen einer Begründung ein Verweisungsbeschluss wegen dieses Mangels noch nicht offensichtlich gesetzeswidrig, wenn die Entscheidung - wie vorliegend - im Einvernehmen beider Parteien ergangen ist (BGH, Beschluss vom 10.6.2003 - X ARZ 92/03).
Der Verweisungsbeschluss ist schließlich bindend, auch wenn das Amtsgericht Gießen in seinem Beschluss von der überwiegenden Rechtsauffassung abgewichen ist, wonach bei stationärer Heilbehandlung der gemeinsame Erfüllungsort, der auch den Vergütungsanspruch des Krankenhauses umfasst, der Klinikort ist (vgl. hierzu Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Auflage, § 29 Rn. 25.37; BGH, Urteil vom 8.12.2011 - III ZR 114/11). Allein dies mag den Vorwurf der Willkür jedoch nicht zu begründen, weil dem deutschen Recht eine Präjudizienwirkung grundsätzlich fremd ist (BGH, Beschluss vom 10.6.2003 - X ARZ 92/03). Für die Annahme, dass der Verweisungsbeschluss jeder rechtlichen Grundlage entbehre, bedarf es deshalb zusätzlicher Umstände, die vorliegend nicht gegeben sind. Insbesondere hat das Amtsgericht Gießen sich mit § 29 ZPO auseinandergesetzt und darauf verwiesen, dass eine Geldschuld am allgemeinen Gerichtsstand des Schuldners, hier in Weilburg, zu erfüllen sei (vgl. in diesem Sinne für die Geldschuld: Schultzky, aaO, § 29 Rn. 25.21). Zwar hat das Amtsgericht Gießen sich hierbei nicht damit auseinandergesetzt, dass für einen stationären Heilbehandlungsvertrag abweichend hiervon nach der genannten überwiegenden Rechtsauffassung gemeinsamer Erfüllungsort gemäß § 29 ZPO der Klinikort ist. Dies führte jedoch lediglich dann zum Wegfall der Bindungswirkung, wenn konkreter Anlass für eine solche Erörterung bestanden hätte, was vorliegend nicht feststellbar ist. Insbesondere hat keiner der Parteien auf den Hinweis vom 28.9.2011 geltend gemacht, dass der gemeinsamer Erfüllungsort für stationäre Heilbehandlungen der Klinikort ist und daher beim Amtsgericht Gießen der besondere Gerichtsstand gemäß § 29 ZPO bestehe (vgl. zur Willkür eines Verweisungsbeschlusses wegen fehlender Auseinandersetzung des Gerichts mit der eigenen Zuständigkeit trotz ausdrücklichen Hinweises der Parteien: Senat, Beschluss vom 20.6.2018 - 11 SV 27/18; OLG Hamm, Beschluss vom 14.5.2014 - I-32 SA 32/14).
RechtsgebietProzessrechtVorschriften§ 29 ZPO