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  • 05.08.2021 · IWW-Abrufnummer 223898

    Kammergericht Berlin: Beschluss vom 25.02.2021 – 2 AR 7/21

    1. Bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen einer Zivilkammer mit einer Spezialzuständigkeit nach § 72a GVG und einer allgemeinen Zivilkammer desselben Landgerichts ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend anwendbar.

    2. Eine Zuständigkeitsbestimmung durch das im Rechtszug übergeordnete Oberlandesgericht setzt auch in diesem Fall voraus, dass sich die an der Zuständigkeitsstreitigkeit beteiligten Spruchkörper jeweils "rechtskräftig" für unzuständig erklärt haben, was eine Bekanntgabe der jeweiligen Entscheidungen an die Parteien erfordert. Eine solche Bekanntgabe kann im Einzelfall auch durch die inhaltliche Wiedergabe des Abgabevermerks eines Spruchkörpers in dem nachfolgenden Vorlagebeschluss des anderen Spruchkörpers erfolgen.

    3. Eine Streitigkeit aus einem abstrakten Schuldanerkenntnis begründet eine gesetzliche Zuständigkeit nach § 72a GVG, sofern der anerkannte Anspruch aus einem in der Vorschrift aufgeführten Rechtsverhältnis herrührt.


    Kammergericht Berlin

    Beschluss vom 25.02.2021


    In Sachen
    F### GmbH ./. C### GmbH

    hat das Kammergericht - 2. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Vossler, die Richterin am Kammergericht Dr. Berkl und den Richter am Kammergericht Dr. Dietrich am 25.02.2021 beschlossen:

    Tenor:

    Die Zivilkammern für Streitigkeiten aus Bau- und Architektenverträgen des Landgerichts Berlin werden als funktional zuständige Spruchkörper bestimmt.

    Gründe

    I. Die Beklagte ist als Bauträgerin tätig. Sie sowie wie weitere mit ihr verbundene Unternehmen beauftragten die Klägerin mit der Herstellung und dem Einbau zahlreicher Küchen im Rahmen verschiedener größerer Bauvorhaben. Mit einem Schreiben 12. Oktober 2020 erklärte die Beklagte gegenüber der Klägerin "als abstraktes Schuldanerkenntnis ... fällige Verbindlichkeiten i. H. v. EUR 1.657.636,14 brutto" anzuerkennen. Nur zur Darstellung der Einzelforderungen werde auf eine beigefügte Forderungsaufstellung verwiesen.

    Die Klägerin hat gestützt auf dieses Schriftstück beim Landgericht Berlin eine Klage im Urkundenprozess mit dem Antrag erhoben, die Beklagte zur Zahlung von 1.657.636,14 Euro nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten seit dem 1. Juli 2020 zu verurteilen. Die Vorsitzende der zunächst angegangenen allgemeinen Zivilkammer 11 hat die Sache mit einem den Parteien nicht bekanntgegebenen Vermerk vom 11. Dezember 2020 unter Hinweis auf § 72a Satz 1 Nr. 2 GVG an die im Turnus zuständige Baukammer abgegeben. Die hierauf mit dem Rechtsstreit befasste Zivilkammer 32 hat sich nach Zustellung der Klage und Anhörung der Parteien mit einem Beschluss vom 11. Februar 2021 ebenfalls für unzuständig erklärt und die Sache dem Kammergericht zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt. Eine gesetzliche Sonderzuständigkeit nach § 72a Satz 1 Nr. 2 GVG sei entgegen der Auffassung der Zivilkammer 11 nicht begründet, weil die Klägerin ihren Anspruch auf ein abstraktes Schuldanerkenntnis und nicht auf den zugrundeliegenden Anspruch aus dem Bauvertrag stütze.

    II.

    1. Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 ZPO als das im Rechtszug zunächst höhere Gericht zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen. Ferner liegen die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung auch der Sache nach vor. Zwar setzt § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nach seinem Wortlaut voraus, dass sich verschiedene Gerichte (und nicht einzelne Spruchkörper) rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Allerdings ist die Vorschrift entsprechend anwendbar, wenn mehrere Spruchkörper des gleichen Gerichts um ihre Zuständigkeit streiten und die Entscheidung des Kompetenzkonflikts nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans, sondern von einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung abhängt. Dies gilt nach allgemeiner Auffassung auch für die von dem Gesetzgeber neu geschaffenen §§ 72a, 119a GVG (Senat, Beschluss vom 22. März 2018 - 2 AR 11/18, NJW-RR 2018, 212; OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. April 2018 - 13 SV 6/18; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18. Juni 2018 - 1 AR 990/18, MDR 2018, 1015 [BGH 15.05.2018 - VI ZR 287/17]; Zöller/Lückemann, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 72a GVG Rn. 2; Klose MDR 2017, 793 [795]).

    Ferner liegen auch die weiteren Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vor, nachdem sich die an dem negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Spruchkörper jeweils "rechtskräftig" im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für unzuständig erklärt haben. Hierfür ist zunächst erforderlich, dass die betreffenden Entscheidungen den Parteien mitgeteilt wurden, so dass es sich nicht nur um gerichtinterne Vorgänge, sondern um Entscheidungen mit Außenwirkung handelt (BGH, Beschluss vom 1. Juni 1988 - IVb ARZ 26/88 -, FamRZ 1988, 1256; Senat, Beschluss vom 22. März 2018 - 2 AR 11/18, NJW-RR 2018, 639 [KG Berlin 22.03.2018 - 2 AR 11/18]; Zöller/Schultzky, a. a. O., § 36 Rn. 35 m. w. N.). Vorliegend hat die Zivilkammer 11 ihre Abgabeentscheidung zwar nicht selbst bekanntgemacht, was aber unschädlich ist, weil die vorlegende Zivilkammer 32 den Inhalt der Verfügung den Parteien mitgeteilt hat, was ebenfalls ausreicht (OLG Frankfurt, Beschluss vom 20. Juni 2018 - 11 SV 25/18, NJW-RR 2018, 1274 [OLG Frankfurt am Main 20.06.2018 - 11 SV 25/18][OLG Frankfurt am Main 20.06.2018 - 11 SV 25/18]; Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2018 - 2 AR 50/18, n. v.).

    Schließlich ist dem Aktenvermerk der abgebenden Zivilkammer 11 vom 11. Dezember 2020 eine hinreichend deutliche Leugnung der eigenen Zuständigkeit zu entnehmen, auch wenn die Begründung der Abgabeentscheidung nur aus einem Satz ("Es handelt sich um eine Bausache nach § 72a Nr. 2 GVG.") besteht. Schließlich war für die Abgabeentscheidung auch nicht ein Beschluss der gesamten Kammer erforderlich, weil es sich bei der Streitigkeit für die abgebende Zivilkammer 11 um eine originäre Einzelrichtersache nach § 348 Abs. 1 S. 1 ZPO handelte. Die Ausnahmeregelung in § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2c ZPO ist insoweit nicht einschlägig, weil die Zivilkammer 11 als allgemeine Kammer ohne Sonderzuständigkeit mit der Sache befasst war.

    2. Als funktional zuständige Spruchkörper sind die Kammern für Streitigkeiten aus Bau- und Architektenverträgen des Landgerichts zu bestimmen, weil die Voraussetzungen für eine gesetzliche Sonderzuständigkeit nach § 72a S. 1 Nr. 2 GVG vorliegen. Entsprechend dem an § 348 Abs. 1 Nr. 2 c ZPO angelehnten Wortlaut der Vorschrift erstreckt sich ihr Anwendungsbereich auf Streitigkeiten aus Bau- und Architektenverträgen sowie aus Ingenieurverträgen, soweit sie im Zusammenhang mit Bauleistungen stehen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen damit "alle Streitigkeiten über Ansprüche erfasst werden, die aus einem Rechtsverhältnis herrühren, in dem eine Partei eine Verpflichtung zur Planung, Durchführung oder Überwachung von Bauarbeiten übernommen hat - unabhängig von dessen vertraglicher Qualifikation etwa als Dienst-, Werk-, Werklieferungs- oder entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag -, wenn an den Verträgen zumindest auf einer Seite ein Architekt, Bauunternehmer oder eine andere berufsmäßig mit der Planung und Ausführung von Bauarbeiten befasste Person in dieser Eigenschaft beteiligt war"(vgl. BT-DCS 14/4722, S. 88).

    Ausgehend von diesem Verständnis ist für den vorliegenden Rechtsstreit eine Sonderzuständigkeit nach § 72a Satz 1 Nr. 2 GVG begründet. Denn der hier von der Klägerin geltende gemachte Zahlungsanspruch rührt letztlich aus einem Rechtsverhältnis, in dem eine der beteiligten Vertragsparteien sich im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit zur Ausführung von Bauarbeiten verpflichtet hat. An dieser Beurteilung vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass sich die Klägerin zur Begründung ihres Anspruchs auf die von der Beklagte in ihrem Schreiben vom 12. Oktober 2020 abgegebene Erklärung stützt und eine Klage im Urkundenprozess erhoben hat. Dies gilt unabhängig davon, wie dort festgehaltene Erklärung rechtlich zu qualifizieren ist.

    Mit dem von der vorlegenden Zivilkammer 32 des Landgerichts zitierten Beschluss vom 26. Oktober 2020 - 2 AR 1046/29 - hat der Senat bereits entschieden, dass einer gesetzlichen Sonderzuständigkeit nach § 72a Satz 1 Nr. 2 GVG nicht entgegensteht, dass der Kläger seinen Anspruch auf ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis stützt, sofern der anerkannte Anspruch aus einem unter die Vorschrift fallenden Rechtsverhältnis herrührt. Hieraus kann aber nicht gewissermaßen im Umkehrschluss gefolgert werden, dass dies bei einem abstrakten Schuldanerkenntnis (§ 781 BGB) nicht der Fall ist. Vielmehr sprechen die besseren Gründe dafür, dass auch derartige Anerkenntnisse in den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen, sofern sie im Rahmen eines unter § 72a Satz 1 Nr. 2 GVG fallenden Rechtsverhältnisses abgegeben werden.

    Für eine entsprechende Auslegung der Vorschrift spricht bereits, dass es nach dem Willen des Gesetzgebers - wie schon erwähnt - auf die rechtliche Qualifikation des Anspruchs gerade nicht ankommen soll. Wollte man dies anders sehen, wäre schon bei der Bestimmung des funktionell zuständigen Spruchkörpers zu prüfen und verbindlich festzustellen, ob ein abstraktes Schuldanerkenntnis nach § 781 BGB oder lediglich ein gesetzlich nicht ausdrücklich geregeltes deklaratorisches Schuldanerkenntnis vorliegt. Eine entsprechende Abgrenzung hängt aber - wie in dem Vorlagebeschluss der Zivilkammer 32 zutreffend ausgeführt wird - entscheidend von den Umständen des Einzelfalls und insbesondere der Auslegung der abgegebenen Erklärung ab (vgl. BGH, Urteil vom 14. Januar 2008 - II ZR 245/06, NJW 2008, 1589 Rn. 15 ff.; Palandt/Sprau, BGB, 80. Aufl. 2021, § 780 Rn. 4 und § 781 Rn. 1). Es erscheint nicht zweckmäßig, die Bestimmung des zuständigen Spruchkörpers mit einer solchen Prüfung zu belasten, die im Einzelfall mit erheblichen Schwierigkeiten und Unsicherheiten verbunden sein kann.

    Hinzu kommt, dass es auch bei Vorliegen eines abstrakten Schuldanerkenntnisses für die Entscheidung des Rechtsstreits häufig gleichwohl auch auf das zugrundeliegende Rechtsverhältnis ankommen wird. Dies gilt etwa, wenn der Beklagte mit Erfolg die Nichtigkeit des Anerkenntnisses nach §§ 138, 142 Abs. 1 BGB (Palandt/Sprau, a. a. O., § 780 Rn. 8) geltend macht oder sich darauf beruft, dass das Anerkenntnis gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zu kondizieren sei, weil die gesicherte Forderung nicht oder nicht mehr besteht (BGH, Urteil vom 29. Juni 2005 - VIII ZR 299/04, NJW 2005, 2991 [2993]).

    RechtsgebietProzessrechtVorschriftenGVG § 72a S. 1 Nr. 2; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6; BGB § 78