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  • 10.05.2021 · IWW-Abrufnummer 222242

    Europäischer Gerichtshof: Beschluss vom 03.09.2020 – C-98/20

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

    3. September 2020(*)

    „Vorlage zur Vorabentscheidung ‒ Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ‒ Gerichtliche Zuständigkeit in Zivilsachen ‒ Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 ‒ Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat ‒ Art. 18 Abs. 2 ‒ Klage des beruflich oder gewerblich Handelnden gegen den Verbraucher ‒ Begriff ‚Wohnsitz des Verbrauchers‘ ‒ Für die Bestimmung des Wohnsitzes des Verbrauchers maßgeblicher Zeitpunkt ‒ Verlegung des Wohnsitzes des Verbrauchers nach Vertragsschluss und vor Klageerhebung“

    In der Rechtssache C‑98/20

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obvodní soud pro Prahu 8 (Bezirksgericht Prag 8, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 27. Januar 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Februar 2020, in dem Verfahren

    mBank S.A.

    gegen

    PA

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Safjan, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters N. Jääskinen,

    Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgenden

    Beschluss

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der mBank S.A., einer in Polen ansässigen Bank, die in der Tschechischen Republik über eine Zweigniederlassung Online-Tätigkeiten ausübt, und PA wegen einer Forderung aus unbezahlten Raten eines Verbraucherkreditvertrags.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    3

    In den Erwägungsgründen 15 und 34 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:

    „(15)      Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. …



    (34)      Um die Kontinuität zwischen dem … Übereinkommen [vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32)] …, der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 [des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1)] und dieser Verordnung zu wahren, sollten Übergangsvorschriften vorgesehen werden. Dies gilt auch für die Auslegung [dieses] … Übereinkommens … und der es ersetzenden Verordnungen durch den Gerichtshof der Europäischen Union.“

    4

    Kapitel II („Zuständigkeit“) der Verordnung Nr. 1215/2012 enthält zehn Abschnitte. Art. 4 Abs. 1 in Abschnitt 1 („Allgemeine Bestimmungen“) dieser Verordnung bestimmt:

    „Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

    5

    Art. 7 in Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“) des Kapitels II dieser Verordnung sieht vor:

    „Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

    1.      a)      wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;

    b)      im Sinne dieser Vorschrift ‒ und sofern nichts anderes vereinbart worden ist ‒ ist der Erfüllungsort der Verpflichtung

    ‒        für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen;

    ‒        für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen;

    c)      ist Buchstabe b nicht anwendbar, so gilt Buchstabe a;

    …“

    6

    Abschnitt 4 („Zuständigkeit bei Verbrauchersachen“) in Kapitel II der Verordnung Nr. 1215/2012 umfasst die Art. 17 bis 19.

    7

    Art. 17 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung bestimmt:

    „(1)      Bilden ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag, den eine Person, der Verbraucher, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann, den Gegenstand des Verfahrens, so bestimmt sich die Zuständigkeit … nach diesem Abschnitt,

    a)      wenn es sich um den Kauf beweglicher Sachen auf Teilzahlung handelt,

    b)      wenn es sich um ein in Raten zurückzuzahlendes Darlehen oder ein anderes Kreditgeschäft handelt, das zur Finanzierung eines Kaufs derartiger Sachen bestimmt ist, oder

    c)      in allen anderen Fällen, wenn der andere Vertragspartner in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.

    (2)      Hat der Vertragspartner des Verbrauchers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats keinen Wohnsitz, besitzt er aber in einem Mitgliedstaat eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung, so wird er für Streitigkeiten aus ihrem Betrieb so behandelt, wie wenn er seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats hätte.“

    8

    Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 sieht vor:

    „Die Klage des anderen Vertragspartners gegen den Verbraucher kann nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.“

    9

    Art. 26 in Abschnitt 7 („Vereinbarung über die Zuständigkeit“) des Kapitels II dieser Verordnung lautet:

    „(1)      Sofern das Gericht eines Mitgliedstaats nicht bereits nach anderen Vorschriften dieser Verordnung zuständig ist, wird es zuständig, wenn sich der Beklagte vor ihm auf das Verfahren einlässt. Dies gilt nicht, wenn der Beklagte sich einlässt, um den Mangel der Zuständigkeit geltend zu machen[,] oder wenn ein anderes Gericht aufgrund des Artikels 24 ausschließlich zuständig ist.

    (2)      In Streitigkeiten nach den Abschnitten 3, 4 oder 5, in denen der Beklagte Versicherungsnehmer, Versicherter, Begünstigter eines Versicherungsvertrags, Geschädigter, Verbraucher oder Arbeitnehmer ist, stellt das Gericht, bevor es sich nach Absatz 1 für zuständig erklärt, sicher, dass der Beklagte über sein Recht, die Unzuständigkeit des Gerichts geltend zu machen, und über die Folgen der Einlassung oder Nichteinlassung auf das Verfahren belehrt wird.“

    10

    Art. 62 Abs. 1 in Kapitel V („Allgemeine Vorschriften“) der Verordnung Nr. 1215/2012 sieht vor:

    „Ist zu entscheiden, ob eine Partei im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, dessen Gerichte angerufen sind, einen Wohnsitz hat, so wendet das Gericht sein Recht an.“

    Tschechisches Recht

    11

    Nach § 11 Abs. 1 des zákon č. 99/1963 Sb., Občanský soudní řád (Gesetz Nr. 99/1963, Zivilprozessordnung) sind für die Bestimmung der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit bis zum Abschluss des Verfahrens die Umstände maßgeblich, die zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens vorliegen. Was die örtliche Zuständigkeit betrifft, geht aus § 85 der Zivilprozessordnung hervor, dass, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt, eine natürliche Person ihren allgemeinen Gerichtsstand bei dem Bezirksgericht hat, in dessen Bezirk sie ihren Wohnsitz hat.

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    12

    Am 21. Juli 2014 schlossen die Parteien des Ausgangsverfahrens auf elektronischem Weg einen Verbraucherkreditvertrag, mit dem PA, einer natürlichen Person, die Verbraucherin ist, ein Kredit in Höhe von 50 000 tschechischen Kronen (CZK) (etwa 1 820 Euro) gewährt wurde.

    13

    Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts war PA wiederholt mit der Zahlung in Verzug und entrichtete die fälligen Raten auch nach mehreren Mahnungen sowie einem von dem Kreditinstitut eingeleiteten vorgerichtlichen Schlichtungsversuch nicht.

    14

    Am 7. März 2018 erhob die mBank bei dem vorlegenden Gericht Klage mit dem Antrag, PA zur Zahlung des Kapitals, der Zinsen auf das Kapital und der kapitalisierten Zinsen zu verurteilen.

    15

    Die Zuständigkeit des Obvodní soud pro Prahu 8 (Bezirksgericht Prag 8, Tschechische Republik) leitete die mBank daraus ab, dass davon auszugehen sei, dass PA ihren Wohnsitz in Prag (Tschechische Republik) habe, wie aus der von ihr im Kreditantrag und im Vertrag selbst angegebenen Anschrift ersichtlich sei.

    16

    Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass sich der Wohnsitz von PA zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Hoheitsgebiet der Slowakischen Republik und nicht in dem der Tschechischen Republik befunden habe. Abgesehen davon, dass alle Versuche, gerichtliche Schriftstücke im letztgenannten Mitgliedstaat zuzustellen, gescheitert seien, habe PA nämlich nach Belehrung gemäß Art. 26 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 unter Vorlage von Nachweisen angegeben, dass sie zum Zeitpunkt der Klageerhebung ihren ständigen Wohnsitz in der Slowakei gehabt habe, und infolgedessen die Zuständigkeit des angerufenen tschechischen Gerichts bestritten.

    17

    Das vorlegende Gericht gibt zwar an, dass der Begriff „Wohnsitz des Verbrauchers“ im Sinne der Verordnung Nr. 1215/2012 seiner Ansicht nach dahin zu verstehen sei, dass er auf den Wohnsitz des Verbrauchers zum Zeitpunkt der Klageerhebung verweise, fragt den Gerichtshof aber nichtsdestoweniger, ob dies tatsächlich der Fall sei oder ob dieser Begriff auf den Wohnsitz des Verbrauchers zum Zeitpunkt der Entstehung des Vertragsverhältnisses verweise, d. h. in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens auf den Zeitpunkt des Abschlusses des betreffenden Kreditvertrags.

    18

    Zudem handle es sich bei dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrag weder um einen Kauf beweglicher Sachen auf Teilzahlung noch um ein Darlehen zur Finanzierung eines Kaufs derartiger Sachen im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 1215/2012, und nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. c könne es sich nur dann um eine Verbrauchersache handeln, wenn der Vertrag mit einer Person geschlossen worden sei, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz habe, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübe.

    19

    Unter diesen Umständen hat der Obvodní soud pro Prahu 8 (Bezirksgericht Prag 8) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.      Bezieht sich der Ausdruck „Wohnsitz des Verbrauchers“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 1215/2012 auf den Wohnsitz des Verbrauchers zum Zeitpunkt der Klageerhebung oder zum Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses zwischen dem Verbraucher und seinem Vertragspartner (somit z. B. zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses), d. h., liegt eine Verbrauchersache im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Buchst. c der angeführten Verordnung auch dann vor, wenn der Verbraucher zum Zeitpunkt der Klageerhebung seinen Wohnsitz bereits im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen hat, in dem der Vertragspartner des Verbrauchers eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt?

    2.      Kann ein Verbraucher, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats hat, gemäß Art. 7 der Verordnung Nr. 1215/2012 vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre (ungeachtet von Art. 18 Abs. 2 und Art. 26 Abs. 2 dieser Verordnung), weil der Vertragspartner des Verbrauchers keine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Mitgliedstaat ausübt, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher zum Zeitpunkt der Klageerhebung seinen Wohnsitz hat?

    Zu den Vorlagefragen

    20

    Wenn die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder wenn die Beantwortung der zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, kann der Gerichtshof gemäß Art. 99 seiner Verfahrensordnung auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden.

    21

    Diese Bestimmung ist im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens anzuwenden.

    22

    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof dessen Aufgabe ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (vgl. u. a. Urteil vom 28. Mai 2020, World Comm Trading Gfz, C‑684/18, EU:C:2020:403, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    23

    Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht also wissen, ob Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass der Begriff „Wohnsitz des Verbrauchers“ im Sinne dieser Bestimmung den Wohnsitz des Verbrauchers zum Zeitpunkt des Abschlusses des betreffenden Vertrags oder zum Zeitpunkt der Klageerhebung bezeichnet.

    24

    Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vertrag von einer natürlichen Person geschlossen wurde, die Verbraucherin ist, und nichts in den dem Gerichtshof vorliegenden Akten deutet darauf hin, dass PA diesen Vertrag zu einem Zweck geschlossen hat, der im Sinne von Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 mit einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit verbunden ist.

    25

    Daraus folgt, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vertrag nach dieser Vorschrift unter die Kategorie „Verbrauchersachen“ im Sinne dieser Vorschrift fallen kann.

    26

    Was die besonderen Zuständigkeitsregeln bei Verbrauchersachen betrifft, so sieht Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 für den Fall, dass die Klage wie im vorliegenden Fall von dem beruflich oder gewerblich Handelnden gegen den Verbraucher erhoben wird, eine Regel der ausschließlichen Zuständigkeit vor, wonach die Klage nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden kann, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.

    27

    Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass PA, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kreditvertrags ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet der Tschechischen Republik hatte, ihren Wohnsitz zwischenzeitlich verlegt hat, ohne diese Änderung ihrem Vertragspartner oder den tschechischen Behörden mitzuteilen.

    28

    Gleichwohl ist das vorlegende Gericht, wie in Rn. 16 des vorliegenden Beschlusses ausgeführt, indem es gemäß Art. 62 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 das Recht des Staates des angerufenen Gerichts angewandt hat, zu dem Schluss gelangt, dass sich der letzte bekannte Wohnsitz von PA in der Slowakei befand.

    29

    Hierzu ist erstens festzustellen, dass der Wortlaut von Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 insbesondere in der tschechischen, der deutschen, der englischen, der polnischen, der rumänischen und der finnischen Sprachfassung insofern eindeutig ist, als er den Mitgliedstaat nennt, „in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat“. Eine wörtliche Auslegung dieser Bestimmung führt daher zu der Schlussfolgerung, dass eine Klage eines beruflich oder gewerblich Handelnden gegen einen Verbraucher nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden kann, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher zum Zeitpunkt der Klageerhebung seinen Wohnsitz hat.

    30

    Zweitens war, wie sich aus dem Bericht von Herrn P. Jenard zu dem Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1979, C 59, S. 1) ergibt, die Bevorzugung des tatsächlichen Wohnsitzes zum Zeitpunkt der Klageerhebung gegenüber der im Vertrag angegebenen Anschrift bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Übereinkommens die in Aussicht genommene Lösung. Herr P. Jenard hat nämlich auf Seite 33 dieses Berichts erklärt: „Es ist schwierig, die Zuständigkeit für Klagen des Verkäufers oder des Darlehnsgebers in den Fällen zu regeln, in denen der Käufer oder der Darlehnsnehmer seinen Wohnsitz nach Vertragsschluss in das Ausland verlegt“, und „[d]er Schutz dieser Personen verlangt an sich, dass sie nur vor den Gerichten des Staates verklagt werden dürfen, in dem sie ihren neuen Wohnsitz errichtet haben“.

    31

    Drittens könnte eine andere Auslegung zu Rechtsunsicherheit hinsichtlich des zuständigen Gerichts in Situationen führen, in denen der Verbraucher seinen Wohnsitz während der Dauer des betreffenden Rechtsverhältnisses einmal oder mehrmals geändert hat. Eine solche Häufung der Gerichte, die angerufen werden können, würde nämlich dem in ihrem 15. Erwägungsgrund dargelegten Ziel der Verordnung Nr. 1215/2012 zuwiderlaufen, wonach die Zuständigkeitsregeln in hohem Maß vorhersehbar sein müssen.

    32

    In diesem Sinne ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Rn. 47 seines Urteils vom 17. November 2011, Hypoteční banka (C‑327/10, EU:C:2011:745), das die Verordnung Nr. 44/2001 betraf, aber auf die Verordnung Nr. 1215/2012 übertragbar ist, entschieden hat, dass „in einer Situation …, in der ein Verbraucher, der Partei eines … [D]arlehensvertrags ist, … seinen Wohnsitz aufgibt, bevor gegen ihn eine Klage wegen Verletzung seiner vertraglichen Pflichten erhoben wird, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sich der letzte bekannte Wohnsitz des Verbrauchers befindet, … zuständig sind“. Daher ist im Fall eines Aufeinanderfolgens von Wohnsitzen für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats allein der letzte bekannte Wohnsitz des Verbrauchers zum Zeitpunkt der Erhebung der betreffenden Klage maßgebend.

    33

    Daraus folgt, dass die Gerichte eines Mitgliedstaats nicht für die Entscheidung über einen Rechtsstreit zuständig sind, der einen Vertrag betrifft, den ein Verbraucher unter den in Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 vorgesehenen Voraussetzungen geschlossen hat, wenn sich, wie im vorliegenden Fall, der letzte bekannte Wohnsitz des Verbrauchers nicht im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats befindet.

    34

    Ferner ist darauf hinzuweisen, dass diese Lösung erstens durch die Systematik der in Kapitel II Abschnitt 4 der Verordnung Nr. 1215/2012 enthaltenen Vorschriften über die Zuständigkeit bei „Verbrauchersachen“ bestätigt wird, die eng auszulegen sind, da damit sowohl von der in Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung aufgestellten allgemeinen Zuständigkeitsregel, nach der die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, als auch von der besonderen Zuständigkeitsregel gemäß Art. 7 Nr. 1 dieser Verordnung für Verträge oder Ansprüche aus Verträgen, nach der das Gericht des Ortes zuständig ist, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre, abgewichen wird (vgl. entsprechend in Bezug auf die Verordnung Nr. 44/2001 Urteil vom 6. September 2012, Mühlleitner, C‑190/11, EU:C:2012:542, Rn. 26 und 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    35

    Zweitens entspricht diese Lösung, wie der in Rn. 30 des vorliegenden Beschlusses angeführte Bericht von Herrn P. Jenard angibt, der besonderen Zielsetzung von Abschnitt 4 des Kapitels II der Verordnung Nr. 1215/2012, der die „Zuständigkeit bei Verbrauchersachen“ betrifft und besondere Zuständigkeitsregeln zugunsten des Verbrauchers als des Vertragspartners aufstellt, der gegenüber seinem beruflich oder gewerblich handelnden Kontrahenten als wirtschaftlich schwächer und rechtlich weniger erfahren angesehen wird (vgl. entsprechend Urteil vom 23. Dezember 2015, Hobohm, C‑297/14, EU:C:2015:844, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    36

    Daher ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass der Begriff „Wohnsitz des Verbrauchers“ im Sinne von Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass er den Wohnsitz des Verbrauchers zum Zeitpunkt der Klageerhebung bezeichnet.

    Kosten

    37

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

    Der Begriff „Wohnsitz des Verbrauchers“ im Sinne von Art. 18 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass er den Wohnsitz des Verbrauchers zum Zeitpunkt der Klageerhebung bezeichnet.

    RechtsgebietProzessrechtVorschriftenArt. 18 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.12