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  • 16.03.2021 · IWW-Abrufnummer 221195

    Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 26.02.2021 – 6 U 127/20

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Oberlandesgericht Köln

    6 U 127/20

    Tenor:

    Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 22.09.2020 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln ‒ 31 O 85/20 ‒abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

    Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 08.05.2020 in der Gestalt des Urteils vom 22.09.2020 wird aufgehoben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag wird zurückgewiesen.

    Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Antragsteller auferlegt.

    1

    G r ü n d e

    2

    I.

    3

    Der Antragsteller, ein in die Liste nach § 4 UKlaG eingetragener Verein, nimmt die Antragsgegnerin, ein Luftfahrtunternehmen, nach Abmahnung auf Unterlassung in Anspruch. Die Antragsgegnerin hat wegen der Corona-Pandemie zwei für Ostern 2020 bzw. März 2020 gebuchte Flüge annulliert. Auf die Wünsche der Fluggäste I. und B. nach einer Umbuchung auf Dezember 2020 oder März 2021 bzw. auf Juli 2020 hatte sie zunächst in Telefonaten am 31.03.2020 bzw. am 05.04.2020 die Zahlung eines Aufpreises verlangt. Der Antragsteller sieht darin einen Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (FluggastrechteVO). Das Landgericht hat am 08.05.2020 ohne Anhörung der Antragsgegnerin antragsgemäß eine Beschlussverfügung erlassen. Auf Widerspruch der Antragsgegnerin hat das Landgericht mit Urteil vom 22.09.2020, auf das wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge Bezug genommen wird, die einstweilige Verfügung mit der Maßgabe einer Bezugnahme auf die beiden Telefonate als konkrete Verletzungsform aufrechterhalten.

    4

    Mit ihrer Berufung rügt die Antragsgegnerin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit. Selbst dann, wenn ein Verfügungsanspruch bestehen sollte, hätte das Landgericht die Geltung der Unterlassungsverfügung zeitlich dahin begrenzen müssen, dass sie erst mit Zustellung des angefochtenen Urteils Wirksamkeit entfalte. Außerdem liege entgegen der Ansicht des Landgerichts kein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 a), Art. 8 Abs. 1 c) der FluggastrechteVO vor; die „vergleichbaren Reisebedingungen“ erforderten einen Zusammenhang mit der ursprünglichen Reiseplanung, der bei den streitgegenständlichen Fällen nicht gegeben sei. Schließlich agiere die Antragstellerin nicht zum Schutz kollektiver Verbraucherinteressen. Bei dem Fall des Herrn B. handele sich ersichtlich um ein Versehen.

    5

    Die Antragsgegnerin beantragt,

    6

    die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 08.05.2020 in der Gestalt des Urteils vom 22.09.2020, Az. 31 O 85/20, aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.

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    Der Antragsteller beantragt,

    8

    die Berufung zurückzuweisen.

    9

    Er verteidigt die angefochtene Entscheidung.

    10

    II.

    11

    Die zulässige Berufung ist begründet.

    12

    1.              Ob der Vorwurf der Antragsgegnerin bezüglich der Verletzung des rechtlichen Gehörs und/oder des Grundsatzes der Waffengleichheit berechtigt ist, kann - nicht nur im Hinblick auf den Erfolg des Rechtsmittels - dahinstehen. Ein etwaiger Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist jedenfalls geheilt. Ein mit der Verletzung des rechtlichen Gehörs regelmäßig auch vorliegender eigenständiger Verstoß gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit, Art. 3 Abs. 1 GG, könnte im vorliegenden Verfahren ohnehin nicht mehr gänzlich beseitigt werden (vgl. OLG Köln, Urteil vom 18.04.2019, 15 U 204/18, Juris, Tz. 42, m.w.N.), auch nicht mit der von der Antragsgegnerin gewünschten „zeitlichen Modifikation“. Zur Beseitigung einer etwaigen bewussten Grundrechtsverletzung ist allenfalls die Möglichkeit einer auf Feststellung gerichteten Verfassungsbeschwerde eröffnet.

    13

    Der Ansicht der Antragsgegnerin, dass selbst dann, wenn ein Verfügungsanspruch bestünde, die Beschlussverfügung aufgehoben und das Verbot erst ab Zustellung des Urteils erlassen werden dürfe, kann nicht beigetreten werden. Eine gesetzliche Grundlage für ein solches Vorgehen ist nicht erkennbar. Das Argument einer gewünschten Entlastung des Bundesverfassungsgerichts und/oder der Hinweis auf das Gemeinwohlinteresse tragen nicht. Die Verletzung prozessualer Verfahrensrechte durch das Gericht kann nicht die nachträgliche Verkürzung eines nach Heilung des Gehörsmangels als bestehend festgestellten Rechts zu Lasten des Antragstellers rechtfertigen. Soweit die Antragsgegnerin auf die einstweiligen Anordnungen des BVerfG vom 03.06.2020 (1 BvR 1246/20) und 17.06.2020 (1 BvR 1380/20) verweist sowie auf das Urteil des 15. Zivilsenats des OLG Köln vom 18.04.2019 (15 U 204/18), ist ihr entgegenzuhalten, dass es vorliegend nicht darum geht, eine unter Verletzung von Verfahrensgrundrechten einseitig erlassene Verfügung zunächst aufzuheben und dann im weiteren Verfahrensverlauf nach Anhörung in einem fairen Verfahren ggf. erneut zu erlassen. Die Antragsgegnerin erstrebt vielmehr nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens bzw. nunmehr nach Abschluss der ersten Instanz eine endgültige zeitliche Begrenzung gleichsam als symbolischen Akt zur Kennzeichnung der nicht geheilten Grundrechtsverletzung, um ihr nachträglich Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Dies geht über die Möglichkeiten eine Selbstkorrektur der Fachgerichte im Instanzenzug hinaus.

    14

    2.              Der Antragsteller hat keinen Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin aus § 2 Abs. 1 UKlaG i.V.m. § 3 Abs. 1 UKlaG, Art. 5 Abs. 1 a) und Art. 8 Abs. 1 c) FluggastrechteVO.

    15

    a)              Dass die Antragstellerin nach § 3 Abs. 1, § 4 UKlaG anspruchsberechtigt und die FluggastrechteVO ein Verbraucherschutzgesetz i.S.d. § 2 UKlaG ist, steht außer Frage.

    16

    Die Antragstellerin handelt auch im Interesse des Verbraucherschutzes. Kollektive Interessen der Verbraucher sind berührt, wenn der Verstoß in seinem Gewicht und seiner Bedeutung über den Einzelfall hinausreicht und eine generelle Klärung geboten erscheinen lässt. Dabei sind im Hinblick auf die ohnehin erforderliche Wiederholungsgefahr keine strengen Anforderungen zu stellen. Von der Verfolgung ausgeschlossen sind lediglich Verstöße, die offensichtlich auf einem Versehen im Einzelfall beruhen (KBF / Köhler, UWG, 39. Aufl., § 2 UKlaG Rn. 38). Die Antragsgegnerin kann sich nicht darauf berufen, dass es sich bei den streitgegenständlichen Vorfällen vom 31.03.2020 (I.) und 05.042020 (B.) um ein Versehen bzw. einen Einzelfall gehandelt habe. Zum einen ist durch die eidesstattliche Versicherung der Fr. O. vom 23.06.2020 ein dritter Vorfall vom 24.05.2020 vergleichbarer Art glaubhaft gemacht. Zum anderen ist die Antragsgegnerin der Ansicht, Unterstützungsleistungen nach Art. 8 FluggastrechteVO nur dann erbringen zu müssen, wenn ein auch zeitlicher Zusammenhang zwischen dem ursprünglich Flug und dem gewünschten Ersatzflug besteht. Sie verteidigt damit im Ergebnis das gerügte Vorgehen ihrer Mitarbeiter. Soweit die Antragsgegnerin in dem von Fr. T., der Reisepartnerin des Hrn. I., geführten Verfahren vor dem Amtsgericht Köln, Az. 155 C 226/20, nach vorgenommener Umbuchung und Erledigungserklärung ein Kostenanerkenntnis abgegeben hat, hat sie klargestellt, sich hierfür aus rein wirtschaftlichen Gründen entschieden zu haben. Ihr Verhalten sei keineswegs dahin zu deuten, dass sie den Anspruch auf die begehrte kostenfrei Umbuchung für berechtigt halte.

    17

    b)              Nach Art. 5 Abs. 1 a), Art. 8 Abs. 1 c) FluggastrechteVO kann bei Annullierung eines Fluges der Fluggast vom ausführenden Luftfahrtunternehmen eine anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt (als dem frühestmöglichen, s. Art. 8 Abs. 1 b) FluggastrechteVO) nach seinem Wunsch verlangen, vorbehaltlich verfügbarer Plätze. Die Auslegung der Norm ergibt, dass die Umbuchung zwar entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin kostenlos zu erbringen ist, aber in einem auch zeitlichen Zusammenhang mit der ursprünglichen Reise stehen muss. Der Senat tritt insoweit der Argumentation der Antragsgegnerin bei.

    18

    aa)              Art. 8 Abs. 1 c) FluggastrechteVO sieht nach Ansicht des Senats eindeutig eine kostenfreie Umbuchung vor (s. auch BeckOK-Degott, FluggastrechteVO; 17. Ed., Stand 01.01.2021, Art. 8 Rn. 13c). Dies ergibt sich ansatzweise bereits aus dem Wortlaut der Norm, die eine anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes lediglich unter den Vorbehalt verfügbarer Plätze stellt und nicht auch unter den Vorbehalt der Wirtschaftlichkeit. Außerdem werden die Ansprüche aus Art. 8 in Art. 5 FluggastrechteVO als „Unterstützungsleistungen“ bezeichnet. In jedem Fall folgt die Unentgeltlichkeit der Umbuchung aber aus Sinn und Zweck des Art. 8 FluggastrechteVO, der für den Fall der Nichtdurchführung eines geplanten Fluges einen Wahlanspruch auf Erstattung oder auf eine anderweitige Beförderung vorsieht. Ein Anspruch auf anderweitige Beförderung gegen Zahlung eines Aufpreises ‒ entsprechend dem Preis für eine neue Buchung ‒ wäre weder mit dem Anspruch auf Erstattung / Rückabwicklung nach Art. 8 Abs. 1 a) FluggastrechteVO (s.u. cc) gleichwertig, noch läge darin eine „Unterstützungsleistung“. Unabhängig von dem nach dem deutschen Recht geltenden Kontrahierungszwang ist kaum ein Fall denkbar, in dem die Fluggesellschaft eine Neubuchung ablehnen wird. Dass Art. 8 Abs. 1 c) FluggastrechteVO ‒ anders als Art. 9 Abs. 1 und 2 FluggastrechteVO ‒ nicht ausführt, die anderweitige Beförderung zum Endziel erfolge „unentgeltlich“, bestätigt die Ansicht der Antragsgegnerin nicht. Eine solche Formulierung wäre unrichtig, da die Beförderung tatsächlich nicht unentgeltlich erfolgt, sondern zum vereinbarten Preis. Die Betreuungsleistungen nach Art. 9 sind in dem vereinbarten Preis dagegen nicht enthalten. Auch aus Art. 8 Abs. 3 kann die Antragstellerin für ihre Ansicht nichts herleiten.

    19

    bb)              Die Annullierung der Flüge erfolgte aufgrund der Corona-Pandemie und geht damit auf außergewöhnliche Umstände zurück. Diese schließen gemäß Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO lediglich Ausgleichszahlungen nach Art. 7 FluggastrechteVO aus, nicht jedoch den Anspruch nach Art. 8 FluggastrechteVO auf Erstattung oder anderweitige Beförderung (s. BeckOK/Degott, FluggastrechteVO, 17. Ed., Stand 01.01.2021, Art. 8 Rn. 10). Bei unvorhersehbarer höherer Gewalt werden damit zwar die Interessen des Luftfahrtunternehmens weniger berücksichtigt als die der Fluggäste, eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung liegt dennoch nicht vor (s. Staudinger/Keiler, FluggastrechteVO, 1. Aufl. 206, Art. 8 Rn. 51 m.w.N. zur Rechtsprechung des EuGH).

    20

    cc)              Problematisch ist die Frage, ob Art. 8 Abs. 1 c) FluggastrechteVO einen auch zeitlichen Zusammenhang mit der ursprünglichen Reiseplanung erfordert. Diese grundsätzliche Frage ist bislang nicht höchstrichterlich geklärt.

    21

    Der Wortlaut der Norm ist hierzu nicht eindeutig. Er lässt sowohl die umfassend begründete Auslegung des Landgerichts zu, als auch die der Antragsgegnerin. Die Formulierung in Art. 8 Abs. 1 b) FluggastrechteVO „anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ stellt einen eindeutigen zeitlichen Bezug zum ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes her. Für Art. 8 Abs. 1 c) FluggastrechteVO „anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes, vorbehaltlich verfügbarer Plätze“ ist eine entsprechende Auslegung naheliegend ‒ der Fluggast entscheidet sich in beiden Fällen, die Reise fortzusetzen statt abzubrechen und eine Erstattung nach Art. 8 Abs. 1 a) FluggastrechteVO zu wählen ‒ aber nicht zwingend. Die Regelung in Art. 8 Abs. 1 c) FluggastrechteVO ist unter der Prämisse eines zeitlichen Zusammenhangs mit der ursprünglichen Reise auch nicht inhaltsleer. Sie eröffnet dem Reisenden vielmehr interessengerecht eine gewisse zeitliche Flexibilität, wenn ihm die Beförderung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nicht gelegen kommt, z.B. weil der Termin mitten in der Nacht liegt oder mit einem anderen Termin des Fluggastes (Telefonkonferenz o.ä.) kollidiert.

    22

    Sinn und Zweck der Norm sprechen für die Ansicht der Antragsgegnerin, ebenso die Gesamtsystematik der Verordnung. Es erscheint dem Senat relativ eindeutig, dass die FluggastrechteVO in ihrem Regelungsgeflecht auf den Schutz der Fluggäste nur während der jeweiligen Reise abzielt. Die von einer Annullierung betroffenen Fluggäste sollen von den Auswirkungen des Ausbleibens der Beförderungsleistung geschützt werden. Für einen weitegehenden Schutz besteht keine Veranlassung und auch kein berechtigtes Interesse (zu den absehbaren Folgen der Rechtsansicht des Landgerichts s. z.B. den bei BILD veröffentlichten „Spar-Trick“ der Umbuchung auf eine Hochpreis-Phase, um trotz Corona profitieren zu können).

    23

    Nach den Erwägungsgründe 1 und 2 zur FluggastrechteVO wird das Bedürfnis für ein hohes Schutzniveau insbesondere für gegen ihren Willen nicht beförderte Fluggäste und Annullierung sowie große Verspätungen gesehen, ein grundsätzliches Schutzbedürfnis nach den Erwägungsgründe 5 und 6 auch für Pauschalreisen. Freiwillig Nichtbeförderte sollen nicht schlechter stehen als unfreiwillig Nichtbeförderte, Erwägungsgrund 11. Nichtbeförderung und Verspätung stehen in einem natürlichen Zusammenhang mit der ursprünglichen Reiseplanung. Insoweit liegt es nahe, die durch die Verordnung festgelegten Mindestrechte nicht nur für die Fälle der Nichtbeförderung und Verspätung, sondern auch für den Fall der Annullierung vor dem Hintergrund der ursprünglichen Reiseplanung zu sehen. Bei Pauschalreisenden, denen sämtliche Wahlmöglichkeiten des Art. 8 Abs. 1 offenstehen, einschließlich der anderweitigen Beförderung zum Endziel zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes (s. Staudinger/Keiler, FluggastrechteVO, 1. Aufl. 2016, Art. 8 Rn. 37; BeckOK/Degott, FluggastrechteVO, 17. Ed., Stand 01.01.2021, Art. 8 Rn. 14), ist ein auch zeitlicher Zusammenhang mit der geplanten Reise unverkennbar.

    24

    Gegen ihren Willen nicht beförderte Personen und freiwillig nicht beförderte Personen werden ebenso auf Art. 8 FluggastrechteVO verwiesen wie Gäste, deren Flüge annulliert wurden, s. die Erwägungsgründe 9, 10, 11 sowie Art. 4 Abs. 1 und 3 FluggastrechteVO). In Zusammenhang mit einer freiwilligen Nichtbeförderung wäre es kaum vertretbar, dem Fluggast ein „Umbuchungsrecht“ auf eine beliebige andere Reisezeit / eine völlig andere Reise zuzubilligen. Dem entsprechend kann die Verspätung eines Fluges auch nur zu einem Anspruch auf Erstattung nach Art. 8 Abs. 1 a) FluggastrechteVO führen sowie mittels der Unterstützungsleistungen nach Art. 9 FluggastrechteVO zu einer Fortsetzung des Fluges unter zufriedenstellenden Bedingungen, nicht aber zu einem Anspruch auf anderweitige Beförderung, Erwägungsgrund 17 und Art. 6 Abs. 1 i, iii FluggastrechteVO.

    25

    Die Regelungen zur Annullierung sollen gemäß Erwägungsgrund 12 dazu dienen, das Ärgernis und die Unannehmlichkeiten der Fluggäste zu verringern. Dies erfordert nicht, dem Fluggast ein beliebiges kostenfreies Umbuchungsrecht einzuräumen, das außerhalb jeglichen Zusammenhangs mit der geplanten Reise steht, z.B. auf einen Flug erst nach der ursprünglich geplanten Reise, zu einer besonders teuren Reisezeit. Auch die Mittel, mit denen das Ärgernis und die Unannehmlichkeiten vermindert werden sollen, stehen in Zusammenhang mit der ursprünglichen Reiseplanung: Der Fluggast soll vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet werden und ihm soll eine zumutbare anderweitige Beförderung angeboten werden, so dass er umdisponieren kann, Erwägungsgrund 12 und Art. 5 Abs. 2, Abs. 1 c) FluggastrechteVO. Dabei stehen die Angebote zur anderweitigen Beförderung gemäß Art. 5 Abs. 1 c) FluggastrechteVO in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit den planmäßigen Abflugs- und Ankunftszeiten. Andernfalls sollen den Fluggästen ein Ausgleich und eine angemessene Betreuung angeboten werden, Erwägungsgrund 12. Sie sollen entweder eine Erstattung des Flugpreises oder eine anderweitige Beförderung unter zufriedenstellenden Bedingungen erhalten können, und sie sollen angemessen betreut werden, „während sie auf einen späteren Flug warten“, Erwägungsgrund 13 und Art. 8 Abs. 1, Art. 9 FluggastrechteVO. Zwar erlischt nach den vom Landgericht zitierten nicht bindenden Auslegungsleitlinien der Kommission der Betreuungsanspruch, wenn sich der Fluggast für die Erstattung der Flugscheinkosten oder eine anderweitige Beförderung zu einem späteren Zeitpunkt entscheidet, gleichwohl wird in Erwägungsgrund 13 die Vorstellung des Verordnungsgebers deutlich, dass die Fluggäste innerhalb einer Wartezeit und damit eines relativ kurzen Zeitraums anderweitig an den vorgesehenen Zielort gebracht werden.

    26

    Nach Art. 7 Abs. 2 FluggastrechteVO kann der Ausgleichsanspruch gekürzt werden, wenn dem Fluggast gemäß Art. 8 FluggastrechteVO eine anderweitige Beförderung zum Endziel mit einem Alternativflug angeboten wird, dessen Ankunftszeit nicht unter bestimmten Zeiträumen nach der planmäßigen Ankunftszeit des ursprünglich gebuchten Fluges liegt. Der zeitliche Zusammenhang mit der ursprünglichen Reise ist auch hier unverkennbar.

    27

    Entscheidend ist nach Ansicht des Senat schließlich, dass es sich bei Art. 8 Abs. 1 FluggastrechteVO sinngemäß um eine Art Gewährleistungsansprüche für den Fall der Nichterfüllung des Vertrages handelt, auch wenn der Senat nicht verkennt, dass zwischen dem Fluggast und dem nach Art. 5, 8 FluggastrechteVO verpflichteten ausführenden Luftfahrtunternehmen keineswegs ein Vertragsverhältnis bestehen muss und das deutsche Rechtssystem auch keine Blaupause für die Auslegung der FluggastrechteVO bildet. Art. 8 Abs. 1 a) FluggastrechteVO begründet gleichwohl im Ergebnis ex nunc einen Anspruch auf Rückabwicklung des Vertrages, soweit dieser noch nicht erfüllt ist bzw. seinen Zweck verfehlt hat (s. BeckOK/Degott, FluggastrechteVO; 17. Ed., Stand 01.01.2021, Art. 8 Rn. 4; Staudinger/Keiler, FluggastrechteVO, 1. Aufl. 2016, § 8 Rn. 8 ff.). Bei Art. 8 Abs. 1 b) und c) FluggastrechteVO handelt es sich dem entsprechend um einen Anspruch auf Nacherfüllung, der naturgemäß inhaltlich an den Luftbeförderungsvertrag gebunden ist. Ein solcher Anspruch steht grundsätzlich in Zusammenhang mit der ursprünglich geplanten Reise. Ob der insoweit erforderliche Zusammenhang gewahrt ist, richtet sich nach den Umständen der geplanten Reise, wobei der Beförderungsanspruch nach deutschem Recht regelmäßig als relatives Fixgeschäft zu qualifizieren ist (s. Staudinger/Keiler, FluggastrechteVO, 1. Aufl. 2016, Art. 8 Rn. 15). Bei Nichteinhaltung der Leistungszeit tritt keine Unmöglichkeit ein, die Flugbeförderungsleistung kann nachgeholt werden, der Gläubiger ist aber berechtigt vom Vertrag zurückzutreten. Die Einhaltung der Leistungszeit ist gleichwohl so wesentlich, dass mit der zeitgerechten Leistung das Geschäft stehen und fallen soll. Wann eine verspätete Leistung (Ankunft) für den Fluggast keinen Sinn mehr ergibt und keine Erfüllung mehr darstellt, also unmöglich wird, richtet sich nach dem ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes. So wird man z.B. bei einem Nur-Hinflug zum Zweck der Auswanderung einen anderen zeitlichen Maßstab zugrunde zu legen haben als bei einem Wochenendtrip mit einem auf Freitag gebuchten Hinflug und einem auf Sonntag gebuchten Rückflug.

    28

    Aus den nicht verbindlichen Auslegungsleitlinien der Kommission zur FluggastrechteVO (ABl. C 214 vom 15.06.2016 S. 5) und deren Ergänzung auch im Zusammenhang mit Covid-19 (ABl. CI 89/1 vom 18.03.2020) kann für die hier streitentscheidende Frage nichts hergeleitet werden. Die Kommission ist nicht der eindeutigen Ansicht, der Anspruch aus Art. 8 Abs. 1 c) FluggastrechteVO könne auch noch Jahre später, für eine völlig andere Reise, geltend gemacht werden.

    29

    3.              Aus § 8 Abs. 1 UWG i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 3, § 3, § 5 Nr. 7 UWG / Täuschung über Verbraucherrechte kann der Kläger keine weitergehenden Rechte herleiten als aus § 2 Abs. 1 UKlaG i.V.m. § 3 Abs. 1 UKlaG, Art. 5 Abs. 1 a) und Art. 8 Abs. 1 c) FluggastrechteVO.

    30

    III.

    31

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

    32

    Das Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.

    33

    Gegenstandswert für das Berufungsverfahren: 10.000,00 €.

    RechtsgebietFluggastrechteVorschriftenFluggastrechteVO Art. 5; Art. 8 Abs. 1 b) und c)