18.11.2020 · IWW-Abrufnummer 219002
Oberlandesgericht Dresden: Beschluss vom 25.05.2020 – 8 W 298/20
1. Ein Beschluss, durch den ein Antrag des Klägers auf Bestellung eines Prozesspflegers für die führungslose beklagte GmbH abgelehnt wird, ist innerhalb der Frist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO anfechtbar.
2. Die Auslegung von Prozesserklärungen hat sich daran zu orientieren, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse der Partei entspricht (Anschluss an BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2013, IX ZB 229/11, Rn. 30).
3. Der Wegfall der Prozessfähigkeit ist für einen Rechtsstreit ohne Bedeutung, wenn die nicht mehr prozessfähige Partei einem Rechtsanwalt wirksam Prozessvollmacht erteilt hat, weil die Vollmacht nach § 86 ZPO weiter wirkt. Dies gilt auch dann, wenn bereits vor Klageerhebung kein gesetzlicher Vertreter mehr vorhanden ist, aber eine bereits vor Wegfall der Prozessfähigkeit erteilte Prozessvollmacht fortbesteht; eine solche Partei ist bei fortwirkender Prozessvollmacht wirksam vertreten.
In Sachen
J...... A......, ...
- Kläger und Beschwerdeführer -
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt J...... R......, ...
gegen
V........... Vertriebs GmbH, ...
vertreten durch den Geschäftsführer
- Beklagte und Beschwerdegegnerin -
Prozessbevollmächtigte:
B...... Rechtsanwälte PartGmbB, ...
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 24.01.2020 wird zurückgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Gründe
I.
Der Kläger hat sich im Jahr 2013 als Treuhandkommanditist mit einem Beteiligungsbetrag i.H.v. 21.400,00 € an der V........... GmbH & Co. ... KG beteiligt. Vermittelt wurde die Beteiligung durch J...... J....... Der Kläger nimmt die Beklagte, eine Vertriebsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH, auf Schadensersatz in Anspruch, da diese Pflichten aus einem zwischen den Parteien zu Stande gekommenen Anlageberatungsvertrag verletzt habe.
Geschäftsführer der Beklagten war zuletzt C...... P....... Auf ein vorgerichtliches Forderungsschreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers zeigte die Rechtsanwaltsgesellschaft B...... Rechtsanwälte B...... E...... M...... K...... PartGmbB (im Folgenden B......) mit Schreiben vom 07.02.2019 (Anlage K 30) an, die Beklagte, diese vertreten durch den Geschäftsführer C...... P......, anwaltlich zu vertreten; zugleich wurde die ordnungsgemäße Bevollmächtigung anwaltlich versichert. Am 22.02.2019 wurde in das Handelsregister eingetragen, dass der - zuletzt einzige - Geschäftsführer der Beklagten C...... P...... ausgeschieden sei.
Am 02.12.2019 erhob der Kläger Klage. Zugleich beantragte der Kläger, für die Beklagte einen Prozesspfleger nach § 57 ZPO zu bestellen. Da nicht absehbar sei, wann und ob überhaupt ein neuer Geschäftsführer bestellt werde, liege Gefahr in Verzug vor. Ohne eine Vertretung der Beklagten sei zu befürchten, dass die Beklagte in Insolvenz gehe, ein Urteil vom Kläger nicht rechtzeitig erlangt werden könne und es sei die Vollstreckung gefährdet.
Unter dem 03.01.2020 wies das Landgericht darauf hin, dass der Hinweis des Klägers auf eine Zeitverzögerung und die ihm entstehenden Nachteile im Falle einer möglichen Insolvenz der Beklagten nicht ausreichten, um eine Gefahr in Verzug im Sinn des § 57 ZPO darzulegen.
Mit Beschluss vom 24.01.2020 wies das Landgericht den Antrag auf Bestellung eines gesetzlichen Vertreters für die Beklagte zurück, da es dem Kläger obliege, die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters durch den Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit herbeizuführen. Es sei nicht ersichtlich, dass ein hierdurch entstehender zeitlicher Aufschub mit erheblichen Nachteilen für den Kläger verbunden wäre. Dieser Beschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 07.02.2020 zugestellt.
Zeitgleich mit dem Erlass des vorgenannten Beschlusses veranlasste das Landgericht die Zustellung der Klage an die Kanzlei B....... Diese zeigte an, die Beklagte anwaltlich zu vertreten, und vertrat die Auffassung, dass die Klage wegen der Führungslosigkeit der Beklagten unzulässig sei. Die Klage sei auch nicht begründet, da der Vermittler J...... bei der Vermittlung der streitgegenständlichen Kommanditbeteiligung nicht als Vertreter der Beklagten aufgetreten und deshalb kein Beratungsvertrag zwischen den Parteien zu Stande gekommen sei.
Am 12.02.2020 ging beim Landgericht ein Schriftsatz des Klägervertreters ein, in dem dieser auf den Beschluss des Landgerichts vom 24.01.2020 Bezug nahm. Das weitere Fehlen eines Geschäftsführers zeige, dass die Beklagte den Umstand der Führungslosigkeit nutze, um sich auf Dauer den von Anlegern geltend gemachten Schadensersatzansprüchen zu entziehen. Es drohe die Verjährung der Ansprüche; diese könne nur mittels Klageerhebung gehemmt werden. Der Antrag auf Bestellung eines Prozesspflegers gemäß § 57 ZPO werde deshalb aufrechterhalten.
Mit Schriftsatz vom 02.04.2020 verlangte der Klägervertreter erneut die Bestellung eines Prozesspflegers. Hierauf teilte das Landgericht mit, dass das Gericht nicht zum wiederholten Maße über den Antrag auf Bestellung eines Prozesspflegers entscheiden werde, da über diesen Antrag bereits durch Beschluss entschieden worden sei. Der Kläger möge gegen diesen Beschluss ein Rechtsmittel einlegen oder einen neuen Antrag auf einer neuen Tatsachengrundlage stellen. Dem folgend reichte der Klägervertreter einen ausdrücklich als Beschwerde bezeichneten Schriftsatz vom 21.04.2020 zur Akte, in dem er weiterhin die Bestellung eines Prozesspflegers für die Beklagte begehrte. Eine Bestellung eines Geschäftsführers durch die Muttergesellschaft der Beklagten sei nicht zu erwarten, da der Insolvenzverwalter dieser Muttergesellschaft nicht beabsichtige, einen solchen zu bestellen.
Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Der Senat hat durch Verfügung vom 05.05.2020 darauf hingewiesen, dass bereits in dem Schriftsatz des Klägervertreters vom 12.02.2020 eine fristwahrende Beschwerdeschrift zu sehen sei. Diese habe aber voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg, weil die Bestellung eines Prozesspflegers gemäß § 57 ZPO derzeit nicht erforderlich sein dürfte. Zwar sei bei der Beklagten bereits vor Klageerhebung kein gesetzlicher Vertreter mehr vorhanden gewesen. Die Beklagte habe aber nach Aktenlage wirksam eine Vollmacht an die Rechtsanwaltskanzlei B...... erteilt, die dazu führe, dass die Beklagte im Rechtsstreit wirksam vertreten sei. Der Senat gehe derzeit davon aus, dass die erteilte Vollmacht den Anforderungen an eine Prozessvollmacht genüge.
Den Parteien wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 20.05.2020 gegeben. Innerhalb der gesetzten Frist hat der Kläger keine Stellungnahme abgegeben. B...... hat mitgeteilt, dass eine Stellungnahme zu den Hinweisen des Senats aus ihrer Sicht nicht erforderlich sei.
II.
Die Beschwerde des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
1.1 Gegen Entscheidungen, durch die ein Antrag auf Bestellung eines Prozesspflegers gemäß § 57 ZPO zurückgewiesen wird, ist die sofortige Beschwerde nach den §§ 567 ZPO ff. statthaft. Die Beschwerde ist binnen der Frist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der ablehnenden Entscheidung einzulegen.
1.2 Der Schriftsatz des Klägervertreters vom 04.02.2020 hat diese Frist gewahrt. Denn diesem Schriftsatz ist - abweichend vom Verständnis des Landgerichts - inhaltlich zu entnehmen, dass es sich um ein Rechtsmittel handelt:
1.2.1 Für die Auslegung von Prozesserklärungen gelten die für Willenserklärung des bürgerlichen Rechts entwickelten Grundsätze. Die Prozesspartei darf nicht am buchstäblichen Sinn ihrer Wortwahl festgehalten werden. Die Auslegung hat sich vielmehr daran zu orientieren, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse der Partei entspricht (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 10.10.2013, IX ZB 229/11, Rn. 30). Dies dient der Verwirklichung des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gewährleisteten Anspruchs des Einzelnen auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz (BGH, Urt. v. 09.06.2016, IX ZR 314/14, Rn. 46).
1.2.2 Die Annahme des Landgerichts in der Verfügung vom 21.02.2020, es handele sich bei dem Schriftsatz des Klägers vom 12.02.2020 um einen neuerlichen gleichlautenden Antrag auf Bestellung eines Prozesspflegers auf gleicher Tatsachengrundlage, liegt demgegenüber die Annahme eines unvernünftigen und das eigene Interesse an einer Fristwahrung nicht beachtenden Verhaltens des Klägers zugrunde. Bei interessengerechter Würdigung kann die unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den - ein eigenes Gesuch zurückweisenden und deshalb gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO rechtsmittelfähigen - Beschluss vom 24.01.2020 abgegebene Erklärung des Klägers, an dem ursprünglichen Antrag festhalten zu wollen, nur als Einlegung einer Beschwerde verstanden werden.
Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers der Einschätzung des Landgerichts nachfolgend nicht ausdrücklich widersprochen hat, weil bei der Auslegung auf den Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung abzustellen ist (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 79. Aufl., § 133 Rn. 6 b).
1.2.3 Auch sonstige Gründe stehen der Zulässigkeit der Beschwerde nicht entgegen. Der Beschwerdewert übersteigt 200,00 €.
2. Die Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg, da die Bestellung eines Prozesspflegers gemäß § 57 ZPO derzeit nicht erforderlich ist, weil die Beklagte im Rechtsstreit zwischen den Parteienanwaltlich vertreten ist:
2.1 Die Prozessfähigkeit ist die Fähigkeit, Prozesshandlungen selbst oder durch selbst bestellte Vertreter wirksam vor- oder entgegenzunehmen. Eine GmbH ist als juristische Person als solche nicht fähig, Prozesshandlungen selbst vorzunehmen. Sie wird nach § 35 GmbHG durch ihre Geschäftsführer und im Fall der Liquidation nach § 66 Abs. 1 GmbHG durch die Liquidatoren gesetzlich vertreten.
2.2 Zwar ist am 22.02.2019 im Handelsregister eingetragen worden, dass der vormalige Geschäftsführer der Beklagten sein Amt als Geschäftsführer niedergelegt hat; unstreitig wurde seitdem kein neuer Geschäftsführer bestellt.
2.3 Nach überwiegender Ansicht, der sich der erkennende Richter anschließt, ist der Wegfall der Prozessfähigkeit jedoch dann für einen Rechtsstreit ohne Bedeutung, wenn die nicht mehr prozessfähige Partei einem Prozessbevollmächtigten wirksam Prozessvollmacht erteilt hat, weil die Vollmacht nach § 86 ZPO weiter wirkt. Dies gilt auch dann, wenn bereits vor Klageerhebung kein gesetzlicher Vertreter mehr vorhanden ist, aber eine bereits vor Wegfall der Prozessfähigkeit erteilte Prozessvollmacht fortbesteht; eine solche Partei ist bei fortwirkender Prozessvollmacht wirksam vertreten (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 08.02.1993, II ZR 62/92, BGHZ 121, 263 ff., Rn. 10; BAG, Urteile vom 04.06.2003, 10 AZR 449/02, Rn. 22 ff. und 10 AZR 448/02, BAGE 106, 217 ff. [BAG 04.06.2003 - 10 AZR 448/02]; BayObLG, Beschluss vom 21.07.2004, 3 ZBR 130/04; RPfleger 2004, 707; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 27.07.2016, 7 U 52/15, Rn. 17; Liege, DZWIR 2003, 504, 507; Scholz/Karsten Schmidt, GmbHG, § 74 Rn. 12b; anderer Ansicht aber Zöller/Althammer, ZPO, 33. Aufl., Rn. 9 zu § 86, und Stein/Jonas/Jacoby, ZPO, 23. Aufl., Rn. 18f. zu § 29, die meinen, dass trotz auch ihrer Ansicht nach fortbestehender Vollmacht kein Sachurteil erlassen werden dürfe).
Soweit die Beklagtenvertreter in der Klageerwiderungsschrift demgegenüber auf das Urteil des BGH vom 25. Oktober 2010 (II ZR 115/09) abgestellt haben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass bei dem dort zu Grunde liegenden Sachverhalt die dortige Beklagte zu 6 - die bereits vor Beschlussfassung des dort streitgegenständlichen Gesellschafterbeschlusses prozessunfähig geworden war - eine wirksame Prozessvollmacht erteilt hatte.
2.4 Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass den Prozessbevollmächtigten der Beklagten wirksam Vollmacht zu einem Zeitpunkt erteilt worden ist, als die Beklagte noch gesetzlich vertreten war. Der Kläger hat die Rechtsanwaltskanzlei B...... in der Klageschrift als Prozessbevollmächtigte der Beklagten bezeichnet. B...... ist dem nicht nur nicht entgegengetreten, sondern hat auf die Zustellung der Klage durch Rechtsanwalt M...... im Schriftsatz vom 17.02.2020 auch angezeigt, die Beklagte im Rechtsstreit zu vertreten. Rechtsanwalt M...... hat ferner im Schriftsatz vom 26.02.2020 angekündigt, in der mündlichen Verhandlung für die Beklagte Anträge zu stellen, und auch materiell-rechtlich auf das Klagevorbringen erwidert. Dem entspricht, dass Rechtsanwalt M...... für B...... Rechtsanwälte PartGmbB bereits unter dem 07.02.2019 - also zu einem Zeitpunkt, der mehr als zwei Wochen vor der Eintragung des Wegfalls des bisherigen Geschäftsführers der Beklagten im Handelsregister liegt - anwaltlich versichert hat, ordnungsgemäß von der Beklagten zur Vertretung gegenüber dem Kläger bevollmächtigt zu sein.
Vor diesem Hintergrund hat der Senat die Parteien darüber unterrichtet davon auszugehen, dass die B...... erteilte Vollmacht auch die gerichtliche Vertretung der Beklagten umfasst, es sich mithin um eine Prozessvollmacht handelt. Dieser Bewertung des Senats sind die Parteien und B...... nicht entgegengetreten, so dass dies der Entscheidung zu Grunde zu legen ist.
2.5 Da nach Vorstehendem die Klage wirksam zugestellt wurde, die Beklagte in den hier anhängigen Rechtsstreit aufgrund der Bevollmächtigung der B...... wirksam vertreten wird und auch ein Sachurteil ergehen kann, besteht kein Bedürfnis für die Bestellung eines Prozesspflegers nach § 57 ZPO.
2.6 Es kommt daher nicht darauf an, dass nach deutlich überwiegender Meinung eine Beschlussfassung nach § 57 Abs. 2 ZPO nicht unter Hinweis auf eine mögliche Notbestellung eines Geschäftsführers nach § 29 BGB analog abgelehnt werden kann, da die Bestellung eines Prozesspflegers gemäß § 57 ZPO gegenüber der Bestellung eines Notgeschäftsführers nach § 29 BGB analog der einfachere und in der Sache auch zumeist angemessene Weg ist, zumal die Bestellung eines Prozesspflegers für die beklagte Partei weniger einschneidend ist als die gerichtliche Bestellung eines Vertretungsorgans (OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 2012, 510; OLG München, NZG 2008, 160; OLG Zweibrücken, GmbHR 2007, 544; OLG Dresden, Beschl. v. 11.12.2001, 2 W 1848/01; MüKoZPO/Lindacher, 5. Aufl. 2016, ZPO § 57 Rn. 7; Münchener HdB GesR VII, Teil 1, Kapitel 2, § 9 Rn. 71, Roth/Altmeppen, 9. Aufl. 2019, GmbHG, § 6 Rn. 54).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht.