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  • 22.11.2016 · IWW-Abrufnummer 190049

    Kammergericht Berlin: Beschluss vom 21.01.2016 – 1 W 6/16

    Der Gläubiger einer Wohnungseigentumsgemeinschaft kann ein berechtigtes Interesse an der Erteilung vollständiger Grundbuchauszüge der einzelnen Wohnungseigentümer haben. Einen Vollstreckungstitel muss er hierzu noch nicht erlangt haben.


    Kammergericht Berlin

    Beschl. v. 21.01.2016

    Az.: 1 W 6/16

    Tenor:
    Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Das Grundbuchamt wird angewiesen, der Beteiligten vollständige - einfache - Ausdrucke aus den Grundbüchern von Friedenau Blätter 2## bis 2## und 8## zu erteilen.

    Gründe

    I.
    Die Beteiligte beantragte am 1. Dezember 2015 bei dem Grundbuchamt die Übersendung unbeglaubigter Abschriften aus den im Beschlusseingang näher bezeichneten Wohnungsgrundbüchern beschränkt jeweils auf die Abteilung I und führte zur Begründung an, sie führe ein Verfahren gegen die Eigentümer wegen Forderungen aus einem Aufzugsservicevertrag und wegen einem solchen auf Aufzugsmodernisierung. Sofern Kosten von mehr als 100,00 EUR entstünden, bat die Beteiligte um vorherige Information.

    Das Grundbuchamt wies am 3. Dezember 2015 darauf hin, dass lediglich beglaubigte Teilauszüge erteilt werden könnten und insofern Kosten in Höhe von 200,00 EUR entstünden, womit sich die Beteiligte nicht einverstanden erklärte.

    Mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2015 hat die Beteiligte die Erteilung vollständiger Abschriften aller Wohnungsgrundbuchblätter der Wohnungseigentümergemeinschaft beantragt, was die Urkundsbeamtin des Grundbuchamts als "Beschwerde" gegen ihre bis dahin ergangenen Entscheidungen angesehen und dieser nicht abgeholfen hat. Die Rechtspflegerin des Grundbuchamts hat mit Beschluss vom 23. Dezember 2015 den Antrag vom 11. Dezember 2015 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde vom 6. Januar 2016, der das Grundbuchamt mit Beschluss vom 8. Januar 2016 nicht abgeholfen hat.

    II.

    1. Die gemäß § 12c Abs. 4 S. 2 BGB statthafte Beschwerde ist zulässig, § 71 Abs. 1 GBO, und begründet. Der Beteiligten sind die mit ihrem Hauptantrag begehrten vollständigen Abschriften sämtlicher Wohnungsgrundbuchblätter in der Form von Ausdrucken, § 78 Abs. 1 S. 1 GBV, zu erteilen.

    a) Die Einsicht des Grundbuchs ist jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt, § 12 Abs. 1 S. 1 GBO. Soweit die Einsicht des Grundbuchs gestattet ist, kann eine Abschrift gefordert werden, § 12 Abs. 2 HS. 1 GBO.

    aa) Ein berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht ist dann gegeben, wenn zur Überzeugung des Grundbuchamtes - bzw. des Beschwerdegerichts, §§ 74, 77 GBO - ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse des Antragstellers dargelegt wird, wobei auch ein bloß tatsächliches, insbesondere wirtschaftliches Interesse das Recht auf Grundbucheinsicht begründen kann. Dabei reicht regelmäßig das Vorbringen sachlicher Gründe aus, welche die Verfolgung unbefugter Zwecke oder bloßer Neugier ausgeschlossen erscheinen lassen (Senat, Beschluss vom 19. Juni 2001 - 1 W 132/01 - NJW 2002, 223, 224 m.w.N.).

    § 12 Abs.1 GBO bezweckt nicht in erster Linie einen Geheimnisschutz, sondern zielt auf eine Publizität, die über die rein rechtliche Anknüpfung an die Vermutungs- und Gutglaubensvorschriften der §§ 891 ff. BGB hinausgeht. Andererseits genügt nicht jedes beliebige Interesse des Antragstellers; die Verfolgung unbefugter Zwecke oder reiner Neugier muss ausgeschlossen und die Kenntnis vom Grundbuchstand für den Antragsteller aus sachlichen Gründen für sein künftiges Handeln erheblich erscheinen. Das folgt aus dem durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten, zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht gehörenden Recht auf informationelle Selbstbestimmung der durch die Grundbucheinsicht Betroffenen, welches bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs einzubeziehen ist.

    Die Darlegung des berechtigten Interesses erfordert einen nachvollziehbaren Vortrag von Tatsachen in der Weise, dass dem Grundbuchamt daraus die Überzeugung von der Berechtigung des geltend gemachten Interesses verschafft wird, denn es hat in jedem Einzelfall genau zu prüfen, ob durch die Einsichtnahme das schutzwürdige Interesse der Eingetragenen verletzt werden könnte, Unbefugten keinen Einblick in ihre Rechts- und Vermögensverhältnisse zu gewähren (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2004 - 1 W 294/03).

    bb) Nach verbreiteter, auch von dem Senat geteilter Ansicht kann ein Gläubiger des eingetragenen Eigentümers unter dem Gesichtspunkt der Information über Zugriffsmöglichkeiten im Wege der Zwangsvollstreckung ein berechtigtes Interesse an der umfassenden Einsichtnahme in das Grundbuch grundsätzlich geltend machen, und zwar entgegen der Ansicht des Grundbuchamts auch dann, wenn er noch keinen Vollstreckungstitel hat (OLG Zweibrücken, NJW 1989, 531 [OLG Zweibrücken 18.10.1988 - 3 W 115/88]; Senat, Beschluss vom 14. Mai 1900 - 1 Y 292/00 - KGJ 20 A 173; Böttcher, in: Meikel, 11. Aufl., § 12, Rdn. 32; Demharter, GBO, 29. Aufl., § 29, Rdn. 9; Keller, in: Keller/Munzig, Grundbuchrecht, 7. Aufl., § 12 GBO, Rdn. 9; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl., Rdn. 525; a.A. Maaß, in: Bauer/von Oefele, GBO, 3. Aufl., § 12, Rdn. 39).

    Soweit ein Bauhandwerker Einsicht in das Grundbuch begehrt, ist lediglich umstritten, ob ein solches Recht den Abschluss eines entsprechenden Vertrags erfordert (Schöner/Stöber, a.a.O.; Böttcher, a.a.O., Rdn. 19; Keller, a.a.O.) oder ob bereits die Anbahnung eines solchen Vertrags ausreichend sein soll (Maaß, a.a.O., Rdn. 31; Wilsch, in: Hügel, GBO, 3. Aufl., § 12, Rdn. 43).

    b) Vor diesem Hintergrund liegen die Voraussetzungen zur Erteilung vollständiger Ausdrucke aus den bezeichneten Grundbuchblättern vor.
    aa) Allerdings trifft es nicht zu, dass zur Erhebung der Klage, die im Entwurf zu den Akten gereicht worden ist, die namentliche Bezeichnung sämtlicher Wohnungseigentümer erforderlich wäre. Die Klage richtet sich nicht gegen die Wohnungseigentümer, sondern gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft. § 44 Abs. 1 S. 2 WEG findet insoweit keine Anwendung (Grziwotz, in: Erman, BGB, 14. Aufl., § 44 WEG, Rdn. 6).

    bb) Aus dem vorliegenden Klageentwurf und den ihr zugrundeliegenden Verträgen hat die Beteiligte aber auch eine Gläubigerstellung gegenüber den Wohnungseigentümern hinreichend dargelegt.

    Dabei ist es nicht erheblich, dass die Verträge nicht mit den einzelnen Wohnungseigentümern, sondern mit der aus ihnen bestehenden Gemeinschaft geschlossen worden sind und im Hinblick auf den Aufzug Leistungen betrifft, die regelmäßig dem gemeinschaftlichen Eigentum zuzurechnen sind (vgl. Hügel/Elzer, WEG, § 5, Rdn. 40, Stichwort "Aufzug"). Die mit den Verträgen begründeten Rechte und Pflichten betreffen damit unmittelbar die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, die insoweit (teil-)rechtsfähig ist, vgl. § 10 Abs. 6 WEG.

    Zu Recht hat die Beteiligte aber darauf hingewiesen, dass jeder Wohnungseigentümer einem Gläubiger für solche Verbindlichkeiten der Gemeinschaft nach dem Verhältnis seines Miteigentumsanteils haftet, § 10 Abs. 8 S. 1 HS 1 WEG. Diese Haftung besteht gleichzeitig und unmittelbar neben der Haftung der Wohnungseigentümergemeinschaft (Hügel/Elzer, a.a.O., § 10, Rdn. 304). In diesem Rahmen können auch Ansprüche der Beteiligten gegen die Wohnungseigentümer auf Einräumung von - anteiligen - Sicherungshypotheken bestehen, vgl. § 648 BGB (vgl. BT-Drs. 16/887, S. 66; Wilsch, a.a.O., Rdn. 43; Palandt/Bassenge, BGB, 75. Aufl., § 10 WEG, Rdn. 42).

    c) Nach allem sind der Beteiligten vollständige Ausdrucke gemäß §§ 131 Abs. 1 GBO, 78 Abs. 1 S. 1 GBV zu erteilen. Die damit verbundene Kostenfolge tritt von Gesetzes wegen ein, so dass es insoweit keiner Anweisung an das Grundbuchamt bedarf.

    2. Einer Entscheidung über den hilfsweise aufrecht erhaltenen ursprünglichen Antrag auf Erteilung unbeglaubigter, auf die Eintragungen in den Bestandsverzeichnissen und Abteilungen I beschränkter Abschriften bzw. Ausdrucke bedarf es danach nicht.

    Insoweit sei jedoch darauf hingewiesen, dass § 45 GBV seit jeher so verstanden wird, dass Abschriften eines Teils des Grundbuchblattes nur in beglaubigter Form zu erteilen sind (Böttcher, a.a.O., Rdn. 78; Dressler, in: Meikel, a.a.O., § 131, Rdn. 20; Eickmann, in: Keller/Munzig, a.a.O., § 45 GBV, Rdn. 1; Püls, ebda, § 77 GBV, Rdn. 7; Maaß, a.a.O., Rdn. 65; Demharter, a.a.O., Rdn. 22; Wilsch, a.a.O., § 131, Rdn. 6; Kral, in: Hügel, a.a.O., § 12c, Rdn. 6; Schöner/Stöber, a.a.O., Rdn. 536; ebenso bereits Güthe/Triebel, GBO, 5. Aufl., 1929, § 11, Rdn. 22; Meikel/Imhof, GBO, 4. Aufl., 1940, § 12, Rdn. 31).

    Mit § 45 GBV in der Fassung vom 8. August 1935 (RMBl. 637) wurden zuvor bereits in Preußen geltende Regelungen reichsvereinheitlichend umgesetzt. Die Abschrift von Teilen der Grundbuchblätter war in Preußen notwendig mit einem Zeugnis des Grundbuchamts verbunden, dass weitere den Gegenstand betreffende Einträge im Grundbuch nicht vorhanden sind, § 33 pr. Allgemeine Verfügung zur Ausführung der Grundbuchordnung vom 20. November 1899 (vgl. Arnheim, GBO, 1913, S. 163). Damit sollten Fehler bei der Fertigung von Teilabschriften vermieden werden, die zu Amtshaftungsansprüchen hätten führen können, wenn solche Abschriften im Rechtsverkehr verwandt wurden.

    Beglaubigte Abschriften aus dem Grundbuch waren neben dem Gerichtsschreiber auch von dem Grundbuchrichter zu unterschreiben, Art. 7 Abs. 2 pr. Ausführungsgesetz zur Grundbuchordnung; sie unterlagen damit einer doppelten Kontrolle. Zugleich waren die nunmehr in § 45 Abs. 2 GBV vorgegebenen Angaben in die Abschrift aufzunehmen. Einfache Abschriften hingegen erteilte nur der Gerichtsschreiber. Sie enthielten keinerlei Zusätze.

    Auch wenn beglaubigte Abschriften nur noch vom Urkundsbeamten erteilt werden, § 12c Abs. 1 Nr. 1 GBV, gilt § 45 Abs. 1 und 2 GBV in seiner ursprünglichen Fassung fort. Allein § 45 Abs. 3 S. 2 GBV, wonach die Erteilung eines abgekürzten Auszugs aus dem Inhalt des Grundbuchs nicht zulässig war, ist mit Wirkung vom 9. Oktober 2013 aufgehoben worden, Art. 2 Nr. 15 GaBaGG vom 1. Oktober 2013 (BGBl. I 3719). Der Gesetzgeber sah aus praktischen Gründen für dieses Verbot keinen Grund, nachdem Grundbuchauszüge in der Praxis nicht mehr durch Abschreiben des Grundbuchinhalts hergestellt werden. An der Erteilung von Teilauszügen hielt der Gesetzgeber hingegen ausdrücklich fest (BT-Drs. 17/122635, S. 27).

    RechtsgebietInformationsbeschaffungVorschriftenGBO § 12; GBO § 12c; GBO § 131; GBVfg § 45; GBVfg § 77; GBVfg § 78; BGB § 648