15.10.2013 · IWW-Abrufnummer 133223
Bundesgerichtshof: Urteil vom 18.07.2013 – IX ZR 143/12
Zur Feststellung der Zahlungseinstellung auf der Grundlage von Indizien.
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juli 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den Richter Vill, die Richter Dr. Pape, Grupp und die Richterin Möhring
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Klägers wird der die Berufung zurückweisende Beschluss des 13. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 14. Mai 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1
Der Kläger ist Verwalter in dem auf den Antrag eines Sozialversicherungsträgers vom 5. April 2005 am 1. September 2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. GbR (nachfolgend: Schuldnerin). Die Schuldnerin betrieb eine Großbäckerei mit mehreren Filialen und Verkaufsstellen. Sie geriet mehr als ein Jahr vor Insolvenzeröffnung gegenüber Sozialversicherungsträgern, Energieversorgungsunternehmen und anderen Gläubigern in Zahlungsrückstand. Im Zeitraum vom 26. Januar 2005 bis zum 12. Juli 2005 entrichtete sie nach dem Vortrag des Klägers durch Barzahlung und Überweisungen an die Beklagte, ihren Energielieferer, insgesamt 53.582 €.
2
Der Kläger verlangt diesen Betrag unter dem Gesichtspunkt der Deckungsanfechtung zurück. Das Landgericht hat seine Klage abgewiesen. Die von dem Kläger eingelegte Berufung ist durch einstimmigen Beschluss des Berufungsgerichts gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen worden. Mit seiner von dem erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
3
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
4
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die von der Schuldnerin geleisteten Zahlungen seien trotz der von der Beklagten angedrohten Sperre der Stromversorgung nicht inkongruent. Eine Anfechtung nach § 131 InsO komme deshalb nicht in Betracht. Auf § 130 Abs. 1 Satz 1 InsO könne der Kläger seine Anfechtung nicht stützen, weil es ihm nicht gelungen sei, die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum Zeitpunkt der angefochtenen Handlungen darzulegen. Zwar halte der Senat an seiner im Hinweisbeschluss vom 27. Januar 2012 geäußerten Auffassung, dass es auch im Fall des Nachweises der Zahlungsunfähigkeit durch das Bestehen fälliger Verbindlichkeiten, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden seien, der Darlegung bedürfe, dass diese Verbindlichkeiten einen wesentlichen Teil der fälligen Verbindlichkeiten zum jeweiligen Stichtag darstellten, nicht fest. Ausreichend für die Annahme einer Zahlungseinstellung könne auch sein, dass zum fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden seien, wenn diese nicht einen wesentlichen Teil der Gesamtverbindlichkeiten ausmachten. Die Tatsache, dass die Schuldnerin noch in der Lage gewesen sei, erhebliche Zahlungen an die Beklagte zu leisten und ihre durchschnittlichen Tageseinnahmen von 8.000 € wenigstens rechnerisch ausgereicht hätten, den Rückstand bei der Beklagten auszugleichen, belege aber, dass sich hier eine pauschale Betrachtung verbiete. Abgesehen von den Rückständen bei Sozialversicherungsträgern, die mit 9.155,02 € zum 12. April 2005 und 16.762,96 € zum 22. Juli 2005 ebenfalls nicht erheblich gewesen seien, habe der Kläger nicht dargelegt, dass die Schuldnerin noch weitere Verbindlichkeiten gegenüber Dritten gehabt habe, die den Schluss auf massive Zahlungsschwierigkeiten zuließen. Dass die Schuldnerin nicht in der Lage gewesen sei, ihre Stromrechnungen zu bezahlen, falle aufgrund ihrer erheblichen Tageseinnahmen nicht ins Gewicht; gleiches gelte im Hinblick auf die Nichteinlösung von Lastschriften über zwei- und dreistellige Eurobeträge. Der Kläger habe im Übrigen auch nicht dargetan, dass die Beklagte Kenntnis von Umständen gehabt habe, aus denen sie bei zutreffender rechtlicher Würdigung auf eine Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung hätte schließen müssen. Dass sie die Belieferung der Schuldnerin fortgesetzt habe, zeige ihre Unkenntnis von der Zahlungseinstellung.
II.
5
Mit dieser Begründung kann der Zurückweisungsbeschluss keinen Bestand haben. Auf der Grundlage des vom Berufungsgericht angenommenen Sachverhalts hätte es für den hier maßgeblichen Anfechtungszeitraum ab dem 21. Januar 2005 die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht verneinen dürfen, weil diese ihre Zahlungen eingestellt hatte und hieraus auf ihre Zahlungsunfähigkeit zu schließen war (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO).
6
1. Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Befriedigung gewährt hat, wenn entweder die Handlung innerhalb der letzten drei Monate vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist, der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war und der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit kannte, oder die Handlung nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte. Gemäß § 130 Abs. 2 InsO steht der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Er öffnungsantrag schließen lassen.
7
a) Die Zahlungsunfähigkeit beurteilt sich im gesamten Insolvenzrecht und darum auch im Rahmen des Insolvenzanfechtungsrechts nach § 17 InsO (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006 - IX ZB 238/05, WM 2006, 1631 Rn. 6). Zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO kann eine Liquiditätsbilanz aufgestellt werden. Dabei sind die im maßgeblichen Zeitpunkt verfügbaren und innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel in Beziehung zu setzen zu den am selben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten. Im Insolvenzanfechtungsprozess ist die Aufstellung einer Liquiditätsbilanz oftmals nicht erforderlich, weil im eröffneten Verfahren auch auf andere Weise festgestellt werden kann, ob der Schuldner einen wesentlichen Teil seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlen konnte (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2006 - IX ZR 228/03, WM 2006, 2312 Rn. 28; ständig).
8
b) Hat der Schuldner seine Zahlungen eingestellt, begründet dies auch für die Insolvenzanfechtung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit (BGH, Urteil vom 20. November 2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 184 f; vom 21. Juni 2007 - IX ZR 231/04, WM 2007, 1616 Rn. 27; vom 30. Juni 2011 - IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 Rn. 10).
9
aa) Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (BGH, Urteil vom 20. November 2001, aaO). Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen (BGH, Urteil vom 21. Juni 2007, aaO Rn. 28). Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus (BGH, Urteil vom 21. Juni 2007, aaO Rn. 29; vom 20. Dezember 2007 - IX ZR 93/06, WM 2008, 452