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  • · Fachbeitrag · Werkvertrag

    Neue Angst des Handwerkers vor dem Widerrufsjoker

    | Ein Urteil des EuGH hat für Aufsehen gesorgt und treibt vor allem vielen mittelständischen Handwerksbetrieben Sorgenfalten auf die Stirn. Nach dieser Entscheidung besteht bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen Werkvertrag ein Widerrufsrecht. Soweit dieses Recht ausgeübt wird, entfällt trotz ordnungsgemäß erbrachter Leistung vollständig der Vergütungs- und Wertersatzanspruch, wenn der Unternehmer den Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt hat und dieser den Vertrag widerruft. Das kann für den mittelständischen Handwerker gravierende Forderungsausfälle verursachen. Wichtig ist daher, Vorkehrungen zu treffen, um wirtschaftliche Schieflagen zu vermeiden. |

    Sachverhalt

    Der Verbraucher (V) schloss mit dem Unternehmer (U) in den Privaträumen des V einen Vertrag über die Erneuerung der Elektroinstallation. U unterließ es, V über sein Widerrufsrecht nach Art. 246a EGBGB zu unterrichten. Die nach Erbringung der vertraglichen Leistungen gestellte Rechnung beglich V nicht. Auf die Abtretung der Forderung an einen Inkassodienstleister und dessen Mahnung widerrief V den Vertrag.

     

    Auf die klageweise Geltendmachung hat das zuständige LG den Fall dem EuGH vorgelegt, um die Frage zu klären, ob die Verbraucherschutzrichtlinie (2011/83 EU) in Art. 14 dahin auszulegen ist, dass im Fall eines wirksamen Widerrufs nach vollständiger Leistungserbringung jegliche Wertersatz- oder Ausgleichsansprüche des Unternehmers ausgeschlossen sind.

     

    Das LG hat dem EuGH die Frage gestellt, ob dieses Ergebnis eine Verletzung des vom Gerichtshof anerkannten Verbots ungerechtfertigter Bereicherung darstellt. Der EuGH hat diese Frage verneint. Die Richtlinie verfolge den Zweck, ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherzustellen. Dieses Ziel gerate in Gefahr, wenn von der Anwendung der eindeutigen Bestimmungen abgewichen werde und dem Verbraucher infolge seines Widerrufs Kosten entstehen würden, die in der Richtlinie nicht ausdrücklich vorgesehen sind.

     

    • Leitsatz: EuGH 17.5.23, C-97/22

    Art. 14 Abs. 4a Nr. i und Art. 14 Abs. 5 der Richtlinie 2011/83 sind dahin auszulegen, dass sie einen Verbraucher von jeder Verpflichtung zur Vergütung der Leistungen befreien, die in Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags erbracht wurden, wenn ihm der betreffende Unternehmer die Informationen gemäß Art. 14 Abs. 4 Nr. i über sein Widerrufsrecht nicht übermittelt hat und der Verbraucher sein Widerrufsrecht nach Erfüllung dieses Vertrages ausgeübt hat (Abruf-Nr. 236876).

     

    Relevanz für die Praxis

     

     

    Aufgrund verschiedener EU-Richtlinien hat der nationale Gesetzgeber in den §§ 312 ff., 495, 650i, 355 BGB für Verbraucher das Recht eingeräumt, sich von einem geschlossenen Vertrag durch Widerruf zu lösen. Das Widerrufsrecht setzt beim Außergeschäftsraumvertrag (§ 312b BGB) und Fernabsatzvertrag (§ 312c BGB) gemäß § 312 Abs. 1 S. 1 BGB zunächst voraus, dass ein Verbrauchervertrag nach § 310 Abs. 3 BGB abgeschlossen wurde, also ein Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher (§§ 13, 14 BGB). Soweit dieser Verbrauchervertrag eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand hat und außerhalb von Geschäftsräumen (§ 312b BGB) oder im Wege des Fernabsatzes (§ 312c BGB) abgeschlossen wurde, kann der Verbraucher den Vertrag nach § 355 BGB grds. widerrufen. § 312 Abs. 2 und § 312g Abs. 2 schließen das Widerrufsrecht für bestimmte Vertragskonstellationen aus.

     

    Checkliste / Widerrufsrecht

    Beim Außergeschäftsraumvertrag (§ 312b BGB) oder Fernabsatzvertrag (§ 312c BGB) bestehen folgende Voraussetzungen für ein Widerrufsrecht:

     

    • 1. § 312 Abs. 1: Verbrauchervertrag nach § 310 Abs. 3 BGB: Vertrag zwischen einem Unternehmer (§ 14 BGB) und einem Verbraucher (§ 13 BGB)
    • 2. Vertragsgegenstand: Entgeltliche Leistung des Unternehmers (§ 312 Abs. 1 BGB)
    • 3. Vertragsart: Fernabsatzvertrag (§ 312c BGB) oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag (AGV, § 312b BGB)
    • 4. Kein Ausschluss nach § 312 Abs. 2 und § 312g Abs. 2
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    Rechtsfolge: Nach § 312g BGB steht dem Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu.

     

    Der Werkvertrag zwischen den Parteien wurde in den Privaträumen des Verbrauchers geschlossen und unterfällt somit den Regeln über den Außergeschäftsraumvertrag nach § 312b BGB. Das Widerrufsrecht beim Außergeschäftsraumvertrag oder Fernabsatzvertrag erstreckt sich auch auf Werkverträge und ist dabei auch nicht wegen des Vorliegens einer Individualanfertigung nach § 312 Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen, da diese Regelung nur die Lieferung von Waren, aber keine Werkleistungen erfasst. Da es sich auch um eine entgeltliche Leistung des Unternehmers handelt, sind alle Voraussetzungen erfüllt und der Verbraucher konnte seine zum Vertragsschluss führende Willenserklärung nach Maßgabe des § 355 BGB widerrufen.

     

    Widerrufsfrist

    Nach § 355 Abs. 1 S. 1 BGB muss der Widerruf grundsätzlich 14 Tage nach Vertragsschluss erfolgen. Nach § 356 Abs. 3 BGB beginnt die Widerrufsfrist aber nicht, bevor der Unternehmer den Verbraucher entsprechend den Anforderungen des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 oder des Art. 246b § 2 Abs. 1 EGBGB über sein Widerrufsrecht unterrichtet hat. Das Widerrufsrecht erlischt jedoch auch ohne Widerrufsbelehrung spätestens zwölf Monate und 14 Tage nach dem Vertragsschluss (§ 355 Abs. 2 S. 2 BGB).

     

    MERKE | Um die ordnungsgemäße Erfüllung der Widerrufsbelehrung zu erleichtern, hat der Gesetzgeber in den Anlagen zum EGBGB gesetzliche Muster für die Widerrufsbelehrung eingefügt. In Anlage 1 ‒ zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB ‒ findet sich das „Muster für die Widerrufsbelehrung bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen.“

     

    Da der Unternehmer den Verbraucher im vorliegenden Fall bei Abschluss des Vertrags nicht über sein Widerrufsrecht belehrt hatte, konnte der Verbraucher also nach Abschluss der Arbeiten durch den Unternehmer sein Widerrufsrecht noch fristgerecht ausüben.

     

    Folgen des Widerrufs

    Hat der Verbraucher den Vertrag wirksam widerrufen, sind bis dahin erbrachte Leistungen nach § 357 Abs. 1 BGB spätestens nach 14 Tagen zurückzugewähren. Wie ist es aber, wenn es sich um eine Werk- oder Dienstleistung handelt, die bereits erbracht wurde?

     

    Nach § 357a Abs. 2 Nr. 3 BGB (im vorliegenden Fall war die Vorschrift noch in § 357 Abs. 8 BGB a. F. verortet) hat der Verbraucher Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachten Dienstleistungen zu leisten. Das gilt aber nur, wenn der Unternehmer den Verbraucher nach Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 3 EGBGB ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht informiert hat. Da es im vorliegenden Fall an einer solchen ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung gefehlt hat, war der Anspruch auf Wertersatz ausgeschlossen.

     

    Konsequenzen und Handlungsmöglichkeiten

    Im Ergebnis hat der Unternehmer also seine Leistungen vollständig erbracht, muss aber durch den Widerruf des Vertrags einen vollständigen Forderungsausfall verbuchen. Auch Bereicherungsansprüche sind dann im Hinblick auf die Arbeitsleistung gesperrt.

     

    Um diese wirtschaftlichen Risiken zu vermeiden, bieten sich eine Reihe von Handlungsmöglichkeiten an.

     

    • Widerrufsbelehrung erteilen: Zunächst ist zwingend zu empfehlen, bei einschlägigen Verträgen, die ein Widerrufsrecht in Form des Außergeschäftsraum- oder Fernabsatzvertrag begründen können, dem Verbraucher vor Vertragsschluss eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung zu erteilen. Dabei gilt: Lieber einmal mehr, als einmal zu wenig und der Zugang beim Verbraucher muss unbedingt dokumentiert werden.

     

    • Vollständige Ausführung der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist: Weiterer Regelungsbedarf besteht, wenn die Leistung nach der Widerrufsbelehrung, aber noch vor Ablauf der Widerrufsfrist vollständig erbracht wurde. Hier sieht § 356 Abs. 4, Nr. 2 BGB eine Möglichkeit vor, das Widerrufsrecht vorzeitig zum Erlöschen zu bringen. Danach erlischt das Widerrufsrecht über die Erbringung von Dienstleistungen mit der vollständigen Erbringung der Dienstleistung, wenn
      • der Verbraucher vor Beginn der Erbringung ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer mit der Erbringung der Dienstleistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt und
      • bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag die Zustimmung auf einem dauerhaften Datenträger übermittelt hat und
      • der Verbraucher seine Kenntnis davon bestätigt hat, dass sein Widerrufsrecht mit vollständiger Vertragserfüllung durch den Unternehmer erlischt.

     

    • Beachten Sie | Nach § 126b BGB ist ein dauerhafter Datenträger jedes Medium, das es dem Empfänger ermöglicht, eine auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraums zugänglich ist, und geeignet ist, die Erklärung unverändert wiederzugeben. Ein Text ist also zur dauerhaften Wiedergabe geeignet, wenn er immer wieder gelesen werden kann, z. B. bei Verkörperung des Textes auf Papier oder einer Festplatte. Die Darstellung eines Textes auf einem Monitor wird hingegen nicht auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben.
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    • Teilweise Ausführung der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist: Für den Fall, dass der Verbraucher den Dienstleistungsvertrag fristgerecht widerruft, noch bevor die Dienstleistung vollständig erbracht ist, kann der Unternehmer Wertersatz für die bis zum Zeitpunkt des Widerrufs bereits erbrachte Teilleistung vom Verbraucher verlangen. Voraussetzung ist die ordnungsgemäß erfolgte Belehrung über das Widerrufsrecht. Der Wertersatz kann aber daneben nach § 357a Abs. 2 BGB nur verlangt werden, wenn
      • der Verbraucher von dem Unternehmer ausdrücklich verlangt hat, dass dieser mit der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt,
      • bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag der Verbraucher das v. g. Verlangen auf einem dauerhaften Datenträger übermittelt hat und
      • der Unternehmer den Verbraucher nach Art. 246 a § 1 Abs. 2 S. Nr. 1 und 3 EGBGB ordnungsgemäß informiert hat.

     

    • Auch in diesem Fall muss der Unternehmer das ausdrückliche Leistungsverlangen des Verbrauchers beweisen. Daher muss sowohl das ausdrückliche Leistungsverlangen als auch die Zustimmung zum Beginn der Ausführung der Dienstleistung vor Ablauf der Widerrufsfrist als auch die Kenntnis von dem damit verbundenen Verlust des Widerrufsrechts dokumentiert werden.

     

    Musterformulierung / Widerrufsrecht: Das sollten Unternehmer dokumentieren

    Zwischen der

     

    Firma …, Adresse, Ort, Telefon: …, Fax- Nr.: …, E-Mail: …

     

    und

     

    … (Name und Anschrift des Verbrauchers)

     

    soll ein Vertrag über die Erbringung der folgenden Dienstleistung abgeschlossen werden: …

    Zum genauen Inhalt des Vertragsschlusses wird Bezug genommen auf das Angebot vom … zum Gesamtpreis (brutto) von …

     

    Hiermit erkläre ich als Verbraucher und Auftraggeber:

    • 1. Ich wurde vor Vertragsschluss gesondert darüber belehrt, dass ein 14-tägiges Widerrufsrecht besteht.
    • 2. Hiermit fordere ich meinen Vertragspartner ausdrücklich auf, vor Ablauf der Widerrufsfrist mit den beauftragten Arbeiten zu beginnen.
    • 3. Mir ist bewusst, dass ich mein Widerrufsrecht bei vollständiger Vertragserfüllung durch meinen Vertragspartner verliere (§ 356 Abs. 4 BGB).
    • 4. Mir ist weiter bewusst, dass ich für den Fall, dass ich vor vollständiger Vertragserfüllung den Vertrag widerrufe, für die bis zum Widerruf erbrachten Leistungen einen Wertersatz zu leisten habe (§ 357a Abs. 2 BGB).

     

    Ort, Datum Unterschrift Verbraucher

     

     

    Beachten Sie | Diese Erklärung muss der Verbraucher vor dem Vertragsschluss abgeben. Daneben ist die allgemeine Widerrufsbelehrung vor Vertragsschluss gesondert zu erteilen.

     

    Heilung von Formfehlern

    Fehlt es hingegen an der Widerrufsbelehrung und den vorstehenden Erklärungen des Verbrauchers, bieten sich verschiedene Möglichkeiten an, um die nachteiligen Folgen zu vermeiden.

     

    • Vertrag in Geschäftsräumen des Unternehmers: Ein bereits geschlossener Vertrag kann erneut in den Geschäftsräumen des Unternehmers abgeschlossen werden. Damit handelt es sich nicht mehr um einen Außergeschäftsraumvertrag und die entsprechenden Vorschriften und insbesondere das Widerrufsrecht kommen nicht zur Anwendung.

     

    • Nachholung der Widerrufsbelehrung: Eine Widerrufsbelehrung kann auch nachgeholt werden. Die Frist beginnt dann jedoch nicht mit Vertragsschluss, sondern gemäß § 356 Abs. 3 BGB erst mit der ordnungsgemäßen Belehrung. Dabei ist jedoch abzuwägen, ob man den Verbraucher damit nicht erst Kenntnis von seinem Widerrufsrecht verschafft und so erst das Risiko eines Widerrufs auslöst.

     

    • Rückführung der erbrachten Leistungen: Nach § 357 Abs. 1 BGB muss der Verbraucher dem Unternehmer im Fall des wirksamen Widerrufs die jeweils empfangenen Leistungen zurückgewähren. So erscheint es denkbar, dass das Material, das der Unternehmer dem Verbraucher überlassen oder bei ihm eingebaut hat, wieder rückübereignet oder ausgebaut werden kann.

     

    FAZIT | Die gesetzlichen Regelungen zum Außergeschäftsraumvertrag und Fernabsatzvertrag begründen ein Widerrufsrecht des Verbrauchers und zwingen den Unternehmer, eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung zu erteilen, um einen drohenden Forderungsausfall zu vermeiden. Daneben ist es sinnvoll, vom Verbraucher eine Erklärung einzufordern, dass er die Ausführung der Leistungen vor Ablauf der Widerrufsfrist verlangt, dadurch sein Widerrufsrecht verliert und für die bis zum Widerruf erbrachten Leistungen einen Wertersatz zu leisten hat. Nur so kann ein vollständiger Forderungsausfall im Fall eines Widerrufs vermieden werden.

     
    Quelle: Ausgabe 05 / 2024 | Seite 79 | ID 49990521