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  • · Fachbeitrag · Schuldnerpsychologie

    Defizite im Schreiben und Telefonieren erkennen

    | Empfängerhorizont ‒ ein „Zauberwort“ für Juristen. Bei der Forderungsbeitreibung steht dahinter allerdings der Grundsatz: Gläubiger müssen sich in den Schuldner hineinversetzen. Denn Untersuchungen zeigen, dass Schuldner einem Schreiben inklusive dem Öffnen nur etwa 20 Sekunden Aufmerksamkeit schenken. Dann wird es weggelegt oder weggeworfen. Diese kurze Zeitspanne müssen Gläubiger also optimal nutzen. |

    1. Sichtweise des Schuldners

    Es fragt sich zunächst: Wie kann dies vermieden werden? Hierzu muss man zunächst betrachten, wie Schuldner sich Gläubigerschreiben ansehen.

     

    Checkliste / So schaut ein Schuldner Ihr Schreiben an

    • 1. Der Blick richtet sich zuerst rechts oben auf den Absender. Hier stehen meist Datum und Telefon und Fax und Adresse und Mail. Der Leser sucht eigentlich nur nach der Antwort auf die Frage: Kenne ich den Absender?
    • 2. Dann wandert der Blick zur Adresse und der Anrede: Bin wirklich ich gemeint?
    • 3. Dann schaut er nicht etwa zum Text, sondern direkt zum Ende des Briefs zur Unterschrift: Hat der Absender persönlich unterschrieben? Kann ich die Unterschrift lesen, also wirklich Buchstaben erkennen?
    • 4. Dann erst wird der Betreff wahrgenommen: Worum geht es eigentlich?
    • 5. Ein PS kann den Gegenstand verstärken: Es wird etwas Besonderes mitgeteilt.
    • 6. Erst danach wird der eigentliche Text des Briefs zur Kenntnis genommen.
     

    Diese Positionen beeinflussen ein Weiterlesen und Reagieren. Ein unbekannter Absender ist ein Filter, ein „Nein“ zum Weiterlesen, die richtige Anrede und der Name richtig geschrieben sind ein „Ja“. Eine nicht lesbare Unterschrift? Wieder ein „Nein“! Stark vereinfacht gesagt: Stehen am Ende der 20 Sekunden mehr „Nein“ als „Ja“, wird der Schuldner das Schreiben weglegen. Es ist unwahrscheinlich, dass er es noch einmal anfassen wird.

    2. So verbessern Sie Ihre Schreiben

    Wenn Sie über die o.g. 20 Sekunden hinauskommen wollen, müssen Sie möglichst viele „Ja“ sammeln. Die folgende Checkliste hilft Ihnen zu diesem Ziel zu gelangen.

    Checkliste / So verbessern Sie Ihr Anschreiben

    • Im Betreff sollten Stichworte zur Leistung stehen und möglichst keine Nummern, Daten oder Vorwürfe. Kein Schuldner ordnet seine Verbindlichkeiten nach Ihren Aktenzeichen, auch nicht nach Forderungshöhe, Lieferdatum oder Debitorenkonto.
    • Gestalten Sie den Raum oben rechts so, dass er Sympathie ausstrahlt.
    • Unterschreiben Sie leserlich.
    • Nutzen Sie die P.S.-Zeile um dem Schuldner ihre Wertschätzung zu zeigen. Das erhöht die Chance, dass der Betreff gelesen wird.
     

    3. Wenn der Schuldner trotzdem anruft

    Viele Schuldner melden sich etwa wie folgt: „Ich habe gerade so ein Schreiben bekommen, was ist das, das kenne ich nicht.“ Der Schuldner hat das Schreiben erkennbar nicht zu Ende gelesen. Er hat gleich angerufen. Zunächst gilt: Gut dass er sich überhaupt meldet! Das war aber nicht Ihr Ziel.

     

    Das Ziel in einem Forderungsschreiben ist die Zahlung. Der Anruf ist nur ein Nebenziel und das Angebot einer Telefonnummer dient eigentlich nur der Glaubwürdigkeit und Fairness. Also steckt in dem Schreiben etwas, das den Schuldner zur Rechtfertigung auffordert und das führt zum sofortigen Anruf. Hier mangelt es wahrscheinlich an Wertschätzung und Zurückhaltung im Schreiben. Das sind zwei Begriffe, die mit einem Forderungsschreiben nur selten in Verbindung gebracht werden. Dahinter steckt sogar ein Nobelpreis. Kahneman wurde 2002 für seine Forschung ausgezeichnet, dass Menschen nicht rational, sondern in unsicheren Situationen unter Wahrnehmungsverzerrungen entscheiden. Dabei wird bei einem drohenden Verlust irrational gehandelt. Das macht Ihr Schuldner hier. Es droht der Verlust an Ansehen und Geld. Mit dem Anruf versucht er, diesen Verlust zu vermeiden. Er könnte auch einfach auf seinen Kontoauszug schauen. Tut er aber nicht. Deswegen sind (unmittelbar) wirksame Forderungsschreiben stets vorwurfs- und drohungsfrei.

     

    Der Schuldner will in dem Telefonat nur seine Unschuld beteuern. Wenn eine Rechnung nicht gezahlt wird, dann ist die einzige gültige Ausrede: „Vergessen“. Das ist menschlich. Jetzt müssen Sie richtig reagieren. Sie dürfen nicht in den Reflex verfallen, dem Schuldner nachweisen zu wollen, dass er etwas falsch gemacht hat. Für das Ergebnis der Forderung ist nur wichtig, dass gezahlt wird. Wenn man dem Schuldner gleich zugesteht, er habe die Zahlung wohl nur vergessen, ist die Situation gleich entspannter. Gut, dass er anruft, die Rechnung geht gern noch einmal raus. Konfliktreiche Gespräche entstehen bei starken Unsicherheiten, z.B. komplett unbekannten Situationen (Rechtsanwaltsschreiben, Paragraphen als Argumente oder starke Drohungen). Denn jeder Schuldner glaubt, er sei ein pünktlicher Zahler. Daraus entstehen drei immer wieder auftretende Schuldnertricks, die es auszuhebeln gilt:

     

    Checkliste / Drei beliebte Schuldnertricks

    • 1. Situation 1: n„Ich habe schon bezahlt“. Menschen können sich meist nur 14 Tage an eine Handlung erinnern, danach ersetzt eine Regel die Erinnerung. Die meisten Mahnungen kommen später. Also wird hier nur die Regel wiedergegeben: „Ich meine…, das müsste…, das ist sicher schon…“ Die Lösung: Führen Sie den Schuldner zur Selbsterkenntnis. Prüfen Sie direkt am Telefon: Wann hat er wie viel wohin überwiesen? Mit diesen Fragen führen Sie den Schuldner aus der Wahrnehmungsverzerrung zurück auf die Sachebene und damit zu einer Einsicht

     

    • 2. Situation 2: „Die Ware ist mangelhaft“. Auch hier versucht der Schuldner, einen drohenden Verlust zu vermeiden. Der Mangel ist ein Verlust, also wird nicht gezahlt. Ein Fragenschema kann die Selbsterkenntnis bringen: Wo ist die Ware jetzt? Wann haben Sie den Mangel angezeigt? Was genau ist mangelhaft? Mit dem Argument, gern mangelfreie Ware zu liefern, können Sie den Schuldner aus der drohenden Verlustsituation befreien.

     

    • 3. Situation 3: „Ich habe die Ware zurückgeschickt“. Hier wird es für Sie schwer. Das eigene System zeigt nichts an, die Ware mag verloren gegangen sein und es droht viel Arbeit. Aber auch hier hilft ein Fragenschema: Wann haben Sie die Ware zurückgeschickt? Was haben Sie genau zurückgeschickt? Und dann: Haben Sie den Paketschein vorliegen? Diesen Paketschein hat der Kunde meist nicht, weil er es sich fest vorgenommen hat, aber nicht dazu gekommen ist. Vielleicht hat er auch etwas an jemanden anderen zurückgeschickt.
     

    Die Einsicht jetzt wohl doch zahlen zu müssen geschieht allein im Kopf des Schuldners und ist verbal nicht zu hören. Hier brechen die meisten Mitarbeiter (leider) ab und schwenken um auf Nachweise, Prüfen oder Wiederanrufe. Ein kleiner Schritt noch und die Einsicht kann in einer Zahlung enden. Dazu ist es wichtig die Forderung zu stellen: Hier sind noch 200 EUR offen. Dann sollte eine Frage zur Handlungsauslösung folgen: Wann und wie wollen Sie zahlen?

    4. Inkassoschreiben-Test

    Testen Sie anhand des oben Gesagten selbst, wie wirksam ihre Inkassoschreiben sind und erkennen Sie ihren Handlungsbedarf. Hier kann es helfen, sich professionelle Hilfe zu sichern. Über eine höhere Zahlungsquote macht sich das schnell bezahlt.

     

    Checkliste / Inkassoschreiben-Test

    Kommt bei uns häufig vor
    Kommt bei uns nicht vor

    (-) Unsere Schreiben haben mehr als sieben Zeilen Fließtext.

     

    (-) Wir haben mehr als eine Zahl pro Satz.

     

    (+) Wir sagen klar, dass der Schuldner zahlen soll.

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    (+) Unsere Kontonummer ist auch ohne Brille lesbar.

     

    (-) Wir bieten schon im Schreiben Ratenzahlung an.

     

    (-) Wir fordern zum Anrufen auf.

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    (+) Unsere Telefonnummer ist leicht zu finden.

     

    (+) Wir bieten Kontakt per E-Mail und Social Media an.

     

    (-) Unsere Schreiben wurden von Juristen formuliert.

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    (+) Unsere Inkassoschreiben sagen genau, was der Schuldner tun soll: Anrufen oder zahlen.

     

    (-) Wir nennen dem Schuldner Konsequenzen, wenn er nicht zahlt.

     

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    (-) Wir begründen unsere Beauftragung.

     

    (+) Wir bekommen auf jedes Schreiben eine Zahlung oder einen Anruf.

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    Quelle: Ausgabe 04 / 2014 | Seite 72 | ID 42606503