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  • · Fachbeitrag · Gebührenordnung

    HOAI ist europarechtswidrig

    | Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) normiert seit dem 1.1.77 (!) als Rechtsverordnung des Bundes die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen in Deutschland. Ausgenommen sind Ingenieure, die in den Bereichen Umweltverträglichkeit, Bauphysik, Bodenmechanik und Vermessungswesen tätig sind. Die HOAI regelt u. a. Mindest- und Höchstsätze für die einzelnen Leistungsphasen. Die EU-Kommission hat diese Festlegungen moniert und gegen die Bundesrepublik Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Sie sieht in den verbindlichen Mindest- und Höchstsätzen einen Verstoß gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie und die Niederlassungsfreiheit. Der EuGH ist ihr gefolgt. |

    1. Mindest- und Höchstsätze im europäischen Recht

    Die HOAI stellt eine Taxe im Sinne des § 612 Abs. 2 BGB dar. Fehlt es also an einer vertraglichen Vergütungsvereinbarung, bestimmt sich die geschuldete Vergütung nach der HOAI. Allerdings setzt diese zugleich der Vertragsfreiheit durch die Mindest- und Höchstsätze Grenzen.

     

    Nach § 7 Abs. 1 HOAI richtet sich das Honorar für Leistungen von Architekten und Ingenieuren nach der Vereinbarung der Vertragsparteien, wobei die Vereinbarungen die festgesetzten Mindest- und Höchstsätze der HOAI grundsätzlich nicht unter- oder überschreiten dürfen. Gemäß Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der EU-Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG (ABl. L 376/36 vom 27.12.06) dürfen Mindest- und Höchstpreise allerdings nur unter engen Voraussetzungen festgesetzt oder beibehalten werden. Sie sind nach Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie nur zulässig, wenn die folgenden drei Kriterien erfüllt sind:

     

    • Die Anforderungen dürfen weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder ‒ bei Gesellschaften ‒ aufgrund des Orts des satzungsmäßigen Sitzes darstellen.

     

    • Die Anforderungen müssen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein.

     

    • Die Anforderungen müssen zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels geeignet sein. Sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziel erforderlich ist. Diese Anforderungen können nicht durch andere weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden, die zum selben Ergebnis führen.

    2. Der deutsche Standpunkt und was der EuGH dazu sagt

    Nach Auffassung der Bundesrepublik Deutschland sind die Mindest- und Höchstsätze der HOAI nicht geeignet, eine direkte oder indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder ‒ bei Gesellschaften ‒ aufgrund des Ortes des satzungsmäßigen Sitzes zu begründen. Ferner sei die Festsetzung von Mindestpreisen geeignet, das Ziel der Gewährleistung einer hohen Qualität bei Leistungen zu erreichen. Außerdem seien die Mindest- und die Höchstsätze zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet, da zwischen dem Preis und der Qualität ein Zusammenhang bestehe, weil sich die hohe Arbeitsbelastung hoch qualifizierten Personals in einem Preis niederschlage, der dadurch höher liege. Werde ein bestimmtes Preisniveau unterschritten, könne davon ausgegangen werden, dass dieser Preis nur durch ein niedrigeres Qualitätsniveau der Leistungen erreicht werden könne. Schließlich gehe die in der HOAI vorgesehene Festlegung von Mindestsätzen nicht über dasjenige hinaus, was zur Erreichung der genannten Ziele notwendig sei. Auch gebe es keine weniger beschränkenden Maßnahmen.

     

    Der EuGH hat die HOAI-Regeln an den drei Kriterien des Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie gemessen und kommt zu einem anderen Ergebnis. Danach gilt: Die deutsche HOAI regelt Mindest- und Höchstsätze, die zur Erreichung der damit verfolgten Ziele nicht geeignet und damit nicht verhältnismäßig sind. Die Voraussetzungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie sind damit nicht erfüllt, die HOAI ist europarechtswidrig (EuGH 4.7.19, C-377/17, Abruf-Nr. 209725). Der EuGH hat die Voraussetzungen im Einzelnen wie folgt bewertet:

     

    a) Keine Diskriminierung

    Die erste Voraussetzung ist nach Auffassung des EuGH erfüllt. Die Mindest- und Höchstsätze der HOAI begründen weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder ‒ bei Gesellschaften ‒ aufgrund des Ortes des satzungsmäßigen Sitzes.

     

    b) EuGH räumt die Erforderlichkeit ein

    Auch hinsichtlich der Erforderlichkeit der in Rede stehenden Regelungen folgt der EuGH der Argumentation der Bundesregierung. Durch die Festlegung von Mindestsätzen sollen die Ziele der Qualität der Planungsleistungen, des Verbraucherschutzes, der Bausicherheit, des Erhalts der Baukultur und des ökologischen Bauens erreicht werden. Die Höchstpreise sollen den Verbraucherschutz sicherstellen, indem sie die Transparenz der Honorare im Hinblick auf die entsprechenden Leistungen gewährleisteten und überhöhte Honorare unterbinden. Das sind nach Auffassung des EuGH zwingende Gründe des Allgemeininteresses, die zur Rechtfertigung der Normen dienen.

     

    c) Bei der Verhältnismäßigkeit scheitert die Regelung

    Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit untergliedert sich in drei Anwendungsvoraussetzungen. Danach müssen die Regelungen geeignet sein, das gewünschte Ziel zu erreichen (Eignung), sie müssen das mildeste Mittel sein (Erforderlichkeit) und schließlich müssen die Maßnahmen im Verhältnis zur Zielsetzung angemessen sein (Angemessenheit). Diese Voraussetzungen sind nach Auffassung des EuGH nicht erfüllt.

     

    Dabei sei zwischen den Mindest- und Höchstsätzen der HOAI zu differenzieren. Mit den Mindestsätzen könne die Gefahr eines ruinösen Preiskampfes begrenzt werden. Von daher sei die Festlegung geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Es sei jedoch nicht erkennbar, dass die in der HOAI vorgesehenen Mindestsätze geeignet seien, eine hohe Qualität der Planungsleistungen zu gewährleisten und den Verbraucherschutz sicherzustellen. Die Erbringung von Planungsleistungen sei in Deutschland nämlich nicht bestimmten Berufsständen vorbehalten, die einer zwingenden berufs- oder kammerrechtlichen Aufsicht unterliegen, sondern auch anderen Personen, als Architekten und Ingenieuren. So dürfen z. B. auch Bauzeichner oder Fassadenbauer einen Bauplan erstellen. Der Vortrag der Bundesregierung sei daher widersprüchlich, wenn einerseits mit den Mindestsätzen das Ziel verfolgt werde, eine hohe Qualität der Planungsleistungen zu erhalten, während andererseits Planungsleistungen in Deutschland auch von solchen Dienstleistern erbracht werden können, die ihre entsprechende fachliche Eignung nicht nachgewiesen haben. Daher seien die Mindestsätze nicht geeignet, das erklärte Ziel zu erreichen.

     

    Hinsichtlich der in der HOAI festgelegten Höchstsätze erkennt der EuGH zwar an, dass diese zum Verbraucherschutz beitragen können, indem die Dienstleister daran gehindert werden, überhöhte Honorare zu fordern. Dieses Ziel könne jedoch auch erreicht werden, indem den Kunden Preisorientierungen für die verschiedenen von der HOAI genannten Kategorien von Leistungen zur Verfügung gestellt werden. Somit seien weniger einschneidende Maßnahmen denkbar, womit das Erfordernis, Höchstsätze festzulegen, sich als unverhältnismäßig zeige. Die deutsche HOAI erweise sich daher als europarechtswidrig.

    3. Konsequenzen für die Praxis

    Die Entscheidung des EuGH wird unmittelbare Konsequenzen nach sich ziehen. Architekten und Ingenieure werden einem zunehmenden Preisdruck ausgesetzt sein. Das genaue Kalkulieren und aktive Verhandeln angemessener Honorare wird für Auftragnehmer somit immer wichtiger.

     

    Checkliste / Das ist zu beachten

    • Auf der Basis der HOAI vertraglich begründete Honorarvereinbarungen bleiben zwar wirksam, es ist aber nicht mehr möglich, sich auf eine potenzielle Mindestsatzunterschreitung zu berufen. Umgekehrt wird der Auftraggeber keine Reduzierung des vereinbarten Honorars durchsetzen können, wenn es die Höchstsätze überschreitet (OLG Celle 23.7.19, 14 U 182/18, Abruf-Nr 210407).

     

    • Der EuGH hat die Verbindlichkeit des Preisrechts der HOAI für unwirksam erklärt. Auf die Regelungen zu den Nebenkosten, Zahlungen oder auch auf die Leistungsbilder der HOAI kann in Planerverträgen weiter zurückgegriffen werden.

     

    • Das Bundeswirtschaftsministerium hat die öffentlichen Stellen in Deutschland aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts im Informationsschreiben vom 4.7.19 (www.iww.de/s2910) angehalten, ab sofort die für europarechtswidrig erklärten Regelungen der HOAI nicht mehr anzuwenden und daher bei der Vergabe öffentlicher Aufträge über Architekten- oder Ingenieurleistungen den Zuschlag auf Angebote nicht mehr zu verweigern, wenn die angebotenen Preise unterhalb der Mindestsätze oder oberhalb der Нöchstsätze der HOAI liegen. Angebote, die sich im Ergebnis einer Einzelfallprüfung als unauskömmlich erweisen, können aber nach wie vor ausgeschlossen werden.
     
    Quelle: Ausgabe 09 / 2019 | Seite 160 | ID 46051858