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  • 15.07.2008 | Verfahrenspraxis

    Prozessunfähiger Schuldner: Einspruchsfrist läuft? Nur Wiedereinsetzung möglich!

    Die unter Verstoß gegen § 170 Abs. 1 ZPO erfolgte Zustellung eines Vollstreckungsbescheids an eine – aus dem zuzustellenden Titel nicht erkennbar – prozessunfähige Partei setzt die Einspruchsfrist in Gang (BGH 19.3.08, VIII ZR 68/07, Abruf-Nr. 081430).

     

    Sachverhalt

    Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Vollstreckungsbescheid (VB) erwirkt, der dem Beklagten am 24.9.03 zugestellt worden ist. Am 6.3.06 hat der Beklagte Einspruch eingelegt und hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung des Einspruchs beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, er sei von Mitte 2002 bis Ende 2004 infolge einer Alkoholerkrankung geschäftsunfähig gewesen. Das AG hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten abgelehnt und seinen Einspruch als unzulässig verworfen. Das LG hat die Berufung zurückgewiesen. Der BGH hat die beiden Ausgangsentscheidungen bestätigt.  

     

    Entscheidungsgründe

    Der Einspruch des Beklagten ist aus Sicht des BGH mangels Einhaltung der zweiwöchigen Einspruchsfrist unzulässig. Ungeachtet der Frage, ob der Schuldner tatsächlich prozessunfähig gewesen sei, steht dies der wirksamen Zustellung des VB nicht entgegen, sodass die zweiwöchige Einspruchsfrist gemäß § 700 Abs. 1, § 339 Abs. 1 ZPO in Gang gesetzt worden ist. Zwar ist bei nicht prozessfähigen Personen gemäß § 170 Abs. 1 S. 1 ZPO an den gesetzlichen Vertreter zuzustellen. Hieraus folgt, dass eine an den Geschäftsunfähigen selbst erfolgte Zustellung unwirksam ist. Dies ist auch seit 2002 in § 170 Abs. 1 S. 2 ZPO normiert.  

     

    Dem Gebot der Rechtssicherheit und der Ausgestaltung der Nichtigkeitsklage wegen mangelhafter Vertretung (§ 578 Abs. 1, § 579 Abs. 1 Nr. 4, § 586 Abs. 3 ZPO) ist jedoch für die Fälle der als prozessfähig behandelten, tatsächlich aber prozessunfähigen Partei eine Ausnahme zu entnehmen, sodass in diesen Fällen die Zustellung von Urteilen und VB an die prozessunfähige Partei den Lauf der Rechtsmittel- bzw. Einspruchsfrist auslöst. Dies entsprach unter der Geltung des § 171 ZPO a.F. der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 104, 109; NJOZ 05, 77). Mit dieser Rechtsprechung hat der BGH die bereits vom RG (RGZ 121, 63) sowie vom BVerwG (NJW 70, 962) in diesen Fällen für die Zustellung von Urteilen an die prozessunfähige Partei anerkannte Ausnahme fortgeführt und auf die Zustellung von VB ausgedehnt. Hierfür war die Überlegung maßgeblich, dass für die Auslösung der Rechtsmittelfrist durch die Zustellung in diesen Fällen ein noch dringenderes Bedürfnis besteht als bei Urteilen, die gemäß § 517 ZPO auch ohne Zustellung rechtskräftig werden können. Hieran war auch unter der Geltung des § 170 Abs. 1 ZPO festzuhalten (Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 170 Rn. 5; Musielak/Stadler, ZPO, 5. Aufl., § 339 Rn. 1; a.A. Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 52 Rn. 13; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 28. Aufl., § 170 Rn. 3). Aus den Gesetzesmaterialien ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine beabsichtigte Änderung der Rechtslage.