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  • · Fachbeitrag · Volljährigenunterhalt

    Kind verliert wirtschaftliche Selbstständigkeit:Erhöhter Selbstbehalt für die Eltern

    von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf

    • 1. Wird der Unterhaltspflichtige von seinem erwachsenen Kind, das seine bereits erlangte wirtschaftliche Selbstständigkeit verloren hat, auf Unterhalt in Anspruch genommen, ist es nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter ihm und seiner Ehefrau im Regelfall einen Familienselbstbehalt zubilligt, wie ihn die Düsseldorfer Tabelle und die unterhaltsrechtlichen Leitlinien für den Elternunterhalt vorsehen (im Anschluss an BGH FamRZ 12, 530).
    • 2. Der Familienselbstbehalt trägt bereits dem Umstand Rechnung, dass die Ehegatten durch Zusammenleben Haushaltsersparnisse erzielen (im Anschluss an BGH FamRZ 10, 1535).

    Sachverhalt

    Der Kläger K ist Sozialhilfeträger und begehrt von dem Beklagten B rückständigen Volljährigenunterhalt aus übergegangenem Recht. K erbrachte für den 1969 geborenen Sohn S des B, der wegen Depressionen und einer Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig ist, von April 2007 bis März 2009 Sozialhilfe von über 850 EUR monatlich. B bezieht als Rentner monatlich ein Nettoeinkommen von rund 1.603 EUR. Seine Ehefrau E hat ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von rund 485 EUR. B und E bewohnen eine Eigentumswohnung, für die sie Finanzierungs- und laufende Kosten zahlen müssen. Das AG verurteilte B, an K für April 2007 bis März 2009 monatlich 70 EUR zu zahlen. Auf die Berufung des B wies das OLG die Klage ab.

    Entscheidungsgründe

    Die Revision des K ist unbegründet. B, der unterhaltspflichtige Vater des S, war nicht leistungsfähig. Die Lebensstellung des S muss beachtet werden.

     

    Vertrauen der Eltern auf ihre Unabhängigkeit ist schützenswert

    Der volljährige S hatte vor der Bedürftigkeit eine eigene Lebensstellung erlangt und war auf elterlichen Unterhalt nicht mehr angewiesen. In einem solchen Fall dürfen Eltern davon ausgehen, dass das Kind seine Elternunabhängigkeit behält, wenn keine andere Entwicklung absehbar ist. Verliert das erwachsene Kind später seine wirtschaftliche Selbstständigkeit, findet die Inanspruchnahme des Pflichtigen in der Regel erst statt, wenn

    • der Pflichtige sich in einem höheren Alter befindet,
    • er seine Lebensverhältnisse längerfristig seinem Einkommensniveau angepasst hat oder
    • bereits Rente bezieht und nach dem regelmäßigen Ablauf nicht mehr mit einer Unterhaltsforderung zu rechnen braucht.

     

    Eltern kommt ein höherer Selbstbehalt zugute

    Gerechtfertigt ist, den Selbstbehalt wie beim Elternunterhalt zu bemessen. Nach der Düsseldorfer Tabelle belief er sich bis 2011 auf 1.400 EUR. Zudem kann erhöhend wirken, dass dem Pflichtigen ein etwa hälftiger Anteil seines für den Unterhalt einsetzbaren bereinigten Einkommens verbleiben muss.

     

    Unterhaltspflicht des B gegenüber der E berücksichtigen

    Ist der Pflichtige verheiratet, muss als sonstige Verbindlichkeit auch die Unterhaltspflicht gegenüber seinem Ehegatten nach §§ 1360, 1360a BGB berücksichtigt werden, soweit dieser bedürftig ist. Es ist nicht zu beanstanden, wenn für den Ehegatten ein Mindestbedarf wie beim Elternunterhalt von damals 1.050 EUR angesetzt wird. So ergibt sich unter Berücksichtigung des Selbstbehalts für den Pflichtigen im Jahr 2011 von 1.400 EUR und dem Mindestbedarf der E von 1.050 EUR ein zusammengerechneter Familienselbstbehalt von 2.450 EUR. Die durch das Zusammenleben der Eheleute eingetretene Haushaltsersparnis ist bereits durch den geringeren Mindestbedarf der mit B zusammenlebenden E berücksichtigt.

     

    B war in der streitigen Zeit nicht leistungsfähig

    In der fraglichen Zeit verfügten B und E über ein Gesamteinkommen von rund 2.088 EUR (B 1.603 EUR, E 485 EUR). Damit ergibt sich einschließlich des bereinigten Wohnvorteils ein Gesamteinkommen von rund 2.306 EUR. Nach Abzug des Familienselbstbehalts von 2.450 EUR verbleibt ein negativer Betrag von rund 144 EUR, sodass die Leistungsfähigkeit des B nicht besteht.

    Praxishinweis

    Angelehnt an BGH 18.1.12, XII ZR 15/10, FuR 12, 255 ist darauf hinzuweisen, dass sich nicht nur der Selbstbehalt erhöht, sondern auch der Bedarf ändert, wenn ein volljähriges Kind vor der Bedürftigkeit eine eigenständige Lebensstellung erlangt hat. Da der Volljährige wirtschaftlich selbstständig und unabhängig war, kann seine Lebensstellung nicht mehr von der seiner Eltern abgeleitet werden. Orientierungshilfe für den Bedarf kann das Existenzminimum sein, das in den Selbstbehaltsätzen zum Ausdruck kommt.

     

    Die Problematik der eigenen Lebensstellung ergibt sich insbesondere bei krankheitsbedingten Erwerbsbeeinträchtigungen. Folgendes ist zu beachten:

     

    • Es könnte ein Anspruch auf Grundsicherung bei Erwerbsminderung bestehen, §§ 41 ff. SGB XII. Voraussetzung ist, dass das volljährige Kind auf Dauer voll erwerbsgemindert ist, § 43 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI.

     

    • Möglicherweise wird statt einer Grundsicherungsleistung Sozialhilfe bezogen. Diese ist mit dem Forderungsübergang verbunden, was bei der Grundsicherung nur eingeschränkt der Fall ist.

     

    • In Fällen der Eingliederungshilfe für behinderte oder pflegebedürftige Volljährige gemäß §§ 53, 61 SGB XII geht der Unterhaltsanspruch wegen geleisteter Hilfe nur bis zu 26 EUR und wegen Hilfe zum Lebensunterhalt nur bis zu 20 EUR auf den Sozialhilfeträger über.

     

    Der Selbstbehalt für den Elternunterhalt beträgt nach Anmerkung D 1 der Düsseldorfer Tabelle (Stand 1.1.13) bei 1.600 EUR für den Pflichtigen, einschließlich 450 EUR Warmmiete und 1.280 EUR für den mit ihm zusammenlebenden Ehegatten, einschließlich 350 EUR Warmmiete. Ist der Pflichtige verheiratet, wird zuerst ein Familieneinkommen bestimmt. Hiervon wird der Familienselbstbehalt abgezogen, der sich aus Anmerkung D 1 der Düsseldorfer Tabelle ergibt und 2.880 EUR (1.600 EUR + 1.280 EUR) beträgt. So werden die Vorteile des Zusammenlebens beachtet, weil der Mindestbedarf des Ehegatten um 320 EUR geringer ist als der Selbstbehalt des Pflichtigen. Ihm muss die Hälfte des über den Familienselbstbehalt hinausgehenden Einkommens verbleiben. Die Haushaltsersparnis wird mit 10 Prozent beachtet.

     

    Vereinfacht kann dies geschehen, indem bei Vorteilen des Zusammenlebens in der Regel 45 Prozent des über die Selbstbehalte hinausgehenden Einkommens dem Pflichtigen verbleiben müssen. An dem individuellen Familienbedarf muss sich der Pflichtige im Verhältnis der beiderseitigen Einkünfte beteiligen. Das restliche Einkommen ist für den Elternunterhalt einsetzbar.

     

    MERKE | Von dem nach Abzug des Familienselbstbehalts verbleibenden Einkommen sind 45 Prozent für den Familienunterhalt einzusetzen. Der individuelle Familienbedarf setzt sich aus diesen 45 Prozent zuzüglich des Familienselbstbehalts zusammen.

     

    • Leistungsfähigkeit eines verheirateten Vaters

    Einkommen des unterhaltspflichtigen Vaters

    3.000 EUR

    Einkommen der unterhaltsberechtigten Ehefrau

    1.000 EUR

    Familieneinkommen

    4.000 EUR

    abzüglich Familienselbstbehalt

    2.880 EUR

    verbleiben

    1.120 EUR

    abzüglich 10 % Haushaltsersparnis

    112 EUR

    ergibt

    1.008 EUR

    davon die Hälfte

    504 EUR

    zuzüglich Familienselbstbehalt

    2.880 EUR

    individueller Familienbedarf

    3.384 EUR

    Anteil des Unterhaltspflichtigen (75 %)

    2.538 EUR

    Einkommen des Unterhaltspflichtigen

    3.000 EUR

    abzüglich

    2.538 EUR

    für den Volljährigenunterhalt einsetzbar

    462 EUR

     

    Vereinfachend kann der individuelle Familienbedarf auch durch Addition des Familienselbstbehalts (2.880 EUR) und eines Betrags in Höhe von 45 Prozent des um den Familienselbstbehalt bereinigten Gesamteinkommens der Ehegatten (im obigen Beispiel 45 Prozent von 1.120 EUR) errechnet werden.

    Quelle: Ausgabe 03 / 2013 | Seite 38 | ID 35803010