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  • · Fachbeitrag · Sozialleistungen

    Aufrechnungsverbot für Sozialleistungsträger gilt auch nach Anspruchsübergang

    von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf

    Das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB i.V.m. § 850b Abs. 1 Nr. 2 ZPO gilt auch zugunsten von Trägern öffentlicher Sozialleistungen, soweit diese Leistungen der Sozialhilfe oder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende erbracht haben und der Unterhaltsanspruch des Hilfeempfängers auf sie übergegangen ist (BGH 8.5.13, XII ZB 192/11, FamRZ 13, 1202, Abruf-Nr. 131884).

     

    Sachverhalt

    Der Antragsgegner ist Vater eines im Jahr 07 nichtehelich geborenen Kindes. An die Mutter, die von ihm getrennt lebt und das Kind allein betreut, zahlte er keinen Betreuungsunterhalt. Der Antragsteller erbrachte an sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der als Anwalt selbstständig tätige Antragsgegner leistungsfähig war und die Kindesmutter gegen ihn einen Unterhaltsanspruch mindestens in Höhe der vom Antragsteller gewährten Leistungen hatte. Der Antragsteller verlangt vom Antragsgegner aus übergangenem Recht Zahlung von Betreuungsunterhalt im Umfang der von ihm erbrachten Sozialleistungen. Der Antragsgegner hat mit einer Forderung gegen die Mutter wegen der Rückzahlung eines ihr in den Jahren 05 und 06 gewährten Darlehens aufgerechnet. Das AG hat ihn antragsgemäß verpflichtet zu zahlen. Die dagegen gerichteten Rechtsmittel blieben erfolglos.

    Entscheidungsgründe

    Die Aufrechnung scheitert nicht an der Gegenseitigkeit. Dies ergibt sich aus § 406 BGB bei abgetretenen oder im Wege der Legalzession übergegangenen Forderungen. Diese Vorschrift durchbricht das Gegenseitigkeitsprinzip der Haupt- und Gegenforderung beim Gläubigerwechsel.

     

    § 406 BGB dient dem Schuldnerschutz

    Der Schuldner soll durch die Abtretung bzw. den Forderungsübergang nicht benachteiligt werden. Er soll gegenüber dem neuen Gläubiger nicht ungünstiger gestellt werden, als er gegenüber dem alten stand. Der Schuldner kann gegenüber dem Zessionar mit einer Gegenforderung gegen den Zedenten aufrechnen, wenn er ohne die Abtretung der gegen ihn gerichteten Hauptforderung damit rechnen durfte, diese durch Aufrechnung zu tilgen.

     

    Mit der Abtretung der Hauptforderung ist aber auch kein generelles Verschlechterungsverbot zugunsten des Schuldners verbunden. Dieser muss z.B. hinnehmen, dass er höchstpersönliche Einreden, die ihm gegenüber dem Zedenten zustanden, gegenüber dem Zessionär nicht geltend machen kann. Auch kann der neue Gläubiger unangenehmer sein.

     

    Daraus folgt, dass sich auch kein generelles Verbesserungsverbot mit der Abtretung verbinden lässt. Es bestehen keine Bedenken dagegen, die Aufrechnung des Schuldners gegenüber dem Zessionar mit einer Gegenforderung gegen den Zedenten u.U. auch zuzulassen, wenn erst durch die Abtretung ein zuvor bestehendes Aufrechnungsverbot beseitigt wird. Insbesondere lässt sich aus § 406 BGB nicht der allgemeine Grundsatz herleiten, dass eine Aufrechnung, die dem Schuldner gegenüber dem Zedenten gesetzlich versagt war, auch gegenüber dem Zessionar stets unstatthaft sein muss.

     

    Forderungsübergang ändert Rechtsnatur des Unterhaltsanspruchs nicht

    Ob allerdings ein Aufrechnungsverbot im Rahmen des § 406 BGB zugunsten des neuen Gläubigers auch noch nach der Abtretung bzw. nach einem gesetzlichen Übergang der Hauptforderung gilt, ist nach dem Zweck des Aufrechnungsverbots zu entscheiden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass durch den Forderungsübergang auf einen Sozialleistungsträger die Rechtsnatur eines Unterhaltsanspruchs nicht geändert wird. Daher bleibt es beim Aufrechnungsverbot, wenn der Sozialleistungsträger an den Unterhaltsberechtigten Leistungen der Sozialhilfe oder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende erbringt und der Unterhaltsanspruch nach § 94 Abs. 1 SGB XII oder nach § 33 Abs. 1 SGB II im Wege der Legalzession auf ihn übergegangen ist.

     

    Das Aufrechnungsverbot beschränkt sich nicht ausnahmslos auf den bisherigen Unterhaltsgläubiger. Dies lässt sich weder § 394 BGB noch § 850b Abs. 1 Nr. 2 ZPO entnehmen. Zwar dient § 394 BGB in erster Linie dem Schutz des Unterhaltsberechtigten davor, dass ihm und seiner Familie die zur Sicherung des Existenzminimums benötigten Vermögenswerte nicht entzogen werden. Dies kommt gegenüber einem Dritten, der die Forderung vom schutzbedürftigen Unterhaltsgläubiger erwirbt, nicht ohne Weiteres zum Tragen.

     

    Aufrechnungsverbot dient auch dem Schutz öffentlicher Kassen

    Die sich aus dem Aufrechnungsverbot des § 394 BGB ergebenden materiell-rechtlichen Einschränkungen der Verkehrsfähigkeit unpfändbarer Forderungen sind auch im Interesse des Allgemeinwohls erlassen worden. Der ursprüngliche Gläubiger soll nicht der öffentlichen Fürsorge anheimfallen. Das BAG hat bei der Unzulässigkeit der Aufrechnung gegen unpfändbares Arbeitseinkommen mehrfach erkannt, dass das Aufrechnungsverbot auch einem Sozialversicherungsträger zugutekommen kann. Die Rechtsprechung betraf die Fälle, in denen der Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur Lohnzahlung bzw. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nicht nachgekommen war. Die für den Arbeitnehmer durch Leistung von Arbeitslosengeld bzw. Krankengeld entstehenden Sozialversicherungsträger sind durch gesetzlichen Forderungsübergang nach den seinerzeit geltenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften Gläubiger der aus dem Arbeitsverhältnis herrührenden Lohn- bzw. Lohnfortzahlungsansprüche des Arbeitnehmers geworden.

     

    Wegen der Vergleichbarkeit der Interessenlage muss dies auch für einen Sozialleistungsträger gelten, der Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt hat, weil ein Unterhaltsschuldner seiner Leistungspflicht nicht nachgekommen ist. Denn die Subsidiarität der Sozialhilfe und der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II (§ 2 Abs. 2 S. 1 SGB XII bzw. § 9 Abs. 1 SGB II) soll durch den Anspruchsübergang nach § 94 Abs. 1 SGB XII bzw. § 33 Abs. 1 SGB II verwirklicht werden. Der Sozialleistungsträger soll durch Eintritt in die Gläubigerposition des Leistungsempfängers grundsätzlich den Zustand herstellen können, der dem gesetzlichen Vorrang der Verpflichtung anderer Unterhaltspflichtiger entspricht, die dem Leistungsempfänger Hilfe hätten gewähren müssen.

     

    Könnte sich der Sozialleistungsträger auf das Aufrechnungsverbot nicht berufen, könnte der Unterhaltsschuldner den Berechtigten durch Nichtleistung des geschuldeten Unterhalts veranlassen, Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, um anschließend private Forderungen gegen den Unterhaltsgläubiger zulasten der Allgemeinheit durchsetzen zu können.

     

    Ausschluss nach § 400 BGB steht nicht entgegen

    Dem steht auch nicht entgegen, dass nach § 400 BGB eine Forderung grundsätzlich nicht abgetreten werden kann, soweit sie - wie gesetzliche Unterhaltsansprüche gemäß § 850b Abs. 1 Nr. 2 ZPO - unpfändbar sind. Eine Abtretung der Unterhaltsforderung kann erfolgen, wenn die Forderung nicht mehr dem Unterhaltsberechtigten, sondern aufgrund gesetzlichen Forderungsübergangs einem Dritten zusteht, der keines Pfändungsschutzes nach § 850b Abs. 1 S. 2 ZPO bedarf. Dieser Dritte kann auch ein Sozialleistungsträger sein. Die Privilegierung lässt insbesondere nicht die Schlussfolgerung zu, dass der Sozialleistungsträger die auf ihn im Wege der Legalzession übergegangene Unterhaltsforderung auch nicht abtreten darf. Obwohl die durch §§ 394, 400 BGB bewirkte Einschränkung der Verkehrsfähigkeit einer unpfändbaren Forderung letztlich auf den gleichen gesetzgeberischen Erwägungen beruht, gibt es keinen unbedingten Gleichlauf beider Vorschriften. Es ist anerkannt, dass sich der Schutzzweck des Abtretungsverbots in den Fällen erledigt hat, in denen der Zessionar seinerseits dem Zedenten die Leistungen erbringt, die ihm § 400 BGB sichern will. Dies gilt auch für die Abtretung von Unterhaltsansprüchen. Daher kann eine Unterhaltsforderung durch den Unterhaltsgläubiger abgetreten werden, obwohl sie bei ihm weiterhin dem Aufrechnungsverbot nach § 394 BGB i.V.m. § 850b Abs. 1 Nr. 2 ZPO unterliegt.

    Praxishinweis

    Das Aufrechnungsverbot nach § 394 BGB gilt nur für den laufenden Unterhalt, da dieser für die laufenden Lebensbedürfnisse eingesetzt werden muss. Gegen Unterhaltsrückstände kann jederzeit aufgerechnet werden. Außerdem kann das Vollstreckungsgericht nach § 850b Abs. 3 ZPO die Pfändung gestatten, wenn dies der Billigkeit entspricht. Um diese Entscheidung herbeizuführen, müsste der Gläubiger und Unterhaltsschuldner zunächst die eigene Forderung titulieren lassen und im Rahmen der Forderungspfändung betreffend die Unterhaltsforderung die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts beantragen. Gläubiger und Drittschuldner können identisch sein. Dose ist sogar der Ansicht, dass das Familiengericht bei der Entscheidung über die Aufrechnung die Billigkeitsentscheidung nach § 850b Abs. 3 ZPO anstelle des Vollstreckungsgerichts treffen darf (Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 8. Aufl., § 6 Rn. 303).

    Quelle: Ausgabe 11 / 2013 | Seite 182 | ID 42280798