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  • · Fachbeitrag · Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts

    Das Wechselmodell will gekonnt sein

    von VRiOLG a.D. Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf

    | Der BGH hat die Anforderungen an das Wechselmodell konkretisiert. |

    Sachverhalt

    Aus der Ehe der Eltern stammen der 2008 geborene Sohn sowie die 2009 geborenen Zwillinge. Die Eltern trennten sich 2013. Durch Beschluss übertrug das AG der Kindesmutter M das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die drei Kinder. Diese zog mit den Kindern in eine Wohnung in einem nahe gelegenen Ort. Die Beteiligten trafen eine vorläufige Umgangsregelung. Der Vater V hat in einem gesonderten Verfahren die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich beantragt, hilfsweise eine Umgangsregelung i. S. e. Wechselmodells. Das AG hat den Antrag zum Sorgerecht, das OLG die dagegen gerichtete Beschwerde des V zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde blieb erfolglos. Bei dem vorliegenden Verfahren handelt es sich um den in jenem Verfahren gestellten Hilfsantrag, der in ein Umgangsverfahren einleitet. Das AG hat den Umgang dahin geregelt, dass die Kinder alle 14 Tage Umgang mit dem V haben. Das OLG hat dessen Beschwerde, mit der er ein Wechselmodell durchsetzen wollte, zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde blieb erfolglos.

     

    • a) Die gerichtliche Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil hat keine Bindungswirkung hinsichtlich einer späteren Entscheidung zum Umgang und der sich dabei stellenden Frage, ob ein paritätisches Wechselmodell anzuordnen ist (Fortführung von Senatsbeschluss BGHZ 214, 31 = FamRZ 17, 532).
    • b) Die Entscheidung zum Umgang richtet sich in diesem Fall als Erstentscheidung nach §§ 1684, 1697a BGB und unterliegt nicht den einschränkenden Voraussetzungen einer Abänderungsentscheidung gem. § 1696 Abs. 1 BGB.
    • c) Der Anordnung eines Wechselmodells kann entgegenstehen, dass der dieses begehrende Elternteil es an der notwendigen Loyalität gegenüber dem anderen Elternteil fehlen lässt. Ein gegenläufiger Wille des Kindes ist nicht ausschlaggebend, wenn dieser maßgeblich vom das Wechselmodell anstrebenden Elternteil beeinflusst ist.

    (Abruf-Nr. 213330)

     

    Entscheidungsgründe

    § 1696 BGB ist hier nicht anwendbar. Die Abänderung muss sich auf die jeweils gleichartige Entscheidung, das Sorge- oder Umgangsrecht beziehen. Nach der gesetzlichen Systematik handelt es sich um eigenständige Verfahrensgegenstände, sodass die Abänderung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht die Regelung des Umgangs und keine Änderung des Aufenthaltsbestimmungsrechts beinhaltet.

     

    Keine Bindungswirkung durch Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts

    Mit der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ist nicht zugleich notwendigerweise die gerichtliche Entscheidung für ein Residenzmodell verbunden. Die Frage des Wechselmodells ist nicht Gegenstand der Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die allein eine entsprechende Befugnis auf den Elternteil überträgt. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht kann u. a. auch beim Wechselmodell einem Elternteil übertragen werden, wenn dieser eher gewährleistet, dass es durchgeführt werden wird, als der andere.

     

    Unerheblich ist ferner, dass eine auf das Wechselmodell gerichtete Umgangsregelung in bestimmten Fallgestaltungen, wenn der umgangsberechtigte Elternteil nicht mitsorgeberechtigt ist, zu einer sorgerechtlichen Regelung ggf. im sachlichen Widerspruch treten kann. Denn bei Parallelverfahren, die sich auf inhaltlich überschneidende Fragestellungen beziehen, ist es immer möglich, dass es zu sich widersprechenden Entscheidungen kommen kann.

     

    Anforderungen an das Wechselmodell

    Aufgrund der danach ohne Bindungswirkung bestehenden Prüfung des Wechselmodells entspricht dieses hier nicht dem Kindeswohl am besten. Hinsichtlich der Anordnung des paritätischen Wechselmodells sind die Gesichtspunkte des Kindeswohls, die Erziehungseignung, Bindungen des Kindes, Prinzipien der Förderung und die Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens zu prüfen. Im Hinblick auf die hälftig aufgeteilte Ausübung der gemeinsamen Sorge muss auch die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern gegeben sein. Allerdings ist die Zustimmung beider Elternteile zum Wechselmodell keine Voraussetzung für eine entsprechende Anordnung. Anderenfalls würde der Elternwille ohne Rücksicht auf die zugrunde liegende jeweilige Motivation des Elternteils in sachwidriger Weise über das Kindeswohl gestellt.

     

    Der Umgang des Kindes mit beiden Elternteilen gehört zum Wohl des Kindes. Damit ist aber keine Umgangsregelung festgelegt. Diese muss vielmehr im konkreten Einzelfall dem Kindeswohl entsprechen. Das Wechselmodell stellt insoweit gegenüber herkömmlichen Umgangsmodellen höhere Anforderungen an die Eltern und das Kind, das bei doppelter Residenz zwischen zwei Haushalten pendelt und sich auf zwei Lebensumgebungen ein- bzw. umstellen muss.

     

    Es muss eine auf sichere Bindung beruhende tragfähige Beziehung zu beiden Elternteilen bestehen. Dabei kann bedeutsam werden, in welchem Umfang diese zur Zeit des Zusammenlebens das Kind betreut haben. Zudem hat der Kindeswille mit steigendem Alter mehr Gewicht. Es besteht ein erhöhter Abstimmungs- und Kooperationsbedarf, was geeignete äußere Rahmenbedingungen, wie z. B. eine gewisse Nähe der Haushalte und die Erreichbarkeit von Schule und Betreuungseinrichtungen, aber auch eine entsprechende Kooperation zur Kommunikationsfähigkeit der Eltern voraussetzt. Diese sollten daher hinreichende Erziehungskompetenzen aufweisen. Sie sollten erkannt haben, dass eine kontinuierliche und verlässliche Kindererziehung der Kooperation und eines Grundkonsenses in wesentlichen Erziehungsfragen bedarf. Bei hohen Konfliktbelastungen wird das Wechselmodell i. d. R. nicht dem Kindeswohl entsprechen. Durch die Kontakte mit beiden Elternteilen können die Kinder verstärkt mit dem elterlichen Streit konfrontiert werden und dadurch oft einem Koalitionsdruck ausgesetzt sein, der zu Loyalitätskonflikten führt.

     

    Das Wechselmodell ist ungeeignet, um die Eltern dadurch zu einem harmonischen Zusammenwirken in der Betreuung und Erziehung des Kindes zu veranlassen. Die Eltern können aber durchaus in der Lage sein, ihre persönlichen Konflikte von der gemeinsamen Wahrnehmung ihrer Elternrolle gegenüber dem Kind zu trennen und dieses von ihrem Streit zu verschonen.

     

    Hier kommt das Wechselmodell nicht infrage. Der V respektiert die Bindung der Kinder an die M nicht. Seine Erziehungsfähigkeit ist eingeschränkt, weil er diese in den Elternkonflikt hineinzieht und sie einem Loyalitätsdruck aussetzt. Derzeit fehlt es an der Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider Elternteile. Der Kindeswille spielt hier daher keine ausschlaggebende Rolle.

    Relevanz für die Praxis

    Das Wechselmodell passt am besten zum gemeinsamen Sorgerecht. Im Hinblick auf die hälftige Betreuung gerät das Kind in zwei Lebensumgebungen, die nahezu gleichwertig auf es einwirken. Von einem Elternteil werden Entscheidungen verlangt, die in das Sorgerecht eingreifen. Folge: Die Voraussetzungen, unter denen ein gemeinsames Sorgerecht angeordnet werden darf, müssen auch beim Wechselmodell gegeben sein. Gründe, die für die Anordnung der Alleinsorge gegeben sind, werden i. d. R. dem Wechselmodell entgegenstehen.

     

    Findige Eltern, die gegen ein Wechselmodell sind, könnten der Anordnung entgegenwirken. Soweit sie vortragen, in eine andere Stadt oder einen entfernten Stadtteil zu ziehen und das Kind mitnehmen zu wollen, wird das Gericht über ein herkömmliches Umgangsrecht entscheiden müssen. Wenn dem das Wechselmodell verweigernden Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen worden ist, wird sich der andere kaum gegen dessen Wohnsitzverlegung wehren können. Er könnte nur eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich beantragen. Dieses Verfahren dürfte aber kaum erfolgreich sein, wenn es allein auf dieses Verhalten gestützt würde.

     

    Allein die Weigerungshaltung eines Elternteils gegen das Wechselmodell reicht für eine Ablehnung nicht aus. Fälle, in denen ein Elternteil es ablehnt, aber im Übrigen kooperationsfähig und -bereit ist, wird es kaum geben. I. d. R. beruht die Weigerungshaltung darauf, dass es bereits Konflikte gibt. Eltern werden kaum ihren Konflikt von der Wahrnehmung ihrer Elternrolle gegenüber dem Kind trennen und es von ihrem Streit verschonen können. Beim Wechselmodell wird dieser Konflikt hervortreten, wenn die unterschiedlichen Lebensbedingungen und Erziehungsmethoden in beiden Elternhäusern auf die Kinder einwirken. Hiermit müssen erst einmal die Kinder fertigwerden. Man wird kaum erwarten können, dass diese, sobald sie zum anderen gewechselt sind, sich sofort auf diesen Elternteil einstellen und alles vergessen, was sie beim anderen geprägt hat. Ein Elternteil muss also die Erziehungsmethoden des anderen billigen. Allein die Zurechtweisung des Kindes bei missbilligten Aktivitäten, die beim anderen erlaubt sind, würde zu einem Konflikt führen. Davon wäre das Kind nicht verschont, weil es der Leidtragende von Erziehungsmaßnahmen ist.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Vgl. zu der Entscheidung des BGH zum Wechselmodell gegen den Willen eines Elternteils die Sonderausgabe von FK aus 2017
    Quelle: Ausgabe 09 / 2020 | Seite 152 | ID 46635733