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  • · Fachbeitrag · Editorial FK 03/2023

    Dialog in pluralistischer Gesellschaft

    | Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach wie vor erhitzt die Frage, ob die Corona-Schutzmaßnahmen aufrechterhalten bleiben sollen, die Gemüter. Das OLG Karlsruhe hatte im August 22 über einen Sorgerechtsentzug bei Eltern zu entscheiden, die ihr Kind aus Angst vor einer Gefährdung durch Corona-Schutzmaßnahmen vom Schulbetrieb fernhielten. Die Eltern vertraten die Ansicht, dass Covid-Tests Krebs verursachten, die Maskenpflicht geeignet sei, Erstickungsanfälle hervorzurufen sowie in der Schule die Gefahr einer Zwangsimpfung bestünde.

     

    Das Kind wurde im September 21 eingeschult, ist dort aber nie erschienen und hat auch keine andere Schule besucht. Die Eltern gehören der Pfingstbewegung an. Das erstinstanzliche Gericht hatte nach Einschaltung des Jugendamts (JA) durch die Schule im Hauptsacheverfahren das Gebot erlassen, dafür zu sorgen, dass die Schulpflicht eingehalten wird. Hiergegen wandten sich die Eltern mit einer Beschwerde (5 UF 120/22).

     

    Der Senat entzog den Eltern im Wege einer einstweiligen Anordnung (25.8.22, 5 UFH 3/22, FK 23, 1) ergänzend zur Entscheidung des AG die elterliche Sorge für die Bereiche „Schule“ sowie „Aufenthaltsbestimmung während der Unterrichtszeiten“ und übertrug sie auf das JA als Ergänzungspfleger. Die Eltern wurden verpflichtet, das Kind während der Unterrichtszeiten herauszugeben. In der Schulverweigerung läge eine Gefährdung des Kindeswohls. Um die Schulpflicht zu sichern, käme auch ein Entzug der elterlichen Sorge in Betracht, § 1666 Abs. 1 BGB. Die Schulpflicht diene auch dem staatlichen Erziehungsauftrag und den dahinterstehenden Allgemeinwohlinteressen. Die Allgemeinheit habe ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten Parallelgesellschaften entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren. Integration setze u. a. auch voraus, dass religiöse oder weltanschauliche Minderheiten sich nicht selbst abgrenzten und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen nicht verschlössen. Ein Dialog bereichere eine offene pluralistische Gesellschaft. Dies im Sinne gelebter Toleranz einzuüben und zu praktizieren, sei eine wichtige Aufgabe der öffentlichen Schule. Ein breites Spektrum von Überzeugungen in einer Klassengemeinschaft könne die Fähigkeit aller Schüler zu Toleranz und Dialog als einer Grundvoraussetzung demokratischer Willensbildungsprozesse nachhaltig fördern.