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  • 08.01.2010

    Finanzgericht Nürnberg: Beschluss vom 03.03.2006 – VI 442/2005

    Ein verkehrsrechtlich als Lkw eingestuftes Pick-up-Fahrzeug mit Doppelkabine (hier: Nissan D 22) ist nach Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO - unabhängig von seinem zulässigen Gesamtgewicht - als „anderes Fahrzeug” im Sinne des § 8 Nr. 2 KraftStG nach dem verkehrsrechtlich zulässigen Gesamtgewicht zu besteuern. Dies folgt aus dem verbindlich anzuwendenden europäischen Gemeinschaftsrecht, hier der Richtlinie 70/156/EWG vom 6. Februar 1970 in der Fassung der Richtlinie 2001/116/EG vom 20. Dezember 2001.


    Tatbestand

    I.

    Streitig ist die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Kraftfahrzeugsteuerbescheides vom 25.07.2005.

    Die Antragstellerin ist seit Juli 2005 Halterin des streitgegenständlichen Nissan D 22 , eines Pick-up-Fahrzeugs mit Doppelkabine, mit dem amtlichen Kennzeichen XXX . Aus Fahrzeugbrief und -schein ergeben sich die verkehrsrechtliche Fahrzeugart „ Lkw offener Kasten”, verbunden mit der (Lkw-)Schadstoffschlüsselnummer 53 (Ziffer 1, Stellen 5 und 6), und u.a. folgende weitere Daten: Erstzulassung 06.04.2001, Dieselmotor, Hubraum 2494 cm, zulässiges Gesamtgewicht 2850 kg, 5 Sitzplätze.

    In Kenntnis dieser Daten erließ das Finanzamt am 25.07.2005 einen Kraftfahrzeugsteuerbescheid, in dem das Fahrzeug der Antragstellerin als Pkw nach dem Hubraum besteuert und für die Zeit ab 05.07.2005 eine Jahressteuer in Höhe von 683,- € festgesetzt wurde. Unter „Grundlagen der Festsetzung” finden sich in dem Bescheid u. a. folgende Angaben:

    ” Fahrzeugart Personenkraftwagen, Hubraum 2494 cm, Antriebsart Diesel, Emissionsschlüssel 29”

    Unter „Erläuterungen” heißt es:

    ” Die Besteuerungsgrundlagen für Ihr Fahrzeug haben sich infolge der Aufhebung des § 23 Abs. 6 a StVZO zum 01.05.2005 geändert. Die Besteuerung von Fahrzeugen richtet sich ab diesem Stichtag ausschließlich nach den objektiven Beschaffenheitskriterien, insbesondere nach Bauart, Einrichtung und dem äußeren Erscheinungsbild des Fahrzeugs. Diese Kriterien führen bei zur Personenbeförderung konzipierten Fahrzeugen (z. B. Geländewagen, Großraumlimousinen, Kleinbusse, Pick-ups) zur Versteuerung nach dem Hubraum und dem Emissionsverhalten.”

    Die Antragstellerin legte gegen den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 25.07.2005 Einspruch ein, über den bislang - wegen Ruhens des Verfahrens im Hinblick auf ein beim Finanzgericht Köln anhängiges Musterverfahren - nicht entschieden ist. Der von ihrem Prozessbevollmächtigten am 05.12.2005 gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde vom Finanzamt mit Schreiben vom 06.12.2005 abgelehnt.

    Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 23.12.2005, präzisiert mit Schreiben vom 01.03.2006, hat die Antragstellerin beantrag t, den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 25.07.2005 insoweit von der Vollziehung auszusetzen, als die festgesetzte Steuer höher ist als die (Lkw-)Steuer nach dem zulässigen Gesamtgewicht.

    Das Finanzamt hat die Ablehnung des Antrags beantragt .

    Nach Aufhebung der Vorschrift § 23 Abs. 6a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung -StVZO- seien Pick-up-Fahrzeuge mit Doppelkabine und einem verkehrsrechtlich zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 2.800 kg ab 01.05.2005 wie entsprechende Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht bis 2.800 kg als Pkw zu besteuern, wenn die zur Personenbeförderung dienende Fläche größer sei als die Ladefläche. Dies sei bei dem Fahrzeug der Antragstellerin der Fall.

    Gründe

    II.

    Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Kraftfahrzeugsteuerbescheides vom 25.07.2005 ist begründet .

    Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 69 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung -FGO- kann das Gericht die Vollziehung eines angefochtenen Bescheides ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen. Hiervon ist im Streitfall auszugehen.

    Der Pick-up der Antragstellerin ist nach den geltenden EU-Richtlinien ein „anderes Fahrzeug” m Sinne von § 8 Nr. 2 KraftStG und folglich - wie schon bisher - nach dem verkehrsrechtlich zulässigen Gewicht zu besteuern. Die Rechtsansicht der Behörde, die Besteuerung des Fahrzeugs der Antragstellerin richte sich ab 01.05.2005 - nach Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO - nach dem Verhältnis zwischen der zur Personenbeförderung dienende Fläche und der Ladefläche ist unzutreffend. Sie widerspricht nicht nur dem allgemeinen Verfassungsgrundsatz des Vorrangs von Gesetzen, sondern auch - aufgrund der zwingenden Anordnung des § 2 Abs. 2 Satz 1 KraftStG - der Bindung an die verkehrsrechtlichen Vorschriften (vgl. FG Köln, Beschluss vom 28. November 2005 6 V 3715/05, Juris-Dok.-Nr. STRE200571803).

    1.1 Im Gegensatz zum früheren § 10 Abs. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes 1972 enthält das geltende Kraftfahrzeugsteuergesetzkeine eigenständige Bestimmung der Begriffe „Pkw” und „Lkw” . § 2 Abs. 2 Satz 1 KraftStG verweist auf die „jeweils geltenden verkehrsrechtlichen Vorschriften”. Maßgebend für die Bestimmung eines Personenkraftwagens im Kraftfahrzeugsteuerrecht ist somit das Verkehrsrecht. In diesem Sinne hat der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung (vgl. u .a. BFH-Urteile vom 26. August 1997 VII R 60/97, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFHE- 183, 276, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1997, 744 und vom 1. August 2000 VII R 26/99, BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72 m.w.N.) bei der Abgrenzung zwischen Pkw und Lkw auf die (bis 30.04.2005 gültige) verkehrsrechtliche Vorschrift des § 23 Abs. 6a StVZO zurückgegriffen, nach der als Personenkraftwagen auch sog. Kombinationskraftwagen galten, nämlich „Kraftfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von nicht mehr als 2,8 t ..., die nach ihrer Bauart und Einrichtung geeignet und bestimmt sind, wahlweise vorwiegend der Beförderung von Personen oder vorwiegend der Beförderung von Gütern zu dienen und die außer dem Führersitz Plätze für nicht mehr als acht Personen haben”.

    1.2 „Die Verbindlichkeit der verkehrsrechtlichen Vorschriften für das KraftStG darf nicht mit der Verbindlichkeit verkehrsbehördlicher Entscheidungen für die Finanzbehörden verwechselt oder gleichgesetzt werden” (Rüsken, Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Besteuerung von Klein-Lkws und Pkw-Kombis, Deutsches Autorecht -DAR- 1999, 100). Letztere, also die Anwendung der verkehrsrechtlichen Vorschriften durch die Verkehrsbehörden, sind für die Finanzämter nicht verbindlich (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, grundlegend das BFH-Urteil vom 30. September 1981 II R 56/78, BFHE 134, 367, BStBl II 1982, 82; weiterhin BFH-Urteile vom 29. April 1997 VII R 1/97, BFHE 183, 272, BStBl II 1997, 627 und vom 26. August 1997 VII R 60/97, BFHE 183, 276, BStBl II 1997, 744). Da die verkehrsbehördliche Zulassung als Pkw oder Lkw insoweit also keinen Grundlagenbescheid im Sinne des § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung -AO-darstellt - anders als in den vom Gesetz (§ 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 KraftStG) ausdrücklich als „verbindlich” normierten Besteuerungsgrundlagen „technischer Art” -, ist die Finanzbehörde nach § 88 AO und § 6 der Kraftfahrzeugsteuer-Durchführungsverordnung -KraftStDV- berechtigt, eigenständig zu prüfen, ob die verkehrsrechtliche Einstufung durch die Zulassungsbehörde auch kraftfahrzeugsteuerrechtlich zutreffend ist.

    2. Die verkehrsrechtliche Bestimmung des § 23 Abs. 6a StVZO wurde durch die 27. Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 2. November 2004 (Bundesgesetzblatt -BGBl- I 2004, 2712) mit Wirkung ab 1. Mai 2005 aufgehoben. Zur Begründung heißt es in den Gesetzesmaterialien (BR-Drucksache 600/04):

    ” Der Regelungsinhalt des § 23 Abs. 6a StVZO ist nicht mit den in der Richtlinie 70/156/EWG vorgegebenen und von den Mitgliedsstaaten verbindlich anzuwendenden Begriffsbestimmungen für Fahrzeugklassen und Fahrzeugtypen für Fahrzeuge der Klasse M1 (Personenkraftwagen) vereinbar. ... Die Bestimmung soll daher aufgehoben werden.

    Durch die Aufhebung dieses Absatzes werden die Vorschriften der StVZO an das EG-Recht, und zwar an die Richtlinie 70/156/EWG (ABl. EG 1970 Nr. L 42 S. 1) angepasst. Dieses sieht bei der Definition der Fahrzeugklassen eine Begrenzung der zulässigen Gesamtmasse für Kraftfahrzeuge der Klasse M1 (für die Personenbeförderung ausgelegte und gebaute Kraftfahrzeuge mit höchstens acht Sitzplätzen außer dem Fahrersitz), zu denen auch die Mehrzweckfahrzeuge gehören, nicht vor. Nur wenn die in dieser Richtlinie im Anhang II Abschnitt C in Nr. 1 Personenkraftwagen (M1) unter AF - Mehrzweckfahrzeug beschriebenen besonderen Bedingungen erfüllt werden, gilt ein solches Fahrzeug nicht als Fahrzeug der Klasse M1.”

    3. Entsprechend der vorstehenden Gesetzesbegründung ist nach Wegfall des § 23 Abs. 6a StVZO die steuerliche Einstufung des streitgegenständlichen Fahrzeugs nach den „von den Mitgliedsstaaten verbindlich anzuwendenden Begriffsbestimmungen für Fahrzeugklassen und Fahrzeugtypen” des europäischen Gemeinschaftsrechts vorzunehmen, hier der EU-Richtlinie 70/156/EWG vom 6. Februar 1970 (Amtsblatt -ABl.- EG Nr. L 42 vom 23.02.1970, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 2001/116/EG vom 20. Dezember 2001 (ABl. EG Nr. L 18/1 vom 21.01.2002, S. 1), welche die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge regelt und die spätestens seit dem 1. Juli 2002 von den Mitgliedsstaaten verbindlich anzuwenden ist (Art. 4 Abs. 1 RiLi 2001/116/EG). Die Umsetzung seitens des deutschen Gesetzgebers belegen auch die zahlreichen Bezugnahmen in der StVZO (z. B. § 19 Abs. 1 Nr. 1, § 23 Abs. 1 Satz 7 Buchst. a, § 30 Abs. 4 Nr. 1) sowie der Gesetzentwurf des Bundesrates vom 21.12.2005 (BR-Drucksache 229/05) zur Änderung insbesondere des § 2 KraftStG, der ausdrücklich auf die Richtlinie als geltendes Recht Bezug nimmt. Nach dem neu einzufügenden Abs. 2a, hier Nr. 4, des Gesetzentwurfes gelten als Personenkraftwagen im Sinne des § 8 Nr. 1 auch „sog. Pick-up-Fahrzeuge, die der Klasse N, Aufbauart BA, nach Anhang II C Nr. 3 der Richtlinie70/156/EWG des Rates entsprechen”.

    4.1 Wie dieser Gesetzentwurf klar zum Ausdruck bringt, ist das Pick-up-Fahrzeug der Antragstellerin nach geltendem (im Gegensatz zu dem mit dem Gesetzentwurf beabsichtigten) Recht, nämlich der EU-Richtlinie 70/156/EWG vom 6. Februar 1970 (a.a.O.) in der Fassung der Richtlinie 2001/116/EG vom 20. Dezember 2001 (a.a.O.) ein Fahrzeug der Klasse N1 mit der Aufbauart „BA”. Fahrzeuge der Klasse N sind „für die Güterbeförderung ausgelegte und gebaute Kraftfahrzeuge mit mindestens vier Rädern”, die nach der jeweils zulässigen Gesamtmasse in die Klassen N1 (bis zu 3,5 Tonnen), N2 (von mehr als 3,5 Tonnen bis zu 12 Tonnen) und N3 (mehr als 12 Tonnen) unterschieden werden. Die Aufbauart „BA” steht für „Lastkraftwagen” (im Gegensatz zu „BB” = „Van (Lastkraftwagen mit Kastenaufbau)”, „BC” = „Sattelzugmaschine” und „BD” = „Straßenzugmaschine”).

    4.2 Abschließend angemerkt sei noch, dass das Pick-up-Fahrzeug der Antragstellerin nach geltendem EU-Recht kein Personenkraftwagen der Klasse M1 sein kann, weil das Gemeinschaftsrecht für den Typus Pkw keinen Aufbau mit einer offenen Ladefläche kennt. Fahrzeuge der Klasse M1 sind „für die Personenbeförderung ausgelegte und gebaute Kraftfahrzeuge mit höchstens acht Sitzplätzen außer dem Fahrersitz”, die nach der Art des Aufbaus unterschieden werden in Limousine (Aufbauart „AA”), Schräghecklimousine (Aufbauart „AB”), Kombilimousine (Aufbauart „AC”), Coupe (Aufbauart „AD”), Kabrio-Limousine (Aufbauart „AE”) und schließlich Mehrzweckfahrzeug (Aufbauart „AF”). Selbst wenn man den Pick-up - entsprechend der bisherigen auf § 23 Abs. 6a StVZO gestützten Rechtsprechung - nach „Bauart und Einrichtung” als Mehrzweckfahrzeug ansehen würde, ein „AF Mehrzweckfahrzeug” nach Anhang II C Nr. 1 der Richtlinie70/156/EWG könnte er nur sein, wenn die Beförderung von Fahrgästen und deren Gepäck oder von Gütern in einem einzigen Innenraum vorgenommen würde. Diese Voraussetzung erfüllt der Pick-up mit seiner hinter der geschlossenen Fahrgastkabine angebrachten offenen Ladefläche ganz offensichtlich nicht.

    Da im Streitfall das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren in der Hauptsache noch nicht abgeschlossen ist, wird die beantragte Aussetzung der Vollziehung bis zum Abschluss des finanzamtlichen Verfahrens gewährt (vgl. hierzu Gräber/Koch, FGO, 5. Aufl. 2002, § 69 Rz 151 und Beschluss des FG Baden-Württemberg vom 29. März 1984 IX V 440/83, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 1984, 564). Die Höhe des Aussetzungsbetrages errechnet sich aus der Differenz, die sich für die Zeit ab 05.07.2005 zwischen der Steuerfestsetzung als Pkw und der als anderes Fahrzeug nach dem zulässigen Gesamtgewicht gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG (Jahressteuer in Höhe von 172,- €) ergibt.

    III.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    IV.

    Die Beschwerde wird zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

    VorschriftenKraftStG § 2 Abs. 2, KraftStG § 8 Nr. 2, StVZO § 23 Abs. 6