08.01.2010
Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 23.10.2000 – 9 K 1120/99
-Zivilrechtliche Einwendungen des Kindergeldberechtigten können dem öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruch der Behörde nicht entgegengehalten werden.
-Der Einwand der Weiterleitung von Kindergeld kann von der Behörde nur im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme (z.B.: Erlass, Stundung) berücksichtigt werden.
-Ob der Kindergeldrückforderungsanspruch der Behörde bereits durch die Weiterleitung von Kindergeld erloschen ist, kann nicht in dem Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheides berücksichtigt werden, sondern ist nach Maßgabe von § 218 Abs. 2 AO im Erhebungsverfahren zu entscheiden.
Die Klage wird abgewiesen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger dem Beklagten Kindergeld zu erstatten hat.
Der Kläger ist der Vater der beiden Kinder F. (geboren 1987) und
A. (geboren 1990). Gegenüber der Behörde wurde der Kläger für beide Kinder als vorrangig Kindergeldberechtigter angegeben (Antrag vom 27.11.1987, Blatt 1 der Kindergeldakte; Schreiben mit Eingang bei der Behörde am 6.8.1990, Blatt 5 der Kindergeldakte).
1998 erfuhr der Beklagte, daß der Kläger bereits im September 1996 aus der ehelichen Wohnung ausgezogen war und daß die beiden Kinder ab 1.9.1996 im Haushalt ihrer Mutter, der Ehefrau des Klägers wohnten. Auf deren Antrag zahlte der Beklagte dieser ab 1.9.1996 Kindergeld.
Mit Bescheid vom 30.10.1998 hob der Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für die Monate ab September 1996 auf und forderte von dem Kläger die Erstattung des an ihn gezahlten Kindergeldes für die Monate September 1996 bis Dezember 1996 i.H.v. 1.600,?? DM und für die Monate von Januar 1997 bis August 1997 i.H.v. 3.520,?? DM, zusammen 5.120,?? DM; wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 30.10.1998 Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 2.11.1998 legte der Kläger Einspruch ein, den er gegen den Rückforderungsbescheid richtete. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus, er und seine Ehefrau seien sich im wesentlichen darüber einig gewesen, daß alles so bleiben solle wie es war. Die Zahlung des Kindergeldes an ihn sei bei der Berechnung des monatlichen Gesamtunterhaltes von x.xxx,?? DM an die Ehefrau mit einbezogen worden. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 2.2.1999 als unbegründet zurück.
Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor, auch wenn die Kindesmutter ab seinem Auszug aus der Wohnung vorrangig Anspruchsberechtigte für das Kindergeld geworden sei, komme eine Rückabwicklung der Kindergeldzahlung nicht in Betracht, da er - der Kläger -als nachrangig Berechtigter das empfangene Kindergeld an den vorrangig Berechtigten weitergeleitet habe. Die Mitteilung der Ehefrau, sie habe das Kindergeld nicht im Wege der Weiterleitung erhalten, sei unzutreffend. Richtig sei vielmehr, daß monatlich ein Unterhaltsbetrag i.H.v. x.xxx,?? DM an die Ehefrau gezahlt worden sei. Sie und er - der Kläger - seien sich dahingehend einig gewesen, daß in diesem Betrag das empfangene Kindergeld für die beiden Kinder enthalten und an die Ehefrau als Berechtigte weitergeleitet werde. Dies sei im Rahmen eines gemeinsamen Beratungsgespräches, welches er mit seiner Ehefrau und der Rechtsanwältin xxx geführt habe, festgelegt worden.
Die Ehefrau habe es abgelehnt, die Weiterleitung nach Maßgabe des von dem Beklagten erstellten Formulars schriftlich zu bestätigen. Daher bedürfe es der Beweisaufnahme, daß der Kläger das empfangene Kindergeld an die Ehefrau als vorrangig gewordene Berechtigte weitergeleitet habe.
Im Verlaufe der mündlichen Verhandlung am 23.10.2000 hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers klargestellt, daß sich der Kläger mit der Klage nicht gegen die Aufhebung der Festsetzung des Kindergeldes wende; diese sei nicht zu beanstanden. Die Klage richte sich nur gegen den Bescheid vom 30.10.1998, soweit mit diesem das Kindergeld in Höhe von 5.120,?? DM zurückgefordert werde.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 30.10.1998 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2.2.1999 insoweit aufzuheben, als der Beklagte dort Kindergeld zurückfordert (5.120,?? DM).
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung der Auffassung, daß der Kläger hinsichtlich einer Weiterleitung des Kindergeldes nicht den erforderlichen Nachweis in Form der Vorlage einer schriftlichen Bestätigung der vorrangig Kindergeldberechtigten erbracht habe. Die Vorlage dieser Bestätigung sei eine unverzichtbare Voraussetzung für die Anerkennung der Weiterleitung; wegen des Vorbringens im übrigen wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 27.5.1999 nebst Anlage verwiesen.
Dem Gericht hat ein Band Kindergeldakte vorgelegen.
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 30.10.1998 ist ein verbundener Bescheid, in welchem zwei Verwaltungsakte enthalten sind, und zwar die Regelung über die Aufhebung der Festsetzung des Kindergeldes ab September 1996 und die Regelung über die auf § 37 Abs.2 Abgabenordnung (AO) gestützte Rückforderung des an den Kläger gezahlten Kindergeldes i.H.v. 5120,?? DM.
Der Bescheid, mit dem der Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für die Zeit ab September 1996 aufgehoben hat, ist bestandskräftig geworden, weil er von dem Kläger, wie dieser in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, mit der Klage nicht angefochten worden ist. Dieser Bescheid ist von dem Gericht daher nicht mehr zu überprüfen.
Der in dem Bescheid vom 30.10.1998 enthaltene Rückforderungsbescheid ist rechtmäßig.
Ist eine Steuer oder Steuervergütung ohne einen rechtlichen Grund gezahlt worden, so hat nach § 37 Abs.2 AO derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, das ist hier der Beklagte, einen Anspruch gegen den Leistungsempfänger. Leistungsempfänger ist derjenige, der die Vergütung erhalten hat, mithin der Kläger.
Nach diesen Grundsätzen ist der Kläger zur Erstattung des Kindergeldes an den Beklagten verpflichtet. Bei dem im laufenden Kalenderjahr monatlich gezahlten Kindergeld handelt es sich um eine Steuervergütung (§ 31 Satz 3 Einkommensteuergesetz -EStG-). Durch die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung gemäß Bescheid vom 30.10.1998 ist der rechtliche Grund für die Zahlung dieser Vergütung, des Kindergeldes, entfallen.
Anhaltspunkte dafür, daß der Rückforderungsanspruch von 5.120,?? DM der Höhe nach unzutreffend sein könnte, bestehen nicht. Der Anspruch entspricht der Höhe nach dem Kindergeld, das der Kläger in dem hier maßgebenden Zeitraum von September 1996 bis August 1997 ausgezahlt bekommen hat.
Die Einwände des Klägers gegen seine Inanspruchnahme greifen nicht durch.
Die in der Unterhaltsvereinbarung zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau eingeschlossene Vereinbarung über die Aufteilung des Kindergeldes und dessen Berücksichtigung bei der Bemessung der Zahlung von Unterhalt berühren den öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruch des Beklagten nicht. Etwaige zivilrechtliche Einwendungen können dem Rückforderungsanspruch nicht entgegengehalten werden (Bundesfinanzhof -BFH - Beschluß vom 30.3.2000 - VI B 59/99, Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2000, 1190 m.w.N.; s.a. BFH-Beschluß vom 22.7.1999 - VI B 344/98, BFH/NV 2000, 36; Tipke/Kruse Kommentar zur AO und Finanzgerichtsordnung - FGO - Tz. 25 zu § 37 AO ebenfalls m.w.N.).
Für den Einwand der Weiterleitung gilt dies in gleicher Weise. Soweit der Kläger hierzu vorträgt, das Kindergeld mit der monatlichen Unterhaltszahlung jeweils an die Ehefrau als die vorrangig Kindergeldberechtigte weitergeleitet zu haben, kann er hiermit in dem vorliegenden Verfahren nicht gehört werden. Nach dem Weiterleitungserlaß (Erlaß des Bundesamtes für Finanzen vom 30.6.1997, Bundessteuerblatt - BStBl. - I 1997, 654; s.a. Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des EStG - DA - FamEStG - vom 12.5.2000, BStBl. I 2000, 636, 691 - DA 64.4 Absätze 4 ff) gilt die Weiterleitung des Kindergeldes an den Bevorrechtigten als Erfüllung des Erstattungsanspruchs der Behörde (§ 47 AO). Die Berücksichtigung der Weiterleitung ist eine Billigkeitsmaßnahme der Behörde (BFH Beschluß, BFH/NV 2000, 36), die im Rahmen einer Ermessensentscheidung erfolgt (§§ 5, 163, 227 AO). Hierfür ist ein gesondertes, auf Erlaß einer Ermessensentscheidung gerichtetes Verfahren erforderlich, das von dem vorliegenden Verfahren, in dem es um die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheides geht, zu trennen ist (s. Tipke/Kruse a.a.O., Tz. 20, 74 zu § 227 AO). Das Gericht darf eine, allein der Behörde vorbehaltene Ermessensentscheidung nicht selbst treffen, sondern diese nur im Rahmen des § 102 FGO überprüfen (s. zur gerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen Gräber/von Groll Kommentar zur FGO, 4. Aufl., Tz. 13 ff zu § 102 FGO m.w.N.; s.a. BFH-Beschluß vom 19.5.1999 - VI B 364/98, BFH/NV 1999, 1592; BFH Beschluß - BFH/NV 2000, 36). Da der Einwand der Weiterleitung in dem vorliegenden Verfahren, in dem es - wie ausgeführt - allein um die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheides geht, nicht zu berücksichtigen ist (s. rechtskräftiges Urteil des erkennenden Senats vom 7.9.1999 - 9 K 6413/97, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2000, 2), brauchte das Gericht keinen Beweis über die behauptete Weiterleitung zu erheben, wie dies der Kläger in seinem Schriftsatz vom 27.8.1999 beantragt hat.
Nur beiläufig weist das Gericht in diesem Zusammenhang darauf hin, daß es im vorliegenden Fall bereits an der nach dem o.a. Erlaß erforderlichen schriftlichen Bestätigung der vollständigen Weiterleitung des Kindergeldes seitens des Klägers für den hier maßgeblichen Zeitraum ab September 1996 bis August 1997 fehlt (BFH Beschluß - BFH/NV 1999, 1592).
Soweit der Kläger darüber hinaus - sinngemäß - geltend macht, infolge der - behaupteten - Weiterleitung des Kindergeldes an seine Ehefrau, sei der Rückforderungsanspruch ganz oder teilweise erloschen, kann er mit diesem Einwand ebenfalls nicht gehört werden. Ob der Rückforderungsanspruch des Beklagten bereits durch Tilgung erloschen ist, kann nur nach Maßgabe von § 218 Abs. 2 AO im Erhebungsverfahren entschieden werden. Nach der genannten Vorschrift entscheidet über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen i.S.v. § 218 Abs. 1 AO betreffen, die Finanzbehörde durch Verwaltungsakt, d.h. durch einen Abrechnungsbescheid. Zu den Ansprüchen i.S.v. § 218 Abs. 1 AO zählen auch Erstattungsansprüche der Behörde (s. Tipke/Kruse a.a.O. Tz. 2 zu § 218 AO m.w.N.). Ein Abrechnungsbescheid ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Offenbar hat der Beklagte einen solchen auch noch nicht erlassen.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.
Die Revision war gemäß § 115 Abs.2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Die Frage, ob die Behauptung der Weiterleitung von Kindergeld in dem Verfahren über die Rechtmäßigkeit eines Rückforderungsbescheides berücksichtigt werden muß, ist von grundsätzlicher Bedeutung und noch klärungsbedürftig (BFH Beschluß vom 12.4.2000 - VI B 182/99, veröffentlicht bei JURIS; BFH Beschluß vom 12.4.2000 - VI B 113/99, BFH/NV 2000, 1193).