08.01.2010
Finanzgericht Berlin: Urteil vom 31.01.2003 – 3 K 3108/02
Der Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts eines unbebauten Grundstücks setzt voraus, dass das Grundstück als fiktiv unbebaut bewertet wird. Dabei ist die tatsächlich bestehende Bebauung und deren Einfluss auf den Wert des Grund und Bodens nicht zu berücksichtigen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist der für Zwecke der Erbschaftsteuerfestsetzung festzustellende Wert des Grundstücks Sch. xxxxxx zum 5. Dezember 1996 streitig.
Kläger sind die Erben und Erbeserben der am 11. April 1997 verstorbenen C. xxxxxxxxxxxxx, und zwar ihre Tante, die Klägerin zu 1., Erbin zu , und ihr Onkel K. xxxxxxxxx, ebenfalls Erbe zu , der seinerseits am 18. Dezember 2001 verstorben ist und von den Klägern zu 2 a) zu 1/6, zu 2 b) zu 3/6 und zu 2 c) zu 2/6 beerbt worden ist. C. xxxxxxxxxxxxxx war die Tochter und Alleinerbin des am 5. Dezember 1996 verstorbenen H. xxxxxxxxxxxxx. Zum Nachlass des H. xxxxxxxxxxxxx gehörte die ideelle Hälfte des mit einem freistehenden Einfamilienhaus bebauten, 1312 m großen Grundstücks Sch. xxxxx
Auf Anforderung des für die Erbschaftbesteuerung zuständigen Finanzamts A. xxxxxxxxxx ermittelte der Beklagte als Bedarfswert des Grundstücks zum Todestag von H. xxxxxxxxxxxxx den Mindestwert nach § 146 Abs. 6 des Bewertungsgesetzes -BewG- in Verbindung mit § 145 Abs. 3 BewG - ausgehend von dem um 20 v.H. ermäßigten Bodenrichtwert zum 1. Januar 1996 von 1.000 DM/m - mit 1.049.000 DM. Mit hinsichtlich des angesetzten Bodenrichtwertes vorläufigem Bescheid vom 18. Februar 1999 stellte der Beklagte den Wert des Grundstücks zum 5. Dezember 1996 gesondert auf 1.049.000 DM und den hiervon auf C. xxxxxxxxxxxxxx entfallenen Anteil auf 524.500 DM fest. Er gab den Bescheid der mit notariell beurkundeter Generalvollmacht der Klägerin zu 1. ausgestatteten I. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx bekannt, die sich als gemeinsame Empfangsbevollmächtigte der Erben nach C. xxxxxxxxxxxxxx gemeldet hatte.
Die Empfangsbevollmächtigte begründete den Einspruch gegen den Bescheid zunächst damit, dass der Beklagte unzutreffende Bodenrichtwerte zum Bewertungsstichtag zugrunde gelegt und nicht die Übergröße des Grundstücks berücksichtigt habe, und legte dann ein Gutachten des von der Industrie- und Handelskammer zu Berlin öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken R. xxxxxxxxxxxx über den Bodenwert des Grundstücks Sch. xxxxxxxxxxxxxxxx vom 27. März 1999 zum Bewertungsstichtag vor. Nach den Feststellungen des Gutachters gelte für das Grundstück der Bebauungsplan vom 14. Januar 1965. Es handele sich um ein allgemeines Wohngebiet, in dem eine bebaubare Grundflächenzahl -GRZ- von 0,2 und eine Geschossflächenzahl -GFZ- von 0,4 bei zwei Vollgeschossen gelte. Eine Bebauungstiefe sei im Bebauungsplan nicht definiert. Der Bebauungsplan enthalte keine Feststellung über die Möglichkeit sowie die Art und Weise einer rückwärtigen baulichen Nutzung von Grundstücksflächen. Nach Auskunft des Mitarbeiters des zuständigen Planungsamtes M. xx richte sich die Genehmigungsfähigkeit von baulichen Anlagen hinter der so genannten 20-Meter-Linie nach den Bestimmungen des § 34 Baugesetzbuch -BauGB-. Danach sei im rückwärtigen Grundstücksbereich unter Beachtung städtebaulicher Belange und bauordnungsrechtlicher Vorgaben eine weitere eingeschossige Bebauung denkbar. Das Grundstück sei mit dem Einfamilienhaus tatsächlich lediglich mit einer GFZ von 0,06 ausgenutzt. Eine Erhöhung der baulichen Ausnutzung durch die Erweiterung der vorhandenen Gebäudesubstanz durch Anbauten erscheine allerdings architektonisch und wirtschaftlich wenig sinnvoll. Gleiches gelte für eine rückwärtige Bebauung, auch hier seien Grenzen gesetzt wegen des Einfügungsgebots nach § 34 BauGB, der Belichtungsverhältnisse und der bauordnungsrechtlichen Vorgaben. Aufgrund der vorhandenen Bebauung und einer weiteren möglichen Neubebauung sei zum Wertermittlungsstichtag von einer maximal realisierbaren GFZ von 0,22 für das Grundstück auszugehen. Da lediglich der Bodenwert des Grundstücks zu ermitteln gewesen sei, seien die baulichen Anlagen - abgesehen von deren Einfluss auf die Art und das Maß der baulichen Nutzung - unberücksichtigt geblieben. Ausgehend von diesen Vorüberlegungen ermittelte der Gutachter den Bodenwert im Vergleichswertverfahren für das Grundstück mit 620 DM/m, insgesamt also 813.000 DM. Dazu führte er einen Preisvergleich anhand von bekannt gewordenen Verkaufsfällen in vergleichbaren Lagen im Zeitraum zwischen März 1996 und April 1997 durch, insgesamt 27 recherchierte Verkaufsfälle, von denen 10 als Vergleichsfälle geeignet schienen. Der Gutachter ermittelte die typische bzw. realisierbare GFZ der Vergleichsgrundstücke und passte anhand von Umrechnungskoeffizienten die Kaufpreise für die Vergleichsgrundstücke unter Berücksichtigung der für die Vergleichsgrundstücke ermittelten GFZ auf die von ihm für das Bewertungsgrundstück ermittelte GFZ von 0,22 an. Der Gutachter nahm für einige Verkaufsfälle Lagekorrekturen vor und berücksichtigte außerdem die Kaufpreisentwicklung bis zum Bewertungsstichtag, wobei er von einem mittleren Preisrückgang von 10 v.H. pro Jahr ausging. Zur Kontrolle des so ermittelten Werts führte der Gutachter auch eine Wertermittlung im Bodenrichtwertverfahren durch. Er leitete - ausgehend vom Bodenrichtwert zum 31. Dezember 1995 von 1.000 DM/m - unter Berücksichtigung der sinkenden Grundstückskaufpreise von 10 v.H. pro Jahr und einer GFZ von 0,22 für das Bewertungsgrundstück und einer GFZ von 0,4 für die Vergleichsgrundstücke so ebenfalls einen Bodenwert von 650 DM/m und einen Grundstückswert von 852.800 DM ab. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das mit Schriftsatz vom 30. April 2002 (Bl. 20 der Streitakten) als Anlage K 9 dem Gericht übersandte Gutachten sowie die ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 10. September 1999 (Bl. 42 ff. der Streitakten) Bezug genommen.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Der Beklagte begründete seine Entscheidung, mit der er die Vorläufigkeit aufhob, damit, dass das von den Klägern vorgelegte Gutachten unschlüssig sei. Es bestünden keine Zweifel an der Realisierbarkeit einer rechtlich zulässigen GFZ von 0,4, wenn es zu einer Neubebauung des Grundstücks käme. Auch wiesen tatsächliche Verkäufe von Einfamilienhäusern in der näheren Umgebung des Grundstücks in den Jahren 1996 und 1997 sämtlich eine GFZ von deutlich unter 0,4 auf, ohne dass sich daraus eine Abhängigkeit zu den erzielten Verkaufspreisen ableiten ließe.
Mit ihrer Klage machen die Kläger geltend, dass die Feststellungen des Gutachters zutreffend seien, weil er von einer konkreten baurechtlichen Situation ausgegangen sei. Eine andere als die vom Gutachter zugrunde gelegte GFZ von 0,22 setze den Abriß der vorhandenen Bebauung voraus, was jedoch wegen der vorhandenen Bewohnung nicht in Betracht komme und ohnehin rückwirkend auf den Bewertungsstichtag nicht möglich sei. Die Kläger hätten einen niedrigeren gemeinen Wert des unbebauten Grundstücks durch Vorlage des Gutachtens nachgewiesen. Ihre Auffassung stehe in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Finanzgerichts -FG- Nürnberg, Urteil vom 29. März 2001 IV 565/2000 (Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2001, 959). Im Übrigen widerspreche der Standpunkt des Beklagten den Anweisungen in den Erbschaftsteuerrichtlinien R 161 ff.
Die Kläger beantragen,
abweichend von dem Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundstückswerts vom 18. Februar 1999 und der Einspruchsentscheidung vom 14. März 2002 den Wert des Grundstücks Sch. zum 5. Dezember 1996 auf 813 000,00 DM, anteilig 406 500,00 DM, festzustellen und von dem anteiligen Wert der Klägerin zu 1 die Hälfte, dem Kläger zu 2 a) 1/12, zu 2 b) 3/12 und der Klägerin zu 2 c) 2/12 zuzurechnen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass der Wert eines als unbebaut zu bewertenden Grundstücks sich nur an der gebietstypischen GFZ ausrichte, da die tatsächlich vorhandene Bebauung nach dem Gesetzestext von § 145 Abs. 3 BewG außer Ansatz bleibe. Insofern seien die ausführlichen Erläuterungen des Gutachters zu einer rechtlich möglichen GFZ unter Berücksichtigung der vorhandenen Bebauung nicht entscheidungserheblich. Die Kläger hätten weder vorgetragen noch nachgewiesen, dass die nach dem Bebauungsplan zulässige GFZ von 0,4 auf dem fiktiv unbebauten Grundstück rechtlich nicht realisierbar sei. Denn eine Abweichung von der gebietstypischen GFZ sei nur dann als wertmindernd zu berücksichtigen, wenn rechtlich keine Möglichkeit bestehe, das Maß der zulässigen baulichen Nutzung durch Erweiterung oder Neubau auszuschöpfen. Zwar bestehe auch nach § 146 Abs. 7 BewG die Möglichkeit, den Verkehrswert des gesamten - bebauten - Grundstücks nachzuweisen. In diesem Fall hätte der Gutachter jedoch den Wert des vorhandenen Einfamilienhauses im Rahmen des Sachwertverfahrens in die Grundstücksbewertung mit einbeziehen müssen, was nicht der Fall sei.
Dem Gericht haben die von dem Beklagten für das Grundstück Sch. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx geführten Einheitswert- und Bedarfsbewertungsakten (ein Band) vorgelegen.
Gründe
Der angefochtene Bescheid verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.
Der nach § 146 Abs. 2 bis 5 BewG ermittelte Ertragswert des streitbefangenen Grundstücks ist niedriger als der Wert, mit dem der Grund und Boden allein als unbebautes Grundstück nach § 145 Abs. 3 BewG zu bewerten wäre. Der Beklagte hat daher mit Recht den Bodenwert als Mindestwert festgestellt, § 146 Abs. 6 BewG. Diesen Mindestwert hat er zutreffend gemäß § 145 Abs. 3 Satz 1 und 2 BewG nach der Fläche des streitbefangenen Grundstücks von 1.312 m und den um 20 v.H. auf 800 DM/m ermäßigten Bodenrichtwert zum 31. Dezember 1995/1. Januar 1996 von 1.000 DM/m mit abgerundet 1.049.000 DM ermittelt. Einer Beweiserhebung zum Nachweis des für das Belegenheitsgebiet des streitgegenständlichen Grundstücks geltenden Bodenrichtwerts von 1.000 DM/m zum 31. Dezember 1995, wie von der Generalbevollmächtigten der Klägerin zu 1. im Schriftsatz vom 1. Oktober 2002 (Bl. 65, 70 der Streitakten) angeregt, bedurfte es nicht. Dieser - im Übrigen zwischen den Beteiligten nicht streitige - Bodenwert ist unzweifelhaft dem 23. Blatt der von der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr 1996 herausgegebenen Veröffentlichung „Bodenrichtwerte 31.12.1995” des Gutachterausschusses für Grundstückswerte in Berlin zu entnehmen.
Den Klägern ist der nach § 146 Abs. 7 BewG bzw. nach § 145 Abs. 3 Satz 3 BewG mögliche Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes des bebauten oder unbebauten Grundstücks durch das Gutachten des Sachverständigen R. xxxxxxxxxxxxxxx vom 27. März 1999 und seine ergänzende Stellungnahme vom 10. September 1999 nicht gelungen. Da das Gutachten sich nur mit der Ermittlung des Bodenwerts befasst, ist es als Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes des bebauten Grundstücks im Sinne von § 146 Abs. 7 BewG weder gedacht noch geeignet.
Auch ein niedrigerer gemeiner Wert des unbebauten Grundstücks wird durch das Gutachten nicht nachgewiesen. Ein Gutachten muss inhaltlich richtig und schlüssig sein und den allgemeinen anerkannten Grundsätzen der Wertermittlung genügen, wie sie insbesondere in der Wertermittlungsverordnung niedergelegt sind (FG Nürnberg, Urteil vom 29. März 2001 IV 419/99, EFG 2001, 960), um als Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts geeignet zu sein. Diesen Anforderungen genügt das Gutachten nicht.
Der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts des unbebauten Grundstücks setzt voraus, dass das Grundstück als fiktiv unbebaut bewertet wird. Die tatsächlich bestehende Bebauung und damit auch ihr Einfluss auf den Wert des Grund und Bodens sind zu ignorieren (FG Nürnberg, Urteil vom 29. März 2001 IV 565/2000, EFG 2001, 959 m. w. N.; FG München, Urteil vom 10. Januar 2001 4 V 4791/00, EFG 2001, 550 -Leitsatz-; FG München, Beschluss vom 13. September 2000 4 V 3340/00, EFG 2001, 124). Dies folgt aus dem klaren Wortlaut des § 145 Abs. 3 Satz 3 BewG. Der Gutachter hat jedoch die vorhandene Bebauung nicht, wie es richtig gewesen wäre, außer Betracht gelassen, sondern stattdessen die erreichbare bauliche Ausnutzung des Grundstücks und damit die seiner Ansicht nach realisierbare GFZ von 0,22 unter Berücksichtigung des auf dem Grundstück stehenden Einfamilienhauses ermittelt. Diese GFZ von 0,22 bildet in dem Gutachten die Ausgangsgröße in die nachfolgenden Berechnungen des Bodenwerts sowohl nach dem Vergleichswertverfahren als auch nach dem Bodenrichtwertverfahren, indem der Gutachter die für die Vergleichsgrundstücke gewonnenen bzw. sich nach Bodenrichtwerten ergebenden Bodenwerte auf eine GFZ von 0,22 angeglichen hat (vgl. Tabelle 1 und 4 des Sachverständigengutachtens). Da dieser Ansatz methodisch falsch ist, können auch die darauf beruhenden Ergebnisse keinen Bestand haben.
Anhaltspunkte dafür, dass für das zu bewertende - unbebaute - Grundstück bei einer Neubebauung die GFZ des Bodenrichtwertgrundstücks nach der Bodenrichtwertkarte von 0,4 nicht erreicht werden kann, ergeben sich weder aus dem Gutachten noch sind sie sonst ersichtlich; insbesondere bestehen, worauf der Beklagte mehrfach mit Recht hingewiesen hat, keine baurechtlichen Beschränkungen. Für die Anwendung der Umrechnungskoeffizienten zur Ableitung eines niedrigeren Bodenwerts wegen der Unmöglichkeit, die GFZ des Bodenrichtwertgrundstücks zu realisieren, besteht daher kein Raum.
Dem Gutachten kann zwar insoweit gefolgt werden, als es die Kaufpreisentwicklung durch einen Marktanpassungsabschlag von 10 v.H. im Jahr berücksichtigt. Hieraus ergibt sich zum Bewertungsstichtag aber selbst bei Ansatz des stichtagsnäheren Bodenrichtwerts zum 31. Dezember 1996/1. Januar 1997 von 850 DM/m kein geringerer Bodenwert als der vom Beklagten im angefochtenen Bescheid als Mindestwert festgestellte.
Der Senat weicht mit seiner Entscheidung weder von dem Urteil des FG Nürnberg, auf das sich die Kläger zur Begründung ihrer Rechtsauffassung gestützt haben, noch von den den Beklagten bindenden Erbschaftsteuerrichtlinien ab. Die vom Klägervertreter angeführten verfassungsmäßigen Zweifel an der Erbschaftbesteuerung sind im jeweiligen Besteuerungsverfahren zu beachten und greifen vorliegend auch deshalb nicht, weil bei unterstellter Verfassungswidrigkeit der Vorschriften über die Grundstücksbewertung nach §§ 145 ff. BewG statt des Einheitswertes der (höhere) Verkehrswert des bebauten Grundstücks anzusetzen wäre, die Kläger somit durch die geltenden Vorschriften über die Grundstücksbewertung wegen des nach § 146 Abs. 7 BewG bzw. nach § 145 Abs. 3 Satz 3 BewG möglichen Nachweises eines niedrigeren gemeinen Wertes des bebauten oder unbebauten Grundstücks nicht schlechter gestellt werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht erfüllt sind.