08.01.2010
Finanzgericht Hamburg: Gerichtsbescheid vom 17.06.2004 – I 6/04
1. Gem. § 162 Abs. 2 AO ist insbesondere dann zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichende Erklärung zu geben vermag. Die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen sind dann der Besteuerung zugrunde zu legen, wenn nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden.
2. Das Finanzamt muss sich für eine Schätzungsmethode entscheiden, welche die größte Gewähr dafür bietet mit zumutbarem Aufwand das wahrscheinlichste Ergebnis zu erzielen. Ist die durchgeführte Schätzung überprüfbar und nachvollziehbar, nicht unangemessen hoch bzw. im unteren Bereich einer möglichen Schätzung, so reicht ein pauschales Bestreiten durch den Kläger nicht aus.
Tatbestand
Die Kläger begehren mit ihrer Klage die Aufhebung der Schätzungsbescheide, die auf Grund einer Betriebsprüfung erlassen worden sind.
Die Kläger betrieben in den Streitjahren einen Kiosk u.a. mit einem Lotto- und Totobereich. Das Geschäft hatte der Kläger mit Kaufvertrag vom 30.03.2001 gekauft und im Jahr 2003 wieder veräußert. Der Warenbestand betrug bei dem Kauf des Kiosk zum 31.03.2001 14.773,72 DM (BPA Bl. 34).
In der am 11.03.2002 eingegangenen Einkommensteuererklärung 2001 erklärten die Kläger einen Verlust in Höhe von 97.634 DM. Durch Einkommensteuerbescheid 2001 vom 25.04.2002 wurde zunächst ein Verlust in Höhe von 97.364 berücksichtigt. In der Umsatzsteuererklärung 2001 vom 11.03.2002 erklärten die Kläger Umsätze zu 16 % in Höhe von 176.589 DM und zu 7 % in Höhe von 54.164 DM.
In der am 24.02.2003 eingegangenen Einkommensteuererklärung 2002 erklärten die Kläger einen Gewinn in Höhe von 12.958 Euro. Durch Einkommensteuerbescheid 2002 vom 10.04.2003 wurde der erklärte Gewinn berücksichtigt. In der Umsatzsteuererklärung 2002 vom 24.02.2003 erklärten die Kläger Umsätze zu 16 % in Höhe von 199.096 Euro und zu 7 % in Höhe von 62.793 Euro.
Im Jahre 2003 wurde bei den Klägern eine Betriebsprüfung durchgeführt, bei der der Prüfer Kassenfehlbestände und nicht geklärte Einlagen feststellte. Der Prüfer schätze deswegen einen zusätzlichen Gewinn, welchen er auf Grund einer Kalkulation ermittelte, bei der er die Einkaufszahlen aus der Buchhaltung übernahm und darauf die amtlichen Richtsatzzahlen anwandte. Dabei ging der Prüfer von einer einvernehmlichen Hinzuschätzung aus. In diesem Zusammenhang ist im BP-Bericht folgende Feststellung enthalten:
„Mit der einvernehmlichen Hinzuschätzung sind Mehrgewinne aus anderen Feststellungen, z.B. Eigenverbrauch, Abschreibung Firmenwert und Abzinsung nicht verzinslicher Darlehn, mit abgegolten.”
Nach dem BP-Bericht sollte nach den Feststellungen und Vereinbarungen ab 2003 ein Eigenbedarf in Höhe von 2.500 Euro jährlich angesetzt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den BP-Bericht verwiesen.
Im Gespräch mit dem Betriebsprüfer ließen sich die Kläger dahingehend ein, dass sie auch private Metroeinkäufe betrieblich verbucht hätten, da sie gedacht hätten, dass dies richtig sei.
Durch Bescheide vom 29.09.2003 wurden die Einkommensteuerbescheide 2001 und 2002 dahingehend geändert, dass für 2001 ein Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 5.734 DM und für 2002 ein Gewinn in Höhe von 24.819 Euro berücksichtigt wurde. Der Umsatzsteuerbescheid 2001 ging von Umsätzen zu 16 % in Höhe von 246.589 DM und zu 7 % von 64.164 DM aus, für 2002 wurden 209.321 Euro zu 16 % und 62.793 Euro zu 7 % angesetzt.
Gegen die Bescheide vom 29.09.2003 legten die Kläger am 02.10.2003 Einspruch ein, den sie nicht weiter begründeten.
Die Einsprüche wurden durch Einspruchsentscheidung vom 22.12.2003 als unbegründet zurückgewiesen.
Hiergegen richten sich die Klagen, die am 09.01.2004 beim Finanzgericht eingegangen sind und zunächst unter den Geschäftszeichen I 6/04, I 7/04, I 8/04 und I 9/04 geführt wurden. Durch Beschluss vom 10.06.2004 wurde die Klagen I 6/04, I 7/04, I 8/04 und I 9/04 verbunden und unter dem Aktenzeichen I 6/04 geführt.
Zur Begründung tragen die Kläger vor, sie seien mit der von der Betriebsprüfung vorgenommenen Hinzuschätzung nicht einverstanden gewesen. Der von der Betriebsprüfung geschätzte Warenbestand sei überhöht. Eine Inventur sei zwar nicht durchgeführt worden, da keine Buchführungsverpflichtung bestanden habe, es sei aber von einem Warenbestand von 70.000 DM bis 75.000 DM auszugehen. Dies sei auch der Bestand zum Veräußerungszeitpunkt gewesen. Auch der Eigenverbrauch sei zu hoch geschätzt worden. Gem. Richtsatzsammlung wäre ein Betrag von jährlich 744 Euro für Waren zu 16 % angemessen. Insgesamt sei von einem hinzu geschätzten Gewinn für 2001 von 20.000 DM zuzüglich des Eigenverbrauchs von 2.850 DM zuzüglich 16 % Umsatzsteuer auszugehen. Für das Jahr 2002 könne von einem hinzu geschätzten Gewinn von 5.000 Euro zuzüglich 800 Euro Umsatzsteuer ausgegangen werden.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Einkommensteuerbescheide 2001 und 2002 und die Umsatzsteuerbescheide 2001 und 2002, alle vom 29.09.2003 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 22.12.2003 dahingehend zu ändern, dass im Einkommensteuerbescheid 2001 ein Verlust in Höhe von 71.384,50 DM, im Einkommensteuerbescheid 2002 ein Gewinn in Höhe von 18.758 Euro, im Umsatzsteuerbescheid 2001 Umsatzsteuern für 16%-ige Umsätze in Höhe von 31.454 DM und für 7%-ige Umsätze in Höhe von 3.990,50 DM, im Umsatzsteuerbescheid 2002 Umsatzsteuern für 16%-ige Umsätze in Höhe von 32.655 Euro berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt er vor, das Entstehen von Kassenfehlbeträgen sei häufig durch Einlagen, insgesamt in Höhe von 128.000 DM in 2001 und in Höhe von 27.500 Euro in 2002 vermieden worden, ohne dass die Herkunft der Mittel hätten erklärt werden können. Aufgrund der festgestellten negativen Rohgewinnaufschlagsätze und der größten nicht erklärbaren Einlagen sei kalkuliert worden, wobei der Wareneinkauf betragsmäßig aus der Buchhaltung übernommen worden sei. Hierbei sei berücksichtigt worden, dass die Rohgewinnaufschlagsätze für Zeitungen und Zigaretten nicht variabel seien. Für Zeitungen liege der Rohgewinnaufschlagsatz zwischen 22,49 und 25,45 %, man sei trotzdem lediglich von 20 % ausgegangen. Für Zigaretten habe man 10 % angesetzt, obwohl der Rahmen zwischen 11,04 und 11,08 liege. Für sonstige Waren sei von einem Rohgewinnaufschlagsatz von 30 % ausgegangen, wobei diese Annahme auch vom Kläger in einem Gespräch bestätigt worden sei. Der Wareneinkauf sei betragsmäßig aus der Buchhaltung der Kläger übernommen worden, wobei der Wareneinkauf Dezember hinausgerechnet worden sei, so dass sich ein durchschnittlicher Warenbestand von 24.000 DM ergeben habe. Der vom Kläger vorgetragene Warenbestand könne ohne objektive Anhaltspunkte nicht überzeugen. Der Eigenverbrauch habe deswegen so hoch angesetzt werden müssen, weil beide Kläger starke Raucher seien und nach eigenen Angaben 1,5 Stangen pro Woche rauchen würden, so dass sich bereits für Zigaretten ein Eigenverbrauch von 2.160 Euro pro Jahr ergebe. Zusätzlich würden die Kinder der Kläger Süßigkeiten und Getränke entnehmen. Insgesamt bewege sich die Schätzung des Betriebsprüfers im unteren Bereich des Möglichen.
Durch Beschluss des Senats vom 09.06.2004 wurde der Rechtsstreit gem. § 6 FGO der Berichterstatterin als Einzelrichter übertragen.
Dem Senat haben die Einkommensteuerakten, Umsatzsteuerakten, Gewerbesteuerakten, BP-Arbeitsakten und Betriebsprüfungsakten zu der Steuernummer ... vorgelegen.
Gründe
Die Berichterstatterin entscheidet gem. §§ 79a Abs. 2 und 4, 90a Abs. 1 und § 6 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) als Einzelrichterin durch Gerichtsbescheid.
I. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Gemäß § 96 Abs. 1 FGO gilt auch im finanzgerichtlichen Verfahren der § 162 AO sinngemäß. Die Voraussetzungen des § 162 AO liegen vor. Die Durchführung und die Art der Schätzung sind angemessen. Das Gericht entscheidet gem. § 96 Abs. 1 FGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnener Überzeugung; so dass insbesondere § 162 der AO sinngemäß gilt. Insofern ist das Gericht berechtigt, eine eigenständige Schätzung zu vollziehen.
Die von den Klägern im Klageverfahren vorgeschlagenen Einigungsmöglichkeiten sind nicht ausreichend rechtlich begründet worden, um eine Grundlage für eine eigene Schätzung des Gerichts bilden zu können. Es liegen auch keine zusätzlichen Erkenntnisse über die tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen vor, denn die Kläger haben zweimal angesetzte Erörterungstermine abgesagt, so dass sich das Gericht der Schätzung des Beklagten anschließt.
Die Voraussetzungen für eine Schätzung gem. § 162 AO liegen vor. Gem. § 162 Abs. 2 AO ist insbesondere dann zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichende Erklärung zu geben vermag. Das gleiche gilt, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zu Grunde gelegt werden. Gemäß § 158 AO sind die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der § 140 bis § 148 AO entsprechen, der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass ist, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden.
Die Kläger haben für die Streitjahre Steuererklärungen abgegeben, die sie auf Grund ihrer Buchhaltung erstellt haben, so dass grundsätzlich § 158 AO zur Anwendung gelangen würde. Grundsätzlich besteht auch ein Vertrauensvorschuss zu Gunsten des Steuerpflichtigen. Hier bestand jedoch Anlass, an der Richtigkeit der Buchführung des Klägers zu zweifeln, da nach den Feststellungen des Betriebsprüfers diverse Einlagen und Kassenfehlbeträge bestanden haben, die nicht hinreichend erklärt werden konnten. Zudem bestehen in dem Tätigkeitsbereich der Kläger relativ starre Rohgewinnaufschlagsätze, da insbesondere bei der Preisgestaltung von Zigaretten und Zeitungen kaum Dispositionsfreiheiten bestehen. Die von den Klägern angegebenen Rohgewinnaufschlagsätze stimmen mit diesen vorgegebenen Rohgewinnaufschlagsätzen nicht überein.
Grundsätzlich ist zwar der Beklagte darlegungs- und beweislastpflichtig. Hier hat aber der Betriebsprüfer eindeutige Aussagen getroffen, so dass ein pauschales Bestreiten durch den Kläger nicht ausreicht. Die Auswahl der Schätzungsmethode ist ordnungsgemäß, sie steht im pflichtgemäßen Ermessen des Finanzamts. Dieses muss sich für eine Schätzungsmethode entscheiden, welche die größte Gewähr dafür bietet, mit zumutbarem Aufwand, das wahrscheinlichste Ergebnis zu erzielen. Die vom Beklagten durchgeführte Schätzung ist überprüfbar und nachvollziehbar. Die durchgeführte Schätzung ist nicht unangemessen hoch gewesen. Sowohl die Hinzuschätzungen bei der Einkommensteuer als auch bei der Umsatzsteuer sind nachvollziehbar und halten sich im unteren Bereich einer möglichen Schätzung auf.
Die Kläger haben nicht vorgetragen, warum die erzielten Gewinnaufschlagsätze in der Weise von dem durchschnittlichen Erzielbaren abweichen. Auch die Einlagen konnten nicht hinreichend erklärt werden. Der Vortrag bezüglich des Warenbestandes ist zu unsubstantiiert und kann daher nicht überzeugen. Denn der Warenbestand betrug zum Zeitpunkt des Kaufs in 2001 nur knapp 15.000 DM. Zudem hat der Betriebsprüfer bei seiner Schätzung die Wareneinkäufe für den Dezember aus der Kalkulation herausgerechnet, um dem Warenbestand Rechnung zu tragen. Bisher wurde lediglich behauptet und nicht substantiiert, dass der Warenbestand bei der Veräußerung in 2003 ca. 70.000 DM betragen habe. Auch wurde bisher nicht vorgetragen, warum ein Warenbestand in der Höhe hätte bestehen sollen.
Die Einlassung der Kläger, sie hätten auch private Metroeinkäufe betrieblich verbucht, so dass nicht die gesamte Höhe der Wareneinkäufe Grundlage der Schätzung sein könne, ist ebenfalls zu unsubstantiiert.
Der Beklagte hat auch lediglich die sich bei den Erlösen ergebenen Differenzen hinzugerechnet. Er hat indes nicht einen Eigenverbrauchsanteil zusätzlich hinzugerechnet. Dies ist erst ab dem Jahr 2003 geplant, so dass der Eigenverbrauch hier nicht Streitgegenstand sein kann.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Gründe, die Revision gem. § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, bestehen nicht.