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  • 18.12.2013 · IWW-Abrufnummer 134006

    Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht: Beschluss vom 04.10.2013 – 13 WF 119/13

    1. Eine rechtlich verbindliche Sorgeregelung in Form der Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge setzt zwingend eine Entscheidung des Familiengerichts voraus. Grundsätzlich ist dem Hilfsbedürftigen zwar zunächst abzuverlangen, dass er die für ihn kostenfreien Angebote zur Erreichung seines Ziels wenigstens versuchsweise wahrgenommen hat. Eine solche Verpflichtung kann jedoch nur dann angenommen werden, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Vermittlungsbemühungen des Jugendamtes in einer angemessenen Zeit zum angestrebten Erfolg geführt hätten.

    2. Wenn in einem solchen Fall aufgrund der objektiven Umstände die Erfolgsaussichten der Zielerreichung gering oder mit Blick auf die Gesetzeslage sogar ausgeschlossen sind, kann der Antragsteller sogleich gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen, ohne dass insoweit Mutwilligkeit im Sinne der Verfahrenskostenhilfevorschriften vorliegt.


    Oberlandesgericht Schleswig

    Beschl. v. 04.10.2013

    Az.: 13 WF 119/13

    In der Familiensache
    hat der 4. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ... als Einzelrichterin am 4. Oktober 2013 beschlossen:
    Tenor:

    Der Verfahrenskostenhilfe versagende Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Meldorf vom 28. August 2013 wird wie folgt geändert:

    Der Antragstellerin wird für ihren Antrag gemäß Schriftsatz vom 16. Mai 2013 Verfahrenskostenhilfe bewilligt.

    Ihr wird Rechtsanwalt ....beigeordnet.

    Eine Ratenzahlungsverpflichtung wird nicht angeordnet.

    Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
    Gründe

    Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde (§ 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO) hat auch in der Sache Erfolg.

    Einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten des Verfahrens nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, ist auf Antrag Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, wenn die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (§ 76 Abs. 1FamFG i.V.m. § 114 ZPO).

    Die Voraussetzungen sind hier erfüllt.

    Das Verlangen der Antragstellerin (Kindesmutter), die elterliche Sorge betreffend die Kinder ..., geb....1999 und ... 1996, gerichtlich zu regeln, bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg. Bereits vor Antragseinreichung hatte die jetzige Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners auf ein Schreiben des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin mit Schreiben vom 13. Mai 2013 mitgeteilt, dass der Antragsgegner aus Kostengründen der Übertragung der elterlichen Sorge auf die Kindesmutter zustimme. Nach § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB hat das Gericht dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung der elterlichen Sorge stattzugeben, wenn der andere Elternteil zustimmt, es sei denn, dass das Kind das 14. Lebensjahr vollendet hat und der Übertragung widerspricht. Letzteres ist vorliegend nicht Fall. Die Kindesmutter hat unbestritten vorgetragen, dass die Kinder die Übertragung der elterlichen Sorge - wie von ihr beantragt - wünschen.

    Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts erscheint die beabsichtigte Rechtsverfolgung auch nicht mutwillig im Sinn von § 114 ZPO. Für eine solche Annahme reicht es nicht aus, dass sich die Kindesmutter möglicherweise - entgegen ihrer Behauptung - vor Anrufung des Gerichts nicht an das Jugendamt gewandt hat.

    Eine Rechtsverfolgung ist dann mutwillig, wenn ein verständiger, nicht hilfsbedürftiger Beteiligter seine Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde.

    In diesem Zusammenhang ist umstritten, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen eine Verpflichtung eines Beteiligten in Sorge- bzw. Umgangsrechtsverfahren besteht, vor der Anrufung des Familiengerichts das Jugendamt zum Zwecke der Vermittlung einzuschalten.

    Teilweise wird vertreten, dass vor der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens stets versucht werden müsse, die Sache durch Inanspruchnahme der kompetenten Hilfe des Jugendamtes außergerichtlich zu klären. Aus der Regelung des § 156 FamFGergebe sich, dass es das Ziel des Gesetzes sei, vorrangig einvernehmliche Regelungen und gütliche Einigungen zu erzielen. Dies könne durch Vermittlung des Jugendamtes bereits vorgerichtlich auf einer deutlich niedrigen Eskalationsstufe erfolgen (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 08. März 2011, Az. 10 WF 23/11, Quelle: [...]; OLG Stuttgart, FamRZ 2009 S. 354). Dies gelte nur dann nicht, wenn die Einschaltung des Jugendamtes aussichtslos sei (vgl. OLG Saarbrücken, FamRZ 2010, S. 310).

    Eine andere Auffassung ist der Ansicht, dass die sofortige Inanspruchnahme des Gerichtes ohne vorherige Einschaltung des Jugendamtes nicht mutwillig im Sinne der Verfahrenskostenhilfevorschriften sei, da den Eltern erlaubt sein müsse, die Erfolgsaussichten einer Vermittlung durch das Jugendamt selbst einzuschätzen. Im Übrigen gebe es keinen Erfahrungssatz dahingehend, dass eine bemittelte Partei vorher grundsätzlich eine außergerichtliche Streitschlichtung versuchen werde (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 03. März 2011, Az. 8 WF 34/11, Quelle: [...]; OLG München, FamRZ 2008, S. 1089).

    Im Hinblick auf die Subsidiarität und den Sozialhilfecharakter der Verfahrenskostenhilfe vertritt der Senat grundsätzlich die Auffassung, dass dem Hilfsbedürftigen zunächst abzuverlangen ist, dass er die ihm kostenfreien Angebote zur Erreichung seines Ziels wenigstens versuchsweise wahrgenommen hat, bevor er gerichtliche Hilfe in Anspruch nimmt. Eine solche Verpflichtung kann aber nur angenommen werden, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Vermittlungsbemühungen des Jugendamtes in einer angemessenen Zeit zum angestrebten Erfolg geführt hätten (so bereits OLG Koblenz, FamRZ 2009, 1230; OLG Schleswig, OLGR, 2008, 107; OLG Schleswig, FamRZ 2011, 188).

    Zwar sind die Eltern in der praktischen Gestaltung der elterlichen Sorge grundsätzlich frei, eine rechtlich verbindliche Sorgeregelungen, wie sie hier von der Antragstellerin in Form der Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge angestrebt wird, setzt jedoch eine Entscheidung des Familiengerichts voraus.

    Ein verständiger, das Für und Wider der Rechtsverfolgung abwägender Beteiligter wird nur dann den Weg über die Vermittlung durch das Jugendamt wählen, wenn hierfür überwiegende Erfolgsaussichten bestehen. Wenn aufgrund der objektiven Umstände die Erfolgsaussichten der Zielerreichung gering oder mit Blick auf die Gesetzeslage - wie vorliegend - sogar ausgeschlossen sind, wird auch ein verständiger Beteiligter sogleich um gerichtlichen Rechtsschutz nachsuchen. Denn bestehen keine Erfolgsaussichten für eine gütliche Einigung über das Jugendamt betreffend das angestrebte Ziel, würde diese Verfahrensweise aus der Sicht eines verständigen bemittelten Beteiligten lediglich eine Zeitverzögerung darstellen.

    Nach erklärter Bereitschaft des Antragsgegners, einer Übertragung der elterlichen Sorge auf die Kindesmutter zuzustimmen, war es nur folgerichtig, einen entsprechenden Antrag bei Gericht anhängig zu machen. Die Antragstellerin muss sich nicht darauf verweisen lassen, dass sie sich vorab an das Jugendamt hätte wenden müssen, um zumindest eine Vollmachtslösung anzustreben. Dies wäre mit dem verfassungsrechtlich geschützten Justizgewährungsanspruch nicht zu vereinbaren.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 127 Abs. 4 ZPO; Nr. 1912 FamGKG.