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  • · Fachbeitrag · Erbschaftsteuergesetz

    ErbSt-Reform: Entfällt die ErbSt nach dem 30.6.16?

    von Prof. Dr. Gerd Brüggemann, Münster

    | Die beiden großen Koalitionsparteien haben angeblich einen Kompromiss gefunden: Sie wollen am Modell der Steuerverschonung gemäß §§ 13a , 13b ErbStG festhalten. Die CSU will den Kompromiss in der vorgeschlagenen Form aber nicht mittragen, sodass mittlerweile intensiv diskutiert wird, welche Folgen eintreten, wenn es dem Gesetzgeber nicht gelingt, bis zum 30.6.16 ein reformiertes ErbStG in Kraft treten zu lassen (siehe Wissenschaftliche Dienste, Deutscher Bundestag vom 6.7.15, WD 4 - 3000 - 103/15 (im Folgenden Wissenschaftlicher Dienst); Drüen, DStR 16, 643 m. w. N.). |

    1. Nach dem 30.6.16 - vier Szenarien

    Das BVerfG hat mit Urteil vom 17.12.14 dem Gesetzgeber mit Rücksicht auf die Finanz- und Haushaltsplanung sowie verwaltungstechnische Probleme bis zum 30.6.16, also 1 ½ Jahre, Zeit für eine Reform des für verfassungswidrig befundenen ErbStG gegeben und insofern eine begrenzte Fortgeltung der verfassungswidrigen Normen erlaubt. Der Tenor der Entscheidung und die Urteilsbegründung haben zu kontroversen Interpretationen geführt. Aus der gegenwärtigen Diskussion um die Folgen der Entscheidung im Falle einer Untätigkeit des Gesetzgebers lassen sich folgende vier Szenarien ableiten (siehe auch Deutscher Bundestag vom 6.7.15, a. a. O.; Drüen, a. a. O.):

     

    • Szenario 1: Im Schrifttum wird weit überwiegend die Auffassung vertreten, dass mit ergebnislosem Ablauf der vom BVerfG dem Gesetzgeber gesetzten Frist zum 30.6.16 für eine Neuregelung der verfassungswidrigen Normen des ErbStG - ähnlich dem seit 1997 verfassungswidrigen Vermögenssteuergesetz - die Erbschaftsteuer in Gänze nicht mehr erhoben werden kann.

     

    • Szenario 2: Aufgrund von Äußerungen des für die Entscheidung des BVerfG zuständigen Berichterstatters könnte das bestehende ErbStG mit seinen für verfassungswidrig befundenen Teilen auch nach dem 30.6.16 trotz Unvereinbarkeitserklärung und trotz fehlender Neuregelung in vollem Umfang bis zu einer Neuregelung weiterhin anwendbar sein.

     

    • Szenario 3: Das ErbStG bleibt mit Ausnahme der für verfassungswidrig befundenen §§ 13a, 13b, 19a ErbStG auch nach dem 30.6.16 weiterhin anwendbar.

     

    • Szenario 4: Das BVerfG erlässt - unter Umständen noch vor Ablauf der gesetzten Frist - oder danach im Wege einer gesonderten Anordnung eine Regelung zur Weitergeltung.

     

    Der Wissenschaftliche Dienst geht davon aus, dass die Weitergeltungsanordnung des BVerfG nicht am 30.6.16 endet. Vielmehr bleibe der Auftrag des BVerfG über das Fristende hinaus bestehen. Die §§ 13a, 13b ErbStG i. V. mit § 19 Abs. 1 ErbStG wären demnach auch über den 30.6.16 hinaus anwendbar.

     

    Drüen (a. a. O.) hingegen geht mit der überwiegenden Auffassung im Schrifttum aufgrund des Tenors der Entscheidung, der auch die Tarifvorschrift des § 19 ErbStG ausdrücklich für verfassungswidrig erklärt, davon aus, dass die Weitergeltungsanordnung längstens bis zum 30.6.16 befristet ist und eine unterlassene Neuregelung zu einem „Totalwegfall“ des ErbStG für Besteuerungsstichtage (§§ 9, 11 ErbStG) nach dem 30.6.16 führt. Damit hält er weder die Auffassung des wissenschaftlichen Dienstes (Szenario 2) noch die Auffassung, dass das bestehende ErbStG mit Ausnahme der §§ 13a, 13b, 19a ErbStG auch nach dem 30.6.16 weiterhin anwendbar bleibt (Szenario 3), für verfassungsrechtlich überzeugend.

    2. BVerfG entwickelt kleine Lösung

    Eine verfassungsrechtliche Weitergeltungsanordnung infolge eines fruchtlosen Ablaufs der Frist könnte zudem auf § 35 BVerfGG gestützt werden. Diese Vorschrift ermöglicht es dem BVerfG, im Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung zu regeln. Der wissenschaftliche Dienst leitet aus der Rechtsprechung des BVerfG die Möglichkeit ab, dass das BVerfG die für verfassungswidrig erklärten Normen mittels einer eigenen Übergangsregelung ersetzen könnte: Es müsste sich dabei um Regelungen handeln, die in das ErbStG einfügbar wären und mit den bestehenden Normen des ErbStG harmonieren würden. Denn ersetzbar wären nur die für verfassungswidrig erklärten Teilregelungen. Das BVerfG könnte somit eigens vorläufige Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen entwickeln, die als kleine Lösung in das Gesetz integrierbar wären.

     

    Sobald es ein parlamentarisch beschlossenes Gesetz zur Neufassung der erbschaftsteuerlichen Behandlung des Betriebsvermögens gäbe, träten diese Übergangsregelungen des BVerfG außer Kraft. Da das BVerfG mit dem Erlass von Übergangsregelungen in die Kompetenz des Gesetzgebers eingreift, folgt es dem Prinzip der schonendsten Regelung. Dass von den Verschonungsregelungen gänzlich abgesehen wird, hält der wissenschaftliche Dienst für eher unwahrscheinlich.

     

    MERKE | Im Ergebnis geht der wissenschaftliche Dienst davon aus, dass das bisherige Recht der §§ 13a, 13b ErbStG jeweils i. V. mit § 19 Abs. 1 ErbStG bei gesetzgeberischer Inaktivität auch über den 30.6.16 hinaus anwendbar ist. Es ist sodann aber mit einer Vollzugsregelung des BVerfG zu rechnen. Diese kann in einer erneuten Fristsetzung für den Gesetzgeber und Beibehaltung der Fortgeltungsanordnung bestehen. Alternativ ist jedoch auch eine Ersatzregelung zu den §§ 13a, 13b i. V. mit § 19 Abs. 1 ErbStG durch das BVerfG möglich.

     

    Eine solche Möglichkeit hält auch Drüen (a. a. O.) nicht für gänzlich ausgeschlossen, sieht sie aber unter den gegebenen Umständen als durchaus fragwürdig an: Verfassungsrechtlich ist nach seiner Auffassung nicht gesichert, dass das BVerfG hinreichende Gründe finden wird, um die zuvor als angemessen eingestufte Reformfrist zu verlängern. Der Gesetzgeber wäre daher gut beraten, sich nicht auf die vom wissenschaftlichen Dienst vertretene Rechtsauffassung zu verlassen und das Reformvorhaben bis zum 30.6.16 abzuschließen.

    Quelle: Ausgabe 05-06 / 2016 | Seite 127 | ID 44018926

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