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  • · Fachbeitrag · Ausschlagungsfrist

    Der doppelte Irrtum: Anfechtung der Anfechtung der Annahme der Erbschaft war verjährt

    von RA Notar StB Dipl.-Kfm. Gerhard Slabon, FA ErbR, Paderborn

    | Bei der Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist gemäß § 1956 BGB sind für die Kausalitätsprüfung des Irrtums für den hypothetischen Kausalverlauf die dem Anfechtenden zum Zeitpunkt des Fristablaufs bekannten und darüber hinaus die für ihn damals mit zumutbarer Anstrengung erfahrbaren Umstände zugrunde zu legen, nicht jedoch die erst wesentlich später bekannt gewordenen Tatsachen, die zu der weiteren Anfechtung dieser Anfechtungserklärung geführt haben. Für diese zweite Anfechtung gelten die Fristen des § 121 BGB , nicht die längeren Fristen des § 1954 BGB ( BGH 10.6.15, IV ZB 39/14, Abruf-Nr. 177842 ). |

    1. So war der Verlauf

    Die T ist eines von drei Kindern der Erblasserin, die am 18.6.96 verstorben ist. Am 19.11.96, deutlich nach Ablauf der sechswöchigen Ausschlagungsfrist, ging beim Nachlassgericht folgende notariell beglaubigte Erklärung der T vom 13.11.96 ein: „Die Erbschaft habe ich nicht annehmen wollen. Über die Frist zur Ausschlagung war mir nichts bekannt. Ich fechte daher die Versäumnis der Ausschlagungsfrist hiermit an und schlage die Erbschaft nach meiner Mutter aus allen möglichen Berufungsgründen aus. Der Nachlass ist überschuldet.“

     

    Am 29.8.13 ging die notariell beglaubigte Anfechtungserklärung der Erbausschlagung der T ein, mit der Begründung, sie sei bei der Ausschlagung davon ausgegangen, der Nachlass sei überschuldet, jetzt habe sie jedoch durch ein Schreiben von Genealogen vom 7.8.13 erfahren, dass zum Nachlass ihrer Mutter noch ein Anteil am Nachlass einer verstorbenen Tante ihrer Mutter gehört. Sie gehe deshalb davon aus, dass der Nachlass ihrer Mutter in Wirklichkeit nicht überschuldet war.

     

    Kern im vorliegenden Fall ist die Frage, ob sich die Anfechtungsfrist für die zweite Anfechtung am 29.8.13 hier analog den speziellen Vorschriften des §§ 1954 ff. BGB i.V. mit § 119 BGB bestimmt.

    2. So beurteilt das Gericht die Lage

    Die erste Anfechtungserklärung der T vom 19.11.96, mit der sie die Annahme der Erbschaft und Versäumung der Ausschlagungsfrist angefochten hat, war wirksam. Aufgrund der wirksamen Anfechtung der Annahme gemäß § 1943 BGB, gilt die Erbschaft nach § 1957 Abs. 1 BGB als ausgeschlagen.

     

    Gemäß § 1942 Abs. 1 BGB geht die Erbschaft - unbeschadet des Rechts, sie auszuschlagen - auf den berufenen Erben über (Anfall der Erbschaft). Gemäß § 1943 BGB kann der Erbe die Erbschaft nicht mehr ausschlagen, wenn er sie angenommen hat oder wenn die für die Ausschlagung vorgeschriebene Frist verstrichen ist; mit Ablauf der Frist gilt die Erbschaft als angenommen.

     

    Die auf dem ungenutzten Verstreichenlassen beruhende Fiktion der Annahme gemäß § 1943 BGB und die Versäumung der Ausschlagungsfrist hat die T durch ihre Anfechtungserklärung gemäß §§ 1954 ff. BGB i.V. mit § 119 Abs. 1 BGB beseitigt. Damit greift die in § 1957 Abs. 1 BGB geregelte gegenläufige Wirkung, dass die Anfechtung der (fiktiven) Annahme als Ausschlagung gilt. Die T hat sich darüber geirrt, dass es der Ausschlagung der Erbschaft bedarf und dass die Versäumung der Ausschlagungsfrist von Gesetzes wegen zur Annahme führt. Hierin liegt nach allgemeiner Auffassung ein beachtlicher Anfechtungsgrund gemäß § 1956 BGB, und zwar ein Erklärungsirrtum i.S. des § 119 Abs. 1 2. Fall BGB.

     

    Die Anfechtung gemäß § 119 Abs. 1 BGB setzt ferner die Kausalität des Irrtums für die Abgabe der Willenserklärung voraus. Voraussetzung hierfür ist bei der Erbschaftsanfechtung, dass ohne den Irrtum weder der Irrende selbst noch ein unparteiischer Beobachter bei verständiger Würdigung der Gesamtheit der Umstände die Annahme erklärt oder die Abgabe einer wirksamen Ausschlagungserklärung versäumt hätte. Auf dieser Grundlage ist eine objektive Wertung vorzunehmen, die auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Ausschlagungsfrist abstellt.

     

    Die zweite Anfechtungserklärung der T vom 29.8.13 ist hingegen unwirksam und hat daher nicht gemäß § 142 Abs. 1 BGB zur Nichtigkeit der ersten Anfechtungserklärung vom 19.11.96 geführt. Zwar ist anerkannt, dass auch eine Anfechtungserklärung gemäß §§ 1954, 1956 BGB ihrerseits angefochten werden kann. Der Anfechtungsgrund ergibt sich aus dem Irrtum der T über die - tatsächlich nicht gegebene - Überschuldung des Nachlasses, die eine verkehrswesentliche Eigenschaft i.S. von § 119 Abs. 2 BGB darstellt (Palandt-Weidlich, BGB, § 1954 Rn. 6). Die Anfechtungserklärung ist jedoch nicht fristgemäß erfolgt.

     

    • Die überwiegende Auffassung geht davon aus, dass die allgemeine Regelung des § 121 BGB Anwendung findet, die Anfechtung mithin ohne schuldhaftes Zögern erfolgen muss (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB) und ausgeschlossen ist, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind (z.B. Palandt/Weidlich, BGB, § 1955 Rn. 1). Auf dieser Grundlage war die Anfechtungsfrist hier (§ 121 Abs. 2 BGB i.V. mit Art. 229 § 6 Abs. 4 und Abs. 5 EGBGB) nicht gewahrt, da die 10-Jahresfrist am 31.12.11 abgelaufen war.

     

    • Die Gegenauffassung wendet für die Frist zur Anfechtung der Anfechtungserklärung § 1954 BGB an (z.B. Soergel/Stein, BGB, 13. Aufl., § 1954 Rn. 12). Danach ist hier keine Verfristung eingetreten, da die T ihre Anfechtung vom 29.8.13 innerhalb der Sechswochenfrist des § 1954 Abs. 1 BGB erklärt hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat (§ 1954 Abs. 2 S. 1 BGB). Dies war hier das Schreiben der Genealogen vom 7.8.15. Die Anfechtung ist gemäß § 1954 BGB ausgeschlossen, wenn seit der Annahme oder der Ausschlagung 30 Jahre verstrichen sind.

     

    Der BGH schließt sich hier - wie die Vorinstanz (KG Berlin 28.11.14, 6 W 140/14, ZEV 15, 96) - der erstgenannten Auffassung an.

     

    Eine unmittelbare Anwendung von § 1954 Abs. 1 BGB kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil hier nicht die Anfechtung der Annahme oder der Ausschlagung, sondern die Anfechtung der Anfechtungserklärung in Rede steht. Zwar bestimmt § 1957 Abs. 1 BGB, dass die Anfechtung der Annahme als Ausschlagung und die Anfechtung der Ausschlagung als Annahme gilt. Angefochten wird jedoch nicht die fingierte Ausschlagung oder Annahme, sondern die Anfechtungserklärung selbst.

     

    Auch für eine entsprechende Anwendung von § 1954 BGB besteht keine Veranlassung. Hat ein Beteiligter bereits einmal seine Annahme oder Ausschlagung angefochten und erfährt er später, dass diese Anfechtungserklärung auf einem Irrtum beruhte, so ist es ihm zuzumuten, nun unverzüglich i.S. von § 121 Abs. 1 S. 1 BGB die Anfechtung zu erklären, damit möglichst schnell Rechtssicherheit hergestellt wird. Weder bedarf er hierzu einer sechswöchigen Überlegungsfrist gemäß § 1954 Abs. 1 und 2 BGB noch ist es sachgerecht, gemäß § 1954 Abs. 4 BGB erst nach Ablauf von 30 Jahren eine Anfechtung der Anfechtungserklärung auszuschließen.

     

    Gegen eine analoge Anwendung von § 1954 BGB spricht auch das Wertungskonzept des Gesetzgebers im Bereich des Verjährungsrechts, der die frühere 30-jährige Verjährungsfrist für erbrechtliche Ansprüche gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit Wirkung ab dem 1.1.10 abgeschafft hat.

     

     

    Quelle: Ausgabe 09 / 2015 | Seite 234 | ID 43551643

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