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  • 28.01.2020 · IWW-Abrufnummer 213794

    Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Beschluss vom 29.10.2019 – 21 W 82/19

    1. Bedarf die Entscheidung über einen Erbscheinsantrag gemäß § 352e Abs. 1 Satz 4 FamFG keiner Bekanntgabe, beginnt die Frist des § 79 Abs. 2 Satz 2 GNotKG regemäßig mit dem Erlass des beantragten Erbscheins.

    2. Im Fall einer eklatant fehlerhaften, aber rechtskräftigen Festsetzung des Geschäftswerts für das Erbscheinsverfahren ist eine anteilige Nichterhebung von Gerichtskosten nach § 21 GNotKG zu prüfen.


    OLG Frankfurt
    21. Zivilsenat

    29.10.2019

    21 W 82/19

    Tenor

    Die Beschwerde des Beteiligten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bad Homburg v. d. Höhe vom 26. Januar 2019 wird verworfen.

    Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

    Gründe

    I.

    Die Erblasserin war verheiratet, hinterließ aber keine Kinder. Nach dem Tod des Erblassers schlugen zahlreiche Verwandte der Erblasserin die Erbschaft aus. Allein der Antragsteller beantragte am 12. Mai 2017 einen Alleinerbschein zu seinen Gunsten, den das Nachlassgericht, da niemand widersprach, am gleichen Tag auf der Grundlage eines entsprechenden Feststellungsbeschlusses (Bl. 131 d. A.) antragsgemäß erließ (Bl. 132 d. A.). Eine Ausfertigung des Erbscheins wurde dem Antragsteller am 12. Mai 2017 ausgehändigt (Bl. 132 d. A.).

    Nach mehrfacher vergeblicher Anhörung des Beteiligten zu 1) zum Geschäftswert hat das Gericht mit dem angefochtenen Beschluss (Bl. 143 f. d. A.) den Verfahrenswert auf 3.000.000 € festgesetzt und sich zur Begründung auf eine freie Schätzung berufen.

    Gegen den ihm am 30. Januar 2018 (Bl. 144 d. A.) zugestellten Beschluss hat der Beteiligte zu 1) mit am 25. Juli 2018 (Bl. 146 d. A.) beim Nachlassgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, der Nachlass bestehe einzig aus einem Miteigentumsanteil an einem Grundstück, der ihm einen finanziellen Vorteil in Höhe von 1.694,02 € erbracht habe.

    Nachdem weiterhin entgegen der Aufforderung der Rechtspflegerin kein ausgefüllter Wertermittlungsbogen zu den Akten gereicht worden ist, hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen, sondern das Verfahren dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 152 d. A.). Der Senat hat den Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass das Rechtsmittel verfristet sein könnte. Eine Stellungnahme ist hierzu nicht erfolgt.

    II.

    1. Der Beschwerde, über die der Senat gemäß § 83 Abs. 1 Satz 6 iVm § 81 Abs. 6 GNotKG durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter zu entscheiden hat, ist gemäß § 83 Abs. 1 GNotKG zwar statthaft. Ihr bleibt der Erfolg jedoch versagt, da sie bereits unzulässig ist. Denn die angefochtene Entscheidung ist dem Beschwerdeführer am 30. Januar 2018 (Bl. 144 d. A.) zugestellt worden, die Beschwerdeschrift ist aber erst am 25. Juli 2018 (Bl. 147 d. A.) beim Nachlassgericht eingegangen. Damit hat der Antragsteller die Rechtsmittelfrist des § 83 Abs. 1 Satz 3 FamFG nicht gewahrt. Hiernach ist die Beschwerde nämlich nur zulässig, wenn sie innerhalb der in § 79 Abs. 2 Satz 2 GNotKG bestimmten sechsmonatigen Frist eingelegt wird bzw. innerhalb eines Monats nach Erlass der Entscheidung über den Geschäftswert eingereicht wird, sofern die Geschäftswertfestsetzung ihrerseits nach der in § 79 Abs. 2 Satz 2 GNotKG bestimmten Frist ergangen ist.

    Vorliegend ist die Entscheidung über die Geschäftswertfestsetzung mehr als ein halbes Jahr nach der Entscheidung über den Erlass des Erbscheins erfolgt, so dass dem Antragsteller nach dem Zugang der angefochtenen Entscheidung noch ein weiterer Monat verblieben wäre, um ein Rechtsmittel einzulegen. Die ihm verbleibende Frist hat er hingegen nicht genutzt, weswegen seine Beschwerde nunmehr als unzulässig zu verwerfen ist.

    Dabei fing die sechsmonatige Frist des § 79 Abs. 2 Satz 2 GNotKG unmittelbar mit dem Erlass des Erbscheins am 12. Mai 2017 zu laufen an und war entsprechend sechs Monate später am 13. November 2017 abgelaufen. Gemäß § 79 Abs. 2 Satz 2 GNotKG beginnt die Frist nämlich mit der Erlangung der Rechtskraft der Entscheidung oder mit der anderweitigen Erledigung des Verfahren.

    Zwar ist der Beschluss, mit dem die für den Erlass des beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen als festgestellt erachtet worden sind, nicht in Rechtskraft erwachsen. Denn zu dessen Rechtskraft bedarf es, wie sich aus § 45 FamFG iVm § 16 FamFG ergibt, der ordnungsgemäßen Bekanntgabe der Entscheidung. Da vorliegend aber niemand dem Erlass des Erbscheins widersprochen hat, bedurfte es gemäß § 352e Abs. 1 Satz 2 FamFG keiner Bekanntgabe des Beschlusses, weswegen der Beschluss auch nicht in Rechtskraft erwachsen konnte. Dabei kommt es für die formelle Rechtskraft nicht auf die Zulässigkeit eines denkbaren Rechtsmittels an, die hier mangels Beschwer des Beteiligten, dessen Antrag vollumfänglich entsprochen wurde, nicht gegeben wäre. Vielmehr ist allein entscheidend, ob überhaupt ein Rechtsmittel statthaft ist, woran wiederum aufgrund von § 58 FamFG kein Zweifel besteht (vgl. BGH NJW-RR 2008, 1673 zur Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde; Keidel/Sternal, FamFG, 2017, § 45 Rn. 17).

    Allerdings hat sich vorliegend das Erbscheinverfahren mit Erlass des beantragten Erbscheins am 12. Mai 2017 anderweitig erledigt. Eine anderweitige Erledigung tritt ein, wenn das Gericht in der Sache seine Tätigkeit endgültig abgeschlossen hat (vgl. BayObLGZ 2003, 87, 88; Toussaint in Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 2019, § 79 GNotKG, Rn. 36). Dies war mit dem Erlass des beantragten Erbscheins der Fall. Der Umstand, dass die Wertfestsetzung noch nicht erfolgt war, hinderte die Erledigung nicht, da die Wertfestsetzung nicht zu dem Verfahren im Sinne von § 79 Abs. 2 GNotKG gehört (vgl. BayObLGZ 2003, 87, 88 für § 31 Abs. 1 Satz 3 KostO). Andernfalls liefe die Intention des Gesetzgebers, das Rechtsmittel zu befristen, ins Leere.

    2. Für den Fortgang des Verfahrens bzw. die sich anschließende, etwaige Festsetzung von Gerichtskosten weist der Senat allerdings auf § 21 GNotKG hin. Hiernach werden Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht erhoben.

    Zwar ist damit in erster Linie die Hauptsache, d.h. vorliegend der Erlass des Erbscheins gemeint, der wiederum nicht zu beanstanden ist. Es handelt sich bei der Geschäftswertfestsetzung allerdings um eine mit der Hauptsache in unmittelbarem Zusammenhang stehende Tätigkeit. Vor dem Hintergrund des Zwecks der Vorschrift, den Bürger nicht unter erheblichen Fehlern des Gerichts finanziell leiden zu lassen (vgl. BVerfG NJW 1991, 2077, zit. nach juris Rn. 7 zu § 16 KostO; LG Berlin ZIP 2013, 2465; Zivier in Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 2019, § 21 GNotKG), ist auch eine unrichtige Festsetzung des Geschäftswertes hierunter zu fassen. Dem steht die Rechtskraft der Geschäftswertfestsetzung nicht entgegen. Denn nicht jede unrichtige Behandlung gibt Anlass zu einer Nichterhebung von Gerichtskosten, sondern nur ein eklatant und offen zu Tage tretende unrichtige Geschäftswertfestsetzung. Zudem behält der festgesetzte Geschäftswert formal seine Gültigkeit. Eine Korrektur erfolgt lediglich mit Blick auf die Gerichtsgebühren und zwar dahingehend, dass diese nur aus einem geringeren Wert erhoben werden, so dass Interessen Dritter, denen an einer Rechtskraft der Entscheidung sowie der damit verbundenen Rechtssicherheit gelegen sein könnte, nicht beeinträchtigt sind.

    Eine im Sinne von § 21 GNotKG unrichtige Geschäftswertfestsetzung ist vorliegend gegeben. Maßstab für die Anwendung des § 21 GNotKG ist nicht eine objektiv richtige Behandlung; vielmehr liegt eine unrichtige Sachbehandlung nur bei einem offen zu Tage tretenden Verstoß gegen eindeutige gesetzliche Normen oder dann vor, wenn ein offensichtliches Versehen unterlaufen ist (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 30.03.2017 - 20 W 391/15, juris; Zivier in Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 2019, § 21 GKG Rn. 8 mwNachw). Ein solcher offen zu Tage tretender Verstoß gegen eindeutige gesetzliche Normen ist dem Rechtspfleger bei der Festsetzung des Geschäftswertes unterlaufen. Noch zutreffend ist das Nachlassgericht zwar davon ausgegangen, dass der Geschäftswert sich gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 2 GNotKG nach dem Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls richtet. Allerdings unterliegt die Ermittlung des Nachlasswertes dem Untersuchungsgrundsatz des § 26 FamFG (vgl. Toussaint in Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 2019, § 79 Rn. 13). Hierbei trifft den Beteiligten gemäß § 77 GNotKG, § 27 FamFG eine Mitwirkungspflicht. Der hier vorliegende (eklatante) Verstoß des Beteiligten gegen die Mitwirkungspflicht kann den Umfang der Ermittlungen beeinflussen, denn die Beteiligten können nicht erwarten, dass das Gericht zur Ermittlung der maßgebenden Tatsachen allen nur denkbaren Möglichkeiten von Amts wegen nachgeht (vgl. Keidel/Sternal, FamFG, 2017, § 27 Rn. 6). Ob das Gericht trotz der verweigerten Auskunft zunächst die Möglichkeit einer Auskunft bei der bestellten Nachlasspflegerin oder bei dem zuständigen Finanzamt hätte beschreiten müssen, bevor es zu einer freien Schätzung des Nachlasswertes übergehen konnte (vgl. zu dieser Möglichkeit Zimmermann in: Zimmermann, Erbschein - Erbscheinsverfahren - Europäisches Nachlasszeugnis, 2016, Teil E Rn. 207), kann vorliegend dahinstehend. Denn jedenfalls war es nicht zu einer völlig aus der Luft gegriffenen Schätzung befugt, die der Höhe nach nicht das Geringste mit dem tatsächlichen Wert des Nachlasses zu tun hat. Insbesondere handelt es sich bei dieser freien Schätzung des Geschäftswerts nicht um eine Ungehorsamsstrafe gegen den Beteiligten dafür, dass er die gebotene und mögliche Mitwirkungshandlung unterlassen und hierdurch die Tätigkeit des Gerichts erschwert hat. Vielmehr muss sich auch eine freie Schätzung des Nachlasswertes im Rahmen der nach der Sachlage und den bekannten Anhaltspunkten realistischen Bandbreite des möglichen Geschäftswerts halten und darf nicht zur Folge haben, dass ein gänzlich unrealistischer, fern liegender Geschäftswert festgesetzt wird.

    Aus der Akte ergibt sich, dass der Nachlass praktisch ausschließlich aus einem Miteigentumsanteil an dem Grundstück Grundbuch von Stadt1, Blatt …, Flur …, Flurstück …. Gebäude- und Freifläche „Straße1“ mit 1004 qm besteht, dessen Verkauf für einen Preis von 75.000 € veranschlagt war. Unter Berücksichtigung eines von der Nachlasspflegerin mitgeteilten Miteigentumsanteils der Erblasserin von 1/18 (vgl. Bl. 101 d. A.) ergibt sich hieraus ein Wert von unter 5.000 €. Dass jedenfalls unter dieser Voraussetzung die Schätzung des Nachlasswertes seitens des Rechtspflegers auf 3.000.000 € nicht im Ansatz den tatsächlichen Wertverhältnissen entspricht, ist offensichtlich. Damit tritt auch der mit der Geschäftswertfestsetzung verbundene Verstoß gegen § 26 FamFG offen zu Tage.

    Rechtsfolge ist, dass die Kosten insoweit nicht erhoben werden, als sie bei einer richtigen Behandlung der Sache gegenüber dem Kostenschuldner nicht oder nicht so hoch entstanden wären (vgl. BayObLG JurBüro 2001, 251; Zivier in Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 2019, § 21 GNotKG Rn. 3). Es liegt dementsprechend nahe, von der Kostenerhebung abzusehen, soweit es sich um Gebühren handelt, die sich aus einem über 5.000 € liegenden Geschäftswert ergeben.

    3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 83 Abs. 3 GNotKG. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

    RechtsgebietGNotKGVorschriften§ 21 GNotKG, § 79 GNotKG

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