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  • 08.09.2011 · IWW-Abrufnummer 113126

    Finanzgericht Niedersachsen: Gerichtsbescheid vom 16.06.2011 – 3 K 136/11

    Zum Begriff des Zeitraums „innerhalb von 10 Jahren” nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG.


    Der Zehn-Jahres-Zeitraum nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG ist so zu bestimmen, dass die natürlich Länge von 10 Jahren zwischen Schenkung und vor Erwerben nicht überschritten werden darf.


    Tatbestand
    Streitig ist, ob zwei Schenkungen gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) „innerhalb von zehn Jahren” erfolgten.

    Mit notariellem Vertrag vom 31. Dezember 1998 übertrug der Kläger und dessen Ehefrau ihrem Sohn unentgeltlich im Wege der vorweggenommenen Erbfolge ein Grundstück mit aufstehendem Doppelhaus in X mit einem gesondert festgestellten Gesamtwert von 194.802 € und damit einer Zuwendung des Vaters und der Mutter des Erwerbers in Höhe von jeweils 97.401 € (190.500 DM). Eine Schenkungssteuer war wegen des zu berücksichtigenden Freibetrages nicht festzusetzen.

    Mit notariellem Vertrag vom 29. Dezember 1999 übertrug der Kläger seinem Sohn unentgeltlich im Wege der vorweggenommenen Erbfolge ein Grundstück mit aufstehenden Baulichkeiten in Y. Der gesondert festgestellte Wert des Grundstücks betrug 92.032 € (180.000 DM). Eine Schenkungssteuer war wegen des zu berücksichtigenden Freibetrages nicht festzusetzen.

    In einem weiteren notariellen Vertrag vom 31. Dezember 2008 übertrug der Kläger seinem Sohn unentgeltlich im Wege der vorweggenommenen Erbfolge ein mit einem Doppelhaus bebautes Grundstück in Z unter Nießbrauchsvorbehalt. Der Besitz ging am gleichen Tag über. Der Kläger sagte die Übernahme der ggf. entstehenden Schenkungssteuer zu. Der gesondert festgestellte Wert jeder Doppelhaushälfte und des dazugehörigen Grundstücksanteils betrug jeweils 97.000 € (zusammen 194.000 €).

    Das FA setzte mit Bescheid vom 19. Dezember 2010 die Schenkungssteuer auf 20.889 € fest, wovon wegen des Nießbrauchsvorbehalts 11.990 € gestundet wurden. Das FA berücksichtigte dabei die beiden Schenkungen vom 31. Dezember 1998 und 29. Dezember 1999 als Vorerwerbe. Gegen die Einbeziehung auch der ersten Schenkung richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage.

    Der Kläger ist der Ansicht, eine Zusammenrechnung mit der ersten Schenkung sei rechtlich ausgeschlossen. Vom Zeitpunkt der letzten Schenkung aus betrachtet (31. Dezember 2008) liege die erste Schenkung (31. Dezember 1998) nicht mehr „innerhalb von zehn Jahren”. Diese Ansicht werde in der Literatur überwiegend geteilt (Götz in Fischer/ Jüptner/ Pahlke/ Wachter, ErbStG, § 14 Rz. 15; Maier/ Ohletz in Wilms/ Jochum, ErbStG, § 14 Rz. 23 a.E.; Weinmann in Moench/ Weinmann, ErbStG, § 14 Rz. 6; Tiedtke/ Wälzholz in Tiedtke, ErbStG, § 14 Rz. 10; Högl in Gürsching/ Stenger, Bewertungsrecht - BewG - ErbstrG, § 14 ErbStG Rz. 25 und Jülicher in Troll/ Gebel/ Jülicher, ErbStG, § 14 Rz. 7).

    Der Kläger beantragt,

    den Erbschaftsteuerbescheid vom 9. Dezember 2010 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 11. März 2011 dahingehend zu ändern, dass die Schenkung vom 31. Dezember 1998 nicht als Vorerwerb berücksichtigt wird.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte ist der Ansicht, die Frist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG müssten entsprechend der Regelung in den §§ 187 Abs. 1, 188 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) berechnet werden. Daher falle bei einer Schenkung am 31. Dezember 2008 auch noch eine Vorschenkung am 31. Dezember 1998 in den 10-Jahres-Zeitraum.



    Gründe
    Die Klage ist begründet.

    Die Vorschenkung vom 31. Dezember 1998 ist gemäß §§ 9, 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG bei der Festsetzung der Schenkungsteuer für die Schenkung vom 31. Dezember 2008 nicht einzubeziehen gewesen.

    Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG sind „mehrere innerhalb von zehn Jahren” anfallende Vermögensvorteile zusammenzurechnen. Das auslösende Ereignis ist dabei der aktuell der Erbschaft- oder Schenkungssteuer zu unterwerfende Erwerb (§§ 7, 9 ErbStG), da § 14 lediglich zusätzlich die Berücksichtigung „früherer Erwerbe” gesetzlich angeordnet ist. Die §§ 187 ff. BGB, die über § 108 der Abgabenordnung (AO) entsprechend anwendbar sind, beziehen sich ausdrücklich nur auf die sogenannte Vorwärtsberechnung von Fristen (Krause, NJW 1999, 1448; Götz in F/J/P/W, § 14 Rz. 14, der die Anwendbarkeit der §§ 187 ff. BGB als unklar bezeichnet; ähnlich Grothe in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch [MüKo], § 187 Rz. 4, der eine analoge Anwendung bei Rückwärtsfristen annehmen will). Die Regelungen der §§ 187 ff. BGB sind vom Prinzip der Zivilkomputation, wonach ein Zeitraum nur nach ganzen Kalendertagen berechnet wird, geprägt und bilden damit den Gegensatz zur Naturalkomputation, die Zeiträume nach ihrer natürlichen Länge misst (vgl. dazu Grothe in MüKo, § 187 Rz. 1). Die Zivilkomputation führt ausnahmslos zu einer um Stunden und/oder Minuten längeren Frist, da die Zeit bis Mitternacht des Tages, an dem das die Frist auslösende Ereignis eingetreten ist, tatsächlich jeweils zur Frist hinzugenommen wird.

    Das Prinzip der Zivilkomputation steht in einem Spannungsverhältnis zur evtl. steuerbegründenden Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG, da dort bei einer schematischen Anwendung dieses Prinzips letztlich Vorerwerbe außerhalb der tatsächlichen Spanne von zehn Jahren in die Besteuerung einbezogen werden könnten. Eine solche tatsächliche zeitliche Ausdehnung um Stunden und/oder Minuten ist nach einer vereinzelten Ansicht aus der Literatur aus Gründen der Rechtssicherheit und im Hinblick auf eine einheitliche Anwendung der §§ 187 ff. BGB geboten (Geck in Kapp/ Ebeling/ Geck, ErbStG, § 14 Rz. 58). Danach erstreckt sich bei einem Erwerb im Laufe des 15. Juni 2011 der 10-Jahres-Zeitraum bis zum 15. Juni 2001 um 0.00 Uhr. Demgegenüber wird von der vom Kläger zitierten Literatur zum ErbStG einheitlich, wenn auch ohne eine differenzierte Begründung, eine Berechnung des Zeitraums von zehn Jahren letztlich durch die volle Berücksichtigung des Tages des die Frist auslösenden Ereignisses als Teil des maßgeblichen Zeitraums begreift (Götz in Fischer/ Jüptner/ Pahlke/ Wachter, ErbStG, § 14 Rz. 15; Maier/ Ohletz in Wilms/ Jochum, ErbStG, § 14 Rz. 23 a.E.; Weinmann in Moench/ Weinmann, ErbStG, § 14 Rz. 6; Tiedtke/ Wälzholz in Tiedtke, ErbStG, § 14 Rz. 10; Högl in Gürsching/ Stenger, Bewertungsrecht - BewG - ErbstrG, § 14 ErbStG Rz. 25 und Jülicher in Troll/ Gebel/ Jülicher, ErbStG, § 14 Rz. 7) vorgenommen. Danach erstreckt sich bei einem Erwerb im Laufe des 15. Juni 2011 der 10-Jahres-Zeitraum bis zum 16. Juni 2001 um 0.00 Uhr, so dass keine tatsächliche Überschreitung der natürlichen Länge von zehn Jahren eintritt.

    Auch bei anderen Rückwärtsfristen stellen sich dem Rechtsanwender ähnliche und weitgehend höchstrichterlich ungeklärte Fragen zur richtigen Fristberechnung u.a. der Frist zur Vorlage eines Verschmelzungsvertrages beim Betriebsrat nach § 5 Abs. 3 des Umwandlungsgesetzes (UmwG), so dass Krause (aaO.) im Jahre 1999 nachweisen konnte, dass verschiedene Fachautoren jeweils unter Heranziehung der §§ 187 ff. BGB zu ganz unterschiedlichen publizierten Ergebnissen gelangen. Der Gesetzgeber ist dem bei der Beschlussfassung über die Insolvenzordnung (InsO) für dortige Rückwärtsfristen zuvorgekommen und hat in § 139 Abs. 1 InsO eine eindeutige Regelung geschaffen, weil es einer klarstellenden Regel, die sich an § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2, 3 BGB anlehnt, bedurfte (vgl. Begründung zur InsO, BT-Drucksache 1/92 unter § 156, S. 163). Die Kommentarliteratur zur InsO hat dies später gleichwohl als eine Besonderheit im Vergleich zu der Berechnung nach den BGB-Regeln bezeichnet (Kirchhof in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 139 Rz. 1).

    Im Streitfall folgt der Senat der überwiegenden Ansicht in der Literatur dahingehend, dass der 10-Jahres-Zeitraum nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG so zu bestimmen ist, dass die natürliche Länge von zehn Jahren zwischen der Schenkung und Vorerwerben nicht überschritten werden darf. Vielmehr muss wegen der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung nach § 3 Abs. 1 AO und wegen des Eingriffscharakters jeder Steuer im Zweifel die den der Steuer unterworfenen Steuerpflichtigen weniger belastende Auslegungsalternative der Besteuerung zugrunde gelegt werden. So hat Troll (aaO.) zutreffend dargelegt, dass die jährliche Zuwendung an ein Kind an seinem Geburtstag in Höhe von jeweils 1/10 eines gedacht gleichbleibenden Freibetrages zu keiner Schenkungsteuer führen dürfe.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

    Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen, da eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist. Die streitgegenständliche Rechtsfrage zur Bestimmung des maßgeblichen Zeitraums nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG ist bisher (höchstrichterlich) ungeklärt.

    VorschriftenErbStG § 14 Abs. 1

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